Grund- und Machtbedürfnisse – Religion und Gewalt

Als eines dieser weiß-säkularen Privilegien erlebe ich jede Art der “Religionskritik”. Auch in Form von Comics, Karikatur, Rede und Schrift.
Was aus dieser “Kritik” entsteht, ist eine Verschmelzung von Gewalt und Glaube. Religion wird einzig zum Instrument von Zwang, Ausnutzung von Unbildung (spannend, was immer wieder so als “Bildung” und “Wissen” in dem Kontext anerkannt ist!).
Nicht etwa zum Teil einer Lebensauffassung, inneren Haltung, vielleicht auch Identität und Kultur, über die sich zu äußern und zu werten vielleicht in allererster Linie Sache derer ist, die sie leben (wollen!).

Ich habe kein Verständnis für „Religionskritik“ von Personen, die nicht der „kritisierten“ Religion angehören.
Schon gar nicht habe ich Verständnis für Satire, die nach rechts buckelt und nach minorisierten, unterdrückten, rassierten Personengruppen tritt.
Satire ist für mich ein Mittel nach oben zu treten, um nach unten eine Hand zu reichen.

Ich habe kein Verständnis für die “Religionisierung” von Gewalt, die die (weiße) (säkulare) Presse vornimmt, um greifbare Slogans unter ihre Leser_Innenschaft zu spucken.

Für mich ist diese Mischung genau das, wovor ich Angst habe, wenn ich mich mit dem Thema ritueller Gewalt auseinandersetze – vielleicht sogar in Form eines Vortrages vor Menschen, die keiner Religion angehören.

Ich weiß, dass da kein Verständnis für den Glauben, kein Verständnis für bestimmte Werte und Handlungen ist – so schon, ganz ohne tatsächlichen Zwang oder die Art Gewaltanwendung, wie sie im Rahmen ritueller Gewalt passiert. Es gibt Menschen, die denken, ihr Kopf, ihre Seele und Kultur sei frei und ohne Zwang, weil sie studiert sind, weil sie Demokrat_Innen sind, weil sie so sind, wie eine Mehrheit der Gesellschaft, in der sie sich bewegen. Für diese Menschen gab es noch keine Auseinandersetzung, wie frei von Religion und auch auf eine Art ritueller Gewalt*, man tatsächlich ist, wenn man an Karfreitag nicht arbeitet oder am 25. und 26. Dezember die klitzekleine Welt um sich herum stillsteht.

Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen, wie oft wir unser jüdisches Leben nach überstandener organisierter (darunter auch ritueller) Gewalt mehr oder weniger verteidigen mussten.
Erst gegen Unterstellungen, wir wären ins Leiden sozialisiert und hätten uns deshalb einer Religion angeschlossen, die uns mit ihren über 600 Gesetzen unterjocht; später gegen die Unterstellung sich mit der Religion eine heile Welt zu zimmern, um in einer (besseren) (Sub) Kultur leben zu können.
Nachgefragt wird da natürlich nicht. Ich bin ja religiös und erzähle deshalb sowieso nur Schwachsinn, dem man nicht zuhören muss.

Weiß(christlich kultivierte) Säkulare sind es inzwischen immer öfter, die mir ihren Antisemitismus ins Blog rotzen, die mir rassistische Karikaturen ins Facebook klatschen und mich überdenken lassen, wie weit vom Fenster entfernt ich meine Menora aufstelle. Säkulare sind es, die sich mir gegenüber erhöhen, weil sie Studien und Beobachtungen über die Auswirkungen von Religion auf Wirtschaft, Infrastruktur und Länderentwicklung kennen.
Und ich bin froh, wenn mal in einer (großen) Stadt bin, die einen leicht zu findenden Koscherladen hat. Wenn es möglich ist, in einem Job zu arbeiten, in dem ich während Shabbes nicht arbeiten muss. Wenn ich die Möglichkeit habe mich mit anderen jüdischen Menschen auszutauschen ohne, dass es an einem very special place oder an einem very special Feiertag ist.

Säkulare haben eine Ersatzreligion und das sind Wissenschaft und “Objektivität”.
Doch zugeben kann das natürlich niemand.
Weil: “Wissen(schaft) ist die Abwesenheit von Glauben.”
Auch da bleibt unhinterfragt, warum man an Zahlen, an Wissen(schaft) (gerade auch, wie sie heute produziert und praktiziert wird) glaubt und nicht an seine eigenen Sinne(swahrnehmungen).

Zu glauben, ist meiner Ansicht nach ein menschliches Grundbedürfnis. Religion, wie Wissenschaft, wie Bildung allgemeinerer Natur, ist an der Stelle einfach eine Möglichkeit sich dieses Bedürfnis zu befriedigen.

Menschen zu töten, Menschen zu verletzen, Menschen zu unterdrücken ist kein Grundbedürfnis.
Das ist Wille zur Macht. Der braucht Gewalt.

*hier im Sinne eines religiös begründeten, aber in letzter Instanz kult.ivierten Handlungsimperativs
*Nachtrag: auch sehr spannend in dem Zusammenhang: der letzte Soziopod „Medien, Macht und Märsche