Kopf —> Schreibtisch —> liegen lassen

Seit Ende Mai zieht der Satz seine Kreise in meinem Kopf.
Seit Ende Mai, halte ich mir Ohnmachtsgefühle, Hilflosigkeit und seinen Inhalt so weit raus aus mir wie es geht.

Leiser machen? HA HA HA
Kontakt zum Ursprung herstellen? HA HA HA

Ich hefte mich an äußere Dinge, so gut ich es kann. Versuche nicht vor meiner Therapeutin zu explodieren, vor meinen HelferInnen und Gemögten, wenn ich mich damit nicht verstanden fühle. Frage mich inzwischen sogar, ob ich das überhaupt noch könnte, weil mir schon die Kraft fehlt das überhaupt so zu äußern im direkten Kontakt.
Ich spüre noch den Wutfunken, aber auch die Sinnlosigkeit eines Feuers.

Jemand aus dem Innen, von dem ich noch nie gelesen oder gehört habe, formulierte in einem Schreiben, die Wichtigkeit des Verstehens, des Wissens. Der Mehrsamkeit. Den Abtrennungsschmerz.
Ich las es und wusste sofort, dass es wieder vergebens sein würde.

Wenn schon die Erklärung des zu Verstehenden unverständlich ist, dann ist es sinnlos.
Und dann wars wieder nichts mit: „Du musst es erklären- sonst kann dir keiner helfen.“
Wieder nichts mit: „Wenn dich jemand versteht, dann bist du nicht allein.“
Wieder nichts mit: „Wenn du nicht allein bist, dann wird es aushaltbar.“
Und dann, ganz am Ende, auch wieder nichts mit: „Wenn du es aushalten kannst, gehst du nicht daran kaputt. Wenn du nicht kaputt gehst, brauchst du keine Todesängste haben. Wenn du keine Todesängste hast, wird es keine weitere Spaltung im Innen geben.“.

Im Moment könnte ich darüber erstarren. Kopf —> Schreibtisch —> liegen lassen

Aber nein- Stillstand geht nicht. Nicht auch noch außen.
Schnell noch das Buch schreiben, schnell noch sinnlose Tätigkeiten ausführen, schnell noch Kontakt machen und um Himmel Willen!- der Hund, der Haushalt.
Schnell noch irgendwo suchen, was nicht zu finden ist.

Es heißt „Krise“.
Es geht auch wieder vorbei.
Aber fühlt sich verdammt nochmal so an, als würde ich sterben und niemand könnte mich wiederbeleben, weil es einfach niemand begreift.
Wir sind schon so oft auf diese Art gestorben und immer stand am Ende ein neues Innen da, das uns nach der Krise Zeit fehlen ließ. Manche haben Mechanismen in sich, die uns wieder ein Stück mehr das Leben erschweren.

Und jetzt, heute, wissen wir das alles.
Wenn etwas Schlimmes passiert ist, dann sagt man immer: „Ach hätte ich doch…“;  „Wenn ich doch nur…“; „Ich hätte doch dies und das tun können…“; „Hätte ich gewusst…“.

Ja. Ich hoffe dieser Katze schmeckt ihr Schwanz wenigstens.
Einmal im Kreis und wieder von vorn. Es ist egal, wie viel wir wissen. Es versteht immer noch niemand, der uns helfen kann.

Ich lasse jetzt heute einfach meinen Kopf liegen und hoffe, er sagt Bescheid, wenn er sich wieder eingekriegt hat.

Ebenendifferenz

Vor einer Weile zwitscherte es mich von der Seite an:

Wer die Grundlage der Lebensbedingungen eines anderen derart verkennt und auch keine Klärung zulässt, kann kein ernsthafter Gesprächspartner sein. “ (Quelle:hier )

“Wow, was für ein wahrer Satz!”, dachte ich und überlegte ihm eigens einen Dauerplatz hier einzurichten, damit ich mich immer wieder daran erinnere, was mich immer wieder aus der Bahn wirft, aber nicht allein meine Sache ist: Das Missverständnis anderer Menschen, in Bezug auf meine Lebensart und meine Lebensrealität und- was mich oft noch am meisten trifft: meine Sprache.

Ich habe großes- sehr großes Verständnis dafür, dass jemand mit mehr oder weniger intakter Fähigkeit zur Selbst- und Umwelt- Wahrnehmung, Schwierigkeiten hat, zu verstehen wie es ist, wenn diese Fähigkeit extrem eingeschränkt ist. Ja, es ist verständlich, denn was Menschen können, merken die meisten von ihnen erst dann, wenn sie es plötzlich nicht mehr oder anders oder besser können.

