Verantwortung, Schuld und was uns sonst noch so trennt

Eigentlich ist es doch eine ganz einfache Kette:
mir wurde Gewalt angetan —> ich erhielt etwas, dass ich ver- geben kann

Weshalb ich das gerade nicht tun kann, erklärte ich in dem Abschnitt der aufzeigte, dass die FolgenDavidPfister der zugefügten Gewalt von meiner Seele- meinem Sein- diesem blinkenden Kern der “uns” darstellt, bereits so aufgenommen wurde, dass jedes Vergeben hieße: “jemanden” von uns zu ver-geben. Im Sinne von “ein Innen weg- geben”.

Schnell entspinnen sich die Gedanken anderer Menschen auch um das Thema der Schuld und der Verantwortlichkeit von Menschen die zum Opfer (zwischenmenschlicher) Gewalt wurden.

Ja, gut.
Dann also die Themen Schuld und Verantwortlichkeit.

Gerade nach dem letzten Artikel hörte ich: “Nein- du hast keine Schuld gehabt- es war nicht deine Verantwortung.”
Was aber ist Verantwortung?
Entsprechend allgemein gültigen Wortdefinition, ist Verantwortung, eine Art Verpflichtung im Rahmen von geltenden (sozialen, kulturellen, moralischen, religiösen) Normen (die in Gesetzen festgehalten sind) zu interagieren. Es ist etwas, das wir Menschen uns gegenseitig aufdrücken, damit wir vernünftig miteinander leben können.

Das ist eine gute Idee wenn es darum geht, Schäden zu verhindern und Ansprüche auf Ausgleich und Gerechtigkeit definiert und geltend gemacht werden können.

Verantwortung ist keine flexible Pflicht. Sobald man sich in einem menschlichen Kontext mit einem Normenkonzept befindet, ist sie da. Man ist verantwortlich für alles was von einem ausgeht- wie für alles was zu- an einem herangetragen wird. Ganz grundlegend und immer und überall.
Es gibt nur genau einen Punkt an dem man trennen kann zwischen dem, was die eigene Verantwortung ist und dem, was die Verantwortung eines anderen Menschen ist. Und das ist der Punkt an dem etwas nicht mehr im eigenen Einfluss- Beeinflussungsbereich liegt.

Unsere (Staats-) Gesetzgebung nennt Kinder unmündig und stellt sie als besonders hilflos und schutzbedürftig dar. Das heißt: vor dem (Staats)Gesetz haben Kinder keine Verantwortung dafür zu tragen, wenn ihnen Gewalt angetan wird- da ihnen im Sinne der Gesetzgebung jede Möglichkeit zum Einfluss bzw. zur Beeinflussung fehlt.

Ich vermute, weil unsere demokratische Kultur das Konzept der Staatsmacht sehr hoch bewertet (da ihre Standbeine die Aufgabe haben, absolut neutral und ausschließlich den geltenden Gesetzen entsprechend zu agieren), heißt es heute sehr schnell, dass jemand eine Schuld trägt, weil er eine Verantwortung (entsprechend der staatsmächtlichen Normen) abgegeben hat oder einer hilflosen- (einer zu Einfluss unfähigen) Person übergeben hat.

Doch ist für mich- uns diese Überzeugung fern.
Sehr viel näher liegen uns die Felder der Verantwortung, auf die so bewusst scheinbar nur wenige noch Rücksicht nehmen, weil die Staatsmacht soviel Raum einnimmt.
(Pseudo)Religiöse (und damit schnell (sub)kulturelle) Normen und darin begründete Verantwortung wird (vor allem hier in Deutschland) meinem Empfinden nach verachtet- ja manchmal sogar missbilligt und jede weitere Pflicht, die man sich aus ihr heraus annimmt wird abgetan und teilweise sogar kriminalisiert.
Doch sie ist da. Und sie hat für viele Menschen unter Umständen genauso viel Gewicht wie die Staatsgewalt. (Stichwort “nicht integrationswillige Migranten”, Beschneidungsdebatte, Burkadebatte, das Kreuz im Klassenzimmer)

