Rekonvaleszenz #Coronatagebuch

Wie kleine Sterne leuchten die Narzissen auf der dunkelgrünen Wiese. Weicher Wind streift mich. Doch das wohlige Räkeln in den Frühling hinein fällt mir schwer. Zu viele Baustellen im Garten, im Haus, bei der Arbeit, in mir selbst. Gleichzeitig ist es still um mich herum. So wie ich hier stehe, ist von diesen Baustellen keine wirklich wichtig. Alles ist irgendwie zu lösen und auszuhalten. Es dauert einfach. Das ist schon alles.

Aus dem Schlafzimmer des Partners höre ich das angestrengte Atmen, das noch angestrengtere Husten. Ihm geht es immer noch sehr schlecht. Die Frage, ob wir einen Not_Arzt kommen lassen sollen, verneint er weiter.
Wenn ich ihm deshalb nicht böse bin oder mich mit der Angst verrückt mache, dass ich verpassen könnte, dass er stirbt, frage ich mich, ob etwas in ihm wie seine Autoimmunerkrankung funktioniert. Nämlich gleichzeitig für und gegen sich selbst.
Er hat Angst vor der Intensivstation, deshalb vermeidet er eine Behandlung. Auch jetzt, am 9. Tag seiner Covid19-Erkrankung. Mit Schleimblubberlunge, dickem Hals und Druck im Kopf.
Was sagt es über unser Verhältnis zur medizinischen Versorgung, wenn es zum nötigen Selbstschutz chronisch kranker Patient_innen gehört, sich nicht behandeln zu lassen? Nichts Gutes, das kann man wohl festhalten.

Ich selbst konnte nach wenigen Tagen schon wieder umschalten. Aus dem Traumasumpf in den Kampf um Arbeitsfähigkeit, Kontrolle und Überblick. Aus der Ohnmacht in die Traumareaktion. Mir gehts gut. Alles fein. Außer, wenn ich merke, dass mein Puls unnötig schnell geht, ich meine Müdigkeit zu spüren zulasse, ich kurz fühle, dass die Situation gerade ganz und gar nicht okay ist.
Ich muss eigentlich in die Schwimmhalle. In die Bewegung. Meine Routinen. Meine übersichtlichen Aufgaben. Meine Ablaufpläne und Ordnungen. Dieses passive Rekonvaleszieren tut mir nicht gut. Macht mir Angst. Triggert allen möglichen Kram hoch, den ich nicht in Aktivität ersticken beruhigen kann.

Deshalb konzentriere ich mich gerade auf alle Aktivität, die ich schaffe.
Eine kleine Krötenschicht am Tag. Eine moderate Hunderunde. Kochen. Sims 4 spielen. Unauffällige Checks auf Lebenszeichen beim Partner. Elaborierte Baupläne für das Grundstück des Nachwachshauses bis in den Schlaf. Und immer wieder die Erinnerung: Langsamkeit ist etwas anderes als Stillstand.


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9 thoughts on “Rekonvaleszenz #Coronatagebuch

  1. 2-3 mal am Tag Atemfrequenz und Puls zu erfassen und über mehrere Tage zu monitoren, /(ggf. ergänzt mit Finger-Oximeter) kann vielleicht eine hilfreiche Aktivität sowohl für Euch alsauch für Euren Partner sein, und auch bei der Entscheidung unterstützen ggf. Hilfe zu holen.

    Zumindest die Atemfrequenz wäre sehr unauffällig …

    Weiter alles Gute

    1. Mich machen solche Messgeschichten nur ängstlich und beim Partner sind die Daten eh schon immer nicht wirklich im Normbereich. Das ist halt das Problem insgesamt – er muss sagen, wann es unnormaler ist als sonst und ich muss seinem Gefühl vertrauen. 🥴

  2. Hört sich vielleicht blöd an, aber seit eurem ersten Post zu eurer Corona-Erkrankung und der eures Partners denken wir täglich an euch und wünschen euch, dass es gut ausgeht und folgenlos wieder ausheilt. Und dass ihr gute Wege findet, einen guten Umgang mit dieser Drucksituation zu finden! Weiterhin viel Kraft, euch beiden.

  3. Ganz viel Daumendrücken und gute Besserungswünsche…

    Danke für den Gedanken: „: Langsamkeit ist etwas anderes als Stillstand.“

    …mit blauen🐘Grüßen

  4. …“der selbstschutz chronisch kranker sich nicht behandeln zu lassen…“
    in so wenig worten ein komplexes thema exakt erfasst. visuell verstehbar, fühlbar, detailreich formuliert…
    danke dafür und viele deiner texte, die soooo sehr berühren, sachlich klar, wie zeitgleich emotionsreich, weil sie präzise zum ausdruck bringen und auf den punkt treffen, wie es sich anfühlt, und was ist.
    sehr beruhigend gerade für mich, zu lesen, dass meine art die dinge zu denken nicht isoliert im raum verloren geht…sondern es ebenso greifbare gedanken gibt…bei anderen…
    schreiben könnte ich so nie.
    danke daher, für deine worte.
    lese oft und gerne hier.
    außergewöhnlich. zutreffend. und gleichzeitig so vielseitig in wenigen worten.

    wünsche deinem partner, dass all die kraft die er aufbringt …das ganze bald spürbar in die gute richtung kippen lässt ..
    dieses „überstanden haben “ denken zu können.. und sich dessen (wieder) sicher sein dürfen…
    und dann erholung und ohne die angst atmen können…
    lieben gruß und von uns ein mit sein, mitdenken, für euch, gerade jetzt.
    es wird gut werden. vertraue.

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