Das Fremdwörterbuch definiert den Begriff der Wahrnehmung als den Vorgang in dem die Sinne mittels Nervenbahnen, Reize aus der Umgebung der Menschen ins Gehirn transportieren. Das was darauf folgt nennt die Psychologie “Perzepte”, was wiederum definiert wird, als das WahrnehmungsErlebnis selbst. Diese werden mit verinnerlichen Konstrukten und/ oder Schemata abgeglichen um eingeschätzt und bewertet zu werden. (So- ich denke jetzt habe ich dann auch deutlich genug gemacht, dass ich, wenn ich Wörter benutze keine ausgedachten Definitionen verdrehe oder vermische)

Es ist, denke ich, eines der Phänomene, welches Missverständnis wachsen lässt: die Unterschiedlichkeit der Wahrnehmung, der Perzeption, der internalisierten Konstrukte und Schemata, sowie der anschließenden subjektiven Bewertung im sozio-kulturellem Kontext.

Ich beginne an der Basis: der Begriff der Wahrnehmung.
Obwohl eigentlich jeder Mensch etwas mit der ganz flachen, möglichst allgemein gültigsten Definition dessen anfangen kann und jeder weiß was gemeint, gibt es noch viele weitere Spezifizierungen und Ein-Ausgrenzungen in jeweils anderen Zusammenhängen. Solange keine Interaktion nötig wird, dient dies vor allem jenen, die sich in diesen Kontexten bewegen- nicht aber jenen, die außerhalb dessen stehen.

Bewegen sich beide Seiten aufeinander zu, wird es wichtig die Spezifikation der verwendeten Begrifflichkeiten zu lockern und allgemeiner-flacher zu verwenden. Dies wiederum verlangt eine grundsätzliche Agilität und Bereitschaft das Gegenüber auch verstehen zu wollen, bzw. verständlich zu sein.
Und dies ist ein sehr spannender Punkt, an dem ich persönlich sehr oft wünsche mehr Ausbildung meines Wissensschatzes erfahren zu haben.
Für das, was ich im Folgenden nur beschreiben und worüber ich (in erster Linie mir selbst-) erklärend mutmaßen kann, gibt es sicher bereits Namen, viele Studien und Bewertungen aus den verschiedensten Wissenschaftsbereichen. (Was zum Beispiel eine mangelnde Spezifizierung zur Folge haben kann, da ich über keine Spezialisierung verfüge und entsprechend auch keine tiefere- spezifizierende Sprache verwenden kann)

Es ist für mich so, dass ich permanent fürchte an einer Aussage festgenagelt zu werden (sehr schlau dann einen öffentlichen Blog zu führen- ja- ich weiß, aber muss jetzt mal grad aus deinem Fokus). Diese Festnagelungsangst ist eher darin begründet, dass meine Selbstwahrnehmung gestückelt ist. Es kommt häufig vor, dass mir jemand sagt: “Du hast aber gesagt…” und ich anfange mein Barbiegesicht zu machen und möglichst genauso tot und nichtssagend auszusehen, während ich versuche herauszuhören/ interpretieren/ deuten/ RATEN was mein Innenleben wann genau gesagt hat.

Ich erwarte kein Verständnis von allen meinen Gegenübern in so einer Situation. Die Menschen, die von meinen Problemen wissen, schieben ein “ich hab mich neulich noch mit… nee warst du das nicht sogar?.. über XY unterhalten und da….” dazwischen.
Die Bekannten und Fremden wissen es nicht und der einzige Vorwurf der vielleicht eventuell an manchen Stellen berechtigt sein könnte, ist der, dass sie nicht über ihre Worte und ihre Aussagen reflektieren. Sie sind nicht dazu gezwungen im Alltag und ich fordere es in der Regel nicht ein, ein bisschen Rücksicht zu nehmen.
Bekannte und Fremde mögen für sich eine grobe Vorstellung von DIS haben, doch sie haben sie nicht Bezug zu mir. Sie haben keine Kenntnis von meiner Art wahrzunehmen und können ergo in den meisten Fällen keine Gespräche mit gegenseitigem „Rundum-Verständnis“ führen.

Einmal abgesehen davon, dass es niemals und unter keinen Umständen die komplette Kongruenz der jeweilig subjektiven Wahrnehmung gibt, da jedes Gehirn die Gewichtung der Reize, die auf es einwirken, unterschiedlich vornimmt und ebenso unterschiedlich dissoziiert und wiederum anders assoziiert (Stichwort: internalisierte Schemata etc.), sollte diese Hoffnung vom Gegenüber wirklich verstanden zu werden, wohl immer mehr Antrieb als real möglich zu befriedigendes Bedürfnis sein.

