Happy Hunger #1–“Das Wirsingwickelexperiment”

Neulich saß ich mit Freund_innen beim Abendessen zusammen und sagte, dass ich schon einmal darüber nachgedacht habe, übers Kochen und Rezepte zu schreiben, es aber nicht einfach anfangen will, weil ich mir Gedanken darüber mache, wie das mit unseren Essproblemen so zueinander kommt.
Wir kamen darüber zusammen, dass es trotzdem gehen können sollte und im Laufe des Abends wirkte das noch eine Weile nach.

“Happy Hunger” müsste die Serie heißen und zwar aus dem Grund, dass ich mir für uns wünschen würde, keine Angst mehr vor Hungergefühlen zu haben. Weniger Trost darin zu finden, sich absichtlich in Hungergefühlen zu lassen, nur um wenigstens eine Angstquelle im Alltag selbst ausgelöst zu haben.
Wir haben schon darüber geschrieben, dass Hungern auch eine Art emanzipatorischer Akt für uns ist, weil wir uns darüber ermächtigen, wie unsere Lebensqualität ist. Außerdem taucht aus unseren inneren Tiefen auch immer wieder ein fast lustvolles Erleben an körperlicher Auszehrung bei gleichzeitig übermäßiger Aktivität auf und führt uns in einen Sog früherer Copingstrategien aus früheren Traumatisierungen, in denen der Hunger aufgezwungen wurde.

Außerdem könnte die Serie “Happy Hunger” heißen, weil es für Außenstehende vielleicht witzig ist, dass wir nie ohne irgendeine Küchenkatastrophe auskommen.
Kochen erfordert planvolles Handeln, was etwas ist, das uns sehr schwer fällt. Werden wir abgelenkt, gerät alles aus den Fugen, was dann besagte Küchenkatastrophen nach sich zieht. Für uns gibt es eine Reihe Dinge, die beim Kochen ablenkend wirken.
Essen zum Beispiel.

Manchmal ist hat es etwas damit zu tun, dass es Essen ist, das komisch guckt, häufig aber auch mit dem Aufflackern einer irrationalen Furcht/Angst vor dem Anblick einer bereiteten Speise.
Instagram, engagierten Twitterfoodies und dem Stolz über geschaffte Lebensmittelexperimente sei Dank, schaffen wir aber inzwischen sogar selbst Fotos von Essen zu machen und manchmal auch zu teilen. Es ist nicht immer easypeasy – aber was ist das bei uns schon.
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Jetzt versuchen wir das also einfach mal.
In den letzten Monaten haben wir nicht mehr nach einem zeitlich gebundenen Essplan gegessen, aber schon nach groben Vorgaben, die wir im Hinblick auf Unverträglichkeiten, Allergien und andere körperliche Problematiken beachten sollten und wollen.
– ganze Früchte
– wenige Zutaten
– roh > verarbeitet
– Kräuter > Salze
– Lebensmitteleigene Fette > Nüsse > raffinierte Öle
– essen bis “Ist-okay-jetzt”-satt

Unsere “Rezepte” entstehen durch einen Blick in den Kühlschrank und einen auf die Uhr, manchmal auch durch das Lesen der Zutatenliste von Fertigprodukten oder schlichte Experimentierlust an einem guten Tag.

“Das Wirsingwickelexperiment”

Arbeitsschritt 1:
Zutaten einkaufen.
– 1 Tasse voll “bunte Hülsenfrüchte” (eine Mischung aus verschiedenen Linsen und Bohnen von Davert) (ca. 3,50€, ca. 4 Tassen)
– 2 Esslöffel Kräuterquark (ca. 1€, 4 Esslöffel)
– 3 etwa DIN A5 große Wirsingkohlblätter (1,99€ pro Kilo, ca. 8 kleiner werdende Blätter, plus anderweitig nutzbarer Rest)
– Salz, Pfeffer oder Kräuter der Wahl

bunte Hülsenfrüchte

Arbeitsschritt 2:
Die Hülsenfrüchte 12 Stunden vor der Zubereitung in einer Schüssel mit Wasser aufquellen lassen.
(Insekten-, Haustier-, umschmeißsicher abstellen)

Arbeitsschritt 3:
Die aufgequollenen Früchte 60-90 Minuten kochen (bei 60 Minuten gut bissfest).

