zum #TagDerMenschenMitBehinderung

Heute ist der internationale Tag der Menschen mit Behinderung. Laut Wikipedia geht es an diesem Gedenk- und Aktionstag darum, das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Probleme von Menschen mit Behinderung wachzuhalten und den Einsatz für die Würde, Rechte und das Wohlergehen dieser Menschen zu fördern.
An Tagen dieser Art heißt es für mich oft tapfer bleiben zu müssen, weil viele Organisationen und Institutionen, die sich heute zum Thema äußern, zwar ein Bewusstsein dafür haben, dass behinderte Menschen oft vor Problemen stehen, jedoch ebendiese Probleme oft (noch) nicht in allen Aspekten verstehen und deshalb Lösungsvorschläge oder -ansätze vertreten, die nicht hilfreich sind.

„Tapfer bleiben“ heißt es für mich deshalb, weil es allem Cringe zum Trotz eine Entwicklung gibt und diese vielleicht nun einmal leider damit anfängt, dass Bewusstsein überhaupt produziert wird. Es muss vielen Menschen einfach erst einmal bewusst gemacht werden, dass behindert zu sein oder, wie manche es lieber über sich sagen: mit einer Behinderung zu leben, kein Alleinstellungsmerkmal, kein spezielles Einzelfeature einer Person ist und entsprechend nie einfach nur über „die Behinderung“ oder „das Behindertwerden“ gesprochen und gedacht werden kann.
Behinderte Menschen haben auch ein Geschlecht, sind in Altersgruppen einteilbar, haben verschiedene Begabungen, verschiedene Potenziale, leben ganz verschiedene Leben, die allesamt nicht ausschließlich von ihnen, sondern auch von ihrer Umgebung und der Gesellschaft definiert werden.

Am internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen versucht man oft, sich auf einen Aspekt zu konzentrieren und von dem aus vieles zu vermitteln. So hat die Aufarbeitungskommission heute eine Menge Input zu sexualisierter Gewalt gegen behinderte Menschen vertwittert, die Regierungsparteien (und einige ihrer Mitglieder) haben geteilt, was sie sich als inklusiv vorstellen und auf dem offiziellen Account der DHL war man sich sicher, dass heute genau der richtige Tag war, um zu erzählen, dass man dieses Jahr mit dem Inklusionspreis der Wirtschaft ausgezeichnet wurde.
Diese Vermittlung lässt jedoch nur allzu oft die Verbindung dieser Themenkomplexe mit „nicht behinderten Menschen“ vermissen. So bleiben die Belange und Probleme der behinderten Menschen weiterhin ein Problem der behinderten Menschen, obwohl man sich mit einer Aktion für Inklusion oder Bewusstseinsbildung vielleicht genau an die Menschen richtet, die diese Probleme verursachen und/oder beheben könnten. Man muss sich sehr klarmachen, dass es nicht behinderte Menschen sind, die „Inklusionspreise“ vergeben, dass es nur sehr wenige behinderte Menschen gibt, die politische Entscheidungsmacht ausüben können und es auch kaum behinderte Forscher_innen zum Thema Gewalt und Behinderung gibt, die für einen Input wie dem der Aufarbeitungskommission, zitierbar sind.

Häufig bleiben die Aktionen derer, die „wir behinderten Menschen“ zur Lösung (der meisten) unserer Probleme brauchen, leider dabei, dass sie so etwas vermitteln wie: „Die Barrieren müssen weg!“, aber nicht, wer sie wie wegräumen soll. Und noch weniger, wer sie hat entstehen lassen.
An jeder Hilfsmitteldebatte ist zu erkennen, dass man sich immer wieder in Verteilungs- und Zugangsfragen begibt, als in die Aufgabe der Verantwortungsübernahme für alles, was damit zusammenhängt. Natürlich sieht es auch auf einem Promofoto einfach besser aus, wenn man einem blinden Kind einen Führhund übergibt – dem Kind und seiner Familie gegenüber wäre es allerdings nachhaltig hilfreicher, wenn man sich dafür einsetzt, dass Führ- und andere Assistenzhunde überall mit hingenommen werden dürfen, wo sie gebraucht werden. Oder dass solche Hunde nach internationalen Standards ausgebildet werden müssen. Dass es behinderte Menschen finanziell möglich gemacht werden muss, ihr Tier zu versorgen und und und

In Forderungen nach mehr Hilfsmitteln und weniger Barrieren zeigt sich für viele behinderte Menschen ein Hoffnungsschimmer – denn wo gezeigt wird, dass ein Mangel gesehen und als problematisch anerkannt wird, da kann doch die Problemlösung nicht weit sein?
In Deutschland, dem Sonderinklusionsland, aber leider doch. Denn an der Veränderung dessen, was der Inklusion im Wege steht, kann nicht gearbeitet werden, ohne behinderte Menschen als einen der Gesellschaft immanenten Teil anzuerkennen.
Was in unserer Gesellschaft nach wie vor oft nicht passiert. Ganz unbewusst manchmal, ganz diffus, ganz einfach so.

Und was nicht zu lösen oder zu verändern ist, wenn man nur so vielen Menschen wie möglich mitteilt, dass behinderte Menschen echt und wirklich Probleme haben, um die sich mal jemand kümmern sollte.
Wer das kann, kann so viel mehr tun.

Wenn das nur gewollt wäre.


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2 thoughts on “zum #TagDerMenschenMitBehinderung

  1. Ich weiß, nicht 100% passend zum Thema – aber beim Lesen des Satzes „[…] und es auch kaum behinderte Forscher_innen zum Thema Gewalt und Behinderung gibt, die für einen Input wie dem der Aufarbeitungskommission, zitierbar sind.“ ging mir durch den Kopf, ob es womöglich behinderte Forscher_innen zum Thema gibt, die Ihre Behinderung (aus welchen Gründen auch immer) nicht bekannt geben. Und wenn ja, was es – mit ihrer Forschung, der Anerkennung von und dem Umgang mit dieser – machen würde, würden sie es tun…

    1. Ja, es gibt die Forscber_innen und ja, es hat genau mit dem Thema zu tun, weshalb es einem Outing gleichkommt, zu sagen, dass man ein_e behinderte Forscher_in ist
      Viele behinderte Menschen kommen jedoch nie überhaupt zu einem Abi oder durch ein Studium und das war mein Hauptgedanke beim Schreiben. 🙂

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