Und da ist der Punkt: der Antrieb zur Kommunikation. Die Intension meines Gegenübers.
Ich bin als Mensch in einer Umgebung aufgewachsen in der es überlebensnotwendig war, jede Intension des Gegenübers punktgenau zu treffen. Dies bezog sowohl eine genaue Beobachtung des Menschen vor mir ein, sowie eine absolut perfekte Beobachtung meiner Umgebung und der Situation als solcher.
Etwas bei dem ich früher wie heute allerdings gehandicapt bin, ist die Wahrnehmung der Gesamtsituation in einem zeitlich globalen Rahmen.
Ich weiß, dass ich meine Eltern niemals korrekt einschätzen konnte, weil mir ständig Zeit fehlte. Die einzige Konstante für mich als Innen dieses Einsmenschen „C. Rosenblatt“, war: „Erkläre (eigentlich aber: Rechtfertige) dich vor mir!“
Für mich hieß das: „Saug dir möglichst etwas aus den Fingern, dass so gut wie nur irgend möglich mit dem übereinstimmt, wovon du keine Ahnung hast.“. Ich versuchte aus dem was sie mir sagten herauszuhören/ zu interpretieren/ zu deuten/ zu RATEN einen Rückschluss zu ziehen und ihnen unter Abgleichung an meine mir vorliegenden Informationen und (Körper-) Gefühle, Rede und Antwort zu stehen.

Meine Eltern haben eine Art der Kommunikation betrieben, unter der ich niemals gewinnen konnte. Doch meine Intension sie verstehen zu lassen, in dem ich mich (oder div. Umstände) erkläre, war immer da. Warum?
Weil sie in anderen Zusammenhängen so perfekt funktionierte.

Ich habe es immer geschafft andere Menschen auf ihre Worte und Formulierungen festzunageln, weil ich sie mir genau eingeprägt habe; Dinge und Situationen genauestens beobachtet und wie ein Radar feinsten Sensoren abgescannt habe. Andere Menschen (mit niedrigerem Erregungslevel- [Sidestep- meine Art die Umwelt aufzunehmen fußt auf dem sog. „Hyperarousal„: mein Adrenalinstatus ist sehr oder weniger regelmäßig so hoch, dass mein Gehirn auch tatsächlich jede Kleinigkeit aufnimmt, um meinen vermeintlichen Überlebenskampf zu sichern] ) tun dies nicht. Einmal, weil sie nicht so wie ich, gelernt haben zu kommunizieren und einmal, weil sie sich eben nicht chronisch im Hyperarousel befinden, gehen sie Kontakt mit anderen Menschen.
Ihre Basis ist eine Andere. Auch ohne, dass wir auch nur ein Wort gewechselt haben.

Aus dieser Ebenendifferenz heraus zu kommunizieren erfordert also (im günstigsten Fall) eine beiderseitige Anpassung und mindestens die gleiche Basisintension.
Doch wie erreichen?

Ich rede gern mit Therapeuten, weil sie es in der Regel schaffen, mir ein Umfeld zu generieren in dem ich aus rechtlich festgelegten Gründen nicht mit einer direkten Versehrung zu rechnen haben darf. Ergo schaltet mein Metabolismus eine Stufe herunter und ermöglicht so einen Austausch der sowohl fehlerhaft (da nicht gesamtglobal), als auch trotzdem als richtig im Sinne von wahr und glaubhaft gilt.

Im außertherapeutischen Kontext bin ich es selbst, die sich ein Umfeld schaffen muss, in dem diese Erregung nicht nötig ist. Dies gelingt mir in der Regel, wenn ich offen sagen kann, dass ich nicht über alle für diesen Austausch nötigen Informationen verfüge und sich dies nicht bessert, wenn die Anforderung an mich gestellt wird, diese zu haben.
Dieser Umstand erfordert allerdings von meinem Gegenüber eine grundlegende Haltung von Interesse und Empathie. Bleibt dies aus, gibt es ein Gespräch, dass für mein Gehirn einen weiterführenden Überlebenskampf bedeutet.

Und es ist ein Überleben, auch wenn mein physisches Wohlergehen nicht direkt gefährdet ist.

