Zweifel

Es begann mit dem Zeitungsartikel, in dem vom Insektensterben berichtet wurde.
Heute gibt es 75% weniger Insekten im Vergleich zu einem Zeitraum, der noch gar nicht so lange her ist.

Es ging weiter mit Artikeln zum Klimawandel. Nicht als “könnte eventuell vielleicht”-Blablabla, wie ich es als Jugendliche in den 2000ern noch lesen durfte, sondern als “HALLO WERDET AKTIV”- Ausrufezeichen mitten in meine Gefühle der Ohnmacht.
Dazu kam ein Atomstörfall in Russland, eine Regierung, die es gar nicht gibt, weil – ja warum eigentlich? Haben die Leute da vergessen, dass sie mit einem Job beauftragt wurden, oder was? – Puerto Rico hat noch immer keinen Strom überall, Flint kein sauberes Wasser, ständig brennt eine Unterkunft für Geflüchtete und immer noch gibt es Menschen, die anderen Menschen grundlegende Rechte nicht zugestehen wollen.

Ich saß unserer Therapeutin gegenüber und versuchte mich auszudrücken, obwohl ich gleichzeitig von der inneren Gewissheit eingenommen war, dass es sinnlos sein würde, darüber zu sprechen.
Mein Angefasstsein von solchen Dingen gehört einfach in mein kleines Kämmerlein, weil drüber heulen nur genau dort Sinn hat. Außerhalb dessen muss man den Arsch hoch kriegen, weiter machen, immer wieder ansprechen, bewusst machen, wo Verschwendung passiert und wie es anders besser funktionieren könnte sollte müsste.
Müllvermeidung, aufhören Tiere zu essen, Bus- und Bahn statt Auto fahren, solidarisch sein und bleiben, Gefallenen beim Aufstehen helfen – immer weiter immer weiter machen. Nicht aufhören, nicht ergeben, nicht fallen lassen, denn irgendwann bleibt man liegen und wofür hat mans dann überhaupt je gemacht?

Seit dem Klinikding, denke ich dauernd, ich müsse meine Motivationen und Gedanken rechtfertigen. Muss unterstreichen, dass ich wirklich und in echt nicht meinetwegen darüber verzweifle, nicht mehr tun zu können, als meinen Müll zu vermeiden, nachhaltig gewirtschaftet zu konsumieren und andere Leute damit zu nerven, dass sie die x-te Petition gegen Regenwaldzerstörung, Ölbohrungen im Meer, Monsanto und Glyphosat unterstützen sollen.
Jedes Mal drehe ich mich aus dem Gefühl nicht ernst genommen zu werden, weil man sich meine Worte zurechtdreht und in ihrer Wichtigkeit abtut. Jedes Mal unterdrücke ich den Wunsch Leute zu schütteln oder anzuheulen, wenn sie mir sagen, dass das doch eh alles gar nicht reicht oder genug ist. Noch mehr, wenn sie mir in ankumpelnden Ton sagen, sie halten Weltverbesserer für selbstsüchtige Gutmenschen und würden deshalb extra einfach gar nichts verändern.

Jedes Mal, wenn wieder sowas war und ich am Ende doch wieder in meinem Kämmerlein darüber heule, denke ich, dass das eigentlich alles ist, was das mit mir zu tun hat: dass es mich fertig macht und so viele andere nicht.
Vielleicht, eventuell, denn was weiß ich über die Kämmerlein anderer Leute.

Während der Therapiestunde kam noch eine weitere Komponente für mich über uns dazu.
Nämlich die des Dramas von Menschen, die an Dinge glauben und deshalb Dinge tun. Auch in anderen Kontexten.

Es ist ein Thema von uns, Dinge dafür zu tun oder wollen oder zu machen, weil wir davon überzeugt sind, dass sie das Richtige und Wichtige sind, um die Welt zu einem guten Ort für alles und alle zu machen. Dafür mache ich heute viel und dafür haben andere Innens früher viele Dinge getan. Und: an sich tun lassen.
Und zwar nicht, um selbst etwas davon zu haben oder deshalb für sich einzufordern, sondern, weil man ihnen sagte, dass es um den Fortbestand der Welt als eine bessere geht.

