die fünfte Etappe – das Ende der Radtour 2021

Ich hatte mich überanstrengt, der Campingplatz war ein besserer Parkplatz, in der Nacht hatte es gewittert und NakNak* zitterte mir ihre Angst in den Schlaf.
Wir hatten eine Route ab Bremen Richtung zu Hause neu geplant, dann stellte sich heraus, dass man den Radplatz vorher reservieren muss. Also haben wir noch einmal umgeplant ab Minden. In der Hoffnung spätestens Mittag dort zu sein und dann die 30 Kilometer zum nächsten (einzigen) Campingplatz auf der Strecke zu schaffen.

Tja.
So ist es nicht gekommen.

In Wolfsburg hing NakNak* mit riesigen Pupillen und den ganzen Anhänger durchzitternd vor Angst mit uns im ersten Zug. Das kam daher, dass die Aufzüge auf den Bahnhöfen zu klein für die Kombination „Rad und Anhänger“ ist und wir den Anhänger vom Rad lösen – sie also allein stehen lassen mussten und dabei natürlich auch einigermaßen durchruckeln.
Den ganzen Spaß haben wir in Lehrte dann noch zwei Mal gehabt, wo uns eine Familie, eine Sportradlerin und ein Adventuredude nicht vorlassen konnten, sodass wir den Anschlusszug verpassten. Dessen Nachfolger wir dann fahren lassen mussten, weil das Rad/Mehrzweckabteil voll war. So konnten wir dann auch sehen, dass die Leute, die uns nicht vorlassen konnten, nicht etwa einen Zug erreichen mussten. Nein, die wollten einfach nur schnell aus dem Bahnhof.

In den nächsten Zug haben wir uns mehr oder weniger brutal mit reingequetscht und jeden angeschnauzt, der (absichtlich generisches Maskulinum) uns erklären wollte, wie man diese Mehrzweckabteile benutzt. Da war es Mittag. Dann standen wir die dreiviertel Stunde Fahrt also im Gang und im Klimaanlagenzug, um die Ansteckungsgefahr zu reduzieren. NakNak* – keine Ahnung – katatonisch? dissoziiert? – auf jeden Fall völlig im Eimer. Wir mit dem Magen in den Knien und viel zu dünn angezogen für diese Aktion und ohne Option sich umzuziehen.

Und in Minden angekommen hat es geregnet. Und nicht nur ein wenig, sondern so, dass es weiß und laut um uns herum war. Wir haben es zwei Kilometer aus der Stadt heraus geschafft. So konnte NakNak* wenigstens mal raus, um sich von ihrem Panikschiss zu befreien und den Stress rauszuschütteln. Aber für uns war Schluss. Das Regenradar zeigte, dass es noch den ganzen Tag weiter regnen würde und den folgenden Tag auch. Wir würden nicht mehr trocken werden und mir war schon kalt vom Zugfahren.
Wir sind nach Hause gefahren. Beziehungsweise zum nächsten Bahnhof in der Nähe von zu Hause. Irgendwas zwischen 15 und 20 Kilometer davon entfernt.

Noch eine Stunde am Gleis rumstehen und warten, eine Stunde Zug fahren und dann zwei Stunden nach Hause fahren. Bergauf, im Regen, mit Gegenwind. Zu müde um sauer zu sein, zu erschöpft für Selbstmitleid, zu enttäuscht von diesem Ende, um irgendetwas Gutes in all dem zu erkennen. Irgendwann meldete sich dann auch der Partner. Der holte uns 5 Kilometer vor unserem Zuhause ein, um NakNak* und das Gepäck mitzunehmen und eine kurze Pause im Auto zu machen.
Auf den letzten Metern hab ich geheult vor Erschöpfung. Und aus Selbsthass. Denn klar, der geht immer.

Am Abend lag ich im Bett und dachte darüber nach, ob wir, wenn sich unsere Familiengründungswünsche nicht erfüllen können – und wir auch das Nachwachshaus nicht gegründet bekommen, warum auch immer – dann vielleicht unser restliches Leben radwandern werden. Allein. Ohne NakNak*, ohne irgendwen.

Wenn wir unterwegs sind, dann fühle ich mich nicht mehr verletzt. Nicht traumatisiert, nicht krank, praktisch kaum noch behindert. Ich bin einfach da und die Welt ist mit mir auf Augenhöhe auf eine Art. Ja, da ist immer dieses Campingplatzgeschissel und immer wieder auch Nervkram wie Umleitungen oder schlechte Wege, aber das ist immer nur dann ein Problem, wenn man nur x viele Tage zum unterwegs sein hat. Wenn man den Hund noch versorgen muss und den Campingplatz als Ruheort braucht.

Ich mag es, wenn meine Haut nach etwas schmeckt, das jemand mühsam aus der Sole gepult hat. Wenn mich alle meine Gliedmaßen anschreien, statt wie sonst ich sie, um eine Verbindung herzustellen. Ich liebe es, praktisch immer nur mein Kühlwasser zu trinken und in der Folge so gut wie nie Inkontinenzunfälle zu haben. Wenn ich so wenig Zeug da habe, aus dem ich wählen muss, was ich anziehe. Wenn ich essen kann wie, was und wann ich will. Wenn ich den Kontakt zu anderen Menschen suchen statt wie sonst finden muss…

Das Radwandern ist eine lange Ausnahmesituation und deshalb etwas in dem wir uns kongruent fühlen. Die meisten Konventionen und entsprechende Erwartungen an unser Verhalten sind außer Kraft gesetzt. Wir enttäuschen niemanden, können kaum etwas falsch machen, wenn wir sind, wie wir sind und tun, was wir tun. Es ist perfekt für uns.

Aber passiert eben auch neben allem, was los ist in der Welt. Wo man vielleicht gebraucht und auch gewollt ist. Trotz allem.
Und, wo es ein Privileg ist, sich aus allem herauszuziehen, nur um das eigene Dasein gut zu finden.

3 thoughts on “die fünfte Etappe – das Ende der Radtour 2021

  1. Hey,
    Das waren ja einige Widrigkeiten. Es wäre euch was anderes gegönnt gewesen. Und sicher auch gebraucht.

    Und ja, es ist wohl ein Privileg, wenn man in die Welt sieht. Aber eure war ja auch lange nicht gut. Der Schaden den ihr davon habt (hattet) spricht mehr als dafür, dass ihr dieses Privileg haben dürft.
    Gutes Widerankommen und weitermachen.

  2. Da ich selbst unterwegs war, habe ich eure Reise verpasst. Ich werde sie „nachlesen“. Die Zeilen übers Unterwegssein kann ich unterschreiben.

    So ein Mist, dass der letzte Tag so verregnet und kalt geworden ist. Ich hoffe, dass das Gute der Reise überwiegt. Gutes Wiederankommen im Alltag. ((( )))

  3. Ach, übrigens: Das gewonnene Päckchen ist gut hier gelandet. Ich werde es nachher öffnen, gestern Nacht war ich zu müde.

    DANKE! 🙏🏼

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