Der Schwan und die Schleiereule mit Kurt auf dem Rücken landeten im Garten unserer Wohnung im Bullergeddo, wo die frühere K. auf einem unserer Gartenstühle saß und NakNak* auf dem Schoß hielt.
Er richtete sich vor dem Innen auf und sah ihm genau ins Gesicht. Faserte unter glitzerndem Funkeln auf und ließ die K. aus 2016 zurück.
Sie schaute sich an und seufzte. “Ich war so müde und alleine.”. Die frühere K. strich ihrem Hund durchs Fell und dachte darüber nach, wie das letzte Vorgespräch mit einer Therapeutin gelaufen war und wie allein sie mit ihrer Wut über ein erneut versagendes Helfer- und Unterstützungsnetz blieb.
“Weißt, was mich damals so richtig erschreckt hat?”, fragte die Gegenwarts – K. den kleinen Kerl der von der Eule abgestiegen war und sich den Anzug gerade rückte.
Sie wartete keine Antwort ab. “Wie viel Zeit schon vergangen war zwischen der Diagnosestellung und diesem Moment. Wie viel wir schon wussten und doch gleichzeitig merkten, wie viel wir immer noch nicht wussten, ohne dass wir das wirklich so ausdrücken konnten. Und daneben aber auch durch diese teils echt katastrophalen Erstgespräche gemerkt haben, dass wir von unserer zukünftigen Therapeutin mehr abverlangen mussten, und bis heute auch müssen, als bloße Sachkenntnis von komplexer Traumatisierung und DIS im Besonderen.”.
“Verstehe – daher also diese Artikel zu Bindung und Selbstwert, die klingen, als wäre eine Therapie eigentlich nicht sehr nötig?”, bemerkte unser Zeitreiseleiter mit einem Blick auf das Smartphonedisplay in ihrer Hand.“Bubi – ich klinge irgendwie immer, als wär jede Hilfe unnötig.”, antwortete K. achselzuckend, “Überlebenskünstlerpech.”.
Sie folgten den Früherrosenblättern in die Wohnung hoch.
Dort standen mehrere Säcke mit Altkleidern und einige letzte Umzugskartons herum. Unser früheres Wir packte sich eine Tasche für einen Abstecher in die Uni. “Wir hatten noch immer keinen Telefonanschluss und mussten rüber zur Uni um übers Rechenzentrum Emails an potenzielle Therapeut_innen und Blogartikel rauszuschicken.”, erklärte unsere starke Feuerlöwin K. dem neugierig schauenden Kurt. “Wir hatten damals seit Juni schon über 30 kg abgenommen. Deshalb die Kleiderspendensäcke. Im Schrank hatten wir noch zwei Röcke und 6 Shirts. Ein Traum für jeden auf Hartz 4 nach einem Umzug.”. Sie sprach ruhig und bittersachlich, schüttelte aber den Kopf.
“Verrückt wie wir all diese Mikrokatastrophen eigentlich schon gar nicht mehr wahrnahmen, weil es insgesamt einfach alles eine Katastrophe war, oder?”, ein anderes Innen schob sich an mir vorbei und legte K. den Arm um die Schultern. Das Innen richtete das Wort an das kleine Wesen. “Ich glaube K. hat erst etwas später gemerkt, dass wir anderen uns um Händchen-und-Durchhalte-Unterstützung gekümmert hatten. Ohne diese Pausen zum Durchatmen in der Frauenberatung und die Momente der Versicherung, dass ein fernes Jemand noch mit uns ist über einen Emailkontakt, wäre alles noch schlimmer gewesen.”. Das Innen lächelte und betrachtete das Chaos im früheren Schlafzimmer. “Ich begann auch das Niederschreiben meiner Erlebnisse und Gedanken als etwas zu erleben, dass konsistenter war, als das zunehmend ziel- und zusammenhangloser werdende Sein im Innen. Es gab Stunden und Tage, in denen nur noch ein Betteln um Gnade oder Erlösung von dort zu spüren war. Ich hatte Angst davor den Kontakt zur Welt zu verlieren und damit meine Möglichkeiten den Weg zum Verstehen des Innen zu finden.”.
Das Innen versuchte etwas aus dem Früher zu berühren, doch seine Hand ging hindurch.
“Wussten Sie damals eigentlich, was Bloggen ist?”, fragte Kurt und zog das nachdenklich schauende Innen mit sich durchs Treppenhaus hinunter und zurück in den Garten, wo sie von der freundlich mit dem Schnabel klackernden Schleiereule empfangen wurden.
Langsam ging die Sonne unter und schüttete ein warmes Apricot über das Firmament. Wir streichelten die große Eulenbrust, während er das Zaumzeug von ihr nahm.
“Viel Erfolg bei Jagd!”, riefen wir dem vermutlich bereits sehr hungrigen Greifvogel nach, als dieser fast lautlos in die Dämmerung hinausflog.
Kurt sah sich um. “Hm, besonders schön und einladend habens sies ja nun nicht gerade hier.”, bemerkte er mit Blick auf die seltsame Windfangkonstruktion unserer Vormieter und die drei Metallbögen für Wäscheleinen, auf unregelmäßig kräftig gewachsenem Rasen. “Tja,”, erwiderte ich, “ Sorry?”.
“Naja – passen Sie auf – ich krieg das schon hin.”.
Der kleine Typ im Anzug stiefelte in die Mitte des Gartens und schnipste mit beiden Händen in die Luft. Aus seinen Jackenärmeln quollen violette Schwaden, die sich rasend schnell vergrößerten und ausbreiteten bis sie uns völlig umhüllt hatten. Ich bemerkte einen aufkommenden Niesreiz und versuchte ihn irgendwie zu unterdrücken, doch das klappte nicht. “H! … HHH … Haaa … ATSCHI!”, flatschte eine ganze Ladung violetten Staubes aus meiner Nase heraus und in meine Hände hinein.
Ich ächzte angeekelt auf, senkte die Hände und öffnete langsam die Augen.
Vor mir war eine urgemütliche Szenerie entstanden. Kleine bunt leuchtende Lampions hingen in dem Rosenbuschgestrüpp und dem ausuferndem Brombeerengebüsch. Eine riesige Kissenlandschaft lag auf dem Boden rund um einen niedrigen Tisch mit einem Buffet unserer liebsten Lebensmittel und Getränke drauf, unter dem ein kleiner Heizstrahler alles Umliegende wärmte. Zwischen zwei der Wäscheleinenbögen hing eine bunt gestreifte Hängematte.
“Geil.”, war alles, was mein Gehirn mir als Reaktion auf diesen Anblick zur Verfügung stellte.
Entdecke mehr von Ein Blog von Vielen
Subscribe to get the latest posts sent to your email.