Und was, wenn..?

Ganz oder gar nicht, das ist etwas, was uns häufig als problematische Haltung eingeordnet wird. Oft, weil man denkt, wir würden traumalogisch urteilen, manchmal weil man selbst mehr als zwei Optionen zu sehen glaubt und uns diese Alternativen vorschlagen möchte.

Ja, wir sind ein rigider Mensch. Sehr scharf, sehr klar, sehr starr in unseren Entscheidungen. Einmal etwas angenommen, wird es schwierig etwas davon wieder aufzulösen. Das gilt im Positiven wie im Negativen. Wir sind konsequenter als viele andere Menschen und hartnäckiger. Damit sind wir aber auch nerviger und verursachen mehr Umstände als viele andere Menschen.
Wenn wir wissen, was wir wollen, dann tun wir alles, was nötig ist, um es zu erreichen. Auch, wenn wir eigentlich nicht mehr können. Auch, wenn es vielleicht für alle anderen Menschen als zum Scheitern verurteilt erscheint. Wir ziehen durch, weil wir uns durchzuziehen vorgenommen haben.

Wir haben uns vorgenommen zu leben, also sind wir ausgestiegen, haben angefangen zu essen, zu trinken, uns zu versorgen. Obwohl es weh getan hat, obwohl es schlimm war und manchmal noch heute ist. Wir ziehen das durch mit allen Konsequenzen. Das war eine Entscheidung und damit in unserem Empfinden keine Wahl mehr. Wir hätten wählen können, ob wir uns entscheiden oder nicht, aber einmal entschieden ist ent_schieden, also vereint auf die eine Linie.

Fehlannahmen sind für uns schwierig, aber lösbar. Wir treffen unsere Entscheidungen in der Regel basierend auf Fakten und Erfahrungswerten. Stimmen die Fakten nicht oder sind unvollständig, fällt es leicht, die darauf beruhenden Entscheidungen zu widerrufen und zu neuen Einsichten zu gelangen.
Was aber bei Dingen, die eine Folge unserer Entscheidungen sind und selbst eine Entscheidung abverlangen?

Wir können bei unserer Entscheidung für das Leben bleiben, sind aber dennoch mit den Entscheidungen über unsere Lebensqualität konfrontiert. Ist unsere Lebensqualität nicht gut, müssen wir unsere Entscheidung für das Leben neu überdenken, was wir nicht mehr wollen. Wir wollen nicht mehr infrage stellen, ob wir leben wollen, können, dürfen, sollten. Und doch müssen wir auch diesen Strang immer mitdenken. Denn entweder wir denken vollständig über Dinge nach oder nicht. Wie tragisch wäre ein halb durchdachter Suizid, wie grauenhaft ein halb erfülltes Leben?

Unsere Neurologin regte mich, in Bezug auf unser Therapie~ding~, dazu an, auch daran zu denken, dass die von uns gewollte Traumaverarbeitung als Therapieziel vielleicht nicht erreichbar ist. Ein Gedanke, den wir von Beginn der Therapie an vermeiden, um so wenig Raum wie möglich dafür entstehen zu lassen, dass das, was wir da tun sinnlos, falsch, zum Nachteil von anderen belasteten Menschen und der Therapeutin sein könnte. Wir wissen, dass, sobald wir dem Raum geben, der Fall in Altes sofort folgt. Traumawahrheiten wie „Du kannst nichts dagegen tun“, „Es wird nie aufhören“, „Was hast du gedacht – hast du gedacht, du könntest irgendwas bestimmen/kontrollieren.“ und Ähnliches senken unsere Therapiearbeitsmoral, lassen uns Kraft verlieren und am Ende auch Lebensqualität. Es wird schwierig nach innen zu motivieren und unmöglich innere Bünde aufrechtzuerhalten, die komplett auf Hoffnung und Vertrauen in die Möglichkeit der Zielwerdung beruhen.