Wir sind mit einem Konzept aufgewachsen in dem unser Einfluss- unsere Möglichkeiten der Einflussnahme auf andere Menschen nicht als inexistent betrachtet wurde.

copy gnar.gn.funpic.deWir wuchsen mit dem Wissen und der Selbstverständlichkeit von Gewalt auf, weil sie in dem Kontext gerechtfertigt ist, aufgrund eben genau dieser Form der Selbstverantwortung und pseudoreligiöser Pflicht..

Wenn man etwas will, dann soll man es tun. Wenn man etwas nicht will, dann soll man es lassen.

Der Fall, dass man nicht will, dass etwas mit einem gemacht wird, ist schlicht nicht vorgesehen. Das gesamte Konstrukt ist darauf aufgebaut, dass jeder einen Schmerz oder einen Unwillen überwindet (und überwinden will) um stärker und damit wertvoller für alle zu werden.
Und das ist schon alles.

Alle Konflikte die sich darauf aufbauend entwickeln, sind begründet in dem Doppelleben das wir zu leben gezwungen waren (und es innerlich bis heute sind). In der einen Welt, der Welt in der Verantwortung mit potenzieller Schuld, Hand in Hand geht und Kinder vom Gesetz geschützt werden, können wir vieles was uns angetan wurde als definitiv unrecht betrachten und eine Unschuld im Sinne einer Unfähigkeit einer Einflussnahme, sowie all den Schmerz und die Demütigung annehmen. Das gilt zum Beispiel für alles was uns passiert ist, seit wir aus dem direkten Wohnumfeld der Täterkreise (also aus dem direkten pseudoreligösem Einfluss) heraus sind- nicht aber für das, was uns unter dem Deckmantelkonzept der Pseudoreligion angetan wurde, während wir direkt noch dort lebten. In jener anderen Welt hätten wir etwas verhindern können und haben es nicht getan.

Die vom Staat und auch der breiten Masse immer wieder unterstrichenen Trennung von Religion und Staat ist es zu verdanken, dass wir mit unserem Ansinnen diese Punkte irgendwie zu verbinden allein auf weiter Flur zu stehen scheinen.

Ich merke es, wenn ich auf der Suche nach Literatur zum Thema des geistigen Ausstiegs oder auch der spirituell-psychischen Selbstbestimmung bin. Ich merke es, wenn ich auf der Suche nach einem Konzept, einer Idee, einem Stichpunkt bin, der mir erlaubt meine eigene Verantwortung an der uns zugefügten Qual sowohl anzunehmen, als auch gleichzeitig als “Unrecht” zu bezeichnen.

Wir wollen (und können) nicht einfach unseren Kopf aufklappen und einmal feucht durchwischen, um dieses uns gleichsam zerstörende- wie aber auch haltende (Normen- und) Wertesystem abzubauen.
Oft stoßen wir damit auf Unverständnis, stürzen unter Umständen hilfreiche Phrasen, die sich jemand vorsagt, um mit seinen Gewalterfahrungen zurechtzukommen um, wenn ich sage, dass wir nicht vergeben oder wie nun hier, dass wir die grundlegende Verantwortung für das was uns passiert ist, nicht als inexistent oder zu Unrecht auf uns abgewälzt betrachten (können) bzw. beides gleichzeitig gesehen haben wollen.

Würde ich anfangen Tätern eine Verantwortung im Sinne der Gesetzgebung zuzuschreiben, würde ich ihnen eine Schuld aufdrücken, die sie aber im richtigeren Kontext (der ursächlich für die Handlung war) schlicht nicht haben. Ja, würde ich zu einem Richter gehen- der einzig dem juristischen Recht der Bundesrepublik Deutschland verpflichtet ist- käme es zu einem Schuldspruch. Doch würde ich zu einem Richter gehen, der den Gesetzen jenes pseudoreligiösem Konstruktes entspricht, wäre meine Anklage ein Fall für einen Schuldspruch!

