erschütternde Zahlen erschüttern- ansonsten nix

abgeplatzteRinde Da ist sie also, die größte Erhebung zu Gewalt an Frauen* in der EU.
Wer ist erschüttert?

Ich nicht.
Ich finde es schön, die Zahlen von denen die Menschen, die sich seit Jahren und Jahrzehnten für die Überlebenden der Gewalt an sich einsetzen, gleichsam lange reden, alle auf einem Haufen zu sehen und auch Empfehlungen dazu ausgesprochen zu erleben.

Aber die Erschütterung, die Beklemmung, das Entsetzen … das Grauen, das die SZ dorthinein liest, bleibt bei mir aus.
Anne Wizorek fragt über Twitter, wieso sich niemand aufregt.
Ja, liebe Anne- worüber sollen wir uns noch aufregen, wenn nicht darüber, dass sich niemand aufregt?

Letztes Jahr um diese Zeit, haben wir* “Aufschrei-Damen” zig und zig und zig ältere Studien über Twitter, Facebook, vis à vis geteilt, die genau diese Zahlen bereits genannt haben. Geblieben ist die Erkenntnis, dass Gewalt an und gegen Frauen* eine Norm ist, die wir als Gesellschaft ablehnen und doch nicht so richtig davon weg kommen, weil… darum.

Nur zur Klarstellung: Ich halte es für wichtig, immer wieder Erhebungen zum Umfang der Gewalt gegen Menschen (egal, welchen Geschlechtes) zu starten und auszuwerten.
Was mich als Betroffene nur wirklich zum Hulk werden lässt, ist die permanente Erschütterung, die einfach nicht zur ordentlichen Welle wird.

Ich will keine kleinen, sich kräuselnden und doch wieder abebbenden, Erschütterungen mehr- ich will Erdbeben, die Neukonstruktionen und Neukonzeptionen ermöglichen!

Dazu brauchen wir, meiner Meinung nach, nicht nur Studien zur Gewalt selbst, sondern auch zum “Danach” und zum “Warum?”.
Wie viele TäterInnen sind selbst zum Opfer geworden und in welcher Beziehung steht dies zu ihren Taten?
Was hätte helfen können?
Wie viele Opfer überleben die Gewalt und wie sieht deren Lebensrealität aus?
Was sind die Gründe für niedrige Anzeigebereitschaft?
Wie sieht die (psycho)therapeutische Versorgung für Gewaltüberlebende aus?
Wann und wo und wie haben Überlebende selbst, die Chance ihre Stimme zu erheben, ohne sich mit Ausläufern von “rape culture” befassen zu müssen?

Ja, sicher können wir die Häupter senken und mit gedämpfter Stimme raunen, dass wir getroffen sind von all dem Elend um uns herum. Natürlich ist es unsere gesamtgesellschaftliche Aufgabe Gewalt aufzuzeigen.
Aber damit ist es nicht getan.

Es reicht leider nicht, sich darüber aufzuregen, dass Dinge sind, wie sie sind.
Es muss Bewegung in die Sache kommen und eine sehr wünschenswerte Bewegung wäre, in meinen Augen, in den Reihen
der Medien, die dieser Tage immer wieder glänzen durch Gewalt verharmlosende bzw. negierende Sprache, nötig; in der Politik, die sich seit Jahren mit der Einrichtung von Opferfonds freizukaufen versucht, anstatt strukturelle Probleme der Ahndung, Entschädigung und allgemeinen Versorgung anzugehen und in dem einen kleinen zwischenmenschlichen Schritt auf die Überlebenden zu.

Ich bin es leid, dass immer wieder aufgezeigt und ja auch aufgeschrien- die Erwartung einer Veränderung, aber immer wieder ausschließlich bei anderen verortet wird- gerne auch bei denen, die sich dagegen nicht effektiv verwehren können.
Genau so verhilft, meiner Meinung nach, sogar eine Studie zur Gewalt indirekt wieder zu Gewaltausübung, anstatt in irgendeiner Weise wirklich hilfreich zu sein.

Deshalb teile ich hier jetzt auch nicht die Zahlen der Gewalt, sondern die Forderungen der FRA:

  • Die EU-Mitgliedstaaten sollten das Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt, die sogenannte Istanbul-Konvention, ratifizieren.
  • Die EU-Mitgliedstaaten sollten Gewalt in der Partnerschaft als gesellschaftliches und nicht als privates Problem anerkennen. Vergewaltigung in der Ehe sollte in der Gesetzgebung aller EU-Mitgliedstaaten der Vergewaltigung in allen anderen Fällen gleichgestellt, und häusliche Gewalt sollte mit Nachdruck geahndet werden.
  • Die EU-Mitgliedstaaten sollten den Anwendungsbereich ihrer rechtlichen und politischen Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung überprüfen. Diese müssen der Tatsache Rechnung tragen, dass sexuelle Belästigung überall auftritt und über unterschiedliche Medien, etwa das Internet oder Mobiltelefone, erfolgen kann.
  • Polizisten, medizinisches Fachpersonal, Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen sowie Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Opferhilfe-Einrichtungen müssen geschult und mit den notwendigen Mitteln und Befugnissen ausgestattet werden, damit sie die Gewaltopfer unterstützen können.
  • Schulungen bei der Polizei und anderen relevanten Einrichtungen sollen sicherstellen, dass die Personen, die mit Gewaltopfern in Berührung kommen, die Auswirkungen psychischen Missbrauchs erkennen und verstehen. Jegliche Form von Gewalt gegen Frauen und Mädchen in verschiedenen Umfeldern sollte aufgedeckt, gemeldet und geahndet werden können.
  • Die Polizei sollte dazu angehalten werden, routinemäßig Fälle aufzugreifen und zu untersuchen, bei denen Online-Stalking und Online-Belästigung eine Rolle spielen.
  • Internet-Provider und Plattformen für soziale Medien sollten Opfer von Online-Belästigung aktiv bei der Meldung von Missbrauchsfällen unterstützen. Sie sollten dazu aufgefordert werden, solch unerwünschtes Verhalten einzudämmen.
  • Spezielle Opferhilfe- oder Opferschutzeinrichtungen sollten Betreuungsangebote für Gewaltopfer bereitstellen, die die Opfern bei der Bewältigung der psychischen Folgen einer Gewalterfahrung, wie zum Beispiel andauernde Schuld- und Schamgefühle, unterstützen.
  • Sensibilisierungskampagnen und Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen müssen sich sowohl an Männer als auch an Frauen richten. Männer sollten konstruktiv in Initiativen gegen die von einigen Männern verübte Gewalt gegen Frauen eingebunden werden.
  • Es ist zentral die Datenerhebung zu Gewalt gegen Frauen in den EU-Mitgliedstaaten zu verbessern und zwischen den Mitgliedstaaten zu harmonisieren.
    [Quelle:
    FRA]

