Filmrezension „Wochenendrebellen“

Werbung*

Vergangene Woche startete der Film „Wochenendrebellen“ im Kino.
Die Handlung beruht auf wahren Begebenheiten, die in Teilen für die Dramaturgie des Filmes leicht verändert wurden. Beschrieben als „warmherzige Komödie“, verspricht er leichte Unterhaltung über die Suche von Mirco und seinen autistischen Sohn Jason nach einem Lieblingsfußballverein. Das Versprechen wird eingelöst. Vielleicht ein wenig zu sehr.

Am Anfang steht eine Gegenwart vieler Familien mit behinderten Kindern. Wie war die Lage damals bei den von Juterzcenkas? – Schwierig. Jason hat es schwer, seine Familie inmitten anderer Kontexte, wie Arbeit und Familienfürsorge, auch.
Die Suche nach einem Lieblingsverein ermöglicht einen kleinen Ausbruch aus allem Schweren und gibt dem Lauf der Dinge eine neue Richtung. Viele neue, intensive und zuweilen auch schwierige Dinge passieren und werden wohl immer passieren. Und das ist schön.
Und mit dieser doch etwas schlichten Note endet der Film.

Trotz aller Kritik, die ich nun an dem Film niederschreibe, eine, die wichtigste, Sache vorweg: Es hat mir Spaß gemacht, den Film zu schauen. Ich wurde gut unterhalten und ich fühle sehr viel Dankbarkeit darüber, dass es hier gelungen ist, einen Film zu machen, in dem das autistische Erleben einer Person viel beeinflusst und für die Story relevant ist, aber nicht sein Hauptthema stellt.

Leider erscheint mir alles andere, was für die Story relevant ist oder auch erzählt hätte werden können, etwas vernachlässigt. Stichwort Charakterentwicklung.
Alle Figuren bleiben von Anfang bis Ende gleich. Gut, die Mami hat irgendwann mal die Haare schön, aber die besorgte, realistische Bedenkenträgerin vom Anfang bleibt sie. Dass Mirco neben seiner Arbeit unter der Woche dann auch noch am Wochenende unterwegs ist, hat keine sichtbaren Auswirkungen. Opa ist Fußballfan und lieb, Ömchen hat im ganzen Film zwei bis drei belanglose Sätze. Das Baby bleibt ein Baby. Selbst die Kühlschranktür bleibt bis zum Schluss kaputt.
Einzig Jason macht eine kleine Entwicklung durch – vom passiv-massivem Forderer zum aktiv-massivem Umsetzer, der regelt. Hm.

Das echte Leben des Vater-Sohn-Duos hat mehr Facetten. Logisch. In ihrem Podcast „Wochenenrebellen“ sowie in ihrem Blog, dem Newsletter und nicht zuletzt ihrer Instagrampräsenz können sie mehr davon teilen. Entsprechend drastisch ist der Unterschied zwischen der leicht-seichten Familiendramedy, die der Film letztlich ist und dem, was sie tatsächlich miteinander erleben und entwickelt haben.

Der Film versucht möglichst alles davon zu erzählen und setzt dadurch keinen konkreten Fokus. Obwohl die Suche nach dem Lieblingsverein das Thema sein soll und sich die Geschichte der Beziehung, das zunehmende Verständnis für einander, die gegenseitige Perspektivübernahme ebenfalls hätte gut erzählen lassen können.
Grundsätzlich ist der Film bis zur Hälfte etwa gut im Tempo, interessant und, speziell was die künstlerische Umsetzung von Jasons Wahrnehmung angeht, ausgezeichnet gelungen. Doch dort – bei den Besuchen im Stadion – entsteht ein Spannungsplateau, von dem man heruntergelangweilt wird.
„Wochenendrebellen“ hätte 20 Minuten kürzer sein können. Ein Ende im Zug, mitten in der Fahrt, „Papsi, ich will, dass wir das für immer machen.“ – Punkt. Doch auch am Ende gibt es Ausschweifungen, die an der Aufmerksamkeit ziehen, ohne in Bezug auf die Geschichte oder die Charaktere zu belohnen. Das ist ein Redaktionsfehler und bedauerlich.

