NakNak*, die in meinem Leben Sookie hieß

Am 22. September 2022 habe ich das Foto aufgenommen. Das ist „die lange wilde Strecke“ durch einen Forst in unserer Gegend. Es war ein warmer, trockener Tag und der Bauer im Feld neben dem Weg hatte gerade so viel Staub in die Luft geworfen, dass dieses Lichtspiel entstand.

Ich habe es bereits in dem Bewusstsein gemacht, dass NakNak*, die in meinem Leben Sookie hieß, nicht mehr lange leben würde. Und, dass ich, wenn sie gestorben sei, dieses Foto teilen würde. Denn obwohl ich nicht an „ins Licht gehen“ oder die Regenbogenbrücke glaube, weiß ich, dass ich mit dem Bild allen Menschen zeigen kann, wie ich Sookie ihr ganzes Leben empfunden habe.
Wo Sookie war, war es heller, als irgendwo sonst. Sookie ist mir die meiste Zeit ihres Lebens vorausgegangen – ich brauchte mich nie fürchten, ihr zu folgen.

Border Collie Sheltie WelpeIn der ersten Zeit miteinander habe ich mich natürlich dennoch gefürchtet. Ausgiebig. Sie war ein Welpe, als sie in mein Leben trat. Unfassbar zart. Weich. Sensibel. Bedürftig. Pur.
Diese erste Zeit war extrem herausfordernd. Wenig Schlaf, wenig Routine. Meine posttraumatische Belastungsstörung war damals noch eher eine posttraumatische Dauerüberbelastung.
Bei mir lebten noch zwei Katzen, die musste ich kurz nach Sookies Einzug in die liebevollen Hände anderer übergeben. Ich hatte die emotionalen Kosten der Hundehaltung einfach unterschätzt.
Denn auch wenn Sookie in vielen Belangen immer vorging – vor allem damals war sie auch immer wieder auf mich zugegangen. Hat den Kontakt zu mir gesucht. Hat ihn eingefordert. Sie wollte mit mir zu tun haben. Sie wollte von mir berührt werden. Mit mir spielen. Mit mir sein. Bei mir sein. Und ich musste das verkraften. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ich musste die Kraft erst entwickeln, diesen Umstand, diese so reine, intuitive, rückhaltlose Bewegung von jemand anderem zu mir hin, bestehen lassen und aushalten zu können. Sookie wurde nicht durch Familienbande oder Behandlungsvertrag dazu gebracht, sich für mich zu interessieren. Sie hatte dieses Interesse einfach. Sie hatte es allen Menschen gegenüber.
In der Welpenspielgruppe hat sie nicht mit den anderen Welpen gespielt, sondern die Menschen kontaktiert. Sie hat sich hingesetzt, den für alle Border Collies so typischen Blick eingesetzt und den Kopf schiefgelegt. Die Leute sind geschmolzen.

Border Colli Sheltie Mix legt den Kopf schief

Und manchmal auch in meine Richtung geflossen. Mein so süßer, schöner, agiler Hund hat andere Menschen dazu gebracht, auch mit mir in Kontakt zu gehen. Name, Alter, Rasse, ja wir sind öfter hier, nein, sie braucht so viel Auslauf, wie andere Hunde auch, ja, sie ist außerordentlich schön, ja – die Ohren …
Als Sookie in mein Leben kam, musste ich die Wohnung jeden Tag mehrfach verlassen und mich den Überforderungen sozio-kultureller Unverbindlichkeit aussetzen. Der Hundewiesen-Smalltalk war etwas, das mir half langsam Licht ins Dunkel der zwischenmenschlichen Kommunikation zu bekommen, weil er mit allen Menschen gleich ablief und mich so immer weniger ängstigte. Sookies Einflussbereich wurde zu einer Zone mit Sprechinsel, auf die ich mich immer zurückziehen konnte.

