zum internationalen Hurentag

P1010148 Heute ist der internationale Hurentag und dies einer dieser Artikel, die mir schwer fallen.
Nicht, weil mich Scham und Schande beuteln, weil ich mein Schweigen breche oder meine Sicht auf Huren, Sexarbeiterinnen, Prostitution; (Auslieferung) zu fortgesetzter sexualisierter Misshandlung und Menschenhandel niederschreibe, sondern, weil ich die Probleme rund um Prostitution und Gewalt an Frauen* irgendwie nicht ganz deckungsgleich mit meinen Mitmenschen verorte.

Huren sind für mich nicht nur Frauen*, die Sex verkaufen.
Ganz ehrlich, so wie ich Sex- weibliche Sexualität- in unserer Zeit behandelt sehe, wäre sonst jede Frau* eine Hure.
Sex und Sexualität werden weder absolut kontextlos zelebriert, noch mit Schlips und Kragen genossen- “besonders” oder “würdevoll” ist daran also nie bzw. nicht in allen breit anerkannten Kontexten etwas. Überwiegend geht es um ein mehr oder weniger sicherndes, aufbauendes, ich- stärkendes (Tausch-) Geschäft. Sex aus bedingungsloser Lust, den gibt es selbst im eigenen Bett, ganz mit sich allein kaum. Wie kann man denn heute eigentlich auch noch Lust auf sich haben, wenn eigentlich jede Bedürfnisbefriedigung auf äußere Instanzen verlagert wird; werden kann oder auch: werden muss.

So geht Kapitalismus: du willst/ brauchst es- du kriegst es und zwar von anderen, als dir selbst (denn du bist mangelhaft, sogar vor dir selbst)
Immer gibt es irgendwo einen billigen kleinen Fetzen Körper, der genau davon lebt, leben muss oder dazu gezwungen wird, zu brauchen, dass du etwas willst oder brauchst.
In unserer Gesellschaft  gelten die Huren als genau dieser Fetzen Körper, der nichts weiter ist, als “zur Benutzung freigegeben” und so werden sie auch behandelt.

Um genau diesen Missstand zu beenden bzw. darauf aufmerksam zu machen, wurde 1975 der internationale Hurentag ausgerufen.
Es ging und geht darum, in Huren Menschen zu sehen. Menschen, die einer Arbeit nachkommen, die die gleichen Dynamiken von Angebot und Nachfrage in sich trägt, wie andere Berufe auch.
Es geht für mich auch darum anzuerkennen, dass Huren einer Arbeit nachgehen, die einen besonderen Status hat, weil sie Menschen im Zentrum hat.
MedizinerInnen, PflegerInnen, GeburtshelferInnen, TherapeutInnen, SozialarbeiterInnen, LehrerInnen, BestatterInnen haben in ihrem Beruf eine hohe gesellschaftliche Position- dürfen aber keinen Sex mit ihren PatientInnen/ KlientInnen haben.
SexarbeiterInnen hingegen haben diesen Sex bzw. üben sexuelle Dienstleistungen aus (füllen also diese Lücke der sozialen Interaktion aus Geben und Nehmen) und werden genau deshalb von der Gesellschaft ™ verachtet bzw., mindestens nicht gleich bewertet, was zu Recht als Missstand von ihnen betrachtet wird.

Es fängt bei “ist ja kein Beruf, der viel erfordert” an und endet beim Implizit der Befriedigung bei allen Beteiligten, wenn wir von Prostitution sprechen und beginnt mit “und dann lockt sie das Geld im Westen” und findet ein Ende in “Deutschland ist das Bordell Europas”, wenn wir dann gänzlich im sprachlichen Eintopf der Gewaltverharmlosung angekommen sind.
Das ist unsere aktuelle Debatte um Sexarbeit: “Der Osten überschwemmt den Westen mit fickbarem Menschenfleisch in groß angelegten Handelsketten und unsere Politik macht nur Gesetze, damit das legal ist (was nicht stimmt- Menschenhandel ist nachwievor illegal!). Buhu- alle Freier* in den Knast, die Prostitutionsopfer (die eigentlich Gewaltopfer sind!) zurück nach Hause und fertig ist der Lack- wir Deutschen wollen Robe und Talar zum Sex ausschließlich in der Liebe, die die Ehe produziert” vs. einzelne fundierte SexworkerlobbyistInnen, die in der Debatte noch so gut sein können, die allgemeinen Framings allerdings überhaupt nicht aufzubrechen in der Lage sind.

