Ein kräftiger Sog zerrte an uns beiden Eulenreitern, als wir auf den Sommer 2012 zuflogen, der den Anfang eines regelmäßigeren Schreibrhythmus markierte.
Kurt ließ uns noch immer über dem Haus im Nirgendwo kreisen, in dem unser vergangenes Wir kreißten und rastlos umher stiefelten.
“Moa, das war auch so ne krasse Zeit, ey.”. Ein Jemand beugte sich weit nach vorn, um sich uns näher an zu sehen. “Ganz ehrlich – ich glaub, im Schreiben war die einzige Zeit, in der wir damals mal irgendwie halbwegs ruhig geatmet haben.”.
Unser Zeitreiseleiter schnipste mit dem Finger und das Dach des Hauses wurde durchsichtig. Unsere Wohnung war ein Umzugskartonstapellager. Um das Laptop herum türmten sich eingekringelte Wohnungsanzeigen, Telefonnummern und Notfallplanideen. Im Badezimmer die Medikamente gegen Schmerzen und Muskelkrämpfe, die Medikamente, die Schmerzen und Muskelkrämpfe verursachten und die gesamte Utensilpalette, die eine Essstörung erfordert.
Kurt deutete fragend mit dem Finger darauf: “Deshalb?”
“Nö.”, antwortete das Jemand und deutete auf einen der Briefe auf dem Schreibtisch. “Deshalb.”.
“Hiermit teile ich, Vermieter dieser Bruchbude, Ihnen mit, dass ich einer Mietverhältnisverlängerung um 3 Monate nicht zustimme.
Mit freundlichen Grüßen, sehen Sie doch zu, wie sie klar kommen.”, stand auf dem Papier.
“Kurz danach erfuhren wir, dass die Therapeutin, bei der wir nach einem Umzug dann eine kassenfinanzierte Traumatherapie machen wollten, nicht mit uns arbeiten wollte und die Therapeutin, mit der wir die letzten zwei Jahre durch eine Art Dauerkrisenintervention überlebt hatten, nicht mehr mit uns arbeiten konnte wollte sollte durfte hm hm hm”, es wedelte ziellos mit der Hand in der Luft umher. “In der Zeit ist Hannah entstanden bzw. hat sich zu einem Ich entwickelt. Sie und der Schwan haben damals alles, was wir im Leben hatten beendet bzw. liebevoll verlassen. Wir dachten echt, wir müssten in ein paar Wochen den Hund töten, zur Herkunftsfamilie zurückziehen und uns naja – lieber halt umbringen lassen, als es selbst zu machen.”.
Kurt zog die Luft zwischen den Zähnen ein. “Ach du Scheiße.”.
“Hehe”, stieß das jemand hervor, “Jupp. Ach du Scheiße.”.
“Aber man merkt davon im Blog gar nichts, oder?”. Das kleine Wesen richtete sein Sehglas aus und schaute dem Früherjemand über die Schulter aufs Laptop.
“Hmnja, ich hab nach dem Holterdipolterumzug in die Wohnung ohne alles, die wir dann noch selbst renovieren mussten, einen Stellvertreterklugscheißartikel über Täterkontakte und dumme Therapeut_innen geschrieben, der damals lang und heute eigentlich eher peinlich ist. Und wir haben halt gedisst ohne Ende.”. Das Jemand kippte zur Seite weg und der Schwan richtete das Wort an Kurt, der sich inzwischen einen Sattel aus Schleiereulenrückenbefiederung zurechtgenestelt hatte, um uns bequemer anschauen zu können.
“Das Schreiben war damals viel mehr ein Werkzeug weder Hannah noch mich im Außen zu haben, noch auf seinen Affekten sitzen zu bleiben, als irgendetwas anderes.”, der Schwan breitete seine Flügel aus und landete in der Wohnung, in der sich eine mit jedem Handgriff weiter zerbröckelnde Frontgängerin mit dem Abzählen und Ordnen ihrer gehorteten Tabletten beruhigte, während aus ihrem Rücken ein verkrampftes Kinderinnen auf der Suche nach einem sicheren Versteck für sich kroch.
Der Schwan nahm das Kleine in seine Daunen und stieg zurück in den Himmel.
“Machen sie noch mal einen Vorlauf bitte. September 2012.”, rief der Schwan dem kleinen Wesen, das ihn mit offenem Mund anstarrte, zu und nahm Kurs auf unsere neue Wohnung.
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