Seit Donnerstagabend sind wir wieder zu Hause und bewegen uns in einem seltsamen Gemisch aus Warten, Halten, Rauschen und Rieseln.
NakNak* liegt die meiste Zeit in ihren safe spaces und schläft. Manchmal atmet sie schnell und seit die Tierärztin sagte, dass das bedeuten kann, dass sie Schmerzen hat, machen wir uns hart und versuchen uns gegen den Selbsthass zu entscheiden. Schließlich haben wir ihre Schmerzen zu verantworten. Wir hätten sie nicht aufschneiden, ausweiden und wieder zunähen lassen müssen. Wir hätten nur auf unserer Entscheidung gegen Notoperationen beharren müssen. Dann wäre sie jetzt tot und hätte nie wieder Schmerzen.
Wir hätten nur stärker sein müssen. Nach diesen chaotisch aufreibenden 11 Tagen Radtour, in dem Druck des Moments und dem Druck, den wir allgemein im Leben und Wirken haben.
Wir sind lange genug in Therapie um zu sehen, was für ein überhöhter Anspruch das ist. Wir waren stark und wir waren stark genug. Die Situation hätte sich auch noch ganz viel schlimmer, ganz viel schmerzhafter, ganz viel traumanäher, sowohl für uns als auch den Hund, entwickeln können.
Aber “hätte würde wenn” funktioniert für uns nicht als Trost oder Beruhigung oder als Mittel zum Zweck sich selbst aufzurichten. Wenn wir schon bei “hätte würde wenn” wären, dann wäre NakNak* nie krank geworden und wir hätten uns in Ruhe mit dem Thema Kastration/Sterilisation auseinandersetzen können.
Das hatten wir ja schon angefangen, weil wir ihre Begleitung in der Schule während der Läufigkeit als schwierig betrachtet hatten. Aber wir waren für uns auch klar, dass dieser Hund niemals irgendein Organ(system) an uns und unseren Lebensstil verlieren soll.
Die Gebärmutterentzündung gehört zu den üblich möglichen Erkrankungen von intakten Hündinnen. In einer anderen Version von “hätte würde wenn”, hätte sie eine entwickelt, als wir zu Hause waren, wo wir unserem Tierarzt sagen können: “Keine OP – bitte erst konventionell behandeln – wir brauchen Zeit eine OP finanziell zu stemmen”.
In jedem anderen Wunsch-“hätte würde wenn”, wäre Zeit gewesen, um selbstbestimmt zu entscheiden und selbstbestimmt abzuwägen, welche Entscheidung am Besten tragbar oder wenigstens aus_haltbar ist.
Solche Notfall-Überrumpelungs-Jetzt-gleich-sofort-muss-etwas-(anderes als geplant)-entschieden-werden-Momente überfordern uns auf mehreren Ebenen. Da geht es dann im ersten Schritt um das Leben oder den Tod des Hundes und uns als awkward Aliens, die niemals je dieses inbrünstige (Tier)Lebensschutzdogma vertreten haben, jedes Leben um jeden Preis zu retten. Für uns wäre es auch möglich gewesen, NakNak* in dem Wissen um 7 ein halb bestmöglich gelebte Leben gehen zu lassen und den Wert dieser miteinander verbrachten Jahre anzuerkennen.
Im zweiten Schritt der Überforderung geht es um den Blick anderer in unsere Zukunft und auf uns im Jetzt. Die Annahmen von Außen über unser Jetzt, sind schon fast witzig irre weit weg von dem, was tatsächlich ist, einfach, weil sich die wenigsten vorstellen und glauben können, wie wir finanziell, emotional, geistig unsere Monate überstehen.
Ohne die Unterstützung von anderen Menschen sitzen wir ab dem 15. eines jeden Monats ohne Geld da. Und das schon seit gut 2 Jahren und sehr wohl im Wissen des Amtes – wird ja grad auch gerne gestreut, wir würden unsere finanziellen Unterstützungen nicht dem Amt melden. Vielleicht, weil man ein selbstgerechtes Menschlein voller Hass ist – vielleicht, weil man nicht weiß, dass man auch in Hartz 4 durchaus eine Summe im Monat bekommen und behalten darf. Und das trotzdem noch weniger als Hartz bedeuten kann.