Stichwort (Definitions-) Macht: Wer so weit unten steht, wie Huren und Gewaltopfer, alleinerziehende Mütter, erkrankte und/ oder funktionsbeeinträchtigte
________________________ Frauen ___________________________
kann noch so gute Worte, Studien und Beweise für die Irre der Hoheit vorlegen- die Unveränderbarkeit des Blickes auf sie, ist ihrer Position in der Gesellschaft immanent.

Für die Einen ist die Hure, die ihren eigenen Club betreibt und sexuelle Dienstleistungen anbietet, die gleiche Hure, wie die, die am Straßenrand steht und hofft, dass die Einnahmen der Nacht, den Wohnraum und die Ernährung der Kinder am Tag sichert.
Für die Anderen ist die Sexarbeiterin, die ihren Lohn einklagt, weil ein Freier* nicht bezahlt hat, eine ja fast dreiste Bittstellerin – und nicht etwa genau das Vorbild, das andere Frauen* in dieser Arbeitsumgebung brauchen, um ein Empowerment zu erfahren.
Für die Nächsten besteht der eigene Arbeitsalltag aus der Rettung von Menschen, die durch die Bank weg misshandelt und ausgebeutet wurden- selbstverständlich haben sie keinen Blick dafür, was für andere Entscheidungen und Lebenswege hinter dem Beruf der Sexarbeiterin stehen können.

Die kapitalistische Gesellschaft lebt von Ausbeutung, von Armut, von Not. Und immer wenn sich selbstständig aus diesen Umständen befreit wird, darf das nur den Mächtigen zu verdanken sein, weil diese sonst als nicht mehr besonders mächtig gelten würden und das gesamte Machtkonstrukt ins Schwanken gerät.
Macht und ihre Sicherung funktioniert ausschließlich missachtend und ganz besonders gerne wird dabei die eigene soziale/ gesellschaftliche Position ausgeblendet und mit ihr die eigene Position auf den Diskriminierungsachsen: Rasse, Klasse, Geschlecht, Alter, Funktionsstatus

Genau deshalb fällt es zum Beispiel auch den VertreterInnen des Schwarzer”feminismus”* so leicht “PorNo!” zu quaken und Prostitution abzulehnen. Als weiße, reiche*, ablierte, Frau sind sowohl die Wahlmöglichkeiten, als auch die Hürden zur Ablehnung selbiger einfach so verdammt leicht zu nehmen.
Auch die Wahl dessen, was ignoriert wird und was nicht.

Gerade in der RetterInnenfraktion ist immer wieder sehr gut zu beobachten, wie weiße Frauen* in der (staatlich, rechtlich, gesamtgesellschaftlich gut gesicherten, geachteten und geförderten!) Arbeit mit Prostituierten argumentieren, als sprächen sie zu Frauen*, die die gleiche Ausgangslage wie sie selbst, mindestens einmal gehabt haben, oder einfach mal so haben könnten. Sie blenden gnadenlos sämtliche Stigmatisierungen aus, denen sich die Huren nach ihrer (vermeintlichen) Rettung ausgesetzt sehen. Sie blenden die ekelhafte Asyl- und Flüchtlingspolitik von Deutschland aus. Sie blenden genau die Diskriminierungen aus, die sie a) selbst nicht leben (oder je wieder leben werden) und b) vor denen sich die Huren mit ihrer Arbeit als Prostituierte eventuell ganz bewusst und eben doch selbstbestimmt geschützt haben und die sie c) erfahren, wenn sie anfangen, ihre Rechte als Gewaltopfer einzufordern.