Dies ist eine wichtige Basis, die leider oft vernachlässigt wird.
Große Erregung erfordert große Kräfte.
Diese Kräfte bringt der menschliche Körper immer wieder auf- egal wie geschwächt er als solcher ist. Die Defizite treten an anderer Stelle auf und bedienen eine Dysfunktionalität in verschiedenen Bereichen.
Sei es körperliche Aktivität oder auch die Fähigkeit Zusammenhänge mittels Sprache abzuflachen, um sie verständlich zu machen. Auch die Fähigkeit sich emotional-empathisch auf das Gegenüber einzulassen, wird beeinträchtigt.

Und hier schließt sich der Kreis.
Je mehr dieser Gespräche geschehen- je mehr ich davon am Tag erlebe- desto geschwächter bin ich als Gesamtperson. Die Anpassung an solche Umstände heißt in meinem Fall, dass es vermehrte Wechsel zu anderen Innens gibt, die ihre Gesprächspartner zu „Vermeidungstänzen“ verführen bzw. selbst vermeidend kommunizieren. Es entsteht nach außen der Eindruck, dass es zum Beispiel keine Probleme, Sorgen, Nöte, Konflikte gibt.

Dies ist etwas, dass uns in der Betreuung durch Sozialarbeiter (und auch während Aufenthalten in div. Kliniken) mehr oder weniger um Hilfen gebracht hat. Ab einem Zeitpunkt ist eine Überlastung nicht mehr kommunizierbar (da genau diese gerade durch dissoziative Bewältigungsmuster kompensiert wird) und entsprechend nicht mehr erfassbar für das Gegenüber.
Es sei denn da ist jemand, der genau diese Lebensrealität und genau diese Umstände genau verstanden hat und für sich immer präsent hat.

Die Bereitschaft zu diesem selbstständig immer wieder bewusst gemachten Wissen, hängt allerdings komplett an den Menschen selbst. Für mich bedeutet dies eine Abhängigkeit par excellance- früher wie heute- , dass mir das Gegenüber auf irgendeiner Ebene seiner persönlichen Haltung wohlgesonnen meiner Person gegenüber steht. Ist er es nicht, ist es kein als sicher wahrgenommener Kontakt und ergo niemand mit dem ich mich auf einer verständnisbringenden Ebene austauchen kann. Und dies bedeutet in jedem Arbeitsverhältnis (sei es in einer Betreuung oder in einem therapeutischen Kontext), verschwendete Ressource die eigentlich zu „Hilfe“ gewandelt werden soll.

Dieser Artikel hat keinen Schluss.
Vielleicht nur ein Ende, an dem steht, was für viele BetreuerInnen, HelferInnen und auch TherapeutInnen zu beachten sein kann, wenn sie es mit Menschen zu tun haben, die (komplex) traumatisiert wurden.

beobachtete Flucht

Es ist eine Schwärze, die sich nicht zwischen Samt und Unendlichkeit entscheiden kann.
Es ist eine Kälte, die nicht weiß, ob sie beißen oder stechen soll.
Es sind Schritte eines Kindes im Körper eines Erwachsenen.

Es ist Angst im Heute vor etwas Gestrigem.
Es ist immer die gleiche Frequenz, immer der gleiche Satz, immer der gleiche Ton.

Ein blitzschneller Zug des Schlüssels aus dem Schloss, ein Aufreißen und hinter sich zuschlagen.
Abschließen. Einschließen. Wegschließen.
Und dann jeden Treppenabsatz im Ganzen runterspringen.
So schnell wie es nur geht.

Ein Rasen.200888_web_R_K_B_by_tom-sawyer_pixelio.de
Ein Rennen.
Ein Laufen.
Ein Joggen.
Ein schnelles Gehen.
Ein Schritt nach dem Anderen.
Ein mechanisches Traben.
Ein Vorwärtsschleppen.

Bis zu dem Moment in dem Raum genug für das fragende Innen ist.
„Weißt du eigentlich, wo du bist?“
Dann erst kommt die Angst, die sie sterben lässt.

Sie ist 8 und sah ihren Besitzer.

Ich bin 27 und sehe das Ortschild einer Stadt ca. 24km von meiner Wohnung entfernt.

Familie mit Sonderzeichen

“Hannah, darf ich dich was fragen?”
Wir sitzen am Küchentisch und trinken Kaffee. Draußen schneit es leicht, die Kinder liegen flach für einen Mittagsschlaf und Hannes liest im Wohnzimmer. Eva sitzt mir gegenüber und schaut mich an.
Ich nicke, obwohl ich schon spüre, wie sich mein Rücken verhärtet und sich seine Panzerstacheln hervorschieben. Mir wird schlecht, die gelöste Ruhe und das Gefühl in einer sicheren Hütte, in einer Schneekugel zu sitzen, verdünnen sich.
”Was ist mit deiner Familie? Du bist immer so allein, das geht doch nicht. Was ist passiert?”, sie schaut mich freundlich an.
Und sie hat keine Ahnung.