Seit wir mit der DIS diagnostiziert sind, haben wir als Therapieziel, das Erfahrene zu verarbeiten. Seit 18 Jahren trägt uns diese Entscheidung und seitdem nehmen wir es als Auftrag an uns als Patient_in an. Wir müssen wollen, wir müssen therapiearbeitsfähig sein, wir müssen unsere Vermeidungsstrategien erkennen und auflösen, denn das ist unser Ziel. Traumaverarbeitung, um klarzukommen, um ein insgesamt befriedigendes, erfülltes, selbstbestimmtes Leben führen zu können.
Weil in den letzten Jahren vor allem die Vorarbeiten für dieses Ziel im Vordergrund standen, war nie Thema, ob es überhaupt wirklich erreichbar ist. Was wenn nicht? Was machen wir dann? Sind wir bereit unser Leben lang, mit unverarbeitetem Trauma zu leben? Mit Flashbacks, mit Alpträumen, mit dissoziativen Brüchen, mit biografischer Amnesie, mit all dem psychosomatischen Kladderadatsch? Als wir uns für das Leben entschieden haben, haben wir uns nicht für so ein Leben entschieden, sondern für eines, das wir uns gut gestaltet haben würden. Eins ohne Trauma als alles bestimmende Größe.

Ich bin nicht bereit für so ein Leben. Für irgendeine funktionale Vermeidungsstrategie. Für dunkle Geheimnisse oder unberührbare Themenzonen haben wir nicht Kraft, nicht dauerhaft, nicht den Rest unseres Lebens.
Ja, „der Rest unseres Lebens“ ist wieder eine sehr absolute Aussage. Ja, wer weiß, was in 10 Jahren ist blablabla – aber die 10 Jahre müssen erstmal gelebt werden. Irgendwie muss man ja aushalten, zu leben ohne Aussicht auf eine Veränderung oder natürliche Auflösung der Schwierigkeiten. Ich bin nicht bereit, mich durch 10 scheiß Jahre zu quälen, nur weil danach eventuell vielleicht irgendetwas passiert, das alles anders macht als jetzt.
Wir sind Mitte 30, wir haben noch so viel mehr Zeit für ein geiles Leben mit ordentlich aufgeräumter Traumascheiße auf dem Dachboden, wie um alles in der Welt könnte ich mich damit ok kriegen, das nicht zu erreichen? Und wozu? Und für wen?

Ich würde damit sagen: „Ja, gut, gibt halt keine oder nicht die richtigen Therapieformen oder -mittel, dass ich das hinkriege“ und die Hände in den Schoß legen, weil ich halt kein_e Therapieform- und mittel-Ausdenker_in bin, sondern irgendwelche Leute, die bei ihren Formungen nicht an autistische traumatisierte Menschen denken.
Und wie zum Henker soll mich das kaltlassen. Warum um alles in der Welt soll ich das ok finden und mich halt damit abfinden, dass es ist wie es ist, kann man nix machen, muss man halt leiden.
DAS IST DOCH DER GLEICHE SCHEIß WIE FRÜHER UND OB ICH DAFÜR 18 JAHRE PSYCHOTHERAPIE GEMACHT HAB WILL ICH WISSEN

Atmung

Nein, es ist keine Option. Kann es nicht sein.
Wir haben uns für etwas anderes entschieden und vielleicht schützt uns, unsere Rigidität an dieser Stelle vor etwas, das uns das Leben kurz erleichtert, weil es uns einen Kampf abnimmt, aber auf lange Sicht nicht dazu beiträgt überhaupt für sich einzutreten, sich um sich zu kümmern und also an der eigenen Lebensqualität mitzuwirken.


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5 thoughts on “Und was, wenn..?