Ja, liebe ultra-Schlauen da draußen, es ist völlig klar, dass hier jemand schreibt, der einer Indoktrination unterworfen wurde und der Gedanke, dass diese Worte hier stehen, weil wir mit viel Angst dazu gebracht wurden, so zu denken und zu vertreten, ist verständlich.
Doch bedenken Sie bitte Eines: jemand der schlicht Täterkonzepte- und Inhalte repliziert, der sieht nicht beide Welten.

Wir haben eure Welt gesehen.
Wir sehen sie und wir wollen in ihr leben, wie alle anderen Menschen auch- doch… wo wir die Täter und die ganze Gewalt in uns haben und sie nie werden ver-weg-geben können, da haben wir auch ihre Werte und ihre Konzepte in uns.

Unser Ziel ist kein Zustand in dem wir von einer Freiheit dieser Inhalte sprechen.
Das Ziel ist ein Zustand der Integration, sowohl dessen was in mir ist- als auch mit dem was um mich herum ist.

P.S. So viele Parallelen: Ich denke: Ich möchte beides gelten lassen können. Ich möchte alles (da)sein lassen dürfen.
Und irgendwie ist es wieder auch das Thema: Ich möchte eine Erlaubnis für mein Sein- mein auch so viel(e) sein wie ich- wir eben sind.

von Bubbles und Pseudoreligiösem

“Du schreibst immer von “pseudoreligiös”- wieso? Weiß doch jeder, dass Multiple was mit Satanskult und so Zeugs zu tun haben.. Scheiß Religionen.”, sprachs und ließ mich, aufgerippelt wie einen Strickpulli, unter der Decke kleben.

Ich weiß nicht, obs nur das Sprachding oder noch mehr ist..
Vielleicht bin ich doch so was wie der Tropfen Seifenwasser, der sich an die Bubble des sozialen Miteinanders hängt und wirklich immer und überall einfach nur dazwischen steht. Weder in der Bubble selbst- noch wirklich davon getrennt.

Oder bin ich Teil einer noch nicht aufgepusteten Bubble- oder schlimmer noch: einer Geplatzten…? (Kommentarfunktion ist an…*räusper)

Wenn ich von Pseudoreligiösem Handeln schreibe, dann meine ich genau das, was das Wort sagt. Nämlich davon, dass jemand angibt ein religiöses Konzept zu verfolgen, dies aber in täuschender Absicht (oder gar nicht) tut. Für mich ist dieser Begriff die bestmögliche Umschreibung dessen, womit wir als Kind konfrontiert waren, ohne auf Inhalte eingehen zum müssen. Deshalb verwende ich ihn. Ich könnte auch von schlichter Täuschung, Lüge, Manipulation mittels Zaubertricks, drogeninduzierter Verwirrung und der Ausnutzung von kindlich- magischem Denken sprechen- aber das deckt nur einen kleinen Teil dessen ab, was sich so langsam erinnern lässt und ist entsprechend schlicht falsch. [Außerdem lassen solche Worte in Bezug auf die Ereignisse die BÄÄÄMs aus ihrem Bau kriechen und wer will das schon haha]

Die oben getroffene Aussage berührt viele Punkte, die mir (uns) wirklich stinken.
– “weiß doch jeder”
Stimmt nicht! Mit solchen Ansagen wird der immense Bedarf an Aufklärung nicht nur verharmlost, sondern direkt mal gleich für unnötig erklärt.)