Natürlich kann man sich der Erzählung vom Sozialmärchen des Altruismus und der Selbstlosigkeit hingeben. Kann zynisch auf Gruppen wie die, in der wir über_gelebt haben schauen und sehen: “Ja ha genauso läuft das nämlich – mächtige Leute bringen dumme kleine Würstchen dazu zu denken, sie würden etwas für ein höheres Wohl tun, aber in Wahrheit…”
Man kann sich aber natürlich aber auch fragen, warum man selbst kein solches “höheres Wohl” im Kopf hat. Warum man so bereitwillig aufgibt, daran zu glauben, dass es mehr geben kann, als Unterdrückung, Zerstörung und Überlebenskampf. Oder warum man auf Menschen herabschaut, die das nicht tun.

Man kann sich fragen, warum manche Menschen so viel bereitwilliger Verantwortung für den Bockmist anderer einstehen und sich bemühen, Dinge besser zu machen und manche nicht. Warum manche Menschen im Grunde die ganze Zeit damit beschäftigt sind, sich nicht einzumischen, über Macher_innen zu lästern und selbst nichts anderes als Eskapismus zu zelebrieren und warum das für manch andere die schlimmste Form der Kapitulation vor den herrschenden Verhältnissen ist. (Selbst dann, wenn man erkannt hat, dass Eskapismus als solcher auch eine Protestform sein kann!)

Nach der Sitzung schrieb ich bei Twitter, dass ich festgestellt hatte, dass für mich die Apokalypse schon da ist.
Und zwar nicht, weil ich denke, dass jetzt schon alles kaputt ist, sondern weil ich bemerkt hatte, dass ich dieser unserer Gesellschaft nicht (mehr) zutraue, dass sie den Arsch hochkriegt, weil sie begreift, was hier gerade jetzt in dieser unserer gemeinsamen Lebenszeit passiert.
Zu einfach ist es, die Tage mit Dingen zu verbringen, die unser Klima negativ beeinflussen und Ausbeutung fördern, ohne es überhaupt zu bemerken. Zu leicht ist es, sich selbst nicht als Teil dessen zu empfinden, was alles krepiert, wenn Flora und Fauna, Klima und Planet abkratzen.

Und warum fasst mich das so an?

Weil ich dafür nicht überlebt haben will.
Weil ich die Enttäuschung darüber, dass es kein echtes “besser als früher” gibt, nicht einfach so akzeptieren will.

Es war für mich, für uns, damals schon schlimm genug zu merken, dass nach dem Ausstieg nichts aber auch wirklich gar nichts kam, das irgendwie “gut” war. Dass wir uns jedes und es sei es ein noch so kleines “besser” oder “okay” alleine erkämpfen und erbetteln mussten und selbst bei Erfolg nicht einmal davon ausgehen konnten, dass das für immer bleiben würde.
Es ist mir schlimm genug, bis heute diesen de facto unausgleichlichen Mangel im Leben zu haben und zu wissen, dass das niemand nachvollziehen kann, die_r das nicht genauso auch üb_erlebt (hat).

Wir haben in unserer Therapie noch nie viel darüber geredet. Über dieses Gefühl von Beschiss von beiden Seiten. Den “Guten” wie den “Bösen”.
Geschweige denn über das Gefühl, das auch nirgends wirklich genauso ausdrücken zu können, ohne diesen Touch von “Die glaubt wohl sie hätte was besseres verdient” oder “Undankbares Miststück, die Rosenblatt” oder “Das Leben ist kein Ponyhof – deal with it” als Reaktion miterwarten zu müssen.

Denn: ja klar haben wir was Besseres erwartet. Warum sonst hat man uns denn jahrelang damit unter Druck gesetzt auszusteigen und angebotene Hilfen anzunehmen, wenn nicht dafür, dass es uns besser er_gehen soll? (Vielleicht eventuell etwa doch, weil man uns etwas glauben lassen wollte, damit wir etwas tun, was wir aus uns selbst heraus gar nicht getan hätten, wenn wir es nicht geglaubt hätten…?)

Sicher erscheinen wir undankbar, wenn wir sagen, dass es uns nicht reicht so zu leben, wie wir gerade gezwungen sind zu leben. Gerade dann, wenn man sich schwer tut uns zu glauben, dass unser Leben ein unfreies und trotz vieler Fortschritte nachwievor scheiße nochmal schmerz_volles ist. Obwohl wir nicht mehr ausgebeutet und konkret verletzt werden. Und, obwohl es Millionen von Menschen noch ganz viel schlechter geht.

Es ist die Parallele, die es so unaushaltbar macht.
Für mich, weil ich zwar nicht genau weiß, was wir konkret nicht mehr erleben, aber sehr wohl weiß, was es bedeutet, keine Familie, keine gänzlich bewusste Geschichte und keine strukturelle Einbettung zu haben.
Und für uns als Person, die sich in einen Kontext einzubinden versucht, der von Trennung dominiert ist.