  1. Hi
    aus meiner Erfahrung ist Therapie und Traumaaufarbeitung ein lebenslanger Prozess, der auf ganz unterschiedlichen Ebenen stattfinden kann. Gar nicht unbedingt immer einen Psychotherapeuten benötigt, wenn man erstmal die Fähigkeit erlangt hat gute, wohlwollende Menschen von den bösen, missbrauchenden zu unterscheiden und sich von zweiteren möglichst fern zu halten. Bei mir funktionierte es erstmal gut über ein Intellektualisieren der Problematik, indem ich Psychologie studierte und meine eigenen kognitiven Prozesse neu strukturierte. Dann Menschen finden, die es gut mit einem meinen. Kreativität- und Traumaverarbeitung damit (bei mir über Bilder malen , Tagebuch schreiben). Versprachlichen , Nachdenken kennenlernen des ganzen Systems. Es ist schwer wirklich gute, traumaspezialisierte Psychotherapeuten zu finden. Über 2 Jahrzehnte habe ich deshalb erstmal mir selber geholfen und gelernt, dissoziiert ,um es besser zu ertragen, in Phantasiewelten gelebt. Jetzt gehe ich das ganze mit Psychotherapie an (… auch mit vielen Umwegen, Enttäuschungen, Lernprozessen…), V.a. was die Bindungsstörung angeht ist es aus meiner Sicht essentiell hier eine gute psychotherapeutische Unterstützung zu haben, da sich diese erst in einer vertrauensvollen therapeutischen Bindungsbeziehung zeigen und ausprobieren kann….. Aber es ist nicht das Einzige, das heilt und Ihr/wir ..Du /ich haben noch vielmehr an Möglichkeiten und Potential in uns, das sich entfalten kann und ich glaube das auch Fachleute (wie Deine Neurologin) von Aussen dieses Therapiepotential nicht wirklich abschätzen und bewerten können.

    1. Wir schaffen das nicht allein und wir wollen auch nie wieder allein damit konfrontiert sein. Darum geht es auch.
      Wir wollen und brauchen auch den Schutz der therapeutischen Arbeitsbeziehung. Die klaren Rollen, den Abstand, die verteilte Verantwortung, die Struktur der Behandlung.
      Ich halte es nicht für eine Frage oder Sache des Potentials. Potential ist eine Idee, keine Realität.

  2. Ja, das nicht allein damit sein wollen, kann ich nachvollziehen. Hatte nach meinem Post auch irgendwie Bedenken, das damit was nicht stimmte…..Bin auch gerade am Überlegen, was ich eigentlich ausdrücken wollte….Mut machen, Alternativen aufzeigen? Wichtig scheint mir sich nicht auf die Meinung einzelner Fachleute zu verlassen….Niemand von denen hat die Wahrheit gefressen und manche posaunen auch einfach nur so mal ihre Meinung raus….Ich lese viel Literatur zu Trauma, Dissoziation und Bindungsstörung. Es ist ein wirklich umstrittenes Feld, sehr kompliziert, aber auch sehr hoffnungsvoll aufstrebend aus meiner Sicht….abseits von meiner emotionalen Situation finde ich es durchaus sehr spannend…Vielleicht möchte ich Dir Mut machen, in Deiner Suche nach Heilung nicht aufzugeben und nicht nur einem Strang sondern verschiedenen zu verfolgen. Auch Deine Fähigkeit Dinge sprachlich zu sezieren und auf den Punkt zu bringen, birgt aus meiner Sicht ein grosses „Potential“ der Heilung, die sich in jedem Blogbeitrag von einer Idee in die Realität verwandelt.

  3. „Traumaverarbeitung“ – das ist ein seltsames Wort, finde ich.

    Wenn Du (Du hast ja jetzt von Dir geschrieben, nicht von Euch) damit meinst, dass Deine Flashbacks und massiven dissoziativen Zustände aufhören könnten durch Deine therapeutische Arbeit zusammen mit einer/m TherapeutIn, dann ist das meiner Ansicht nach (die sich aus Erfahrung und Lektüre speist) sehr wahrscheinlich. (Und im Falle einer so extremen Traumatisierung wie bei Dir dauert das wahrscheinlich Jahrzehnte.)

    Wenn Du damit meinst, keine entsetzlichen Alpträume mehr zu haben, keine verstörenden Dissoziationen, keine biographischen Amnesien und keinen „psychosomatischen Kladderadatsch“ (wie Du die körperliche Leidensseite nanntest), dann fürchte ich, dass Du falsch liegst mit Deiner Auffassung von „Traumaverarbeitung“.
    Denn auch weniger extrem traumatisierte Menschen als Du haben leider all das. Ihr Leben lang.