– “dass Multiple was mit Satanskult und so Zeugs zu tun haben”
[war die Pauschalisierungskeule, die mich unter die Decke knallte]

– “Scheiß Religionen”
[…wird ein eigener Artikel…und war das aufrippelnde Element]

Wo ich schon die “Bubbles” erwähnte… “weiß doch jeder”, gilt (eventuell vielleicht!) für die kleine FabianOefner4Bubble in der sich der Mensch, der diese Aussage machte, befindet, doch das heißt noch lange nicht, dass “jeder” überhaupt weiß, worum es bei
a) der DIS (dissoziative Identitätsstörung) oder auch MPS (multiple Persönlichkeitsstörung) überhaupt (und im Grundsatz des Grundsätzlichsten) und
b) “Satanskult und so Zeugs” bzw. “rituellen Missbrauch”, wirklich geht!

Wenn ich zurückblicke auf unsere 23 (!!!) Erstgespräche bei ambulanten Psychotherapeuten im Großraum unserer  Stadt letztes Jahr, sowie auf unsere Rundreise durch div. Kliniken und Therapeutenpraxen früher, weiß das nicht mal in den Profibubbles “jeder”!
Was auch (in einem Teil) gut ist, denn es ist nicht wahr, dass DIS gleich Satanismus bedeutet!

Eine DIS ist eine Traumafolgestörung, die sich aufgrund sehr früher, wiederholter, schwerwiegender Ereignisse, ohne einen sicheren sozialen Bezug in der Folge, entwickelt.
Diese Bedingungen erfüllen mehrere Szenarien und Lebensumstände- nicht nur satanisch-sexualmagische- extremreligiöse- destruktive Kulte und Sekten.

Dass es diese Kulte gibt und ihre Existenz nun endlich wahrgenommen (und zumindest nicht mehr rigoros und von vornherein) verleugnet wird, liegt an beispielloser Aufklärung, Forschung und der Tatsache, dass sich zum Beispiel “Nicki und die Bärenbande” als Betroffene so offen in die Medienlandschaft getraut haben. Das ist großartig und ohne Frage ein wichtiger Beitrag.
Doch, dass wir nun wieder bei einer Ausschließlichkeit (einer Bubblebildung) angekommen sind, bekritzt mich wirklich.
Ich finde es nachwievor fatal, dass der Film “Höllenleben” jederzeit und ohne weitere er- und aufklärende Worte bei YouTube angeschaut werden kann und viele Medien zum Thema DIS ihre Beispiele für organisierte Gewalt an hilflosen Menschen, fast ausschließlich in Bezug auf Kulte und Sekten bzw. auf mafiöse Strukturen im Ausland fußen lassen. Während gleichzeitig die Angebote zum besseren Verständnis und des Austauschs mehr oder weniger systematisch blockiert, schnell beiseite geschoben werden (Stichwort: Betroffene bei Fachtagungen und Helferkonferenzen bzw. Helfer in Tagungen von Opfervereinigungen und ganz allgemein das schlichte Desinteresse/ der offene Unwillen die (Definitions)Macht im Patienten-Behandler Kontext abzulegen und die offene Ablehnung der “Profis” sich auf die Lebensrealität ihrer Patienten/ Klienten einzulassen), und Fachbücher mit dem Fokus so derartig teuer sind, dass eine gewisse Informationsverteilungsbenachteiligung entsteht.

Satanismus als Deckmantel- als “Thema” von Folterdokumentation taucht nirgends auf. Als hätte die Täterschaft kein Bewusstsein für die Wirkung von dem, was ihre Opfer später (so sie denn dazu in der Lage sind) erzählen könnten. Menschen, die nur so tun als wären sie eine Sekte, in Wahrheit aber schlichte Dokumentatoren/ Produzenten/ Darsteller für ein breites ! zahlungskräftiges !  Publikum sind, werden gar nicht erst erwähnt. Zu profan und undramatisch ungruselig vermutlich die illegale Pornographie und zu privat der Kreis der “FKK- Liebhaber”, zu ausgelatscht und “hin-Gesetz-t” das Thema Zwangsprostiution und Menschenhandel in und um Deutschland.
(Bei der Gelegenheit erinnere ich gerne an die Worte meiner Rechtsanwältin: “Die ganzen Fälle von Kinder”pornographie”- was glauben Sie denn, was aus den Kindern geworden ist und wie solche Bilder entstehen?!”, um etwas anzustoßen)

