Nachklapp Hartz 4

Wenn man einen Text schreibt, der zufällig den Ton der Zeit trifft. Zufällig von Leuten geteilt und empfohlen wird, die ihn ihrerseits lesen und teilen. Zufällig zu in die Diskussionen des Moments passen.
Das haben wir hier mit unserem selbstreferenziellen Egokickipups nicht so oft. Aber wenn dann ist es nie “wegen Trauma”. Nie wegen der ganzen Scheiße, die uns hier hin gebracht hat. Nie. Und das ist doch interessant. Wie die Gründe für Dinge noch immer nicht so gern angefasst werden.

Ich habe ein paar Antworten unter Tweets von Teilenden gelesen.
In einem Forum wurde über uns als Autorin des Textes geschrieben.
Deshalb ist es mir aufgefallen.
Dass es nie um die Gewalt geht. Selbst dann nicht, wenn man einen Text damit anfängt.

Mir ist eingefallen, dass ich noch nie “gut” mit Geld umgehen konnte. Dass das etwas ist, womit ich schon als Schulkind enttäuscht habe. “Umgang” bedeutete damals offenbar “wegtun und vergessen, dass es da ist” und nicht: “Verschenken, wenn jemand welches braucht” oder “Dinge kaufen, die man möchte”.

Wie Menschen heute über Menschen in Hartz 4 reden ist ähnlich.
Da ist eine unbewortete Idee von einem “richtigen” oder “guten Umgang” mit Geld, den man einfach mal eben so machen und pflegen muss. Oder “lernen” muss.
Was der Maßstab für “guten Umgang mit Hartz 4 Geld” sein soll, ist mir noch immer nicht klar, denn ich kriege weder mich noch mein Leben von Geld getrennt. Mein Leben und meine Lebensqualität hängt direkt an dem, was Monat für Monat, mal mehr mal weniger pünktlich auf meinem Konto landet. Manchmal auch einfach nicht, weil ein Stempel falsch sitzt oder es einen Zettel, den es schon tausend Mal in meiner Akte gibt, noch ein tausendundeinstes Mal braucht.

In der letzten Woche habe ich viele Erfahrungsexpert_innen gelesen, die ihre Verhältnisse komplett offenlegen. Und ich dachte wieder, wir müssten das auch machen. Als wäre das kollektive Nacktsein vor Angezogenen etwas, das etwas verändert. Die Debatte weniger schlimm, weniger demütigend macht. Als wäre das die Art Solidarität, die “uns Hartzis” irgendwie verbinden würde. Und eine Revolution auslöst.

Ich bin mit 15 in die Jugendhilfe gekommen. Mein Geld für jeden Posten war abgezählt. Als ich mit 18 in die ambulante Hilfe und dann ins Hartz kam, löste ich jede Woche einen Scheck ein.
Das war und ist bis heute mein Umgang: Niemals länger als zwei Monate im Voraus, Schuldengefahrabwehr vor Dingen in Kühl- oder Kleiderschrank.
Endziel: in der letzten Monatswoche noch was haben.

Pflicht: Rechnungen und Versorgung des Assistenzhundes
Kür: eigene Versorgung auf einem Level das halbwegs reicht
Schwierigkeitslevel: chronisch krank sein, extra Ausgaben an Dingen, die mir helfen Behinderungen zu kompensieren und dieser verflixte Wunsch nach Musik, Büchern, mal zum Friseur, ein zwei Farbfilme entwickeln zu lassen, mal den Fernbeziehungsherzmenschen besuchen, daneben Ehrenämter und Herzensprojekte mit_tragen

Mit abgezähltem Geld umgehen zu können ist nicht der “gute Umgang”, an den Menschen denken, die nicht so wirtschaften. Der “gute Umgang mit Geld” schließt Vorsorge mit ein. Und die ist utopisch unter Hartz 4.
Selbst wenn man es schafft am Ende eines Monats, vielleicht sogar zweien oder dreien etwas übrig zu haben, dann muss man Zahnbehandlungen zuzahlen, braucht eine neue Brille, muss mal jemanden dafür bezahlen als Assistenz irgendwohin mitzukommen, wo der Hund nicht mitdarf.
Das ist, was wir als “Mangelwirtschaft” bezeichnen. Das Weitermachen, obwohl es nie reicht.