Wir kaufen NakNak*s Fleisch und Leckerchen, bezahlen unsere Raten und Rechnungen und dann ist Ende. Es gibt keine “unnötige Ausgabe, die man sich für eine Ratenzahlung sparen kann” – wie der Tierarzt, der NakNak* operierte, vorschlug. “Dann zahlen sie einfach 50€ im Monat, dann sind sie in XY Monaten damit durch”. Wie sich diese XY vielen Monate für uns und den operierten Hund entwickelt hätten, war dabei egal. 50€ im Monat könnte der Stromabschlag sein. Oder einmal NakNak*futter und einmal TelefonInternetvertrag. Oder zweieinhalb Wochen Lebens- und Hygienemittel für uns. Oder zwei ausbleibende Ratenzahlungen, auf die bei Aufschub noch Zinsen oben drauf kommen.
Immer wieder stehen wir vor solchen Menschen und wissen nicht, wo genau wir anfangen sollen zu erklären, dass wir uns nicht davor drücken, es unbequem zu haben. Mal einen Monat irgendwie zur Tafel oder zum Foodsharing gehen zu müssen. Mal irgendwie Ratenzahlungen aufschieben zu müssen.
Wir sind damit überfordert, Menschen erklären zu müssen, dass Armut in Deutschland nicht bedeutet, hungern und dursten zu müssen, sondern vielmehr um ein Leben zu rudern, dessen Qualität fragwürdig ist, ohne auch nur einen verdammten Meter weit zu kommen, wenn einem niemand von außen hilft.
Dazu: die Behinderungen, die wir im Leben haben. Ich weiß nicht, wann endlich mal alle Menschen kapiert haben, dass das “Aufgrund dieser und jener Behinderung kann ich XY nicht leisten/fällt mir XY schwer” einer behinderten Person, nicht übersetzbar ist mit: “Ich habe keinen Bock auf XY” oder “Diese und jene Behinderung muss weg, dann kann ich das machen – aber du kannst sie nicht wegmachen – Ätschibätsch, musst du jetzt XY machen”
Wenn wir sagen, dass es uns aufgrund unserer Behinderungen im Leben schwer fällt sich um einen operierten Hund zu kümmern, dann bedeutet das: “Aufgrund unserer Behinderungen im Leben fällt es uns schwer, uns um einen operierten Hund zu kümmern.”.
Das bedeutet nicht, dass wir keinen Bock darauf haben oder NakNak* tot sehen wollten, weil wir sie im operierten Zustand nicht gebrauchen können. Es geht einfach darum, dass wir für ihre Versorgung die Kraftreserven bemühen müssten, die wir schon eine Weile nicht mehr haben.
Unter anderem auch, weil wir uns seit Jahren daran aufrauchen niemals diesem Kackscheißklischee vom inaktiven Hartz-4-“Kunden” zu entsprechen oder irgendwelchen Multimythen oder anderen Tropes um Menschen, die zu Opfern wurden, zu entsprechen.
Nicht, weil das an uns herangetragen wurde. Nicht, weil wir das Gefühl haben, irgendjemand würde uns so sehen. Um unsere mehr als 40 Stunden-Woche für ehrenamtliche, unbezahlte, manchmal auch öffentlichkeitswirksame Arbeit zu stemmen, reicht es, uns zu sagen, das würde für jemanden/etwas gut sein. Reicht es aber auch, uns zu fragen, ob wir glauben, wir hätten Spenden, Geschenke und andere Unterstützungen überhaupt verdient.
Weil nein: wir haben das nie verdient. Natürlich nicht. Denn das sind ja nur wir. Wir sind irgendne kaputte fast 30 jährige, die in ihrem sozialer Wohnungsbaubullergeddo sitzt und ins Internet schreibt, dass Dinge scheiße laufen, dass sie sich scheiße fühlt, dass sie sich wünscht mit weniger Scheiße umgehen zu müssen. Wir sind nicht mehr und wollten auch nie mehr darstellen.
Wir leiden darunter, nicht aus unserem Kopf zu bekommen, dass wir mehr sein müssten, um freundliche/okaye Zuwendung von anderen Menschen verdient zu haben. Weil wir inzwischen selbst sehen, in was für eine zehrende Spirale wir darüber kommen und wie wenig wir diese überhaupt bedienen können.
Und wofür denn eigentlich? Für etwas, das wir selbst so oft und so viel geben, wie wir können, ohne je in Frage zu stellen, wer was wann wie viel verdient hat. Natürlich machen wir das nicht mit Geld und auch nicht immer mit Sachgütern, aber wir machen das mit Zeit, mit Kraft, freundlicher Wärme und geistiger Zuwendung und mit all dem, was wir Menschen an die Hand geben, wenn sie uns um Rat fragen.
