das Übliche

Schneckenhaus Gestern erschien in der SZ ein Artikel über eine neue Studie des kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen bzw. deren Ergebnisse.

In meiner Timeline werden schon wieder Menschen (die als Frauen/weiblich und feministisch gelesen werden und diesen Artikel teilten, bzw. ihn kommentierten) von Menschen (die ich als Männer/männlich und hmhmhm lese) darüber belehrt, was Vergewaltigungen sind, welche Wahrheit ™ dahinter steht und ach [insert feminist bore out Maxigähn]
Same procedere as …

Ich will mich heute auch eher kurz fassen und den Artikel näher betrachten, weil ich beim Lesen plötzlich auftretende Konzentrationsstörungen hatte- muss am lauten Hamsterjodeln unter meinem Küchentisch gelegen haben.

Ich lese solche Artikel immer erst mal mit dem “Wie sieht die Berichterstattung über sexualisierte Gewalt aus?”- Auge und scanne die Texte danach ab, ob das Etikett für eine Straftat irgendwann auch einmal mit dem Inhaltsetikett “Gewalt” belegt wird.
Wird es das nicht, ist es für mich kein guter Artikel für mein “Ich bin selbst Überlebende von sexualisierter Gewalt”- Auge. Denn dann, kann ich mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass Sex(ualität) und Konsens mit hineingemischt werden und genau deshalb von einem hohen Triggerpotenzial für mich ausgehen, wenn ich mich emotional näher an den Text heran begebe.

So- da ihr den Artikel entweder schon selbst gelesen habt- oder lesen werdet, werde ich im Folgenden einfach mal auf schwierige Punkte davon einsteigen. Ich langweile mich inzwischen ja schon selbst mit meinem Dauergerante über die Medien ™.

Gleich zu Beginn der irrführende Satzteil “weil sich die Täter- Klientel verändert hat”.
Nope und äh Nope.
Zum Einen gibt es auch Täterinnen und zum Anderen ist es schon immer die gleiche Klientel. Da gibt es keine Veränderung- wohl aber (und das wird sogar im Text erwähnt!) die rechtlichen Möglichkeiten diese auch als TäterInnen anzuzeigen.
So, wie es dort steht, entsteht bereits im Untertitel der Eindruck, dass es neue Täter (Männer*) gäbe und eben deshalb weniger Verurteilungen nach Anzeigeerstattung passierten. Was nicht stimmt.

Weiter im Text und zack pladauz landen wir in der Consentfalle. “Er konnte ja gar nicht wissen, dass sie (nachdem er sie auf so ziemlichen allen Ebenen ohnmächtig hat werden lassen) nicht wollte.” und so weiter.
Erinnert ihr euch noch an
#ichhabenichtangezeigt und habt vielleicht in den letzten Tagen auch von #WhyIDidntReport gehört?
Ein nicht unerheblicher Teil der Menschen führt genau diese Diskussionen rund um Einverständnis an, denen sie sich nicht gewachsen fühlen.
Dabei ist der Leitsatz ganz einfach und auf jede Situation anwendbar: “Ja, heißt immer nur dann wirklich “Ja”, wenn ein “Nein”, gleichfalls in Ordnung wäre”.
Du weißt, dass du Gewalt erlebst, wenn dieser Satz nicht auf deine Situation anwendbar ist, denn dann ist deine Möglichkeit dich frei zu entscheiden, mindestens eingeschränkt und was dort läuft ist außerhalb von Konsens.
Die Tatsache, dass wir* da überhaupt so drauf pochen müssen, ist eigentlich schon erschreckend genug- dass sich von Gewalt betroffene Menschen, aber noch in diesem Fakt rechtfertigen müssen, ist ekelhaft, wie traurige Normalität.

Eine Studie der Marquette University bestätigt, dass sexualisierte Gewalt normal für Mädchen* sei.
Ich warte noch auf die Studie die Jungen fragt, ob sie sexualisierte Gewalt gleichfalls für normal halten, oder wirklich so derartig unreflektiert über die Übergriffigkeit mancher ihrer Handlungen sind, wie das gerne vorgeschoben wird.
Im Fall des in der SZ erschienen Sanitäters, kann man sich schon mal fragen, ob ihm denn wirklich und ehrlich nicht klar ist, was für eine Wirkung seine 20 Jahre mehr, seine Freiheiten als Erwachsener, seine Suiziddrohungen auf eine 16 Jährige hat.

