Nach der Nachricht zum Register „gefährlicher psychisch Kranker“, kam die Nachricht zur Liste über alle Menschen, die vom Selbstbestimmungsrecht Gebrauch gemacht haben. Das war, nachdem die Regenbogenflagge nicht mehr auch am Bundestag wehen sollte und der Grund, weshalb ich niemals davon Gebrauch machen werde. Denn mit Listen hat auch die Verfolgung aller Gruppen angefangen, die den Nazis nicht deutsch, nicht gesund, nicht Mensch genug waren. Und jede dieser Listen entstand, weil Menschen das Vertrauen ihrer Mitmenschen in ihre Verwaltungsorgane ausgenutzt haben.
„Far stretch“ haben viele sinngemäß gesagt, wenn ich meine Bedenken geäußert habe. „Das wird nicht passieren. Heute sind wir so viel weiter.“
Und dann passiert es doch. Denn die, auf die es ankommt – jene Leute, die über uns entscheiden, zum Beispiel im Bundestag – die sind nicht weiter. Die sind so weit, dass sie eine Geste zur Solidarität mit einer diskriminierten Minderheit, mit einer Degradierung des Hauses und damit auch der Entwürdigung seiner Vertreter_innen gleichsetzen.
So zu denken ist nicht dezidiert faschistisch, aber so zu denken führt zur Legitimation von faschistischem Bewerten und Handeln. Und mit dieser Sorge bin ich aktuell ein nicht binärer Mensch in Deutschland. Mit einer psychischen Erkrankung. Mit einer Behinderung.
Wir schreiben das Jahr 2025.
Ich traue mich auf die Straße, wie sonst auch. Ich habe eine Arbeit, kann am gesellschaftlichen und kulturellen Leben teilhaben. Ich darf Eigentum besitzen, Handel treiben und Kredite aufnehmen. Ich darf mich frei bewegen und mein Pass garantiert mir die Einreise in 170 Staaten. Ich werde medizinisch versorgt, wenn ich krank bin. Ich wurde von klein auf gebildet und kann auch im Alter noch Bildung erhalten. Ich darf lieben, wen ich will, darf anziehen, was ich möchte. Alle Rechte der Bundesrepublik Deutschland gelten für mich.
Allerdings ausnahmslos mit einer Zuschreibung, die nicht stimmt.
Einer Zuschreibung, die allein so harmlos ist, doch in ihren Folgen so profund, dass gestandene Staatsmänner um das gute Leben für alle bangen.
Allein deshalb ist es eine Zuschreibung, deren Richtigstellung für mich nicht sicher ist.
In diesem Jahr, in diesem Pridemonth, zeigt sich, was ich in den letzten Jahren immer wieder gesagt habe: „Ja, fein love is love, danke Auto/Kosmetik/Gedönsmarke, die sonst nie irgendwas zum Thema beiträgt – aber ich weiß, ihr werdet euch zurückziehen, sobald es sich nicht mehr lohnt an unserer Seite zu stehen.“ Denn die Sichtbarkeit ist drastisch zurückgegangen, nachdem „Diversity“ zum Begriff des rechten Kulturkampfes wurde. Oder hast du dieses Jahr schon einen Labello mit Regenbogenkappe gesehen? Oder ein Markenlogo mit Regenbogendesign und „love is love“-Spruch? Selbst unsere „unpolitischen Allies“ merken es. Und sagen, machen … so viel wie bisher.
Ich mache keine Aufklärungsarbeit mehr für diese Allies. Ich erkläre nicht mehr, was Neopronomen sind oder warum das Selbstbestimmungsgesetz für alle Menschen in Deutschland wichtig ist. Ich berichtige niemanden mehr, die_r mich misgendert, nachdem ich mich vor ihr_ihm geoutet habe.
Die Zeit dafür ist vorbei.
Wer bis hier und heute nicht aufgepasst hat, nicht hingehört, mit dem Thema nicht in Kontakt gegangen ist, kann die Lage und ihre Entwicklung in ihrer Gefahr für Menschen wie mich und all die anderen trans Personen (und andere intersektional von Diskriminierung betroffene Menschen) in Deutschland nicht begreifen.
Da wo wir jetzt stehen, reicht es nicht davon überzeugt zu sein, dass Menschen Menschen sind und alle ein gutes Leben verdienen. Es ist nicht genug, sich nach transfeindlichen Kampagnen wie zuletzt in Großbritannien und einigen US-amerikanischen Staaten an die Stirn zu fassen und zu sagen: „Hä, ich kapier einfach gar nicht, was das soll!“ Diese und andere Fragen konnten wir in Ruhe besprechen. Es gab genug Zeit und Raum zu neuem Verstehen und Lernen.
Jetzt sind wir im Backlash.
Für mich geht es um Sicherheiten. Notfallpläne. Fragen wie: Wohin, wenn nicht hier? Mit wem, wenn nicht denen, die meinen Alltag begleiten? Wie, wenn es anders gehen muss als jetzt?
„Far stretch“ denke ich selber, wenn ich aus meinem Fenster schaue vor dem sich das Korn in sanftem Wind wiegt. „Close enough“ hingegen, wenn ich mich daran erinnere, dass mein Partner weder Flaggen noch Plakate aufhängen will, um Stress zu vermeiden.
Ich bin so froh um den Tag der nicht binären Menschen.
Seine Existenz bestätigt meine Existenz, ohne dass ich etwas dafür tun muss.
Es gibt ihn. Es gibt mich.
Das kann mich trösten.
Entdecke mehr von Ein Blog von Vielen
Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.