In jedem Fall geben wir viel uns weg, strengen uns an, verzichten, nehmen uns Verantwortungen an, auf die andere ganz gezielt scheißen – und bleiben mit nichts weiter da stehen, als dem Wissen, dass wir damit zwar nicht allein, aber auch nicht in einer Masse gemeinsam sind, die genau das verändern kann.
Manche Aktivist_innen beschreiben genau das Gefühl mit dem Begriff “activist burn out”. Das “sich aufrauchen” an einer Herausforderung, die überfordern muss, weil sie weit über das Individuum hinausgeht.

Vielleicht will ich am Ende einfach nur nicht akzeptieren, dass das Leben in dieser Zeit, dieser Gesellschaft, diesem Lauf der Dinge nun einmal so ist und wir einfach reingefallen sind. Vielleicht will ich es am Ende doch aus ganz eigennützigen Gründen nicht akzeptieren, für so eine Scheiße so gelitten und verzichtet zu haben, aber bedeutet das denn zeitgleich, dass meine Bemühungen nie um etwas anderes als mich selbst gekreist sind?

Immer wieder muss ich an den Grabstein denken, von dem H. uns mal erzählt hatte. “Ihr Leben war Last und Müh’ “ hatte da drauf gestanden.
Sowas nicht zu wollen – nicht akzeptieren zu wollen, dass es eventuell sein kann, dass dieses ganze Gekämpfe niemals aufhört, ganz egal was man warum und für wen und für welches Ziel auch immer – Himmel ja das ist egoistisch hoch zehn. Aber ist das nicht auch eine Hoffnung, die man braucht, um neugierig auf das zu sein, was man stattdessen tun könnte?

Als wir uns damals gegen die Familie* und alles entschieden haben, dachten wir, wir könnten ja vielleicht irgendetwas anderes lernen. Irgendwas machen, was für andere hilfreich ist. Irgendwas erschaffen, was das, was danach kommt, zu einem guten Zeit_Raum macht. Sowohl für uns, als auch für andere. Weil wir ja nicht mehr allein sein würden. Weil wir ja nicht mehr so seltsam fern und fremd von dem sein würden, was uns umgibt.
Ich hatte mir das so gut ausgemalt.

Vielleicht zu gut?
Vielleicht hätte ich das nie machen sollen? Würde es dann heute weniger weh tun?

11 thoughts on “Zweifel

  1. Liebe Hannah,
    danke für deine Worte und ich kann sie so gut nachvollziehen!
    Grad heute ging es in der Therapie drum, weiter zu “ kämpfen“ .
    Heil werden können, im Sinne von “ Dorn in der Wunde verhindert Heilung“.
    Was wird auf dem Weg noch sein.
    Was für altes, was in den so 15 Nichterinnerjahren, wird uns noch begegnen und seinen Heuteraum suchen wollen um verstanden und “ abgelegt“ zu werden.
    Kraft, Sinn, wozu?
    Für etwas besseres?
    Für mich allein?
    Ich trage nicht nur Verantwortung für mich.
    Die Verantwortung, davon getrieben meinen Töchtern etwas vorzuleben, was auch für ihr Leben ( durch so viel arges geprägt / transgeneralisiertes Trauma und eigenes dazu erlitten) wenigstes dafür, weiter zu gehen.
    Vorbild leben? Wege zeigen die anders sein können? Anderes bewirken können?
    Ein komplexes Thema!
    Auseinandersetzung mit dem was war.
    Sinn aus all dem Schmerz, des Begreifen was ein Leben bisher ausgemacht hat.
    Das könnte ich so heraus brüllen!

    Denn es betrifft so viele die weitergeben ohne hinzu sehen!
    Leid, Schuld all den Mist vererbt weiterleben/geben durch einen Kette aneinandergereiht, die es gilt endlich zu durchbrechen.
    Trauma geht nicht nur Betroffene an, auch ihre Kinder.
    Denn das ist die nächste Generation die nicht wirklich frei entscheiden, leben kann, von Gewalt die durch andere in ihre Geschichte gebracht wurden und dem was die an Menschen macht!
    Auch wenn ich den Sinn, des weitermachens, so oft nicht sehen kann, glaube ich daran!
    Wenn eine/r was aendert aendert sich etwas im Umfeld….langsam….leise…und es wandelt sich was.
    Dafür ist es alle mal wert weiter zu machen!
    Und manchmal wünschte ich mir den Mut, den Raum und die Kraft darüber noch mehr Menschen noch mehr sagen zu können in dieser so kalt gewordenen Zeit!
    Auch wenn es nicht viele sein würden, vielleicht nur ein , zwei, drei….es würde sich lohnen?!
    In dem Sinne
    Liebe Gruesse E.