Gewalt muss in den Medien immer noch schlimmer dargestellt werden, als sie eh schon ist. Auf Kosten der Opfer. Paradebeispiel für mich bis heute: der Fall rund um Frau Kampusch. Jahrelange Gefangenschaft reicht nicht… da muss mehr her.
Das Gleiche bei Menschen mit DIS. “Gewalt” an Menschen seit der frühen Kindheit reicht nicht als Oberbegriff- da muss noch was Gruseliges dazu… (Vorallem wenn die Betroffenen inzwischen erwachsen sind- handelt es sich um ein Kind “reicht auch” die “übliche” Kindesmisshandlung. Faktor Mitleid hoch zehn- obwohl mit Mitleid niemandem gedient ist.)

Das Ergebnis sind Betroffene (und deren Helfer- so sie denn so stark und mutig sind) in der Rechtfertigungs- und Erklärungsposition, die gleichsam bedrängt wie unbeachtet im Dunkel um jeden Fitzel Beachtung ihrer aufklärenden-erklärenden Worte kämpfen.

Ebenfalls ein Ergebnis ist verwaschene Begrifflichkeit.

In Bezug auf den Song von Herrn Naidoo tauchte zum Beispiel immer wieder der Begriff des “rituellen Missbrauchs” auf. In dem Song ging es aber um Gewalt in (satanistischen) Kulten.
Etwas rituell zu tun, kann auch den allmorgendlichen Sonnengruß eines Yoga praktizierenden Menschen oder, dass jemand eine bestimmte Handlung ganz allgemein immer wieder und wieder und wieder vollzieht, meinen.
Der Mensch der ein Kind mit immer der gleichen Musik im Hintergrund quält, setzt das Kind ebenso rituellem Missbrauch aus, wie der Mensch der ein Kind im Rahmen eines Rituals (auf immer die gleiche Art) quält.

Heute aber heißt es: “ritueller Missbrauch” und die erste Assoziation sind (ausschliesslich männliche) Menschen in Kultkluft und religiösem Wahn. Inszenierte Folterungen ganz ohne Kulthintergrund, rücken so wieder in den Hintergrund und verschmelzen in der Sparte des “Naja-igen”. Relativiert, wie die durchlittene Vergewaltigung im Begriff der “sexuellen Nötigung”, einfach schon weil sie keine eigene explizite Bezeichnung (mehr) hat.
Und was ist ganz logisch? – Was kein eigenes Wort hat (und damit seinen Platz für Beachtung bekommt), das gibts nicht…
Dieser Gefahr sind sich viele Menschen da draußen gar nicht bewusst, weshalb ich hier immer wieder darauf herumreite, wie wir uns im Bezug auf Gewalt an und gegen Menschen ausdrücken.
Sprechen wir undeutlich, kommunizieren wir das Falsche und die Falschen profitieren davon.

Unsere Worte aber haben Kraft.
Verwenden wir die Richtigen im richtigen Kontext, kann es Aufklärung, Schutz und Gerechtigkeit gehen.

Und niemand muss sich als Seifenwassertropfen inmitten der ganzen (Unbetroffenen-)Bubbles fühlen, weil er das (manchmal gefühlt) allein tut und immer wieder vom Urschleim an beginnt zu erklären und geradezurücken….

FabianOefner1

die Sekte des Herrn Peter P.

Wer mal genauer wissen möchte, wie eine Sekte funktioniert und was eine PTBS aus Menschen machen kann, der sollte sich mal “Peter Pan” anschauen.

Meine Güte, das ist der bis jetzt brutalste Disneyfilm, den wir uns bisher angesehen haben!
Da wird gemordet, mit Mord gedroht, gedemütigt, gekidnapped; da werden Frauen offen ausgenutzt und unterdrückt. Immer mit heftigem Personenkult der stets von Neuem genährt wird.