Andererseits denke ich: Diesen Film hätte man auch um Faktor tausend bedauerlicher machen können.
Meiner Ansicht nach sollten nicht-autistische Menschen „Wochenendrebellen“ bevorzugt in Begleitung von Autist*innen schauen, um ihre Einordnung des Gesehenen sofort korrigiert oder bestätigt zu bekommen. Zum Beispiel, um Sätze wie „Jason ist Autist, und er muss sich die laut dröhnende Welt zurechtregeln.“ [Rezension bei Zeit online] in ihrer Unsinnigkeit zu verstehen. Oder zu verstehen, welche Ebenen ein Meltdown über Ja, jetzt schreit der halt rum, was er will“ hinaus auch hat.
Themen, über die autistische und nicht-autistische Menschen ohnehin viel häufiger miteinander reden sollten, um einander mehr Verstehen und Mitgefühl entgegenbringen zu können und letztlich auch der Inklusion behinderter Menschen einen Schritt näherzukommen.

Fazit: Der Film ist hmmnjagut – der Podcast, die Bücher und die Internetpräsenz der Wochenendrebellen sind besser.
Viel besser.

*full disclaimer: Ich habe Jasons Buch (T)Raumschiff Erde, welch Wunder wir zerstören“ gesetzt und werde auch die Fortsetzung von Wir Wochenendrebellen“ setzen. Diese Rezension wurde unbeauftragt geschrieben. Den Eintritt zum Film habe ich selbst bezahlt.

 

Film-Tipp „37 seconds“ – #DisabilityPrideMonth

Yuma ist 23, arbeitet als Assistentin einer Mangakünstler_in und lebt in einer japanischen Großstadt zusammen mit ihrer Mutter. Ihr Alltag enthält viele kleine und große, feine wie derbe Übergriffigkeiten, die mal darauf beruhen, dass sie durch eine Zerebralparese eingeschränkt ist und mal, dass ihr deshalb nichts zugetraut wird.
Nach einer Veranstaltung, bei der ihr Arbeitsanteil am Erfolg eines Mangas von ihrer Chefin verleugnet wird, fährt Yuma nach Hause. Auf dem Weg fallen ihr Mangas mit expliziten Sexszenen am Wegesrand auf und die beginnt ein eigenes „Manga für Erwachsene“ zu erarbeiten. Eine Verlegerin weiß ihre Arbeit zu schätzen, rät ihr aber, vorerst eigene sexuelle Erfahrungen zu machen, um ihre Comics authentischer werden zu lassen.
Und so zieht Yuma los. Landet bei neuen Leuten, neuen Ansichten, fängt an neue Freiheiten zu erobern. Was ihrer Mutter überhaupt nicht gefällt und zu einem Konflikt führt – der wiederum zu neuen Erfahrungen für Yuma führt und schließlich zu neuer authentischer Kunst.

„37 seconds“ ist ein japanischer Film, der mit deutschen Untertiteln angeboten wird.
Die Schauspielerin der Yuma (Mei Kayama) lebt selbst mit Zerebralparese, was zu einer neuen Filmerfahrung einlädt. Denn nicht nur ihre Mimik und Gestik sind (für viele Menschen) ungewohnt, sondern auch die Zugänge zu den Gedanken und Prozessen der Protagonist_innen. Die Vielschichtigkeit des behinderten jungen Erwachsenenlebens spiegelt sich in der Vielzahl der Handlungsstränge von denen keiner allein aufgegriffen und nur am Rande, manche aber auch gar nicht zu Ende gebracht werden.
Das 2019 veröffentlichte Drama ist meiner Ansicht nach überhaupt kein Drama. Es ist auch keine Freiheitskampfgeschichte und erst recht keine Suche nach sich selbst, denn Yuma scheint schon sehr genau zu wissen, wer sie ist. Einzig, wer sie noch ist, scheint die zuweilen enorm kindlich wirkende Protagonistin zu erforschen und das mit spürbarer Zielstrebigkeit.