Als wir in das Leben von Eva und Hannes eintraten, ging es um die Religion. Austausch, Fragen und einfach das Wissen, dass der Shabbat für uns nicht immer so ein Trauerspiel sein muss, sondern auch in Gemeinschaft sein kann, wenn wir und sie es möchten. Nun, nach mehr als einem Jahr in dem wir sie besuchen und mehr als 4 Jahren die wir uns allgemein kennen, geht es auch um Gemeinsamkeit. Langsam kommen diese Fragen.
Hannah, was ist mit deiner Familie?
Hannah, warum trägst du im Sommer lange Sachen?
Hannah, warum hast du keine Arbeit?
Hannah, warum hast du noch keinen Freund und Kinderlein?
Hannah…

Sie wissen nicht einmal wie der Körper wirklich heißt.

Wir sind nicht planvoll so bedeckt und glatt. Es dauerte eine Weile, bis alle von uns überhaupt von dem Kontakt wussten, dann dauerte es eine Weile, bis wir die Familie als “okay” eingestuft hatten, dann dauerte es eine Weile, bis wir diese Einstufung genug überprüft hatten und schwupp waren 3 einhalb Jahre um.
Wir blieben bei dem Namen, weil der Körper irgendwann tatsächlich so heißen soll, wozu also sagen, dass er jetzt noch anders heißt.
Wir blieben zum Thema Sommersachen religiöser als wir wirklich sind und können bis heute, ohne zu lügen, dem Arbeitsamt und der Wirtschaftslage die Schuld an unserer Arbeitslosigkeit geben. Das Thema Freund und Kinderlein, bekam man auch ganz einfach mit einem schüchternen Lächeln vom Tisch geschubst…

Nur die Familie…
Unsere Familie ist eine Familie*. Familie mit Sonderzeichen.
Die meisten von uns halten die Mutterfrau und den Vatermann nicht für die eigenen Eltern. Deren eigener familiärer Hintergrund ist mehr oder weniger undurchsichtig und schlichtweg kaum bzw. gar nicht mit der Lebensrealität, unserer Familie* verwoben. Ich weiß, dass wir vor ein paar Jahren einen mit uns verwandten Menschen getroffen haben und das erst bewusst gemerkt hatten, als die Begegnung schon vorbei war.
Es ist keine Familie die große Feiern machen kann, wie Eva und Hannes. Die beiden machen “Pieps” und sofort kommen alle aus allen Himmelsrichtungen zusammen. Feiern sind ein toller Anlass mit Kindern und Enkeln, Schulabschlüssen, beruflichen Erfolgen und Momenten der Freude zu prahlen und sie miteinander zu teilen. Genauso auch wie Schicksalsschläge zu betrauern und Streitigkeiten auf Tapet zu bringen. Hier wird alles irgendwie richtig ausexerziert.
Es ist klar: “Tante Elfriede hat ihr zweites Kind bekommen”, also wird es begrüßt und das Thema “Elfriedes Jüngste” reiht sich nahtlos in die Gespräche am Feiertagsesstisch ein.

In unserer Familie* war eine Beerdigung das größte Zusammenkommen, das ich erinnere und was dort geredet wurde, hatte nichts Persönliches. Als man sich trennte, verwandelten sich die Menschen. Wechselmenschen. Nicht “Eltern”.
Die Wechselmenschen quetschen einen aus, wenn man mit Fremden geredet hat. Und fremd ist jeder- außer ihnen.

Hier erleben wir, dass die Kinder von allein erzählen, was sie mit den Menschen gesprochen haben. Egal, ob mit Fremden oder Bekannten oder Freunden. Sie haben keine Wechselmenschen. Sie kennen keine Strafen für Begegnungen und ausgetauschte Worte. Sie haben Eltern.

Hier, in dieser bunten Familie ist so vieles anders als bei uns früher, dass es uns Angst macht.
Manches Mal ist es zu viel Freiheit, dann schweben wir regelrecht frei herum und sind dankbar über das drakonische Korsett der inneren Familie*. Auch wenn es weh tut- dieser Schmerz ist bekannt und ein fester Punkt. Sehr beruhigend sich dann immer wieder vor Augen zu halten, dass wir nicht dazu gehören. Dass wir anders sind.
Dass wir Teil der Familie* sind- nicht der Familie um Eva und Hannes.