Gleich am Anfang der Geschichte erfahren wir,dass Peter Pan nur zu denen kommt, die auch an ihn glauben. Ziemlich schlau dieser Herr Pan- sich sein Zielpublikum von vornherein so auszuwählen…

Man bekommt einen Einblick in das bunte Treiben des Kinderzimmers von Wendy, Klaus und Michael, denen es ganz offensichtlich an nichts mangelt. Sie haben jeder ein Bett, sie mögen sich und spielen schön.
Doch dann kommt der Papa hinein und zerstört die kleine Spielwelt seiner Kinder mit seinem gestressten Fokus. Er hat nur sich im Kopf und zeigt kein Verständnis für die zum Leben erweckte Fantasie seiner Kinder- selbst als er die Chance hat einzusteigen, beharrt er auf seiner Perspektive und will sich durchsetzen.
Leichtfertig und- wie er später zugibt- unbedacht, erklärt er seiner Tochter, dass diese ab dem nächsten Tag erwachsen sein muss und nicht mehr im Kinderzimmer schlafen wird. Wendy ist sehr traurig. Ganz offensichtlich hat sie kein Verständnis von dem Begriff des Erwachsenseins. Es bedeutet für sie lediglich, dass sie nicht mehr bei ihren Brüdern schlafen und nie mehr Spaß haben darf. Alles andere was Erwachsensein auch bedeuten könnte, hat sie schon längst verinnerlicht- weiß das nur noch gar nicht!

Zum Beispiel kommt ja dann Herr Pan herein geschneit und sucht seinen Schatten, den er zuvor dort bei den Kindern “verloren” hatte (so macht man das übrigens bei Sekten: man lässt zufällige Begegnungen los- mal hier ein Infostand, mal da ein Flyer, mal ein hier ein Kurzkontakt, mal da ein kleines Gedankengutbonbon und nicht zuletzt die guten alten Missionare, die das Auto zwei Straßen weiter “verloren hat”…) und Wendy macht sich gänzlich uneigennützig daran ihm den Schatten anzunähen. Einfach so und völlig selbstverständlich- einem Kind müsste man sowas in der Regel erstmal beibringen und kaum ein wirkliches Kind würde ohne Aufforderung wissen, wann so ein Verhalten von ihm erwartet wird. Anscheinend ist also das Erkennen, wann welche Fähigkeit, in welchem Umfang von ihr erwartet wird schon etwas, dass Wendy schon gelernt hat. Das ist bereits ziemlich erwachsen!

Nun da Herr Pan wieder komplett ist, befasst er sich kurz mit dem Kummer des Mädchens und beginnt von seinem tollen Nimmerland zu erzählen. Neiiiin! Da müsste sie nie erwachsen sein! Da wäre es ja so wunderschön und toll. Alle sind glücklich.
Ohja! Sofort will sie mit! Klar! Und ihre Brüder kommen auch gleich mit! Die wollen sich so ein Abenteuer doch nicht entgehen lassen. Doch- halt! Was werden Mutti und Vati dazu sagen?

– Ach! Schwamm drüber Wendy- du wirst halt die Mutter für alle! Dann passt das schon!
Äh… korrigier mich gern einer- aber Mütter sind doch in der Regel schon ziemlich erwachsen nicht wahr?!
Tja, Wendy… willkommen in der Sekte des Hern Pan!