Während der ganzen Fahrradtour spürten wir immer wieder, wie wir von unseren eigenen Bedürfnissen überfordert sind und wie abhängig wir davon sind, uns in Umgebungen aufzuhalten, die allein durch ihre Gestaltung darauf hinweisen, dass alle anderen Menschen diese Bedürfnisse auch haben, damit wir uns diese überhaupt zugestehen können bzw. uns daran erinnern, dass man sich um sie kümmern muss.
Das fängt dabei an, dass wir (trotz mancher Glückstreffer, in denen wir es selbst erinnern) weiterhin unseren Timer brauchen, um aufs Klo zu gehen, geht da weiter, dass wir einen Essplan brauchen, um überhaupt Gedanken an Essen/Nahrung zu haben (und dann an die Arbeit gehen können uns darüber zu einigen, wie okay das ist) und endet irgendwo zwischen “wie müde ist schlafmüde?” und der Frage, wo jetzt genau diese Prellung, jener blaue Fleck und welche Schramme herkommt.
Und inmitten von all dem schwappt unser Kopf umher und produziert Gedanken, Ideen, Analysen und macht, was wird, was uns letzten Endes in den letzten zwei-drei Jahren den Arsch gerettet hat, weil es Menschen berührt, hält, trägt, unterstützt, obwohl es nur für und nur wegen uns da ist.
Es geht um Glück. Um Zufall.
Und darum, wie wenig das Eine mit dem Anderen zu tun haben kann.
Wir fühlen uns mit diesem ganzen Mist so oft so schrecklich alleine.
Und doch stehen über tausend Menschen hinter uns und helfen auf ihre Art und Weise, wenn wir sie um Hilfe bitten.
Wir merken nicht, ob wir am Leben sind, wenn wir morgens aufwachen, aber unterdrücken immer noch 24/7 vor Schmerzen zu schreien.
Wir sind arm, geben aber dennoch Geld für Dinge, die andere nicht haben können.
Das sind alles Widersprüche, die uns selbst völlig kirre machen, wann immer wir versuchen da irgendein anderes Muster als Glück, Zufall, Privileg hineinzubringen. Aber so ist es und so ist es weder leicht, noch gut aushaltbar. Es raucht auf. Es tut weh. Es macht so unfassbar müde. Weil nichts davon zuverlässig immer da ist. Sichere Beständigkeit haben wir nicht. Grund zur Ruhe, zum Innehalten, einfach nur mal ein zwei drei vier Monate ohne Angst, Sorge, ohne irgendeinen dieser Tritte in die Kniekehlen haben wir nicht – völlig scheiß egal, was wir wie wann wo entscheiden.
Während der Narzissmuskrise haben wir verstanden, wie eng schräge (Selbst)Ansprüche an Omnipotenz zur Lösung und Befriedung von allem und allen in der Umgebung an internalisierte Überhöhungsdinger konstruiert werden.
Heißt: so viele Menschen, die zu Opfern wurden, hören ihr ganzes Leben, sie seien schuld an allem oder erhalten fremde Label für sich (reminder: gelabelt wird das Fremde (Falsche/Böse/Schlechte/Kranke) und nicht das “Normale” (Richtige/Gute/Gesunde) ) oder werden über das definiert, was sie machen (oder nicht machen), dass sie irgendwann die Idee bekommen, sie müssten dem allem gerecht werden können, sonst würde man ihnen das ja nicht ständig antragen. Und: selbstverständlich können sie das auch! Denn niemand würde ja je etwas von jemandem verlangen, dass si_er nicht kann!
Für uns ist klar, dass wir in unserem Blog massiv überschätzt und überidealisiert werden, genauso wie wir verhöhnt und abgewertet werden.
Wir wissen, dass nichts von dem, was wir hier schreiben oder mit_teilen einfach nur als gegeben betrachtet wird. In den letzten Jahren wurden wir zum Vorbild, zur Inspiration, zur Unterhaltung genommen, zur Stellvertreterin verklärt und mit genau diesem Anspruch einer Omnipotenz überfordert, den wir nur allzu gut kennen.
Die Diskrepanz zu dem, was in unserem Er_Leben passiert ist manchmal so groß, dass wir uns fragen, ob das alles überhaupt passiert.
Wie ist es miteinander in Einklang zu bringen, wenn hier Texte so viel Wärme aus dem Innen transportieren, so viel geistige Haltung, sozialpolitischer Aktivismus sichtbar wird und es aber allein unterwegs zu einem Ding wird, die Körperfunktionen nicht zu vergessen, das Sprechen nicht zu verlernen, diese ganzen tausend Muskeln im Gesicht zu bewegen, wenn ein anderes Gesicht vor einem ist.
