Haustier.leid

NakNak* hatte sich den Fuß aufgeschliffen. Ihren kleinen verformten Krumpelfuß, mit dem alles angefangen hatte.
Erst war er geschwollen, beim Röntgen wurde die Arthrose gefunden. Sie war schon 13 Jahre alt. Klar, das Alter, ach ach.
Als ihre Rückenschmerzen stärker wurden, so stark, dass sie, die ihr Leben mit Vollgas durch Hans Dampfs Gassen gesprintet ist, nicht mehr in Bewegung sein wollte, wurde die Spondylose erkannt. Ihre Wirbelsäule verknöchert, um die nachlassende Stütze durch Bänder und Sehnen auszugleichen.

Seitdem hat NakNak* einen Pflege- und Behandlungsplan. Seit über 2 Jahren bekommt sie Medikamente, Osteopathiebehandlungen, zuweilen Physiotherapie bei der Tierärztin und die volle Krallen- und Fellbehandlung bei der Hundefriseurin.
Jetzt braucht sie mindestens einen Schuh.

Irgendwie sind wir da gelandet, wo ich in meinem Hartz-4 Leben nie hätte hinkommen können. In meinem alten Leben würde sie leiden, ihr Leben vielleicht schon vor einem oder sogar zwei Jahren zu Ende gegangen worden sein. Von meiner Armut und mir.
Jetzt informiere ich mich über Hundeschuhe, bestelle nicht nur ein Modell, sondern gleich zwei zur Anprobe. Ich bezahle knapp 100 € im Voraus und bin angeekelt von meiner Erleichterung darüber, dass ich nicht zwischen einem schlecht produzierten Fleecewobble mit Pseudopfotenaufdruck und einer Babysocke wählen muss, sondern direkt das High-End-Teil für reiche Hundehalter_innen aussuchen kann.

Es ist so unfair, wie viele Haustiere armer Leute so unter- oder mangelversorgt sind, während so viel weniger Haustiere einfach so, so umfassend versorgt und unterstützt werden können. Und natürlich, wie viele einfach nie in ihrem Leben wirklich vernünftig gehalten und gepflegt werden, ganz unabhängig vom (sozio)ökonomischen Status ihrer Halter_innen.

Anfang letzter Woche habe ich ein älteres Reel von @decolonized [Link zu Instagramprofil] gesehen, durch das ich verstanden habe, wie eng das Halten von Haustieren mit der Kolonialisierung europäischer Mächte verknüpft ist. Wie sehr es beim Halten von Haustieren insgesamt einfach nie nie nie um die Tiere ging, sondern darum, dass Menschen Angst, Hunger oder Einsamkeit hatten.
Dass wir Hunde, Katzen, (exotische) Vögel und Fische, Reptilien, zuweilen auch Wirbellose halten, ist ein so stinkendes Unrecht. Für mich kann es darüber keine Diskussion geben. Kein „Ja, aber…“, keine rhetorische Verdrehung, die es für mich irgendwie doch okay, moralisch, ethisch in Ordnung macht.

Wir Menschen kümmern uns einfach nicht genug umeinander. Deshalb sind wir uns nie genug. Es ist in uns drin, dass wir Herr über die Natur und alle ihre Formen sind und sein wollen, wie abstoßend ist das. Wie … bah.

Und jetzt sitze ich hier und warte auf den Schuh für meine kleine NakNak*, damit ihr neben Rücken und Gelenken, nicht auch noch Wunden am Fuß schmerzen.
Das ist alles einfach so eine grundlegend faule Kackscheiße. Das alles.


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4 thoughts on “Haustier.leid

  1. Das ist ein sehr unbeachtetes Thema, @rosenblätter. Ich finde es trotzdem sehr schön, dass deine Situation es zulässt zu helfen und es deinem Fellfreund hilft.
    Wie heißt denn „das High-End-Teil für reiche Hundehalter_innen aussuchen kann“? Ich wünsche Euch eine gute Zeit und einen wunderschönen Spaziergang mit dem neuen Schuhwerk.🐶

    1. Wir haben jetzt ein Mal die von Ruffwear ausgesucht und ein Mal ein günstigeres Modell, das mehr so eine Art Stoffsocke mit lederartiker Sohle ist, bestellt. Außerdem Socken von Ruffwear, weil ihr Fuß ja so verformt ist und wir den nächstgrößeren Schuh kaufen mussten. Ich hab aber zugegebenermaßen auch mit einem Paar geäugelt, das einen Reißverschluss vorne hat 🙈

  2. Haustiere halten finde ich auch schwierig. Als ich ein Kind war, hatten wir in der Familie (nicht unbedingt gleichzeitig): Wellensittiche, Zebrafinken, Fische, ein Kaninchen und eine Katze. Ich bilde mir ein, wir hätten als Kinder die Tiere gut gepflegt, aber später wollte ich kein Tier mehr halten. Ich sehe Tiere lieber in Freiheit, nicht in Gefangenschaft (wobei es sicher Gründe gibt, ein Tier zu halten – dass ich es vermeide, ist etwas Persönliches)

  3. Wir wollten immer ein Haustier und mögen es noch immer. Unsere Verantwortung für das Tier lässt uns immer wieder davon Abstand nehmen. Wir wissen, dass wir uns medizinische Versorgung im Notfall nicht leisten können. Selbst die tägliche Versorgung wäre eine starke finanzielle Belastung.

    „Wir Menschen kümmern uns einfach nicht genug umeinander. Deshalb sind wir uns nie genug.“ Wie wahr ist diese Aussage. Nur deshalb hätten wir gerne ein Tier, gegen die Einsamkeit. ….. Das ist nicht in Ordnung, deshalb werden wir vermutlich nie mit einem Haustier leben, obwohl wir wissen, dass es uns helfen würde.

    Das Allerbeste für *Naknak und euch. Schön, dass ihr eurer lieben Gefährtin diese Versorgung ermöglichen könnt.

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