Heilung ist nur Heilung

Ich konnte es aufschreiben, ohne davon zu träumen. Ohne mich in den Tagen danach beobachtet zu fühlen. Ohne in Wut und Ohnmacht zu ertrinken. Ohne die Bitterkeit meiner Position zu einer Süße anderer zu erklären. Mein Helferding. Mein Klapsentrauma~Ding.
Ich halte das für Heilung, selbst wenn es nur ein Trainingsergebnis aus jahrelanger Desensibilisierung sein sollte. Das muss man auch erst mal hinkriegen. Und okay damit werden. Und bleiben.

Renée drückten in der letzten Podcastepisode aus, dass ihnen dieser Ausblick fehlt. Das „nach der Therapie“, das „nach der Heilung“. Was ist denn 10 Jahre später? Und ich denke immer noch: Ja, was soll denn sein?
Soll mich 10 Jahre später noch alles daran erinnern, dass ich mal total zerstört war? Dass ich mich Stückchen für Stückchen suchen, erkennen, finden musste, nur um mich dann Jahr um Jahr zu bearbeiten, zusammenzufügen und zu ver_wachsen?
Die Gewalterfahrungen waren schlimm und haben weh getan. Meine Therapieerfahrungen erstrecken sich über mehr als die Hälfte meines Lebens und sind auch überwiegend mit (Wachstums)Schmerz und schlimmen Erkenntnissen verbunden gewesen. Heilung bedeutet für mich nicht nur selber heil, ganz, rund, okay mit meiner Lebendigkeit zu sein, sondern auch das Leben mit einer Wahl, die ich jetzt noch nicht umfassend habe. Ich muss jetzt nicht mehr über die Psychiatrie und gewaltvolle Behandler_innen schreiben oder sprechen, weil es mich quält und ich leide – ich kann das heute tun, weil es mich mal gequält hat und ich möchte, dass das niemandem mehr passiert. Wenn ich nicht daran denken möchte, dann kann ich mich dafür entscheiden, das nicht zu tun und dann funktioniert das auch. Das möchte ich über alle meine Gewalterfahrungen entscheiden können.

Heilung ist so leise. So leicht. So … einfach so.
Was soll dann sein? Was soll die Medizin, die Psychologie da diagnostizieren? Heilung ist, wo es keine Diagnose mehr gibt, die eine Wunde beschreibt oder impliziert. Da gibt es keinen Erkenntnisgewinn, keine Werkzeuge, keine Methoden. Leider. Aber auch: zum Glück.
Was ist, sind die Menschen. Die Überlebenden. Und ihre Wahl darüber zu sprechen, was 10 Jahre vorher mal war. Oder auch nicht.

Ich kann mir nicht vorstellen, wie ich in 10 Jahren über meine Erfahrungen denke. Ich hoffe, dass ich überwiegend gar nicht dran denke. Hoffe, dass andere Überlebende oder auch Erlebende nicht von mir erwarten, ständig dran zu denken oder dass ich nie aufhöre dazu zu schreiben, aufzuklären oder anfange, die Massen in Bewegung zu empören. Hoffe, dass sie verstehen, dass meine Perspektive, mit so viel Abstand, mit so viel verheilter Wunde nicht das Beispiel ist, das es braucht, um zu verändern oder zu vermitteln, wie schrecklich Psychiatrie- und Behandler_innengewalt ist. Niemand wird helfen, wenn man es auch so gut überstehen kann. Niemand wird sich verstanden fühlen, wenn es mir nicht mindestens ein bisschen genauso weh tut, wie jenen, die es gerade erfahren (haben).

Ich hoffe, dass mich meine Heilung von anderen Überlebenden entfremdet. Nicht, weil ich mich nicht mit ihnen umgeben will, sondern, weil es Gewalterfahrung ist, die uns verbindet, obwohl es so viel mehr Verbindendes im Leben gibt.

Heilung ist nur Heilung. Auch 10 Jahre danach werde ich nicht vergessen und vergeben haben. Ich werde ich sein. Ich werde leben. Und dass das ein unfassbar unwahrscheinliches Glück ist, kann ich schon jetzt fühlen und mit Bedeutung füllen. Vielleicht fehlt die Erzählung vom geheilten Leben also auch, weil darin kaum etwas anders ist als in dem Moment, in dem man merkt: Da ist etwas verheilt.


