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Aufräumen und Ausmisten sind grad ein Ding. Mal wieder. Schon wieder. Immer noch?
Es gibt da eine neue Sendung bei Netflix. Ich kann nichts dazu sagen, denn ich habe kein Netflix.
Aber ich habe, gestählt von den ersten Minimalismus-Trendwellen, eine Meinung dazu und die schreib ich jetzt auf.

Erstens: Minimalismus bzw. minimalistisch zu leben, ist kein Luxus und geht auch ohne “viel” Geld
Ja, ich nehme das heiße Eisen gleich zuerst, denn das ist, was in meiner Blase sehr oft kreist und mich oft einfach ratlos zurück lässt.
Denn: Sich auf das Nötigste zu beschränken, heißt nicht automatisch luxuriös, hochwertig oder besonders stylo zu leben. Eine Wohnung mit einem Bett, einem Bananenkarton voll Kleidung und einem Taschenbuch zu füllen, kann ein Zeichen für den Luxus sein, zu Hause weder waschen, noch kochen, noch lagern zu müssen und Dinge wie Fernsehen oder Kommunikation mit anderen Menschen ablehnen/vermeiden zu können.
Es kann aber auch ein Zeichen für 100% Jobcenter-Sanktion oder eine überstürzte Flucht aus einer gewaltvollen Beziehung sein.

Dinge nicht tun zu müssen und sie deshalb sein lassen zu können, bzw. sich keine Dinge anschaffen zu müssen, mit denen man sie tun kann, ist ein Privileg.
Ein Privileg, das für Menschen, die mehr oder weniger direkt dazu gezwungen sind, Dinge zu tun und sich zu Hause darauf bzw. damit einrichten zu müssen, wie Luxus erscheinen kann, einfach, weil so eine Wahl zu haben, für viele weniger privilegierte Menschen etwas ist, das weit außerhalb ihrer Üblichkeit liegt.

Das macht aber einen Lebens_Gestaltungsstil als Ganzes nicht zum Luxus oder etwas, das nur mit Luxus oder Privilegien allein funktioniert.

Zweitens: Minimalismus ist das Ergebnis einer Haltung, die alle einnehmen können.
Ja, wirklich auch das. Und ja, aus eigener Erfahrung sehe ich das so.
Meine mehr als 10 Hartz-Jahre und alles, was sie mich an Glaubenssätzen haben annehmen lassen, haben mir die Wohnung vollgemüllt.
Ich kann Dinge, besonders die, die mehr als sagen wir 50€ kosten, niemals sofort selbst neu anschaffen. Also behalte ich auch die kaputten Dinge und die Dinge, die nur noch ein bisschen funktionieren und ergänze sie mit etwas, das die ausgefallenen Funktionen hat. Das bedeutet: statt einer teuren Sache kaufe ich 5 billige und kaufe die immer wieder nach. Oder ergänze sie jeweils noch um ein weiteres. Wie in einem Schneeballsystem multiplizieren sich damit meine Besitztümer und auch meine Müllmengen.

“Siehste! Man braucht also doch “viel Geld”, um aus der Schleife rauszukommen!”, höre ich da jemanden aus meiner Bubble.
Ja, dem würde ich zustimmen – wenn man sich die Schleife nicht wirklich angucken will und auch damit okay ist, bestimmte Dinge einfach immer und immer und immer wieder zu kaufen oder zu behalten, ohne sich selbst zu hinterfragen und zu prüfen, was denn für Glaubenssätze dahinter stehen.

Brauchst du wirklich einen Fernseher und wenn ja, wofür genau? Brauchst du 20 Paar Schuhe und hat es Sinn sie alle zu behalten? Ist es wirklich nötig, als Single einen Geschirrbestand wie eine Großfamilie zu haben? Was spricht dagegen, diese Dinge einfach nicht zu haben und sich der Konsequenz zu stellen? Was spricht dagegen, es einmal anders zu probieren?

Mit solcherart Fragen gehen wir aktuell mit einem Umzug vor der Brust durch unseren Hausstand und merken, wie sehr wir über Besitz und Kram – vor allem aber über das Stückeln der Funktionen – versucht haben, unsere Armut zu verstecken. Sogar vor uns selbst. Denn hätten wir nur, was wirklich noch gut und funktional ist in unserer Wohnung, wäre sie praktisch leer. Und uns würde das beschämen, denn es wäre, als hätten wir versagt ein normaler erwachsener, selbstständiger Mensch zu sein, der total gut ohne Familie oder andere Bürgen klarkommt. – Ein Anspruch, den wir an uns gerichtet haben, als wir gerade 18 Jahre alt waren und es allen beweisen wollten. Mussten. Auch und vor allem den Leuten, die daran gezweifelt haben, dass wir das überhaupt schaffen. Dieses allein leben. Und auch: allein überleben.