Doch das stimmt so ja eigentlich nicht mehr.
Seit vielen Jahren leben wir physisch nicht mehr in der Familie*. Seit Jahren ist klar, dass wir auch nie wieder zu ihr zurück gehen können. Dass wir nie wieder ganz zu ihr gehören werden.
Es ist klar, dass wir eine Vollwaise sind. Ein erwachsenes Waisenkind.
Wir bezeichnen unsere Gemögten als Eltern im Geiste. Ohne sie als Eltern zu wollen oder von ihnen zu verlangen sich so zu verhalten. Sie geben uns durch ihr Sein schon absolut genug von dem was wir brauchen- und oft genug ist selbst das schon zu viel.

“Ich bin eine Art erwachsenes Waisenkind, Eva. Sowas passiert. Es ist nicht schlimm.”
Eva weiß nicht, was für ein Minenfeld vor ihr liegt. Sie weiß nicht, dass jede ihrer liebevollen Berührungen- die Umarmungen- die ganze höfliche Rücksicht- das “uns einfach Sein lassen”, uns von innen der direkten Strafe zuführt. Uns in schwere Loyalitätskonflikte bringt. Sie fast zur Mutter von vielen weiteren Kindern zu werden droht. Sie zur Bedrohung der inneren Familie* wird.

Sie spürt, dass wir zum Brett werden, zum Panzerstachelrücken. Mehr als einmal hat sie sich bei mir entschuldigt, weil sie ein Kleines von uns verschreckt angestarrt hatte.
Die beiden sind nicht dumm. Sie spüren, dass da bei uns was ist und haben doch nie gedrängt. Das ist einer der wichtigsten Gründe, weshalb wir immer noch mit ihnen sind.

Wir wissen, es würde immer mehr kommen. Immer mehr Fragen. Immer mehr Verständniswunsch. Immer mehr Gemeinsamkeit.
Immer mehr Familie°.

Familie mit anderem Sonderzeichen. Ohne Strafen. Ohne Korsett. Mit gelebtem Glauben aus dem tiefsten inneren Bunker. Ohne Wechselmenschen. Ohne Blutsbande.

Familie, die uns nicht zusteht.
Vielleicht nur jetzt noch nicht. Vielleicht aber auch niemals.

“Doch schlimm! Familie ist wichtig. Familie ist was du hast, wenn du nichts mehr hast. Verstehst du? Hast du niemand, hast du uns, ja?”, sie greift über den Tisch, legt ihre Hand auf meine und drückt sachte zu. 554351_web_R_B_by_CIS_pixelio.de

Ich spüre wie sich ein Stachel in meinen Handteller bohrt und mein Sein unter  der Berührung zerfällt. Mein Blickfeld verengt sich und ich entschwebe. Gerade noch spüre ich, das Lächeln des Gesichtes und höre jemanden sie fragen, was noch für die anderen Gäste hergerichtet werden muss

Ja, liebe Eva.
Wenn wir die Familie* mal nicht mehr haben, dann haben wir euch.
Familie mit anderem Sonderzeichen.

mit oder ohne Betäubung?

Ich mag es, wenn mich meine Zahnärztin das fragt.

Die Welt fragt das nicht und an Tagen wie diesen heute überlege ich, ob es die Möglichkeit der Dauernarkose für Menschen Dachschaden gibt. Sofort antwortet ein Stimmchen: “haha Ja klar- die Psychiatrie oder all den anderen Mist, den wir schon durch haben!”.

Ach man, ja.
Abschießen geht nicht. Abschießen lassen geht auch nicht. Abschießen wünschen ist auch eigentlich schon wieder feige und was bleibt? Aushalten. Spalten und sich darüber noch vorhalten schwach und unfähig zu sein. Großartig.
Das ist wie geradeaus mit Volldampf losfahren und erst in der Kurve drüber nachdenken, wo der Schwerpunkt seiner Karre sitzt.

Ich erwähnte es hier nicht, weils mir peinlich war- jetzt ist es mir egal und ich mache einen Überblick… oder besser gesagt- einen Ein und Ausblick.