Lasst uns doch mal darüber aufregen, warum genau diese Forderungen weder breit diskutiert noch umgesetzt werden!

_wofür_ steht ein Tag _gegen_

gelbrotblaugrünDer heutige Tag ist ein Widmungstag. Er ist der Tag gegen Gewalt an Frauen.

Nun, dass Gewalt schlimm ist; dass ca. eine Milliarde Frauen auf der Erde in ihrem Leben Gewalt erfahren; dass alle 3 Minuten irgendwo auf unserem Planeten eine Frau vergewaltigt wird; dass Gewalt an Frauen bis heute nur selten auch Gewalt genannt wird… ist eigentlich bekannt.

Eigentlich möchte ich diese Fakten nicht immer wieder wiederholen.
Es nervt mich, dass wir einen speziellen Tag gegen Gewalt an Frauen haben. Es ist wieder ein „Ich bin dafür, gegen etwas zu sein“- Aufruf und das ist etwas, das zumindest für mein persönliches Gefühl nicht nur an einem Tag passieren sollte.

Wieder gibt es in vielen Städten, ausgerichtet von Vereinen und Initiativen und anderen AktivistInnenverbünden, Aktionen und Demos. Infostände werden in der FußgängerInnenzone stehen und lauthals in die Welt rufen: „Gewalt ist scheiße!“, „Gewaltfolgen wiegen schwer“, „Gewalt trifft in zwei von drei Fällen einen als Frau gelesenen Menschen!“ und so weiter und so weiter.

Vielleicht gibt ja wirklich noch solche Menschen, die niemals neue Medien wie Radio, Fernsehen und Internet nutzen. Vielleicht gibt es ja auch noch Menschen, die die gute alte Zeitung nicht lesen.
Ja, vielleicht wird noch irgendjemand wirklich aufgeklärt mit Flyern, die diese Zahlen enthalten und vielleicht so ebenfalls zu der glorreichen Erkenntnis gebracht, dass Gewalt schlecht ist und abgeschafft gehört.

Ich glaube, die Menschen sind sensibilisiert für das Thema- sonst würden weder Negierungs- noch Abwehrhaltung so reflexhaft eingenommen werden.
Ich glaube, es gibt bereits genug Menschen, die „gegen Gewalt“ sind.

Aber es gibt noch immer nicht genug Menschen, die auch tatsächlich ohne Gewalt miteinander zu leben bereit sind. Die das Gespür dafür haben, wo die eigenen Grenzen sind, die Grenzen des Gegenübers liegen könnten; der Mut Grenzen zu formulieren und auszudrücken, wann man sie berührt fühlt.
Aufeinander Rücksicht zu nehmen- einander nicht Werte, Normen, „Meinungen“ aufzudrücken; anderen Menschen die Wahl zu lassen, was sie wann und wo sehen wollen oder nicht- alles das passiert noch immer nicht.
Das ist aber woran sich solche Tage „gegen Gewalt (an wem auch immer) “ richten. Zumindest ist dies als logische Folge anzunehmen.

Gewalt gegen Frauen, das ist kein reines Frauenthema und doch sind es wieder Frauen, die sich einsetzen. Wieder werden Spenden gesammelt um feministischen Aktivismus und ewig von Schließung bedrohte Schutzeinrichtungen am Leben zu halten.
Wieder und wieder geht es um Selbsterhalt- nicht darum diesen bedingungslos als Standard für alle Menschen gleich, gesichert zu haben.

So ein Tag- solche Widmungstage- sie haben das Potenzial Menschen aufzufordern in sich zu gehen, zu ermutigen, miteinander in Kontakt zu kommen und sich zusammen zu tun für ein Miteinander ohne Gewalt.
Doch die gleichen Verhältnisse, die dafür sorgen, dass es solche Tage geben muss- dass es einen realen Anlass gibt, sich mit Flyern und Plakaten bepackt in die Innenstadt zu stellen, sorgen auch dafür, dass solche Tage untergehen und letztlich keine greifbaren Resultate bringen.

Vielleicht geht es nur darum laut zu sein.
Aber seit wann hilft es laut zu sein, wenn es darum geht, Gewalt zu verhindern?

Laut sein geht, wenn es um Gerechtigkeit geht.
Warum also heißt dieser Tag nicht: „Tag für das Recht auf…“?

Naja.
Vermutlich zu lang…  so ein Widmungstag ist ja auch nicht billig…