unterwegs #5, unplattbar, ächtz und Sonnenaufgang am Plöner See

Am Morgen beobachten wir, wie die Sonne aus der Ostsee klettert und hören den letzten Sätzen von Christine Thürmer’s „Laufen, Essen, Schlafen“ zu.

Sie ist Langstreckenwanderin und beschreibt in dem Buch ihre Erfahrungen auf den 3 großen Wanderwegen der USA. Mann, wie gerne wir das auch machen würden!

Zwei Stunden später frage ich mich, wieso wir uns diese Langenstreckenradwanderung antun. Irgendwie geht es nicht voran, wir haben Gegenwind, die Sonne knallt schon um 10 Uhr morgens und was ist das für ein krasser Hunger keine zwei Stunden nach dem Frühstück?!

Von Pommerby bis Kappeln haben wir eine Stunde gebraucht und an einer Ampel fällt mir auch auf wieso. Der Hinterreifen verliert Luft.

Ausgerechnet der Hinterreifen. Seit wir unser High-Tech-Kettenschaltungsrad haben, hab ich Schiss vor diesem Moment. Denn dort habe ich noch nie was allein repariert. Ich schaue mich nochmal um und entdecke ein Schild. „TÜV Nord“ und daneben etwas kleiner „ab 2018 Fahrradwerkstatt“.

Zing.

Doppelzing, als sich herausstellt, dass wir einen etwa 3cm langen, 2cm dicken Holzspan/Dorn in der Reifendecke haben, die durch die intensive Nutzung seit ihrem Kauf insgesamt schon sehr mürbe ist. Wir kaufen einen „unplattbar“-Mantel und beobachten den Monteur bei seiner Arbeit.

Als wir weiterfahren wird es unbarmherzig Mittag. Die Sonne brennt, der kühle Gegenwind lindert kaum. Wir quälen uns bis Eckernförde und haben dann wirklich keine Lust mehr auf Buckelpisten, ständige Umwege durch verlorenes GPS-Signal und Gegenwind. Mit der nächsten Regionalbahn fahren wir bis Kiel.

Das Getümmel dort frisst sofort an unserer Konsistenz und ich merke richtig, wie sich die Rosenblätter, die ich die ganze Zeit mehr oder weniger peripher am Rand schwimmen habe, vor mein Blickfeld schieben.

Sie manövrieren uns aus Kiel raus und verlieren sich bald wieder irgendwo im Wind auf meiner Haut.

Dann halten wir einfach nur noch durch. Die Strecke führt an einer Bundesstraße lang, der Krach nervt. Zwischendurch müssen wir auf der Landstraße fahren und überlegen währenddessen, ob unser „Wie wir beerdigt werden wollen“- Zettel im Fall des Falls pünktlich gefunden werden würde. Und ob unsere Familie sich daran halten würde. Den Notar für ein Testament, konnten wir uns nämlich immernoch nicht leisten.

Jedenfalls kann ich endlich lesen, wie der Ort heißt, an dem unser Weg zum Campingplatz kreuzt: Ascheberg

Aha. Hier haben wir auch mal gewohnt. Katsching. Als wir durchfahren, erkennen wir nichts wieder. Wie auch, die Einrichtung lag damals ganz am Rand der Stadt.Vermutlich fahren wir morgen daran vorbei. Vielleicht.

Sollen wir mal hingehen? Reingucken und Hallo sagen? Gucken, ob die Bewohner_innen noch da sind? Ob die Leiterin noch da ist? Das ist alles 16 Jahre her. Hm. Wir lassen es offen und konzentrieren uns auf den Muskelkrampf im Oberschenkel und die Erschöpfung unter der Haut. Scheiß auf den Stocksee, wir nehmen den Plöner See, der ist hier und hat auch Campingplätze.

Wir checken ein, fressen Pommes und Gemüseschnitzel vom Imbiss, bedecken dieses Menü mit Oreokeksen und einem Gemisch aus Kalium, Calcium und Magnesium, kuscheln uns in den Schlafsack und schlafen ein. Es ist 19 Uhr und beginnt zu regnen.

Um 4.44 Uhr weiß ich wieder, wieso wir uns diese Touren geben.

Wir duschen, frühstücken, packen. Fahren gleich los Richtung Fehmarn. Ohne Abstecher in die Einrichtung.