Unsere Therapeutin hat 4 Wochen Urlaub- ist grundsätzlich okay- wir brauchen wache Helfer.
(Und eigentlich fehlt mir ja nichts- hey ist doch die Chance Urlaub von dem Theater mit dem Dauerstück “DIS- wie sie das Leben schuf”, zu schaffen! Und egal was das Problem für das Rumtheatern ist, es wird mir nicht schaden, einfach mal die Klappe zu meinen Kopfvorgängen zu halten…)

Aber 4 Wochen sind lang. Die Erste geht immer noch. Die EKG-Linie ist leicht wellig- wie sie soll- eventuelle Abweichungen sind einfach zu beheben, in dem man die Elektroden verschiebt bzw die Pflaster austauscht. In der zweiten Woche zeigen sich schon eindeutig pathologische Kringel in den Wellen- aber der Rhythmus ist gleichbleibend, weshalb man zwar mit dem Kardiologen spricht, sich aber doch erstmal für Sport und gesunde Ernährung entscheidet, statt zu Medis zu greifen.

Nun sind wir in der zwei-einhalbsten Woche und ich glaub, ich hatte einen Miniinfarkt. Das ist seltsam- kam der doch sonst immer erst nach der 3ten Woche. Aber halt- nein- das denke ich ja immer! Und dann stellt sich heraus, dass es nur ein “infarktähnliches Ereignis” war. Gut, also zurücklehnen und darüber nachdenken, wie man das Ende durch Herztod abwenden kann.

Hm… tja… und nu?
Mit Betäubung oder ohne Frau Rosenblatt?
”Mit! Mit!” schreie ich natürlich als Erste- um dann, wenn die ersten Wirkungen eintreten, entsetzt über das zu sein, was mir (inzwischen) hochbewusst nach und nach flöten geht. Körpergefühl zum Beispiel. Die Fähigkeit zu fühlen, ob mein Körper Anzeichen von Panik zeigt und wann das absolute Limit für Aktivität erreicht ist, das Durstgefühl muss plötzlich wieder nach Zeitplan und Mengenliste eingeschätzt werden. Das innere Echolot hängt, statt wie sonst 3 Meter, nur noch 1 Meter tief.

Wir haben mit unserer Therapeutin eine Gewichts- Ess-verbindliche Vereinbarung über die Therapie bei ihr getroffen. Das ist auch etwas Gutes… ganz grundsätzlich. Aber nach dem letzten Urlaub war ein spontaner Kommentar: “Sie haben abgenommen.”
Paff Anxiety fläzte sich von links nach recht und grunzte gleich wieder nach mehr. Madame Essstörung allerdings auszuhungern war schwer (und ist es jeden Tag). Gleichzeitig die BÄÄÄMs im Nacken und Peng: der innerpsychisch beschissenste Knebel innerhalb der SVV-Blüte die unseren Alltag sowohl bestimmt als auch reguliert.

Für alle die hier zum ersten Mal lesen: Hier gilt: entweder essen oder schlafen- beides gleichzeitig gibts nicht, da die dritte im Bunde die schwere Selbstverletzung (im Sinn der akuten Schädigung von Körperoberfläche) wäre, was wiederum komplett unterlassen sein soll- Ergo eiern wir seit Monaten zwischen Hungern und Ausschlafen herum, was wiederum bedeutet: Um Anxiety nicht zu füttern (weil wir ja nicht weiter abnehmen wollen und um den Platz nicht zu gefährden) durch potenzielle Ansage von Außen, sollte gegessen werden, was zwangsläufig zu was führt? Richtig: systematischer (und “selbst herbei geführter”) Schlafentzug, der ab einem bestimmten Zeitpunkt einfach nur unaushaltbar ist (und damit eigentlich schon die Selbstverletzung gebiert).

Jetzt ist es nicht so, dass wir tagelang wach durch die Gegend springen- wer schon mal mehr als 24 Stunden durchgehalten hat weiß, dass das gar nicht mehr wirklich möglich ist. Aber es ist auch nicht so, dass ich mich ins Bett lege und einfach nicht schlafen will oder kann oder “es unmöglich mache”. Ich mache es mir gut, sage immer wieder, dass es darf, es geht, es darf, es geht … und das mache ich so lange, bis ich plötzlich wieder “wach” werde. Ich weiß nicht, wie man diesen Zustand nennt (und jetzt komm mir bitte keiner mit “Dissoziation”), aber das ist die Art wie wir gerade “schlafen”. Und zwar in jeweils 2-3 Stunden Intervallen. 2-3 Stunden wach und aktiv (so es noch geht) und dann liegen, ruhen- mit offenen Augen ausgeschaltet sein für eine gewisse Zeit.

Um dann direkt vollgeBÄÄÄMt zu werden, ob der Unfähigkeit, der Inkonsequenz und so weiter.