Armut, Hartz 4 ist kein individuelles Schicksal. Kein persönliches Versagen.
Wenn man arm ist, dann gibt es kein “hättste mal besser”, das in irgendeiner Form berührt, worum es eigentlich geht.

In ihrem Buch “Gegen den Hass” schreibt Carolin Emcke, dass Armut eine gesellschaftliche Konstante ist. Und, dass arme Menschen nicht als Gruppe wahrgenommen werden.
Deshalb kommen Menschen auf die Idee, Jens Spahn würde etwas aus einem selbst erlebten Hartz 4-Monat lernen. Tatsächlich würde er mehr lernen, wenn er einen Monat lang täglich mit Menschen in Hartz 4 und anderen prekären Lagen reden und zusammenleben müsste.

Ich habe ein paar Leute gelesen, die den Ton von meinem Text als “scharf” bezeichnen. Das gefällt mir.
Ich will scharf klingen. Ich will so abgegessen, frustriert, verbittert und wütend gelesen werden, wie ich bin, wenn sich Politik und Feuilleton mit dem Thema befassen, als würde es sich bei Hartz 4 um etwas handeln, dass “ja eigentlich ganz gut” oder “mehr oder weniger schnell vorrübergehend” ist.

Verdammt ich hab seit meiner Flucht und meiner Entscheidung für das Leben noch nicht einmal über der staatlich hingerechneten Grenze gelebt. Mag sein, dass ich mit Ende 80 zurückblicke und denke, dass diese 13 + wer weiß wie viele da noch kommen, Jahre etwas Vorrübergehendes waren.
Jetzt gerade sind sie mein Leben nach der Gewalt.
Und wenn ich gewusst hätte, dass es das mitmeint – diese Form der Gewalt, gegen die man sich weder zur Wehr setzen noch aktiv um Schutz davor bitten kann – ich weiß nicht, ob ich mir damals die Kraft zugetraut hätte, das so lange zu ertragen. Und immer weiter und weiter zu versuchen etwas zu finden, was ein Weg heraus sein könnte.

Deshalb dachte ich an die Gewalt.
Auch wenn es um die transgenerationale Weitergabe von Traumatisierungen geht, klingt die Idee von “gutem Umgang” durch. Immer wieder komme ich in der Auseinandersetzung mit der Gewalt an mir an die Frage, ob und wenn ja in welchem Ausmaß meine Familie vielleicht genau deshalb so dysfunktional war, weil da eigene unreflektierte Traumafolgen gewirkt haben.

Wie ist das für Hartz-Eltern, dem eigenen Kind beim Antritt in die vererbte Armut beistehen zu müssen?

Wie wird das für mich wenn ich ein Elter bin?
Welcher Umgang mit der Gewalt, die mir passiert ist und der ich nachwievor einen gewissen Raum in meinem Leben geben muss, um sie zu verarbeiten, ist denn “der gute”?
Soll ich auch vom Familie gründen besser ausgeschlossen sein?
Von einem der urmenschlichsten aller Dinge?
Oder kompromisslicherweise durchkontrolliert und abgezählt bis man alles auf die nächste Generation abladen kann, indem man sagt, jede_r sei des eigenen Glückes Schmied?

Ein bisschen was habe ich auch vom bedingungslosen Grundeinkommen bzw. Bürgergeld gelesen.
Auch so eine Hippieidee ohne ernsthafte Anerkennung von Armut als tragenden Wirtschaftsfaktor.
Reichtum braucht Armut.
Kapitalismus braucht Reichtum.
Allen das ihre und weiter wie bisher, lässt Armut nicht verschwinden. Leider nicht.

Bedingungslose Versorgungssicherheit und ein Miteinander, das nicht von Gewalt geprägt ist, lässt Armut verschwinden. Zumindest in der Form wie wir sie heute kennen.
Davon bin ich bis zum Gegenbeweis überzeugt.