Es ist das altbekannte Opferding: Opfer sind passiv- alles was von ihnen kommt, kann (und darf) nur passiv (gewesen) sein.
Auch das ein Frame, das zu durchbrechen den Opfern niemals gelingen wird, wenn sie keine als aktiv betrachteten FürsprecherInnen haben, die ihr Agieren in äußerlichen Kontexten als passiv zu bezeichnender Position, als “so aktiv wie unter diesen Umständen möglich” betrachten und dem die gleiche Wertung zukommen lassen, wie unter anderen Umständen.

Und aaaaaalles das finde ich in der typischerweise Gewalt verharmlosenden Sprache wieder, was mir diese Debatte noch unerträglicher macht.
Ich sage das gerne noch einmal: “Zwangsprostitution” gibt es nicht!

 

„Hier haben wir die Prostitution, die wir synonym mit “Sexarbeit” bezeichnen,
und meinen den Bereich, in dem es zwischen KäuferIn und AnbieterIn,
sowohl den Austausch von Geld als auch die Steuerpflicht und die Selbstbestimmung im Rahmen der Möglichkeiten des einzelnen Menschen gibt

 

und hier die Gewalt an Frauen*, die unter Vorspiegelung falscher Tatsachen,
Entführung(sähnlicher Umstände) und sogar systematischer Zurechtfolterungen zur allgemeinen sexuellen Benutzung passiert und absolute Abhängigkeit von Menschen in mächtiger(er) Position zur Folge hat.

 

Vor ein paar Tagen habe ich mir den Reportage “verkauft, verschleppt, missbraucht” angeguckt und hatte schwer an meiner Enttäuschung zu kauen, dass keine Differenzierung dieser beiden unterschiedlichen Seiten vorgenommen wurde, obwohl der Begriff der Gewalt sogar mehrfach gefallen ist.

Heute habe ich ein paar Artikel von SexarbeiterInnen gelesen und kaue an meiner Enttäuschung darüber, dass sogar einige privilegierte Huren, auf die Opfer von MenschenhändlerInnen und ZuhälterInnen herabsehen.

Ich kann inzwischen kaum mehr als traurigverachtende Bitterkeit empfinden, wenn in der Debatte um Sexarbeit, der Themenkomplex der Gewalt an Frauen, als Ausläufer der ganz alltäglichen, ganz normalen und von allen Seiten missachteten Machtdynamiken in unserer Gesellschaft, schlicht nicht reflektiert, hinterfragt und gleichsam als moralisch verwerflich bezeichnet werden.

Und ich frage mich, wie lange es dauert, wie viele Menschenleben für den Machterhalt einer übersättigten, Selbst- entfernten und zeitgleich doch Ich-zentrierten Gesellschaft herhalten müssen, bis ihr Wert bedingungslos anerkannt wird.
Ich meine- warum fragen sich die armen Länder Rumänen, Bulgarien, die Ukraine nicht, warum ihnen die reichen Länder ihre jungen Frauen (und Kinder!) einfach so einverleibt, bilden doch genau diese Frauen und Kinder das Fundament der Gesellschaft, die in Zukunft entstehen soll.
Warum schreien wir hier in unseren Kartoffelland, was die ganzen armen Menschen hier wollen- statt damit auszuhören, die armen Länder auszubeuten?

Wieso kommt das Ausmaß von Menschenhandel so abschreckend vor, wenn wir zeitgleich das große  Freihandelsabkommen, andere Instanzen als uns selbst diskutieren lassen?!
Warum verdammt noch mal, ist es so viel leichter sich dem allgemeinen Frauenhass und all seinen Ausläufern hinzugeben und genau das- diese großen Kontexte und all ihre Parallelen- auszublenden?

Warum schämen wir uns nicht, dass es einen Hurentag geben muss, um Menschen, die soweit ausgegrenzt und verachtet sind, einen Tag im Jahr Aufmerksamkeit zu schenken und sich ihren Forderungen zu widmen?

Und warum schämt sich niemand, wenn er oder sie nicht einmal das tut?