Ob die Betäubung durch eine Notfallmedikation helfen würde? Ja sicher. Durchgängig und erst wieder beendet, wenn jemand da ist der mich dann auffängt- klar- bin ich dabei! Ich mag Betäubung- oh jaaaa bitte nichts mehr  mitkriegen von dem Mist hier, oh yes- keine Chance mehr für meinen Kopf irgendwas gruseliges, peinliches, abartiges, verbotenes, unpassendes SCHLIMMES (das K. Rosenblatt-sche “schlimm” betreffend), zu tun, für das ich die Verantwortung tragen muss, obwohl mir alles drum rum unklar ist.. haaach wie verlockend der Eintritt in den Nebel, der mich von dem ganzen Schweren trennt…

Und was dann? Wie würde unser Blog hier wieder aussehen?
Was würde aus NakNak* werden? (Ein Bordermisch auf Bewegungsentzug- das ist so spaßig wie ein Gummitwist als Leine für nen Mastiff mit Schaum vorm Maul)
Würden wir dann essen?
Würden wir noch irgendwas tun, was unsere minikleine Bubble erweitert?
Würden wir dann besser leben als jetzt?
Würde das auch nur irgendjemand (der nicht gerade Geld mit der Herstellung dieser Mittel verdient), auf die Idee kommen so einen Zustand noch “Leben” zu nennen?

Toll, die typischen Fragen und Schleifen aus der zwei-einhalbsten Woche.
Es ist klar, dass ich das wieder nicht so gehändelt kriege, wie ich das eigentlich, nach all den Jahren können sollte.
Es geht nun weiter mit der Unterwanderung der Gedanken, die man sich zur Therapeutin macht (sie ist nicht echt, sie spielt, sie will dir nur weh tun, sie hat Spaß an Wissenschaft- du bist nur ihr Kaninchen, sie kann dir nicht helfen, sie findet dich eklig und lässt dich nur da sein, damit sie sich toll fühlt, warte nur ab- wenn sie wieder da ist und da sitzt dann… ) und endet dort, wo ich fest davon überzeugt bin, dass ich die Therapie jetzt sofort beenden muss, weil ich eh ein hoffnungsloser Fall bin, weils ich eh nie lernen  werde, weil weil weil weil EH

EH, Sowieso und überhaupt und ganz grundsätzlich- bin ich ja doch scheiße und es nicht wert überhaupt zu sein. So. (Ja traurig- SO abhängig bin ich davon mehr oder weniger regelmäßig vermittelt zu kriegen, dass ich nicht scheiße bin und es Hoffnung auf ein Heilwerden gibt)
Damit endet die dritte Woche. 124787_web_R_K_by_Karin Schmidt_pixelio.de

Und dann- eigentlich kurz vor Schluss- wo ich eigentlich Zeit damit verbringen könnte, einen Countdown zu haben und mir zu überlegen, wie ein sinniger Wiedereinstieg aussehen kann (es gibt Innens die sich sagen, dass unsere HelferInnen sterben, wenn sie weg (unerreichbar) sind) – bin ich nicht mehr da.

Gestorben an einem Miniinfarkt.
Abgetrennt von der allgemeinen Wahrnehmungs-Bewusstseinsversorgung, bis ein Stant, bestehend aus Versicherung der Rückkehr, Überprüfung des Verhältnisses, Kommunikation dieses Umstandes gelegt ist, der mich wieder mit mir selbst versorgt.

Oh Wunder was Oh Wunder wei
Eigentlich ja cool, dass ich meinen inneren Tod vorhersehen kann. Doch das ist ja allgemein immer die Krux: nur weil mans vorher weiß, heißt das nicht, dass man es auch verhindern kann.
Und in Bezug auf diese Kiste hier, habe ich schlicht keine Chance. Ich werde wieder einknicken, wieder die BÄÄÄMs gewinnen lassen und wieder unempfänglich für was auch immer dann von Außen kommt sein.

Ich hoffe wirklich, wir schaffen es irgendwie, unser eigenes dunkelbuntes Imperium heller zu machen. Diese inneren Tode sind wirklich schlimm, denn sie betreffen nicht nur mich als einzelnen von Vielen hier.

Und nur weil Reanimation in der Regel klappt, heißt es nicht, dass ich mich nicht doch auch sofort wieder danach verzehre, gefragt zu werden: “Mit oder ohne Betäubung?”, weil mir das Bewusstsein, mein Da- Sein und das Leben selbst direkt wieder unglaublich schmerzhaft vorkommt.