Und wann haben wir eigentlich aufgehört, darauf zu bestehen, dass nicht alles, was widersprüchlich wirkt, überhaupt widersprüchlich ist?
Wir waren schon an dem Punkt anzuerkennen, dass Viele zu sein einer Logik folgt, die multilinear ist und deshalb widersprüchlich logisch wie linear vielschichtig ist.
Wir haben den Punkt verpasst, an dem wir okay sind mit unserem ganzen Scheiß gleichzeitig und obwohl und trotzdem und trotz alle dem und alle dem. Wir haben ihn verpasst und vielleicht auch unbemerkt aufgegeben, für Versuche von Anpassung, für Versuche von Angleichung, um besser zu erklären, worum es uns geht. Wir haben versucht uns zu erklären, um eine Dynamik zu durchbrechen, die nichts mit uns zu tun hat, sondern mit den Vorstellungen anderer darüber, wer wir sind und was wir wollen und machen.
Vorstellungen von unserem Jetzt, Vorstellungen von dem, was wir “eigentlich sagen”, Vorstellungen um die Diskrepanz zwischen Wirkung und Sein, On – und Offlinepräsenz.
Wenn wir versuchen etwas Positives für uns aus den letzten Tagen zu ziehen, dann ist es nicht das verdammte Glückzufallsprivileg finanziell entlasteter zu sein, die Chance völlig fremden Menschen einen einfacheren Start in einen neuen Lebensabschnitt verdanken zu dürfen, statt wie in den Jahren zuvor, irgendeiner Behörde – nein, es ist die Möglichkeit zur Chance auch aufhören zu können.
Je mehr Menschen hier gelesen haben, desto übergriffiger wurden die Kommentare. Je mehr Menschen hier gelesen haben, desto mehr Erklärungsbedarfe gab es. Alles ist gewachsen und, dass es so weit über uns drüber gewachsen ist, dass wir anfangen mussten, uns selbst mit jedem neuen Artikel aus dem Dickicht von Anspruch und Fehlannahmen herauszuschälen, haben wir erst gemerkt, als wir nach 11 Tagen des Bewusstwerdens um die Krassheit der Diskrepanz zwischen Annahmen und Ist, vor so einem arrogant anmaßendem Menschen standen, der seine aufmunternden Klischeeaufheiterungssprüchlein genauso gut als Kommentar unter einen Artikel von uns hätte posten können – und sich genau nichts veränderte, als wir versuchten dagegen anzugehen.
Ich weiß nicht, ob sich jemand vorstellen kann, was das für eine Erfahrung ist, wenn man merkt, wie wenig es auch im Gegenüber verändert, wenn man versucht sich gegen solche Menschen bzw. solches Verhalten zu wehren oder zu schützen. Wie wenig es reicht, zu erklären, “nein” zu sagen, “die Perspektive auf sich geradezurücken”. Jene, die zwischenmenschliche Gewalt erfahren haben, brauchen sich sowas nicht vorstellen. Die kennen das ganz genau.
“Wir haben euch nichts zu bieten, außer unsere Worte und das, was sie in euch machen.”, war ein Satz, den wir aus dem Artikel gestrichen hatten, in dem wir um eure Unterstützung bei der Geldspendensammlung baten.
Weil das so einer dieser Sätze ist, der uns so sichtbar macht, dass es uns selbst ängstigt.
Das Eingeständnis der eigenen Begrenztheit. Das Eingeständnis nicht höher, weiter, schneller, besser … nichts mehr zu können, als das was man jetzt gerade kann. Es ist eine Art Kapitulation ohne weiße Fahne. Es ist eine Autobahn, deren Ende in eine Wiese hineinbröckelt.
Eine Entschuldigung im Vorraus, weil man mitbedenkt, wie genau gar nicht man bedienen kann (und nie bedienen konnte), was vielleicht und sehr wahrscheinlich an eine_n herangetragen wird.
Das Kleine in dem Riesending, das ein Blog von Vielen heißt.
Und wir.
Wir haben es herausgestrichen, weil wir so fest in der Annahme waren, man dürfe uns nie so nackt, so wenig wie wir nun einmal sind, wahrnehmen. Weil wir das so gewohnt sind, uns zu schützen, noch während wir etwas tun, was uns gut tut, uns hilft und nur für und nur wegen uns ist.
Nach 8 Jahren „ein Blog von Vielen“ sind wir also erneut an dem Punkt, uns selbst in diesem Projekt zurückzuerobern.
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