die Demo

Irgendwie war ich vor einem Lautsprecher gelandet. Die Parolen dröhnten daraus hervor, direkt in meinen Bauch, durch mich hindurch. „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut“
Die Demo war klein, 450 Leute, die lokale Linke, die Regionalveganen und der gleiche Anteil Jugendlicher, der auch in meinen Schulzeiten mit dem Kommunismus flirteten. Wir liefen einmal im Kreis, hörten einer Musikerin zu, dann zwei Lokalpolitikern. Ich fuhr nach Hause und war deprimiert. Während wir auf der klammen Wiese standen und uns die Kühle die Beine hochkletterte, rieselten mir Erinnerungen an mein Kindsein mit Sorge um den Planeten und die Kinder überall in den Sinn.
An die Kassette, auf der ich meine Spendenaufrufe aufgenommen hatte und das schlechte Gewissen um jedes sorglos gegessene Essen, Wasser- und Stromverschwenden. Ob ich damals gerne demonstrieren wollte, weiß ich nicht mehr. Dass meine Gedanken darüber und mein Leiden darunter etwas war, das andere nicht geteilt haben jedoch schon. Denn die beknackten Erinnerungen, ja, die kann mein Kopf.

„… weil ihr uns die Zukunft klaut“, das höre ich heute als Erwachsene_r und finde mich hin- und hergerissen zwischen dem Anflug von Wut darüber, wie es Kinder in Deutschland überhaupt wagen können zu glauben, IHNEN würde Zukunft geklaut werden, zeigt sich doch überdeutlich, dass es Kindern aus und in anderen Teilen der Welt schon jetzt passiert – und der bitteren Erkenntnis, dass es so also möglich wurde. Das Demonstrieren und Aktivisten, das Lautwerden und Fordern – wo es etwas ist, das sie betrifft. In dem Moment, in dem der Bezug hergestellt wurde, den ich damals wie heute als unangenehm, weil unangemessen empfinde: Der zu sich selbst, der den ganzen Aktivismus zu einem Akt der Selbstfürsorge macht. Der privaten Altersvorsorge sozusagen.

Ja, ja, ich weiß, dass es vielen Aktivist_innen um die Sache geht, la li la, aber so klingt es halt nicht. So klingen weder die Propaganda noch die Reden, so klingen die Inhalte nicht und auch nicht die Visionen vom klimageschützten Leben.
Es erfordert so viel Anstrengung den eigenen CO₂-Verbrauch gering zu halten, es ist krass unentspannt antikapitalistisch, sozialistisch, kommunistisch, immer in allen Aspekten menschenrechtskonform, antisexistisch … nicht gewaltvoll und von der Ausbeutung anderer Menschen und Regionen zu leben. Es ist unsexy. Fremd, unbequem und man gewöhnt sich auch nicht schnell um. Es reicht nicht, sich zu sagen, man versuche es so gut man könne. Ausbeutung, Gewalt, die Belastung der Erde als System ist ein 1-0 Ding. Man kann es nicht „ein bisschen gut hinkriegen“ oder „ein bisschen verkacken“. Und wenn man es nur für sich selbst macht, dann ist es nichts wert. Denn niemand ist allein auf dieser Welt.

Ich wünsche niemandem meine manchmal quälenden Gedanken zum Weltuntergang und auch nicht meine Rigidität, mit der ich mich darauf einstelle, in eine Welt hineinzualtern, die aus nicht zu linderndem Elend und unverhinderbarem Leid besteht.
Aber ich wünsche mir Verständnis dafür. Vielleicht sogar Verbundenheitsgefühle über die Tragik von hunderttausenden Menschen auf der Straße für das Klima und das ganze Nichts, dass es für den Planeten zur Folge hat, während viele sagen, dass es ihnen so viel gibt.


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2 thoughts on “die Demo

  1. Diejenigen, die das Privileg haben zu wissen, haben die Pflicht zu handeln – Albert Einstein –

    Vielen herzlichen Dank für den Beitrag. Meinst du, Demos sind egoistisch?

    1. Hm, Jein.
      Sie sind oft egozentrisch motiviert und das halte ich für unangemessen.
      Aber ja, sie sind auch egoistisch, im Hinblick auf die auch persönliche Betroffenheit aller Menschen ist dies jedoch nicht nur problematisch, sondern auch logisch.
      Und wie schon im Text geschrieben: Offenbar kriegt man die Leute nur so mobilisiert.

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