„37 seconds“ ist für mich am besten als coming of age-Film zu beschreiben, auch wenn dieses Genre üblicherweise auf Teenager- und rebellische Jungs-Road-Movies angewendet wird. Er verlangte mir viel Geduld ab, viel Verständnisarbeit, belohnte mich aber mit dem Gefühl, dass Yuma sich am Ende ihrer Reise am Anfang einer weiteren befindet.

Wo ihr euch „37 seconds“ anschauen könnt, erfahrt ihr hier.

Film-Tipp: „The Peanut Butter Falcon“ – #DisabilityPrideMonth

Zack ist 22 Jahre alt und lebt in einem Altersheim. Sein Traum: Wrestler werden – sein Plan: aus dem Altersheim abhauen und zur Wrestlingschule gehen. Sein Handicap: Pflegerin Eleanor, die für ihn zuständig ist.
Mit Hilfe seines Mitbewohners gelingt Zack die Flucht durch das vergitterte Fenster seines Zimmers bis unter die Plane des Bootes von Taylor. Dieser ist Fischer, hat gerade den Fang von anderen gestohlen und deshalb einen Arsch voll Ärger. Als Taylor auch noch die Netze der Fischer anzündet und mit dem Boot flieht, kommt es zu einer Verfolgungsjagd durch den Sumpf, während der sich Zack nicht mehr versteckt hält und Taylor ihn findet.
Taylor hat keinen Bock auf Zack, Zack hingegen hat Bock auf Freunde, Homies, Buddys. Nach einigen Irrungen und Wirrungen sind die beiden auf dem Weg in die Stadt, wo die Wrestlingschule ist. Eleanor hinterher.
Zack sagt Taylor, dass er ein Mensch mit Down-Syndrom ist, Taylor ist das scheiß egal. Taylor sagt Zack nicht, dass er um seinen Bruder trauert und deshalb Probleme hat, Zack ist das egal. Die beiden machen Freestyle-Training, bauen ein Floß, werden von Eleanor gefunden, fahren zu dritt weiter, bis sie bei der Wrestlingschule auftauchen. Die gibt es seit 10 Jahren nicht mehr, erfährt aber ein kleines Revival für Zack.
Taylor wird erneut von den anderen Fischern gefunden und von einem verletzt.
Am Ende sitzen alle drei im Auto auf dem Weg nach Florida.

Das Roadmovie „The Peanut Butter Falcon“ ist meiner Meinung nach eine klassische Abenteuerkomödie, die auch mehr hätte werden können. Schön ist, dass Zack von einem Mann mit Down-Syndrom gespielt wurde. Schade ist, dass es ein Film ist, der nichts weiter will, als ein Jungsabenteuer zu erzählen.

Beide Männer stehen vor der Frage, was sie wie mit ihrem Leben machen wollen und können. Der eine wird von der direkten wie indirekten Lebensumgebung behindert, der andere von sich selbst bzw. seiner Trauer. Verhandelt wird nichts davon konkret, sondern in Flashback-Passagen und Gesprächen über die Personen deutlich.
Der Film ist witzig, zuweilen klamaukig, aber auch spannend und herzlich. Er schafft es, Zacks Behinderung sowohl in seinen Lebensumständen als auch den Menschen und ihrem Verhalten ihm gegenüber zu verorten, er schafft es jedoch nicht mehr Facetten als die des jungen Mannes, der starker Wrestler und cooler Homie sein will zu zeigen.
Die (natürlich) heterosexuelle Liebe ist den Leuten ohne Down-Syndrom vorbehalten und diese Liebe ist die Nische, in der für die Antagonistin Eleanor noch Platz gemacht wurde.

Der Film kann trotzdem einen trüben Tag erheitern und sicherlich auch als Vorbild für behinderte Menschen, die davon träumen Schauspieler_in zu werden, funktionieren.

Wo ihr „The Peanut Butter Falcon“ streamen könnt, erfahrt ihr hier.