Unterwegs #1, Hühnengrab und Kühe

„Echt?“, denke ich, als ich sehe, dass es Albersdorf ist. Dort gibt es einen Steinzeitpark mit Nachbauten und verschiedenen Originalen aus der Steinzeit, in dem man als (Rad)Wandernde_r das Nachtlager aufstellen darf, ohne etwas bezahlen zu müssen.

Dort gibt es auch die erste Wohngruppe, in der wir gelebt haben.

Als wir mittags in Elmshorn starten, denke ich nicht mehr „Echt?“. Ich denke gar nichts. Die Mittagssonne fällt wie Beton auf mich und der Radweg nach Itzehoe ist eine einzige Katastrophe. Wegen solcher Wege haben wir ein Trekkingrad und 5 bar auf den Reifen.

Halb 6 kommen wir im Park an – niemand ist mehr da. 17 Uhr wird geschlossen, das Steinzeitdorf und die Wanderwege auf dem Gelände sind immer offen.

Wir haben Edge-Empfang und können auch mit einem Spaziergänger nur noch raten, wo wir uns hinstellen dürfen. So kommt es, dass wir um halb 9 neben einem Hühnengrab aus der Jungsteinzeit einschlafen und halb 6 vom Vogelzwitschern wieder aufwachen.

Dieses Grab zeigt uns das große Geschehen, in dem auch wir passieren. Wir frühstücken daneben und lassen uns von der Morgensonne streicheln. Der Mensch, der hier vor über 3000 Jahren beerdigt wurde und die Idee von den Menschen, die ihn begraben haben, sind die beste Gesellschaft für diesen Morgen. Sie sind bei mir, obwohl sie schon lange nicht mehr sind.

Albersdorf und die Menschen, mit denen wir zusammenzuwohnen versucht haben, sind auch noch bei uns. Als schmerzhafte kleine Knoten, die sich bei der Fahrt durch den Ort Richtung Husum auflösen.

Ich trage die Jugendlichen wie mein Trinkwasser in einer Blase auf dem Rücken und höre ihrem Rauschen zu. Sie haben keine Angst oder irgendwelche anderen „heißen“ Gefühle. Da ist nur die Stille enttäuschter Hoffnungen und die Dissonanz zwischen der emotionalen Anstrengung aus 2001 und der körperlichen Anstrengung jetzt 2018.

Sie erzählen mir nichts von damals. Sagen nur, dass sie nicht nach Heide wollen. Ich zeige Ihnen unsere Route – sie führt an Heide vorbei.

Vorbei müssen wir wenig später auch an 5 Kühen, die keine 20 cm neben uns liegen und verdauen, weil sie auf dem Deich vor der Nordfelder Schleusenanlage grasen.

Als wir sie sehen, gehen wir zurück. Schieben das Rad auf den Deich. Suchen Optionen. Als wir sehen, dass es keine gibt, erinnere ich mich an das, was Temple Grandin über Kühe erzählt. Ich nehme den Helm ab, verstaue alles glitzernde und wackelnde an mir. Und bleibe doch unsicher vor ihnen stehen.

Dann knackt es in einem Lautsprecher. „Sie brauchen keine Angst haben – die Tiere tun nix.“.

„Na dann!“, rufe ich lachend zurück und schiebe mich durch die schwarz-weißen Grazien. Zu wissen, dass da noch jemand ist, hat geholfen.

Ein paar unfertige Gedanken über die Sicherheit des einen durch die Unfreiheit des anderen später, sind wir in Drage, dann in HmHmHm, dann in HmHmHm und dann in HmHmHm – wo ich immer wieder einen Ort suche, um Pausen zu machen, doch nicht fündig werde.

Ich habe Kopfschmerzen und bin müde. Zwei Falafel und mehrere Liter Wasser bringens dann eben doch nicht.

Vor Husum kaufen wir uns Tomaten, eine halbe Wassermelone, 4 Äpfel und eine Gurke.

Auf dem Zeltplatz merke ich den Sonnenbrand im Nacken. Die Schmerzen in den Füßen. Dursthunger. Die Luft steht, die Sonne brennt und brennt und brennt.

Doch es ist gut.

Der Zeltplatz ist ohne Deich an der Nordsee. Wir trinken, essen, fangen ein Hörbuch an. Am Abend staksen wir das erste Mal durchs Watt, das sich hier wie Pudding auf Steinboden anfühlt. Ein Tierchen bleibt kleben, wir filmen es.

Die Nacht beginnt früh für uns. Der Morgen auch. Heute fahren wir nach Dagebüll und von dort nach Amrum.