Sie war etwa 5 Monate alt, als ich begriff, dass sie meine Krampfanfälle vor mir spürte. Ich entschied Assistenzhundmich dafür, sie zum Assistenzhund auszubilden. Wir durchliefen die Welpenspielgruppe, durchlebten ihre Hundepubertät in der Begleithundeausbildung und gingen dann durch ein individuelles Training, das Sookie dazu befähigte, mich gezielt zu orientieren, zu beruhigen und in Sicherheit zu halten.
Sookies Ausbildung war meine Schule für Bindungsgefühle und -gestaltung. Sie hat mit mir eine therapeutische Arbeit gemacht, die ich mit meinen Psychotherapeutinnen und Betreuerinnen damals nicht so gut machen konnte. Sie war einfach nicht nur ein oder zwei Mal die Woche bei mir, sondern immer. Egal, was „ich“ jeweils bedeutete.

Das Leben als Hundehalter_in mussten wir alle lernen. Den richtigen Umgang mit ihr, die richtige Einschätzung ihrer Gesundheit und Kommunikation und jedes ihrer Bedürfnisse mussten wir alle erkennen und entsprechen lernen. Und das haben wir uns erarbeitet. Es gab nie „welche, die sie hassen“ oder „welche, die sie nicht kennen“ oder „welche, die sie auch verschenken würden“. Sie war nie das lebende Kuscheltier für Kinderinnens oder „das Einzige, was uns das Leben lebenswert macht“. Sie war Kernpunkt einer Verantwortung, die wir in jeder Konsequenz aushalten und tragen mussten. Wir haben uns in Bezug darauf zu keinem Zeitpunkt irgendwelche Ausnahmen oder Freiheiten erlaubt. Egal, wie unser Allgemeinzustand war. Wie verdisst, wie uneins, wie vertriggert, wie gefährdet.
Dass sie der erste Teil der Familie war, die wir in Freiheit und Selbstbestimmung aufgebaut haben – also der Zukunft, für die wir ausgestiegen sind und deren passende Ausentwicklung wir die Therapiearbeit bis heute machen – haben wir uns jeden Tag bewusst gemacht und wie einen warmen Energieimpuls bewahrt. Ganz so, wie wir das heute mit unserem Partner, Bubi und einigen unserer Freund_innen machen.

Detail eines Hundeportraits

Sookie ist in ihren letzten Jahren krank gewesen.
In ihren letzten beiden Arbeitsjahren als meine Assistenzhündin hat sie schon grauen Star kompensiert. Da war sie 10 Jahre alt. Mit etwa 12 entdeckten wir zufällig, dass sie Arthose hatte. Mit 13, fast 14, kam eine Spondylose dazu. Da konnte sie auch schon nicht mehr alles hören und die ersten Demenzzeichen waren erkennbar. Ihr rechter Hinterlauf verformte sich wie ein wilder Baum.
Sie bekam gute Medikamente und konnte durch regelmäßige Osteopathiebehandlungen sowohl eine stabil positive Beziehung zu ihrer Ärztin aufbauen als auch deutlich spürbare Entspannungsphasen haben. In den letzten Monaten nahmen wir sie nicht mehr mit in den Wald. Sie konnte besser ihre immergleichen Routen durch unsere Wildwiese und um das Haus machen, als zu stehen oder zu liegen oder Neues zu verarbeiten.

Sie hat bis zum Schluss auf alles reagiert. Der Border Collie in ihren Genen hat es ihr nicht ermöglicht uns „zu sagen“, dass sie so nicht mehr leben will. Ihre beste Eigenschaft, nämlich das Durchhaltevermögen, der „Und weitermachen“-Drive, wurde in ihren letzten Tagen zu etwas, das ihr nicht mehr half, sich gut zu fühlen.


Entdecke mehr von Ein Blog von Vielen

Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

2 thoughts on “NakNak*, die in meinem Leben Sookie hieß

Comments are closed.