Ein häufiger Grund für Sekteneinstiege sind genau diese Art Eskapismus aus Überforderung durch hohe Ansprüche oder offene (schwerwiegende) Konflikte. Erleichtert durch einen charismatischen Guru, (oder Führer oder Meister oder wie auch immer sie sich nennen) vollmundige Versprechen und einer Prise Übernatürlichkeit.
Herr Pan ist ein Sohn des Götterboten Hermes und in der Regel umgeben von Satyren oder auch Nymphen, die ihm zu dieser Übernatürlichkeit verhelfen und sich gleichzeitig komplett hingeben. Vielleicht denkt sich die kleine Naseweis, der große Herr Pan würde sie schützen oder wenigstens nicht allein lassen, wenn sie ihn nur brav anhimmelt und ihre Fähigkeiten hergibt. Der offene Aspekt der Sexualtität und Pan´schen Wolllust kann hier leider (durch die Verwischung der Proportionen im Disneyfilm) nicht angeführt werden. (Ist aber eigentlich unübersehbar, wenn wir uns mal kurz die “Kleidung” der Nymphe ansehen…)

Warum Wendy, das nicht sieht und bemerkt? Ja, wie denn? Naseweis ist komplett ohne Sprache die Wendy versteht, grad so groß wie eine Menschenhand und Herr Pans Werkzeug, um den Kindern das Fliegen beizubringen, damit sie nach Nimmerland kommen.

Fliegen lernen. Einkreiseln. Eine Testsession besuchen… es gibt viele Begriffe für diese Einstiege.
Die meisten Menschen sind komplett high von den Versprechen und ersten Sektengeschenken. Wie die drei Kinder im Film merken sie eher nicht, wie weit und wohin genau sie sich entfernen: “bis zum Stern und dann immer der Nase nach”, kann auch auch heißen: “vom Infostand bis zum Logenhaus und dann immer den Ritualanweisungen nach…”
Und dort angekommen, fragt man sich nicht mehr goßartig, warum alle so komische Kleidung tragen, sich nicht mehr an ihre Familien erinnern und eine seltsame Beziehung zu Gewalt und Vorstellung von der Welt haben.

Wendy freut sich sehr endlich mal Meerjungfrauen zu sehen und ist nur kurz empört, als diese sie “zum Spaß ertränken” wollten- immerhin ist ja Herr Pan da, um sie zu schützen!
Herr Pan schützt ja alle- sogar die kleine Tigerlilly- die aber lediglich deshalb gerettet werden muss, weil der von seiner PTBS gebeutelte Käpt´n Hook, sich an Herrn Pan rächen will.
Der arme Käpt´n Hook ist verrückt vor Angst und nach dem traumatischen Verlust seiner Hand (durch Peter Pan) nicht mehr in der Lage seiner Arbeit als Piratenkapitän nachzukommen. Einzig sein immer wieder entfachter Hyperarousel (durch dieses gemeine Krokodil und die ständigen Quälereien Pan´s) verhindert, dass er sabbernd in Ecke hockt und von seinen Piraten kielgeholt wird.
Ich glaube ja, dass Herr Hook ein Aussteiger ist, dessen OEG (mit dem er seine Traumatherapie bezahlen will) nicht durchging und dessen einziger Lebensinhalt überhaupt nur noch die Entschädigung durch Tätertod sein kann…

Herr Hook geht für seine Rache sogar richtig kriminelle Wege. Er entführt die vor Eifersucht auf Wendy glühende Naseweis und nutzt ihre Verletzung, um das Hauptquartier der Sekte zu finden.
Dort wird die ganze (bereits irritierte und im Glauben an das Leben in Nimmerland erschütterte) Gruppe von ihrem Führer separiert und auf das Piratenschiff verschleppt, während Herrn Pan eine Bombe als Geschenk hinterlassen wird.

Hook stellt die Gruppenmitglieder vor die Wahl: der Gang über die Planke in den Tod oder die Heuer auf seinem Schiff.
Indoktrination gewohnt und gern am Leben seiend, wollen alle natürlich direkt bei ihm anheuern- ausser die getreue absolut irrational loyale Wendy.
Und wie das so ist in Sekten, wird Naseweis der Ernst der Lage klar. Sie befreit sich und rast zu Pan um ihn zu retten- immerhin steht nun die ganze Gruppierung auf dem Spiel!
Die Rettung gelingt, Pan rettet fix mal noch Wendy und auf das fehlende Platsch hin entbrennt ein Kampf auf Leben und Tod.