  2. Oh, ich kenn diese und ähnliche Gedanken soooo gut…dieses kämpfen gegen Windmühlenflügel….
    In solchen Momenten habe ich mich dann an einem für mich sehr wichtigen Satz wieder hochgerappelt: Es gibt nichts zu verändern – nur die eigene Einstellung.

    1. und es nervt dich nicht, immer wieder etwas an dir zu verändern, aber andere machen das nicht? Beziehungsweise: warum ist die eigene Einstellung verändern und nicht die Verhältnisse?

      1. Liebe Hannah, nein, mich nervt das nicht. Mich begleitet schon lange ein Zitat von P. Claudel: „Rede nur, wenn man dich fragt, aber lebe so, dass man dich fragt.“ Wenn ich lebe, was mir wichtig ist, verändere ich mich und damit auch die Welt… wenn ich klarer werde, werde ich zu einem Spiegel, in dem andere sich selbst sehen. Manche gucken gerne rein, manche nicht… Und manche fragen dann: Wo nimmst du deine Stärke, deine Überzeugungen her? Wieso glaubst du an XY? Warum interessierst du dich für XY? Wieso meinst du, das…? Und ein Gespräch entsteht… unter Menschen, die sich interessieren, voneinander lernen möchten, kennenlernen und sich austauschen, sich mit-teilen…

  3. Mir ist da noch eine Geschichte zum Thema Einstellung eingefallen:
    „ine Frage der Einstellung
    Es gab in Indien den Tempel der tausend Spiegel. Er lag hoch oben auf einem Berg und sein Anblick war gewaltig. Eines Tages kam ein Hund und erklomm den Berg. Er stieg die Stufen des Tempels hinauf und betrat den Tempel der tausend Spiegel.
    Als er in den Saal der tausend Spiegel kam, sah er tausend Hunde. Er bekam Angst, sträubte das Nackenfell, klemmte den Schwanz zwischen die Beine, knurrte furchtbar und fletschte die Zähne. Und tausend Hunde sträubten das Nackenfell, klemmten die Schwänze zwischen die Beine, knurrten furchtbar und fletschten die Zähne. Voller Panik rannte der Hund aus dem Tempel und glaubte von nun an, dass die ganze Welt aus knurrenden, gefährlichen und bedrohlichen Hunden bestehe.
    Einige Zeit später kam ein anderer Hund, der den Berg erklomm. Auch er stieg die Stufen hinauf und betrat den Tempel der tausend Spiegel. Als er in den Saal mit den tausend Spiegeln kam, sah auch er tausend andere Hunde. Er aber freute sich. Er wedelte mit dem Schwanz, sprang fröhlich hin und her und forderte die Hunde zum Spielen auf.
    Dieser Hund verließ den Tempel mit der Überzeugung, dass die ganze Welt aus netten, freundlichen Hunden bestehe, die ihm wohl gesonnen sind.
    Eine Geschichte aus Indien“

  4. Melinasschreibfamilieblog, magst du sie vielleicht erklären? Im Kontext globaler Krisen, die die Handlungsmacht einzelner Menschen übersteigen, verstehe ich sie nämlich leider auch nicht so recht. (Deshalb nun generell keine Metaphern zu verstehen, halte ich allerdings für eine Unterstellung.)

  5. Ich habe geschrieben, dass Metaphern im Grund nichts mit positivem oder negativem Denken zu tun hat….vielmehr mit der eigenen Wahrnehmung, darum geht es in der Geschichte. Ich kann etwas auf verschiedene Arten wahrnehmen und mich entsprechend dann fühlen. Wir haben alle eine Wahl – (auch in Zeiten golbaler Krisen und Handlungsohnmachten) was wir aus dem machen, was uns begegnet und da fällt mir schon wieder ein weiser Spruch ein, der dies sehr schön untermauert.
    „Gott gebe mir die Gelassenheit, die Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann. Den Mut die Dinge zu ändern, die ich ändern kann und die Weisheit eines vom anderen zu unterscheiden.“

  6. Das Ding ist, dass die Welt halt nicht aus Spiegeln und auch nicht aus Metaphern besteht, sondern aus Welt.

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