Am Ende steht dort die Frage: Sind SexualstraftäterInnen vielleicht einfach dumm? Unwissend und eigentlich nur harmlose Kreaturen, die dann und wann in die viel zu intellektualisierte Welt gekrochen kommen und völlig überfordert sein MÜSSEN, um hier, ohne mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen, mit jemandem Sex zu haben?

Diese Abwertung ist krass, oder? Letztlich stellen sich aber solche TäterInnen für mich immer wieder so dar: hirnlose Zombies, die “nur mal ordentlich…  und dann so zimperliches … kann ja keiner ahnen…”
Ich kenne keine/n einzige/n hirnlose StraftäterIn. Wohl aber Menschen, die niemals ein “Nein” zu hören bekommen, weil sie a) gar nicht erst danach fragen und/ oder b) nicht in der Machtposition sind, in der ein “Nein” das gleiche Gewicht, wie ein von ihm/ ihr vorausgesetztes und/ oder in jede Aktion hineingedeutetes “Ja” hat.

Wir brauchen uns nicht zu fragen, wieso denn bloß nun weniger TäterInnen verurteilt werden, wenn doch aber mehr angezeigt wird, wenn Gewalt ohne für alle Menschen gleich sichtbare, bezeugbare und für genau diese auch noch offen nichtkonsensual entstandene Schäden, nicht den gleichen soziokulturellen Stellenwert wie Gewalt mit (schweren) offenen Schäden in der Folgee, die bereits breit geächtet wird, hat.
Diese Studie hat im Grunde keinen weiteren Wert, als den, dass sie uns massiv vor Augen hält, dass wir eine offene Debatte zur Definition von Gewalt brauchen, die sich auf allen Ebenen in Änderungen niederschlägt.
Wir brauchen Konsens nicht neu zu definieren, weil TäterInnen dies so gerne als Grund für ihr Handeln angeben.
Wir brauchen eine klare, umfassende Definition von Gewalt, damit genau diese “Argumentation” nicht mehr möglich ist!

Weiter geht es im Text mit der ehemaligen Wetterkaulquappe.
Als hätte dieser Mensch nicht bereits genug Raum für seine Frauenverachtung bekommen, tauchen er und seine absurden Zitate, inzwischen bei so ziemlich jeder “Debatte” um Vergewaltigung und Justiz auf.
Dauerpräsenz der TäterInnen war ebenfalls hier und da Thema in den Meldungen unter oben genannten Hashtags.

Wo TäterInnen dauerpräsent sein dürfen, da sind Opfer unsichtbar ( = ungeschützt).
Durch die immer wiederkehrende Nennung von TäterInnennamen, Schilderung der Taten, subjektive Meinungsäußerungen zum Geschehen durch Dritte (völlig unbeteiligte Menschen!) und, was die Medien ™ auch gerne mal machen, die Portraitierungen von TäterInnen vor dem Hintergrund der “Warum – Frage”, geraten sowohl der Kern- nämlich das Unrecht- und auch das Opfer, völlig aus dem Fokus.

Ein Beispiel für die Unsichtbarkeit der Betroffenen haben wir bereits in dem Artikel. Der Name ist geändert. Es gibt nicht einmal ein Zitat von der jungen Frau. Wohl aber diesen einen Satz Marke “victim blaming” aus dem Urteil bezüglich dessen, was sie erlebte und eine Beschreibung eines Teils ihres Lebens nach den Ereignissen.
Das wars.
Ansonsten tauchen Betroffene nur noch als Opfer auf, über die dann der Kriminologe Christian Pfeiffer und die Oberstaatsanwältin Sabine Kräuter-Stockton sprechen. Semibeteiligte Dritte also.

Übrigens hat sich accalmie gestern schon das Interview mit Pfeiffer in den Kopf getan und bei der Mädchenmannschaft darüber geschrieben- meine Leseempfehlung, denn was Herr Pfeiffer da von sich gibt, ist zum Teil haarsträubend. Stichwort: 10% Falschbeschuldigungen (- laut Studie des LKA Bayern von 2005 liegt die Quote der nachweisbaren Falschbeschuldigungen bei 7,4 % und nach Angaben des “weißen Rings” sogar noch niedriger) und der Zaunpfahl in Richtung “Frauen sind anzeigewilliger als früher”.

