note on: Missbrauch bei Germanys Next Topmodel

Auch dieses Jahr wird sich über das Dschungel Camp von Pro7 aufregt – „Germanys Next Topmodel“.
Diesmal ist es Rezo, der sich in einem Video [Link zu YouTube] mit der Sendung auseinandergesetzt hat und darin Bezug auf Videos von früheren Teilnehmerinnen nimmt. So far nichts Neues, aber vielleicht Lauteres. Jüngeres. Und aus der Zielgruppe.

Seit 2006 gibt es die Sendung, die sich vordergründig um Mode, Kunst und Schönheit dreht, in ihrer Basis aber nie etwas anderes als eine anhaltende Dauerwerbesendung war. Heidi Klum ist Unternehmerin, sie verdient ihr Geld mit ihrem Körper und mit dem Körper anderer Menschen. Sie produziert eine Sendung, die vorrangig Zuschauer_innen findet, deren Medienkompetenz entweder nicht ausreicht, um Werbung zu erkennen (und so einen gewissen Schutz vor sehr starker Identifikation mit den dargestellten Personen bietet) oder die nicht mit dem Alltagsverständnis verknüpft ist (sodass den Menschen (sehr unangenehm) bewusst ist, was sie sich da eigentlich ansehen und warum sie sich davon unterhalten fühlen).

In diesem Beitrag geht es mir nicht darum, Menschen darüber zu beschämen, was sie sich gern im Fernsehen anschauen.
Es gibt Genres, die sind verknüpft mit dem Alltagsbewusstsein, den Alltagswerten, die man so hat, der letzte Quark sind. Ich liebe zum Beispiel das Marvel-Universum. Das sind Action-Comedy-Fantasy-Superhelden-Comicverfilmungen. Sexistisch, platt, oftmals gewaltvoll, immer geht irgendwas kaputt und logisch zusammengeschnitten sind sie auch nicht immer. Aber sie machen mir Spaß. Ich komme oft total aufgepeitscht aus dem Kino, verarbeite tagelang die schnellen Kampfszenen, nerde total gerne über den großen story arc der Reihe ab.
Aber ich kann kritisch dabei sein. Mir ist klar, dass diese Filme mich unterhalten sollen. Gibt es darin Dinge, die mich nicht unterhalten, sondern kränken, abstoßen oder die ich einfach nicht in Ordnung in einem solchen Film finde, dann kann ich als Zuschauer_in diese Kritik äußern und alle verstehen, warum ich das tue. Das Ziel ist nämlich ausschließlich meine Unterhaltung. Der Film wird für Leute wie mich gemacht. Natürlich interessiert Disney einen Scheiß, wie ich persönlich die Filme finde – aber das Fandom selbst, also alle Menschen, die diese Filme gern anschauen, sind schon wichtig für Disney.

Das ist bei Sendungen wie Germanys Next Topmodel anders. Es geht nicht darum, wie Leute die Sendung finden. Es geht darum, dass sie angeschaut wird. Denn jeder Klick, jeder View, jedes Einschalten bestimmt den Wert der Werbung, die in den offiziellen Werbepausen gezeigt wird – aber auch den Wert der Kooperationen, die im Rahmen dieser Sendung gemacht werden.
GNTM war nie ein Wettbewerb um etwas, das nichts mit Werbung zu tun hatte und das ist wichtig zu verstehen. Auch für die Kritik daran. Denn die ist ja nun, nach 15, 16 Jahren auch einigermaßen ritualisiert und geht für mich inzwischen oft am Punkt vorbei.

Denn Fakt ist: Diese Sendung ist nicht illegal, sie ist einfach nur unmoralisch.
Das sind viele andere Sendungen aber auch. Frauentausch zum Beispiel. Das Dschungelcamp. Big Brother. Temptation Island. Sommerhaus der Stars. Und sie werden angeschaut. Sie beeinflussen zum Negativen, sie tragen nichts zum Alltag der Menschen bei, außer einem Zeitraum, in dem sie sich nicht aktiv um ihren sozialen Status kümmern müssen. Sie schauen durch die Glotze herab auf irgendwelche Trottel, die sich zum Klops machen – oder auch nicht, es ist total egal.

Das Fiese an GNTM ist der Griff aus dem Fernseher heraus nach Menschen, die oftmals zu jung, zu unerfahren, zu ungeschützt und unaufgeklärt darüber sind, wie Fernsehen im Allgemeinen und Werbung im Zusammenspiel mit Konsum im Speziellen funktioniert. Was das mit ihrer Körperlichkeit zu tun hat, mit ihrer Persönlichkeit, mit Ansprüchen Dritter an ihrem Körper, aber auch ihre Zeit und ihren emotionalen Kräften.
Ich höre seit Jahren diese mir tatsächlich sehr naiv erscheinende Frage oder vielleicht eher Feststellung, dass „die jungen Mädchen“ das ja auch noch freiwillig mitmachen – diesen unsinnigen Müll. Als jemand die_r einige Jahre sehr viel Müll hat „mit sich machen lassen“ – „~freiwillig~“ – werde ich darüber oft wütend. Über diese Naivität. Diese dumpfe Dummheit. Weil – bitte, wie einfach kann man es sich machen. „Ja, wenn die das freiwillig mitmachen …“ dann ist es ok? Kein Problem? Selber schuld, wenn die Freiwilligkeit ausgenutzt wird?

