unterwegs #4, Kinder, Lehrer_innen, für immer unterwegs sein wollen

Und dann ist der letzte Inselmorgen. Wir packen, frühstücken und googlen die nächsten Versorgungspunkte.

Wir haben Sonnenbrand auf den Lippen und befühlen ihn zwischen Erstaunen und Faszination.

Als wir am Kaffee aufwachen, hören wir ein Kind im Waschhaus. Es ruft seine Mutter, doch auch nach dem dritten Ruf bekommt es keine Antwort. Mama ist irgendwo auf dem Platz und versorgt das Geschwist.

Aus dem Rufen wird ein Weinen und aus dem „Mama“ eine lange Vokalkette, dessen Ende in unser Inmitten sticht. Wir stehen auf und gehen hin. Der kleine Otto steht da in nassen Hosen, mit den nackten Füßen in einer Pfütze und hält sich an der offenen Klotür fest.

Ich merke wie mir Federn aus der Haut stechen und alles merkwürdig wird. Wie ich oder etwas, das mir vertrautfremd ist, mich vor ihn hockt und fragt, ob wir ihm vielleicht helfen sollen. Er nickt und atmet und starrt uns aus großen Augen an.

Wir helfen ihm aus der Hose und geben ihm Papiertücher zum Aufwischen, während wir die Sachen durchspülen. Zufrieden, mit seiner Saubermacharbeit, läuft er zur Hochform auf, als wir ihn fragen, ob er weiß, wo sie geschlafen haben. Seine Eltern sind bestimmt auch dort.

Als wir nacheinander zu ihrem Platz gehen, denke ich, dass die Klos hier viel zu hoch sind für Otto. Besonders, wenn es dringend ist. Aber vielleicht hat er auch nur den Weg zu den Kinderklos vergessen? Ich hab keine gesehen.

Für Otto ist die Welt wieder ok, als er bei Mama ist. Diese dankt mir und sagt, sie hätte sich das Unglück schon gedacht. Wir fragen sie nicht, wieso sie ihm dann denn nicht gleich geholfen hat. Was wissen wir denn schon von ihrem Alltag oder dem, was diesem Moment vorangegangen war.

Aber wir merken uns das. Für später. Für die eigenen Kinder.

Wir frühstücken. Dann nieselt es. Dann windet es. Wir kriegen Geld zurück vom Platzbetreiber und kaufen uns davon einen Pin in der Form von Amrum. Für die Therapie und die Schule. Erbsenmomentanker aus dem echten Leben, baby.

Wir nehmen die Fähre um 5 nach 12 und schreiben dort unsere Inselpost. Das muss man verstehen – im Fährrestaurant hat es 20° und schöne Aussicht. Horst und Gisela aus dem schönen Schwaben machen das auch so, nur für eine riesige Verwandtschaft.

Auf dem Festland ist es wärmer. Hier ist es nur der Wind, der kalt und unangenehm ist. Wir fahren nach Süderlügum, wo unsere Schlafstelle auf dem Gelände eines Jugendheimes ist. Wieder finden wir kein Schild, wieder gibt es keinen Hinweis auf die Initiative „Wildes Schleswig Holstein“.

Aber eine Schulklasse treffen wir, die mit zwei Lehrer_innen ihre Klassenfahrt hier machen. Für sie ist es kein Problem, wir sprechen uns ab und bauen unser Zelt in strategischer Entfernung zu den Zimmern der 13 bis 15 jährigen Krawallquellen.

Wir essen zusammen Abendbrot und tauschen uns über die aktuelle Realität von Inklusion und Lehrer_innenalltag aus. Und wieder denken wir darüber nach, vielleicht doch irgendwas Soziales zu studieren oder zu lernen.

Wir sind kein gefühlskalter Roboter, der alles hübsch kontrolliert haben muss oder Gefühle anderer Menschen für abstoßend hält. Es ist nicht das, was wir meinen, wenn wir sagen, dass der Autismus uns diese Art des Berufs sehr erschweren würde.

Es ist nur so, dass wir an den Strukturen zerbrechen würden, in denen Menschen, die mit und an Menschen überwiegend arbeiten müssen. Weil wir gute und richtige Arbeit machen wollen.

Später sitzen wir mit am Lagerfeuer und sprechen über dies und das und ich merke, dass Lehrer_in zu sein in keinem Fall ein sozialer Beruf ist, obwohl ein Großteil die soziale Auseinandersetzung mit den Schüler_innen ist. Mir kommen die beiden vor wie genau die Beamt_innen einer Leistungsbehörde, die sie sind. Trotz aller Herzenswärme und Einsatz für die Schüler_innen.

Am nächsten Morgen ist die Klasse bereits im Wald, um Bäume zu töten und sich das pädagogisch legitimieren zu lassen. Wir essen, nehmen uns Obst mit und fahren.

Und fahren. Und fahren. Und fahren.

Dann sind wir in Flensburg und kaufen ein. Sind traurig, dass wir nicht mehr Platz in den Packtaschen für all die dänischen Lakritzsüßigkeiten haben, die es hier gibt.

Dann frühmittagessen wir und suchen den Landeplatz für heute abend. Wir entscheiden uns für eine warme Dusche und bezahltes Internet, also steuern wir Pommerby an.

Hier ist es toll. Die Ostsee liegt genau am Campingplatz, das Mysterium um unsere dauernde Roaminganzeige im Handy wird gelöst. Das Internet hier hat keine Ahnung von der deutsch-dänischen Grenze.

Wir duschen, waschen ein paar Sachen, essen Süßigkeiten und lesen Emails. Der Sonnenbrand im Nacken hat eine braune Stelle hinterlassen, der auf der Nase ist im Stadium der Pelle.

Jetzt gehen wir zum Strand und machen Fotos. Morgen fahren wir zum Stocksee. Übermorgen nach Fehmarn. Jetzt ist die Phase, in der wir jeden Tag, für den Rest unseres Lebens unterwegs sein wollen.


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