Auch das ein Marker für schlechte Berichterstattung über (sexualisierte) Gewalt: falsche Zahlen, undurchsichtige Quellen und ein Standbein auf der Autorität derer, die man dort interviewt, geprägt von der subjektiven Sicht eines Menschen, der maximal entfernt ist von der Lebensrealität derer, über die er spricht.
So tauchen allein in diesem Artikel Männer* wiederholt in einem Übergewicht auf, obwohl es ein Thema ist, das überwiegend Frauen betrifft
(Männer* = Autor, Täter, Pfeiffer //  Frauen* = Opfer und Oberstaatsanwältin)
und dominieren zeitgleich durch Inhalt bzw. dessen Richtung
(Position der Männer*: Artikelschreiber = der, auf dessen Angaben wir uns verlassen da Quelle, Täter = aktiv, Pfeiffer = Autoritätsperson da von der Polizei bzw. Deutungsmächtiger der Zahlen //  Position der Frauen: Opfer = passiv und Oberstaatsanwältin = schwammige Positionierung, weil nur in 2 Sätzen auftauchend).

Am Ende dann noch der Klassiker: Sex(ualität) im Kontext mit Gewalt, ohne das Eine vom Anderen zu trennen.
Warum? Weil es Pfeiffer vormacht in seiner Formulierung – weil …? Er es nicht bewusst hat? Weil es verdammt nochmal immer noch nicht jedeR verstanden hat?

Accalmie schreibt in ihrem Artikel, dass man gar nicht weiß, wo man da anfangen soll.
Ich will
die Sprachführung verändern und dort anfangen- weiß aber auch, dass Sprache auch nur ein Mittel ist, um den Dingen, die einen umgeben einen Namen zu geben und damit das eigene Begreifen abzubilden.
Das heißt, wir* müssen das Verständnis von Sexualität und auch das Verständnis von Gewalt schärfen.

Wir* müssen an einen Punkt kommen, in dem Gewalt auch endlich “Gewalt” genannt wird und so wiederum ganz klar einzugrenzen ist, was das genau ist.

Doch so lange in den Medien ™ einzig und allein Machtverhältnisse perpetuiert werden, die genau davon leben, das eben genau das nicht passiert, so lange können wir diese auch nur als Negativbeispiel anbringen, so wie ich das hier, als Beispiel für Gegenöffentlichkeit und autonome Präsenz, tue.
Ich würde mir wünschen, dass wir uns nicht dem “
feminist bore out” beugen, über das Nadia, wie immer sehr geil geschrieben hat, und solche Berichterstattungen weiterhin mindestens als Fails kommentieren.

Ja, es ist immer wieder das Übliche.
Aber es ist eben immer wieder die gleiche zu Unrecht übliche Scheiße, die wir* weder hinnehmen müssen, noch sollten.

der Bostoner Marathon und die PTBS durch Fernsehbilder

„und dann ist da dieser Moment in dem ich froh bin, kein TV zu konsumieren. Es ist als sei das Grauen sehr fern- so fern wie es real fern ist“

Als am 11. 9. 2001 das zweite Flugzeug ins World Trade Centre hineinflog, war ich mit Millionen anderen Menschen live auf der ganzen Welt dabei. Wir sahen alle verzweifelte Menschen in den Tod springen. Wir waren gefangen in den wild hin und herschwenkenden Bildern der Livereporter am Unglücksort. Sahen von oben bis unten mit Staub bedeckte Menschen hilflos und verwirrt durch die Straßen voller Schutt um ihr Leben laufen.

Es war ein Schock und ein Ereignis, das den Lauf der Dinge veränderte.
Doch nicht alles hat sich verändert.

Am Montag um 2:56 Uhr (nach Bostoner Ortszeit) explodierten nahe des Bostoner Marathonziels mehrere Sprengsätze. Verschiedenen Medienberichten zufolge, starben mindestens 2 Menschen und wurden ca. 110 weitere verletzt. Der Präsident spricht. Bei Twitter wird für die Menschen gebetet und die Medien berichten.

Und zeigen wieder Fotos und Videos von schwerverletzten Menschen und auch den Toten.

Nein, sie haben es nicht gelernt.
Nein, die amerikanische Presse hat aus den Fehlern der Vergangenheit noch immer nicht gelernt.

