Fundstücke #28

Ich hab geträumt, dass du anrufst. Endlich. Nach 10 Monaten.

Ich hab geträumt, dass du anrufst und mit mir redest und mir sagst, was passiert ist. Was zum verfickten Kackscheißhenker mit dir los war. Wieso du nach mir tretend so tun musstest, als gäbs dich gar nicht. Wieso das so wichtig war, dass es mir weh tut und dich erleichtert.

Im Traum hab ich geheult und als ich aufwachte, hab ich geheult, weil ich im Traum geheult hab. Weil das so eine klassische Situation war. Für mich, wie für dich.
Für mich, weil es einer dieser Momente war, in denen ich ganz klar gespürt habe, dass ich irgendetwas Wichtiges von einem anderen Menschen nicht bewusst gemerkt habe und irgendeinen dieser schweren Fehler gemacht habe, die mich immer wieder um Nähe zu anderen bringt.
Für dich, weil du erneut verschwunden bist. Schweigend nach einem letzten selbstschützenden Biss ins Fleisch desjenigen, der zur falschen Zeit am falschen Ort das Falsche sagt und tut oder nicht sagt und tut. Erneut und entgegen jeder Absprache.

Du weißt und wusstest, dass wir das nicht halten können. Du hast es gewusst und du hast es trotzdem gemacht und so getan, als wäre nichts. Nichts zu tun, nichts, wofür du Verantwortung zu übernehmen hättest, nichts, was dich berührt, nichts, was du mit mir, dieser Welt, diesem Sein in ihr drin, zu tun hast.

Wir haben Trauer getragen und tragen sie noch immer mit uns herum.
Sie ist nicht mehr so groß wie vor 10 Monaten. Wir denken nicht mehr oft an dich und wenn, dann als ein Jemand, das mal eine Rolle in unserem Leben gespielt hat, auf die es dann keinen Bock mehr hatte, ohne uns wenigstens die Chance zu geben, das zu verstehen. Das ist nicht schmeichelhaft und doch bin ich ziemlich sicher, wie viel lieber es dir wäre, dass wir dich hassen und nur in Schimpfworten an dich denken können.
So sind wir aber nicht. Und so waren wir auch nie.
Nicht, weil wir Mitleid mit dir haben oder dich für ein Huschi halten. Einfach nur, weil wir nicht so sind. Wir müssen niemanden hassen oder abwerten, nur, weil wir verletzt wurden und nicht verstehen. Das wäre uns ein bisschen viel Kraftaufwand für etwas, das durch ein klärendes Gespräch sortiert sein könnte.
Hass und Abwertung heben wir uns für Dinge und Menschen auf, die es erfordern gehasst und abgewertet zu werden.
Du hast das nur von uns eingefordert, damit es für dich leichter ist.

Sorry, not sorry for not doing so

Wir hielten es für wichtig, dir zu zeigen, dass dein Leben wertvoll und wichtig ist. Dass es Wirkungen erzielt, wenn du etwas tust. Dass ist, was ist, wenn du machst, dass es ist. Wir haben behalten, was von dir war.

Und jetzt habe ich von dir geträumt.
Und es ging mir schlecht. Es ging mir so schlecht, wie es mir immer schlecht geht, wenn die Sprache auf dich kommt, denn auch im Kopf von anderen Menschen bist du noch ein Teil meines Lebens. Auch im Denken anderer Menschen hat Spuren hinterlassen, was du getan hast.
Doch die Person, die damit umgeht bin ich. Nicht du.

Weil du dich verpisst hast. Weil du das kannst. Weil du deine Scheuklappen aufsetzen, dein Herz einmauern, deine Selbstzerstörung hinter verschlossenen Türen zelebrieren und sie verleugnen kannst. Weil du nicht anders kannst. Nicht anders darfst. Nicht anders willst.

Mein Trauerjahr nähert sich dem Ende.
Ich mache dich weg. Lösche dich aus meiner Umgebung. Meinem eigenen Wirken, Werden und Sein.
Ich entledige mich deiner Spuren. Weil ich das kann.

Weil ich das kann und inzwischen auch will.

In meinem Traum hast du gesagt “Ich weiß auch nicht, was da los war – irgendwie hats halt getillt.” und gelacht und ich hab mitgelacht und gedacht: “Ja, kenne ich.”. Weil ich das kenne, wie mächtig sich beschützende Innens verhärten können. Wie brachial das sein kann, weil man vor sozialen Triggern keinerlei andere Kompetenzen hat, als dem Selbst_Schutz mit treten, beißen, kaputt machen und weglaufen.
Ich hab gelacht und dieses Gefühl gehabt, dich zu umarmen, um zu vermitteln:
“Ist schon okay – ich weiß.”.
Ich weiß nicht, ob du eine Vorstellung davon hast, was das für ein Schmerz ist, wenn man dann aufwacht und merkt, dass das immer noch da ist. Diese Bereitschaft, Gewalt durch eine andere Person zu entschuldigen und dafür darauf zu verzichten, selbst getröstet und entschuldigt zu werden.
Ich hab geheult, weil mich der Schmerz getroffen hat. Weil ich gemerkt habe, wie sehr da etwas in mir darauf wartet, von dir erklärt zu bekommen, was falsch gelaufen ist. Getröstet zu werden um diesen langen Zustand des Aushaltens einer Verwirrung und Unsicherheit, die untrennbar mit dir verbunden ist.

Dich verschwinden zu lassen, bedeutet für uns nicht, diesen Trost zu erfahren. Oder eine Genugtuung. Wir morden dich nicht aus unserer Erinnerung heraus.

Aber wir lassen dich gehen und sind bereit anzuerkennen, dass wir das gewaltsame Festhalten an dem, was von dir war, gebraucht haben, weil ansonsten nichts mehr da ist.

Weil du nicht mehr da bist.