Und was machen die Menschen denn da mit?
GNTM wird häufig als Wettbewerb gerahmt. Genauso wie das Schrottformat „der Bachelor“. Es kann nur eine gewinnen. Hier geht es um was, trallalala. Aber um was geht es denn für wen? Was hat der Dschungelkönig oder die Dschungelkönigin gewonnen – außer einer Erfahrung mit öffentlichem Ekeltraining und 100.000 € zusätzlich zu einer Gage, die neben dem, was der Sender damit generiert, einfach nur lächerlich sein dürfte? Sie_r hat vor allem gewonnen, weil sie_r nicht verloren hat. Und das ist schon alles.
Seit Jahren ist bekannt, dass die Gewinner_innen von GNTM ein Werbepüppchen im Unternehmensuniversum von Heidi Klum sind und weiter nichts. Sie erhalten einen Vertrag, der sie in Einkaufsmalls und auf Popelbühnen bringt – aber nicht auf die Laufstege von Top Designer_innen. Das ist besser als nichts und wenn man wirklich als Model arbeiten will, muss man irgendwo anfangen – aber dafür muss man sich nicht im Fernsehen demütigen und sexualisieren lassen. Es ist ein Beruf und der Zugang dazu ist kein Wettbewerb, sondern Arbeit.

Die Sendung als Wettbewerb zu rahmen ist jedoch das Element, das viele Teilnehmer_innen letztlich verführt. Denn was ein Wettbewerb ist, erfordert Fähig- und Fertigkeiten, die einfach entwickelt und gezeigt werden können. Es liegt an den Teilnehmer_innen wer gewinnt. Nicht an den Produzent_innen, die ja als solche nie in Erscheinung treten und dementsprechend gar nicht in ihrer Machtposition überhaupt erkannt werden können.
Nachdem man vielleicht jahrelang gesehen hat, wie andere versagen – wie schwer ist dann der Sprung zu dem Gedanken: „Was die können, kann ich auch. Sogar noch besser. Ich hab jetzt alles gesehen, ich krieg das hin, ich kann das. Ich mach das. Ich werde gewinnen und besser sein.“ Und das machen sie freiwillig. Beweisen, dass sie es besser können. Und wenn sie zufällig in das Schema passen, dass die Produzent_innen in der Staffel bedienen wollen, dann schnappt die Falle zu.

Die gleiche Falle, die ihnen Mackertypen stellen, die gleiche Falle, die Täter_innen aufstellen, die gleiche Falle, die in verschiedenen Formen überall in unserer patriarchalen Gesellschaft benutzt werden. Es ist immer wieder der Rückwurf und die Reduktion auf die Person allein. Zeig, was du kannst – beweise, was du über dich sagst – erkämpfe dir meine Gunst – und dann bekommst du eine Chance dich dessen würdig zu erweisen. Vergiss nie, dass du meine Gunst brauchst – Heidi muss dich gut finden, Hajo muss dich geil finden, der Kunde muss dich ficken wollen, dann hast du es richtig gemacht, dann stimmt, was du über dich glaubst. Dann bist du würdig einen Supermarkt in Castrup Rauxel zu eröffnen oder die nächste Generation GNTM Meeedchen zu rekrutieren.

Sendungen wie diese sind nur deshalb anschlussfähig, weil speziell Mädchen und Frauen und als Mädchen und Frauen behandelte/gedachte Menschen genau das immer und immer und überall erleben. Es gilt einfach nie, was sie im ersten Moment über sich sagen oder was sie von sich halten. Der Blick von außen auf sie ist immer noch wichtiger als ihr eigener auf sich.
Und das gilt für jede Fernsehsendung mit diesem Prinzip. Die Zuschauer_innen werden missbraucht, um eine Instanz des Außens zu erschaffen, das im Sendungsgeschehen selber überhaupt keine Rolle spielt – zumindest so lange nicht, bis es die Zuschauer_innen sind, die mit ihrem Anrufverhalten bestimmen, wer sich länger von Unsympathen wie Dieter Bohlen beleidigen lassen oder irgendwelche gefährlichen Challenges bestehen soll darf muss. Bei GNTM wird darüber gelogen, wer das Außen ist. Denn Heidi allein und ihre Jury ist es nicht. Und um die Teilnehmer_innen als Person geht es auch nicht. Deshalb können sie die Verantwortung dafür von sich weisen. Deshalb können sie so tun, als verstünden sie die Kritik nicht. Denn sie sind ja nur Vermittler_innen in die Welt des Modelns.

Das macht die Sendung unmoralisch und die Ausbeutung, die Sexualisierung von Minderjährigen und auch die Legitimation dieses Geschehens überhaupt erst möglich.
Entsprechend ist es unsinnig, sich darüber zu unterhalten, wie sich das Fernsehen verändern muss. Ob die Heidi das darf oder nicht. Ob und wenn ja, wie freiwillig die Teilnahme ist oder nicht. Solange Menschen Medien nutzen, um sich über andere zu erheben; solange Werbung die Haupteinnahmequelle für die Produktion von Medien ist und wir uns auf Einzelpersonen statt Gesamtzusammenhänge konzentrieren, werden wir reproduzieren, was diese Sendungen legitimiert: Gewalt und Macht.