    ~
    Ich selbst assoziiere mit dem Wort „Verarbeitung“ immer ein Fabriklaufband, auf das am Anfang alles mögliche Material gepackt wird und an dessen Ende exakt gleich runde blecherne Tellerchen rauskommen, so mit einem kleinen blechernen „Klack“, wenn sie in den Plastikkorb fallen, in dem sie zum Versand transportiert werden.

    Und ich weiß von mir, dass ich viele meiner Traumen nicht „verarbeiten“ kann – dafür gibt’s keine Fabrik, und ich kann mich nicht so zurichten, selbst die Fabrikhalle zu werden.
    – Das heißt aber nicht, dass ich ihnen wie einst ausgeliefert bin.
    Sie sind ja nicht ich.
    Sie sind mittlerweile etwas mir gegenüber, etwas mir gegen-ständiges. Sie sind (m)eine Wahrheit, deren Teil sie ebenso sind wie ich, aber wir sind innerhalb dieser Wahrheit mittlerweile völlig Verschiedenes. Sie sind mir gegenüber, sind mir gegen/standlich [sic! ohne Umlaut!] – und: Sie agieren nicht mehr, anders als ich, die ich lebe.
    Grammatikalisch oder auch erkenntnistheoretisch gesprochen (und beides erwächst aus dem täglichen Leben): Ich bin das Subjekt, meine Traumen sind mittlerweile Objekte.
    Ich kann mit ihnen leben, ich muss sie nicht in einem Verarbeitungsprozess mir (oder auch nur meinen Vorstellungen) anverwandeln, bei dem immer das Risiko aller Anverwandlung besteht: ein Gleichmachen, manchmal auch ein Gleichgemachtwerden, wenn wieder Subjekt und Objekt verschwimmen.
    Ich bin das Subjekt. Ich habe das Verb, die Aktion.
    Die Objekte sind vorhanden. Aber sie agieren nicht.

    PS: Vielleicht zielt ein Mensch, der Dir die Frage nach der Traumaverarbeitung stellt wie nun Deine Neurologin, nicht darauf ab, sich schützen zu wollen vor Deinen Traumata, wie Du es aufgrund Deiner Erfahrungen annimmst
    Vielleicht hat so ein Mensch schon so viele Traumen kennengelernt oder gar selbst erlebt, dass er sich vor Deinen nicht mehr schützen muss. Aber Dir einen größeren „Therapie-Raum“ zeigen möchte, nur so als Möglichkeit(sraum).

    1. Das ist ein interessantes Bild von Traumaverarbeitung. Meins sieht nicht so aus. Für mich ist Verarbeitung in etwas so, wie Moleküle anordnen. Oder Puzzleteile aufnehmen, drehen, an andere legen, bis das passende Teil gefunden ist. Bei mir trägt jede Verarbeitung zur Selbst-Ich-Werdung bei, völlig unabhängig davon, worum es ging oder welche Art Trauma es ist.
      Ich gehe nicht davon aus, dass man einfach alles durcharbeiten muss und dann bin ich „untraumatisiert“. Aber meine Verarbeitungserfahrung zeigt mir: Wenn ich etwas verarbeitet habe – und sei es eine Traumawahrheit oder nur ein Stückchen einer traumatischen Erfahrung – dann habe ich sie erlebt, dann kann ich darüber reden, dann kann ich mich darin und damit bewegen, dann weiß ich, was ich brauche, was ich möchte und warum. Wenn ich davon träume, weiß ich, worum es geht, weiß ich, dass das vorbei ist, weiß ich, was ich darüber denken und fühlen möchte, kann, will.
      Bei unverarbeiteten Dingen weiß ich das nicht und bin mir oft nicht einmal darüber bewusst, dass ich es nicht weiß, weil mich meine emotionalen, dissoziativen Reaktionen völlig davon trennen.
      Das ist eben nicht, was alle haben, die auch Psychosomatik und Alpträume im Leben haben.

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