Arbeitsschritt 4 (während Arbeitsschritt 3):
Einen weiten Topf mit Wasser füllen und auf dem Herd zum Kochen bringen.

Arbeitsschritt 5 (während Arbeitsschritt 3 und 4):
Wirsingblätter, die groß genug und schmackhaft erscheinen
– abtrennen
– säubern

Arbeitsschritt 6 (während Arbeitsschritt 3):
Die sauberen Wirsingblätter für 2-3 Minuten in kochendes Wasser legen.

Arbeitsschritt 7 (während Arbeitsschritt 3):
Die Wirsingblätter in (eis)kaltes Wasser legen, um sie abzuschrecken.
(Nur kurz reinlegen und dann einzeln wieder rausnehmen – Abschütten kann zu küchenkatastrophalen Überschwemmungen führen. Äh hem.)

Arbeitsschritt 8 (während Arbeitsschritt 3):
Eine Tasse Wirsingkochwasser abschöpfen.

Arbeitsschritt 9 (während Arbeitsschritt 3):
Die gekochten Blätter trocken tupfen.

Arbeitsschritt 10:
Die gekochten Hülsenfrüchte in eine Schüssel geben.

Arbeitsschritt 11:
Die gekochten Hülsenfrüchte mit 2 Esslöffeln Kräuterquark und Gewürzen der Wahl vermengen.

Arbeitsschritt 12:
Ein einzelnes Wirsingblatt auf einen Teller legen.

Arbeitsschritt 13:
Einen Esslöffel voll Hülsenfrüchte-Kräuterquark-Gemisch auf die Blattmitte geben.

Arbeitsschritt 14:
Den Wickel machen. (linke und rechte Seite nach Innen auf das Gemisch legen, Strunkseite darauf legen, dann die weiche Seite als Abschluss über alle legen)

Arbeitsschritt 15:
Die Arbeitsschritte 11, 12 und 13 noch 2 Mal wiederholen.

Arbeitsschritt 16:
Den Backofen auf 200°C vorheizen.

Arbeitsschritt 17:
Die fertigen Wickel in eine passende Auflaufform legen, mit dem abgeschöpften Wirsingkochwasser übergießen und nach Belieben würzen.

Wirsingwickel Draufsicht

Arbeitsschritt 18:
Die Wickel in der Auflaufform für 25 bis 30 Minuten in den Backofen stellen.

Arbeitsschritt 19:
Nach 15 Minuten die Wickel mit der Flüssigkeit in der Auflaufform übergießen. (Mit einem Teelöffel an der Seite abschöpfen und drüber geben.)

Arbeitsschritt 20:
Die Wickel in der Auflaufform mit Handschuhen oder Topflappen aus dem Backofen holen.
(Auf Haustiere (im Volksmund: “verfressene Gierlappen”) achten!)

Arbeitsschritt 21:
Fernseher/Laptop/Handy ausschalten, Sitzplatz gemütlich machen, Besteck und Geschirr platzieren.

Arbeitsschritt 22:
Wirsingwickel servieren.

Wirsingwickel fertig Nahaufnahme

Und: essen.
Nach Belieben mit Nomnomnom-Geräuschen untermahlen.

 

Ich hoffe, es schmeckt anderen so gut wie es uns geschmeckt hat. Rückmeldungen zum Thema “Rezepte verbloggen und Essstörungen” bitte gerne in die Kommentare. Und wenn du oder ihr das Rezept nachgemacht hast/habt, natürlich auch.