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3 thoughts on “Heilung ist nur Heilung

  1. Ich merke gerade, dass „verheilt“ ein komisches Wort ist. Mit „ver“ fangen so viele Wörter an, die ausdrücken, dass etwas Falsches passiert ist. Ich habe mich verschrieben, vertreten, vertan, versprochen, etwas verlegt oder verschusselt. In „verheilt“ ist aber nix Falsches drin. Und viele dieser Wörter aus meiner Liste da oben sind „Teekesselchen“ haben also auch eine ganz andere Bedeutung: Ich bekomme eine Arznei verschrieben, kann meine Rechte vertreten, habe Zeit vertan, mir ist etwas versprochen worden, ein Buch wird verlegt. Nur verheilt und verschusselt sind eindeutig. Komisch, oder?

  2. Danke für eure inspirierende Gedanken. In anderen Artikeln, die ich nicht mehr kommentieren kann, habt ihr über Behinderung geschrieben. Ich finde das Wort unglücklich, da es nur den Fokus auf das lenkt, was nicht da ist, was nicht geht. Eine Rankpflanze kennt wenige Hindernisse: Wird ihr nächster Wachstumsimpuls von einer Barriere gehindert, wächst sie drumherum, durch ein Gitter wächst sie durch. Sie wächst. Sie lebt.
    Wenn Menschen nicht sehen können, verfeinern sich ihre anderen Sinne, Menschen im Rollstuhl bekommen starke Arme, Menschen fernab des durchschnittlichen Seins erleben mit ihren Grenzgängen wieviel größer die Welt ist, als Menschen, die sich einzig in einem begrenzten Erfahrungsspektrum einer Normalität bewegen. Und dadurch weitet sich das Denken. Zum Beispiel.
    Doch was ist Heilung. Ist die Idee von Heilung an die Idee von Krankheit gekoppelt? Beschreibt sie das Fehlen von nichtnormativen „Störungen“? Oder ist sie das Gefühl von Frieden und Gelassenheit in Teilen des Selbsts, welches immer mehr etabliert werden kann?

    Die erwähnte Rankpflanze hat den Vorteil, dass Urteile über das Wie und Was ihres Seins keine Rolle spielen. Sie ist einfach und wächst, soweit es geht. Wir menschlich Denkenden schlagen uns mit Ideen von Bewertung herum, als ob es da reel Skalen von Gut und Schlecht, von Ab und Auf gäbe. Wie schön und beruhigend, wenn wir uns gerade im Selbstwert weiter oben befinden, wie vernichtend fühlt es sich im unteren Bereich an und wie abhängig zappeln wir doch in dieser Bewertungsidee. Wie blöd, dass sich die größten Teile unserer Gesellschaft über Einordnung in Form von Bewertungen definiert.
    Ich glaube, Heilung ist eine Art Lösen von dieser Idee, ist ein unabhängig Machen davon, so dass Raum für Neues entsteht. Neues Leben, das Freude, Liebe, Wirksamkeit und vieles mehr in den Vordergrund bringt, was das Leben schön macht.
    Die Wunden selbst, zumindest die Narben, die Erfahrungen und das entfernte Sein vom Durchschnitt werden bleiben. Es werden wohl auch die damit verbundenen Anstrengungen und die erhöhte Sensibiltität und der besondere Blick auf das Leben bleiben. Ist das gut? Ist das schlecht?
    Dafür werden in der Regel keine Anerkennung oder gar Applaus von der Masse bekommen. Einige Wenige danken Euch für die dabei entstehenden Perlen.

    1. Hallo Sandra,
      In deiner Rede kommen viele Dinge zusammen, die man nicht vergleichen kann. Ich mag nicht alles auseinandernehmen, aber das Wichtigste.

      Menschen bewerten nicht nur dichotom, um Gut von Böse zu trennen, sondern auch, um es zu erkennen und in sich zu finden. Nur mit diesem Erkennen kann man überhaupt die Grundlage für die eigene Identität entwickeln und was auch immer wie auch immer heilen.

      Und das andere ist die Rankpflanze. Menschen sind keine Pflanzen. Behinderte Menschen sind gezwungen sehr viele Anpassungsleistungen zu vollziehen, weil andere Menschen das nicht verhindern oder für völlig in Ordnung halten.
      Hindernisse sind nicht das gleiche wie Behinderungen. Die Wertschätzung des „besonderen Blicks von behinderten/kranken Menschen auf die Welt“ ist – sorry – eine Vermeidungserzählung aus dem Genre der Inspirationsausbeutung, die privilegierte Menschen einander erzählen um sich darin okay zu fühlen, dass sie nichts gegen die Behinderungen machen, mit denen andere zu kämpfen haben.

      Viele Grüße

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