Fernsehbilder können ebenso traumatisieren wie das unmittelbare Erleben eines aversiven Ereignisses. Zu diesem Ergebnis kommt ein US-amerikanisches Forscherteam, nachdem es über 2 000 New Yorker vier Monate nach den Ereignissen des 11. September 2001 interviewt hatte. Die Befragten hielten sich an diesem und in den folgenden Tagen in New York auf und verfolgten die Geschehnisse teilweise tagelang am Fernseher mit. Viele hatten Angehörige und Bekannte unter den Opfern. „Befragte, die besonders lange vor dem Fernseher saßen und die erschütternden Szenen immer wieder sahen, entwickelten mehr als doppelt so häufig Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) wie Befragte, die weniger fernsahen“, sagen die Forscher. Doch nicht nur die Dauer des Fernsehens, sondern auch die Art der Bilder beeinflusste das Risiko, in der nachfolgenden Zeit an PTBS-Symptomen zu erkranken. Schockierende Details von Explosionen, schreienden Verletzten, verzweifelten Rettungsbemühungen, Leichenteilen, Bränden und Menschen, die aus den Twin Towers stürzten, lösten Panikattacken bei den Zuschauern aus und gruben sich in ihr emotionales Gedächtnis ein. Besonders involviert fühlten sich die Zuschauer, wenn sie jemanden unter den Opfern und Verletzten erkannten. TV-Zusammenfassungen von den Ereignissen und Szenen, aus denen die blutigen Details herausgeschnitten waren, hatten hingegen weniger destruktive Wirkungen und konnten von den Zuschauern eher verkraftet werden. ms
Ahern J et al.: Television Images and Probable Posttraumatic Stress Disorder After September 11. The Journal of Nervous and Mental Disease 2004; 3: 217–226.
Dr. Sandro Galea, Center for Urban Epidemiologic
Studies, Room 556, New York Academy of Medicine, 1216 Fifth Avenue, New York, NY 10029–5283
(Quelle)

Die Studien sind bekannt. In jedem Jahr seit 9/11 werden um den Gedenktag herum, Menschen zu dem Tag interviewt. Werden befragt, wie es ihnen heute geht, es werden Studien vorgetragen und viele schlaue Menschen referieren über PTBS und Traumafolgestörungen.
Seit Jahren redet man sich den Mund fusselig. Nach jedem Krieg, nach jedem großen Unglück, werden alte und neue Erkenntnisse auf einen Haufen geworfen um Verstehen und Veränderung zu ermöglichen.

Doch was passiert?

Bei Hunden, heißt es, braucht es etwa 100 positive Abläufe bis sie einen Befehl korrekt, auch ohne direkte Belohnung, umsetzen. Wie viele Massaker, Schulamokläufe, Terroranschläge, Kriege und Katastrophen braucht die Medienlandschaft von Amerika noch, um seine journalistische Praxis zu überdenken?
Welches ist das richtige Leckerli, wenn die Belohnung nichts weiter ist, als ein paar Menschen weniger, die eine akute Belastungsreaktion entwickeln, weil sie stets und ständig mit dem Grauen in ihren Medien konfrontiert sind?

In Amerika öffentlich zu stillen bringt Mütter unter Umständen sogar ins Gefängnis.
„Nippelgate“ war ein Skandal, weil man die geschmückte Brustwarze von Janet Jackson beim Superbowl sah.
Tragen Stars keine Unterwäsche werden kleine Sternchen u.Ä. vor ihre Scham bearbeitet.

Die Leiche eines kleinen Kindes in seinem eigenen Blut aber, wandert in Null Komma Nichts im heimischen Wohnzimmer, genauso wie die offene Beinfraktur eines Bombenanschlagopfers.

Es ist absurd.
Und ich hoffe,dass sich in Amerika genau jetzt, zeitgleich mit mir, viele andere Blogger genau auch darüber aufregen und ihre Medien zur Änderung ihrer Richtlinien auffordern.

Was geschehen ist, ist schrecklich. Es ist furchtbar und jeder Mensch mit Herz, wünscht den Menschen dort nun alles was sie brauchen, um sich zu erholen und verarbeiten was ihnen heute geschehen ist.
Doch damit sie dabei Hilfe haben, sollten sie von Menschen umgeben sein, die nicht auch noch Fernsehbilder wie diese von heute verarbeiten müssen.

Das ist doch das Mindeste, wobei die Medien noch mithelfen könnten, oder?

 

 

 

für die Toten und alle, die sich gerade fragen, ob es für sie je wieder Licht im Herzen geben kann

614177_web_R_K_B_by_Rosel Eckstein_pixelio.de