Total Banane, verstehen wir heute. Schon allein diese Art der Selbstbehauptung gegenüber anderen Menschen. Kindlich. Nicht in der Gegenwart, der aktuellen Realität orientiert. In unserem Fall: Trennungstrauma-nah.

Dinge sind nur Dinge und relevant für uns heute, ist ihre Funktion für das ganz reale – dingliche – Leben.
Diese Haltung können wir einnehmen, weil wir es nicht für esoterischen Schwachfug halten, sich mit der Gegenwart zu verankern und die eigene Lebensdigkeit auch wirklich als Gefühl in sich reinzulassen. Vielleicht ist das ein Therapieerfolg und damit also auch wieder ein Privileg, aber wir können das durchaus und prinzipiell jeder andere Mensch auch. Dieses Fühlen, dass man am Leben ist und, dass man es auch dann noch ist, wenn man das nicht mit Dingen beweisen kann.

Drittens: Minimalismus bedeutet “minimal”, nicht “nichts”
Diese artsy Strömung bei der Leute mit kurzem Pony und großer Brille vor einer Backsteinwand sitzen und neben sich eine einzelne Pflanze stehen haben, ist nicht “der Minimalismus”. Einen Schlüpfer, ein Hemd und eine Hose zu besitzen, ist nicht “der Minimalismus”.
Als Minimalismus wird die Konzentration auf das Wesentliche bezeichnet.
Nicht das Begrenzen auf einen Rahmen, der von Verzicht und Sparsamkeit definiert wird. Das ist übrigens Armut. Der Rahmen, das Gefängnis aus Verzicht und Sparen.

Ich halte es für wichtig, sich das klar zu machen. Vor allem, wenn man Marie Kondo und Co. kritisiert und darauf aufmerksam machen will, dass es Menschen gibt, die schon wenig – zu wenig – haben und noch weniger wirklich besitzen.
Ich kann auch nicht verhehlen, dass es mich zuweilen merkwürdig berührt, wenn ich von Leuten erfahre, die bei sich ausmisten und kistenweise sehr gut erhaltene und auch teure Kleidung oder andere Dinge weggeben. Das ist Neid und der ist normal in meiner Situation. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass diese Leute reich sind, im Luxus leben und keine Tiefe im Leben haben. Und okay ist es schon mal gar nicht, denn besonders die Art der achtsamen Auseinandersetzung mit eigenen Besitztümern sollte etwas sein, das für alle Menschen gleichermaßen passieren darf.

Das ist ja etwas, was ich reichen und superreichen Menschen oft nicht zutraue. Dass sie sie sich ihres Reichtums bewusst sind. Dass sie überhaupt verbunden sind mit dem, was sie besitzen. Und nur, weil superreiche Leute sich darüber keine Gedanken machen, heißt das für mich nicht, dass ich es dann auch nicht muss.

Für mich ist sogar das Gegenteil der Fall.
Gerade, weil die Reichen dieses Gespür nicht haben, haben sie auch kein Gespür für das eigene Leben. Und das macht sie arm.
Ärmer noch als mich oder andere Leute mit noch weniger Besitz, aber gleicher Verbundenheit zur eigenen Lebendigkeit.
Für manche klingt das vielleicht irgendwie kitschig. Aber ja, was soll ich sagen.
Es ist einfach so.

Das Leben ist das Wesentliche.


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5 thoughts on “15

  1. „Dieses Fühlen, dass man am Leben ist und, dass man es auch dann noch ist, wenn man das nicht mit Dingen beweisen kann.“ – dieser Satz berührt mich. Egal ob reich oder arm. oder irgendwo dazwischen liegt – reich wird das Leben nicht durch Besitz, sondern durch einen anderen, inneren Reichtum, der viel mit „sich lebendig fühlen“ zu tun hat – sowohl im Schmerz als auch in angenehmeren Gefühlen. Danke für deine Gedanken. Das ist auch bei mir ein Thema gerade.

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