Pan ist wieder da und stellt sich dem scheinbar ungleichen Kampf mit Hook- welcher aber gar nicht so ungleich ist, wie er scheint.
Er ist noch um ein vielfaches ungleicher! Pan nutzt die Todesangst Hooks vor dem Krokodil, welches natürlich wieder zur Stelle ist und nur darauf wartet, dass Hook ins Wasser fällt.
Jemand der unter einer so krassen PTBS leidet wie Hook, ist in der Regel alles- ausser fähig zur Konzentration und Zielgenauigkeit. Schlafmangel und zeitweiser Realitätsverlust tun ihr übriges und Herr Pan braucht nichts weiter zu tun, als noch ein paar Mal gezielt zu verängstigen und zu verhöhnen und schon ergreift Käpt´n Hook die Flucht. Das Krokodil ihm nach…

Wendy hatte schon am Vorabend ihre Brüder, vom Mütterkult der 50er Jahre getragen, zum Heimweh motiviert. (Übrigens eine Stelle bei der meine Augen plötzlich ausliefen- das wird dann wohl die Stelle sein, an die die Kritiker damals dachten, als sie den Film “herzerwärmend” nannten)
Sie war beleidigt und ihrer Illusionen vom Leben in Nimmerland beraubt, als sie beim Feiern mit den Indianern die Arbeiten einer erwachsenen Sqaw machen sollte- Herr Pan aber mit der jungen Tigerlilly und den anderen (männlichen) Gruppenmitgliedern unbeschwert herumtanzte.
Also erinnerte sie alle mal daran, was eine Mutter ist.
”Eine Mutter- eine richtige Mutter, ist das Schönste auf der Welt. Sie ist dein Schutzengel. Sie behütet dich- Tag und Nacht. Sie hat dich lieb und sie singt dich in den Schlaf.”
Zack! Ist die Kriegsbemalung abgewischt und die Sehnsucht entfacht. Was eine Leistung bei Kindern, die einfach von Natur aus noch auf ihre Mutter (oder die Familie allgemein) angewiesen sind.

Herr Pan und sein übernatürliches Werkzeug Naseweis werden wissen, dass sie gegen diese Art Kult und Bindung nicht so einfach anstinken können. Sie bringen die Kinder wieder zu sich nach Hause.
Dort gibt es einen reuigen Vater, der nach den wirren Erzählungen (von denen- oh Wunder was!- er natürlich nichts glaubt!) seiner Tochter, in großer Sorge ist und ihr verspricht noch weiter im Kinderzimmer schlafen zu dürfen.

Das Wolkenschiff des Herrn Pan allerdings, ist nachwievor am Horizont zu sehen…jederzeit bereit zurück zu kommen… man muss ja nur an ihn glauben… und schon kann man wieder in eine Welt in der man niemals erwachsen, verantwortungsbewusst, mitfühlend, rücksichtsvoll… menschlich handeln, denken, fühlen muss…

So ist es auch mit Sekten. Egal wie offenkundig man “einfach gehen kann”- es ist nie- niemals!- so einfach wie es aussieht! Entweder sie kreist in Form von ständiger äusserer Verführung und Kontrolle um einen herum oder im Kopf in Form von Handlungsmustern, Gedankenkonstrukten und Reflexen. Und so ziemlich jede Sekte kann sich darauf verlassen, dass das was in ihr geschiet von der breiten Masse schlicht und einfach nicht geglaubt wird.

Sollten Sie, lieber Leser, ein Betroffener sein und Information zum Thema “Ausstieg aus einer sog. Sekte oder Psychogruppe” suchen, kann ich ihnen diese Seite und auch diese sehr empfehlen.

Freiheit nach dem Ausstieg macht einsam. Aber Freiheit kann machen, dass man sich- wenn schon nie als Kind, so doch als befreite Erwachsene “Peter Pan” anschauen und Artikel dazu schreiben kann wie diesen hier!