NakNak* lebt weiter.
Letzte Woche waren wir darauf eingestellt und vorbereitet, sie einschläfern zu lassen. Sie hat einfach so gut wie nicht mehr geschlafen. War nicht mehr nur abends, sondern auch tagsüber und nachts unruhig. Ob vor Schmerzen oder demenziell bedingter Umtriebigkeit, war nicht auszumachen.
Für uns war damit eine der Checkboxen, die wir für uns gesetzt hatten, erfüllt: Fehlender Tag-Nacht-Rhythmus, ein ganz typischer Status bei Demenz
Sie hat Schmerzen, die wir nur geraten lindern können – das ist eine weitere Checkbox, die schon länger erfüllt ist.
Wir wissen, dass sie nicht mehr das beste Leben hat. Ihre Persönlichkeit ist dem täglichen Abspulen bestimmter Routinen gewichen, sie ist zu einer Hündin geworden, die sich mal mehr mal weniger diffus zwischen Reiz und Reaktion bewegt, ohne, dass etwas davon hängen bleibt.
Sie quält sich nicht. Aber die Grenze dahin ist zart und fragil.
Für uns wäre es okay gewesen, sie einschläfern zu lassen.
Für den Partner nicht.
Also nochmal eine Stufe weiter. Jetzt bekommt sie ein stark beruhigendes Schmerzmittel. Es wirkt. Es geht. Es ist kein Garant für durchgeschlafene Nächte und ihr Gang wird davon unsicher. Spaziergänge mit Bubi und mir sind damit nicht mehr möglich. Ihre Welt ist auf den Garten und das Haus zusammengeschrumpft. Was erbärmlich klingt, aber das Haus ist groß und der Garten auch.
Es ist nur nicht mehr frei.
Sie, die mir zu so vielen Freiheiten verholfen hat, ist jetzt nicht mehr frei.
Das belastet mich und löst viele Gefühle aus, die ich bislang nicht benennen kann.
Ich hätte gerne, dass sie bald stirbt, weil ich es nicht so lange aushalten will. Auf ihren Tod bin ich viel besser vorbereitet als auf so eine langgezogene Phase von „Eigentlich ist alles scheiße, aber noch nicht scheiße genug“, in der auch noch Scham und Schuld zum Thema werden, weil meine Zuneigung und meine Verantwortungsübernahme in Frage gestellt werden könnten.
Wie sehr liebt man sein Tier, wenn man es töten lassen will, weil es nicht mehr funktioniert? Wahre (Tier)Liebe ist aufopfernd – Wie kann man nur jemandem den Tod wünschen? – Diesen Quatsch habe ich im Kopf, obwohl er nur dafür sorgt, dass ich mich schlecht fühle.
Es ist anstrengend, mich selbst immer wieder daran zu erinnern, dass Aufopferung auch zu „Vertäterung“ führt und das eine der Gewaltlogiken ist, die Liebe zu einer gefährlichen Angelegenheit macht. NakNak* fordert keine Aufopferung von mir ein oder zwingt sie mir durch ihre Existenz ab – Leute, die wollen, dass ich mich erst dann gut fühle, wenn es ihr gut geht, tun das.
So funktioniert Fühlen aber nicht. Gefühle entstehen und passieren und wirken in mir. Sie werden vielleicht beeinflusst oder in ihrem Entstehen von außen ausgelöst – aber ihre Wirkung, ihre Gestalt und ihre Folgen passieren immer in mir – völlig unabhängig vom Außen. Es ist ein unerfüllbarer Anspruch, mich erst dann gut zu fühlen, wenn sie sich gut fühlt. Niemand kann das jemals immer erfüllen. Vor allem nicht, wenn es um Tiere geht, in deren Gefühlswelt man als Mensch nie einen authentischen Einblick haben kann.
Ich liebe NakNak*. Und ich finde es gut, wenn sie nicht mehr lange lebt.
In meiner Vorstellung von NakNak*s Gedankenwelt gibt es eine ähnliche Gleichzeitigkeit: Sie lebt gerne und hätte gerne, dass ihre chronischen Schmerzen, die sie jeden Tag den ganzen Tag in unterschiedlicher Intensität hat, für immer aufhören.
Niemand würde sie dafür verurteilen oder mangelnde Leidensbereitschaft vorwerfen, könnte sie das vermitteln, wie wir Menschen uns das vermitteln. Aber mir als ihrer Halterin wird das vorgeworfen. Vielleicht. Implizit. Und sei es nur von diesem Kopfquatsch, den ich weiter oben beschrieb.
Im Moment geht es ihr besser. So gut, dass sie am Freitag sogar ums Haus gerannt ist. Dass sie den Partner morgens aus dem Bett bellt. Dass sie mit Bubi interagiert, als wäre alles tutti.
Es ist gut und schwierig, weil es gut ist.
Es ist gut und schwierig, weil es schwierig ist.