Wie sie das machen, weiß ich nicht. Wie sie noch ein Mal mehr die Ärmel hochkrempeln und politische Arbeit, Diskurs und Kampfgeister beschwören können. Wie sie sich ein Mal mehr ganz offen dort positionieren, wo mit Hass und Schmerz zu rechnen ist.
Ich weiß nicht, wie sie das machen.
Ich habe den Finger auf dem Escapeknopf.
Bin froh, wenn es etwas gibt, das mich kurz- bis langfristig von der Angst ablenkt, er könne mir genommen werden. Einfach so und völlig legitimiert von Kräften, die mich berühren, aber nicht spüren.
Auf der Liste der 20 friedlichsten Länder ist Island noch vor Kanada.
Und Deutschland.
Vielleicht gehen wir da hin?
Das Land, in dem alle eine Hütte im Wald am Strand in den Bergen auf einer grünen Wiese haben und von morgens bis abends in Glückseligkeit baden, gibt es nicht. Vielleicht wäre mir das auch zu langweilig. Spätestens, wenn meine Haut vor lauter Baden über meine Muskeln knittert.
Wer kann das schon wollen – den Rest des Lebens in Glückseligkeit baden.
Während des Wahlkampfs hatte ich immer Glück mit den beiden Wandelschildern an der Hauptstraße. Alles, was ich von den riesigen AfD-Plakaten sah, war das untere Viertel, das gerade von einer Autowerbung verdrängt wurde. Ich hatte Glück, denn meine Gedanken konnten sich wie kleine Trabanten um die Frage drehen, wie umweltverträgliche Mobilität aussehen könnte.
Und gestern sah ich sie dann vollständig. Die Forderung “endlich konsequent abschieben”, die sich nicht von meinem Ekel verscheuchen und in eine Autowerbung verwandeln ließ.
“Euch konsequent abschieben”, dachte ich und schob übermäßig viel Kraft in meine Beine, auf die Pedale, in meine Fort_Bewegung.
Ich kann nicht mehr denken, wie ich denken will. Ich will denken, dass man etwas dagegen tun kann, dass Menschen so sind. So denken. So glauben. So hoffen. So leben. So werten. Ich will denken, dass man es unschädlich machen kann, wenn Leute so sind. Ich will denken, dass sie mir nichts können. Die Leute, die so sind.
Ich will so fest glauben, dass eigentlich – in Wahrheit – nichts weiter passiert ist, als dass 94 weitere Sitze im Bundestag an Stimmen und Positionen verloren sind, denen Vielfalt, Inklusion, Gleichberechtigung, Menschlichkeit und die Zukunft dieses Planeten weniger wichtig sind, als kurzfristig einen warmen Arsch zu haben.
Tatsächlich sind es aber nun einmal 94 Sitze mehr für rechte, menschenverachtende, diskriminierende Positionen, die sowieso schon im Bundestag waren.
Am Wahlabend schrieb jemand, ein Escape wie meines sei feige und unsolidarisch.
Es war eine dieser Personen, die Ableismus und Sexismus nicht für “unsolidarisch” gegenüber irgendjemandem hält. Die diskriminierungssensible Sprache für etwas hält, das man nicht einfach machen kann, weil es allgemein stören könnte.
Es gibt so viele von diesen Personen, die nicht einmal merken, wieviele Menschen in ihrem Umfeld mutig und solidarisch für andere sind, wenn sie sich mit ihnen umgeben. Wenn sie sie als etwas ertragen, das ihr ganz alltägliches Leben und Sein schwer, schmerzhaft und obendrein noch unsichtbar macht.
Ich habe keine Angst vor einem neuen Hitler.
Ich habe Angst vor Gesetzen, die mich einmal mehr daran hindern, in Freiheit und Frieden zu leben und zu sein.
Frei genug, zu sagen: “Es gibt mich. Queer, behindert, nicht heterosexuell, traumatisiert. Ich denke und fühle. Daraus entsteht mein Beitrag zu einem guten Miteinander.” und in Frieden genug, zu wissen: “Ich werde dafür nicht bestraft, diskriminiert, bedroht, als weniger wert eingestuft.”
Ich habe Angst davor, dass Hass und Gier weiter normalisiert werden, als jetzt.
Ich habe Angst davor, bald in einem Land zu leben, in dem es unnormal ist, mit liebevoller Anerkennung und Respekt auf Menschen, Tiere und die Welt zu zu gehen.
Es ist mein Finger auf dem Escapeknopf, der mich daran hindert zu verzweifeln. Daran kaputt zu gehen zu wissen, dass ich die nächsten zwei Jahre noch hier bleiben muss, um wenigstens eine minimale Chance zu haben, irgendwo anders für meinen Lebensunterhalt aufkommen zu können.
Das Wissen um meinen Notausgang gibt mir Kraft, all das fertig zu machen, was ich angefangen habe. Die Kraft niemandem ins Gesicht zu springen und zu schütteln, di_er mir sagt: “Naja aber eigentlich ist es ja nicht schlimm.” oder “Ja, naja aber wahrscheinlich zerschießen die sich sowieso.” oder “Ach die Leute werden schon sehen, dass die nichts zu bieten haben” oder “Ich bin total gegen Nazis – aber man muss ja nicht übertreiben.” oder “Also mich überrascht das jetzt nicht, war ja klar…“
Es hilft mir, es tröstet mich, es gibt mir Hoffnung von einer kleinen Wohnung in einem fremden Land, mit anderen Problemen unter anderen Bedingungen zu träumen. Zu googeln was “Mediengestaltung” auf isländisch heißt und wie teuer eine gute Internetverbindung auf der Insel ist. Ich fühle mich fähig und selbstverantwortlich.
Ich habe das Gefühl einer Wahl.
Einer echten Wahl, die zu verantworten mir vor niemandem peinlich sein muss.
Weder jetzt noch später.
Und wer das nicht nachvollziehen kann – wer nicht versteht, wie ein Leben ist, in dem sowas die einzige Wahl ist, die eine echte Chance auf persönliche Freiheit und Frieden zur Folge haben kann, di_er hat nichts verstanden.
Und vielleicht auch nichts anderes verdient, als die AfD im Bundestag.
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