das L.-Gefühl und die Erkenntnis vielleicht nie mit K. darüber reden zu können

Letzte Nacht war ich zu Hause.
In meinem vom Heuschnupfenmedikament ausgelösten Traum hatte ich mich wieder in L. einweisen lassen.
Auf die Station, in der wir etwas über ein Jahr gelebt haben.

Da war Frau R., die immer noch so weich und so unaufdringlich war. Kein Stück gealtert. Ein Pfleger wurde durch einen unserer Heutelehrer ersetzt, der ihm sehr ähnlich ist. Sonst war alles wie damals. Der holzige Kaffee-Sterilitätsgeruch, der Klingelton vom Stationstelefon. Die Enge, die Nebengeräusche, die blaue Tür mit den kleinen dicken Glasfenstern drin.

Wir waren erwachsen und trotzdem willkommen.
Und K. war auch noch da.
K., die damals schon vor uns da war und erst nach uns entlassen worden war. Mit der wir so gern in Kontakt geblieben wären, aber doch zuletzt 2004 telefonieren konnten. Und mit der wir auch in dem Traum nicht sprechen konnten, weil sie ständig umgeben von anderen Leuten war und nicht in Ruhe mit uns sein konnte.

Es war einer der Träume, die weh tun und über die man heulend aufwachen würde, wäre das Grundgefühl nicht so ein schönes. Mir wurde bewusst, dass wir dieses L.-Gefühl hatten. Dieses Zuhauseseingefühl und gleichzeitig die schon damals durchaus bewusste Bitterkeit darüber, wie abgefuckt die eigene Lage bitte ist, wenn man sich in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie zu Hause, sicher und wohl fühlt.

Ich weiß nicht, wieso ich im Traum da war. Merkte auch, wie es mir von Tag zu Tag dort schlechter ging als vorher.
Und ich weiß noch, dass ich mich zum Aufwachen entschieden hatte, weil ich nicht zulassen wollte, dieses gute Grundgefühl mit meinem Schlechtergehen zu vermischen.

Jetzt wo der Traum zu Ende ist, würde ich ihn gern nochmal zurückspulen und ihn mir Bild für Bild ansehen, um mir das L.-Gefühl in hauchdünnen Scheibchen rauszuschneiden.
Gleichzeitig bin ich kurz davor nach K. zu googlen. Ich frage mich, ob sie noch lebt und wenn ja, wie. Ich würde sie gern treffen und fragen, ob sie auch ein L.-Gefühl hat. Ob sie Frau R. manchmal auch vermisst. Ob sie heute auch weder Skip-Bo noch Phase 10 oder Uno spielen kann, ohne an den Küchentisch neben dem Stationskabuff zu denken. Ob sie noch raucht und wenn ja, ob sie manchmal noch mit Kaffee und Kippe innere Wahrheiten auf Collegeblöcke schreibt, so wie wir miteinander, egal wie kalt es draußen war. In der Raucherecke des Innenhofs, wo der Boden mit rauen Gummiplatten ausgelegt war und ein seltsames Gehgefühl machte.
Ich würde gerne wissen, ob sie sich zu Hause gefühlt hat.
Und ob sie, so wie wir heute, ein selbstgewähltes sicheres Zuhause hat.

Ich habe K.s Nachnamen vergessen.
Und meiner ist bald ein anderer.

Fundstücke #67

Ich hab geträumt, dass unser Buch falsch gedruckt würde. Dass W. uns das Buch in die Hand drückt und dann ist es ein foliiertes Softcover, Klebebindung, bunt von oben bis unten mit Worten anderer Leute darüber bedruckt.
In meinem Traum ist die soziale Awkwardness der Realität drin und es genauso unangenehm. W. lächelt uns an, denkt, wir wollten das vielleicht doch so haben und wir wissen nicht, was wir jetzt machen sollen. Lächeln oder Enttäuschung, Verwirrung, Abstoß ausdrücken.
Ich wache nicht mal davon auf, so wenig fremd ist das meiner Realität.

Auch nicht, als ich dann später zu einem ominösen Sportunterricht soll, aber da wird nur in fancy Sportkleidung abgehangen und ich vergesse ständig meine Sportsachen. Und dann nehme ich mir eine Hose vom Zaun, die eine Umstandshose ist und sie passt mir. Der Abnerv um meinen Stressspeck – sogar der ist zu normal um aufzuwachen. Ich entscheide mich gegen den Speckhass. Mein Speck ist okay, was mich nervt ist meine Unbeweglichkeit. Und dagegen können wir ja was machen.  Auch ein normaler Alltagsgedanke.

Später ist da, wo der Sportunterricht sein soll, irgendeine Berühmtheit, die trans ist und zu trans Leuten spricht und alle sind ganz aufgeregt und ich schleiche durch das Haus, das vorne in einer Großstadt und hinten auf einer texanischen Ranch mit bunten Klofliesen und stylischer Gartenbeleuchtung ist, um ein Versteck für mich zu suchen, denn niemand weiß, dass ich nicht binär und damit auch unter den Schirm des Transbegriffs passe.
Das ist dann aber doch far too alltagsfern.
Ich merke, dass ich träume, bin aber auch neugierig auf die Berühmtheit und was sie wohl so erzählt. Ich bin in dem bunte Fliesen-Klo als die Berühmtheit reinkommt und im Schlepptau viele Leute hat. Da bin ich still und mach mich unsichtbar, höre zu und bin enttäuscht, weil die Berühmtheit nur sagt: Glaub an dich selbst, born this way blablabla
Ich denke, dass ich hier nicht heulen will.

Ich entscheide aufzuwachen und als ich wach bin, will ich mich damit trösten, dass ich ja träume und entscheiden könnte zu fliegen.