„Einstieg in die Freiheit“, statt „Ausstieg“

Es ist für uns gerade eine Zeit in der sich unser Fokus weitet und uns vielschichtig aufspreizt- vielleicht auch neu zerreißt? Wieder wird klar, warum wir uns hier nicht offiziell eingemeinden lassen können. Warum wir uns zu Recht noch nicht als „wirklich ausgestiegen“ betrachten können.

Wir leben schon viele Jahre nicht in mehr in physischer Abhängigkeit derer die uns pseudoreligiöse Werte vorlebten und sind auch nicht mehr in der Situation Gewalt und Ausbeutung aushalten zu müssen. Aber wir schleppen ein Erbe mit uns herum.
Sind innerlich noch längst nicht ganz ausgestiegen.

Vielleicht ist „Ausstieg“ auch nicht das, was wir wollen und schaffen möchten. Denn der Begriff des „Ausstiegs“ impliziert einen Standpunkt und einen Zeitpunkt des Einstiegs. Wir aber sind nie eingestiegen- wir wurden hineingeboren und aufgezogen mit diesen Werten und hatten zu keinem Zeitpunkt wirklich einen einzelnen Standpunkt. Es war schon immer so, dass es Innens gab, die sich gegen Unrecht und Gewalt eingesetzt haben- während andere Innens genau Unrecht und Gewalt er- und ge-lebt haben.

Es ist für uns wichtig geworden zu spüren, wie berechtigt der Wunsch ist keine Schmerzen und Demütigung aushalten zu müssen- doch es ist ein anderes Wertesystem. Eines, das nur deshalb als gut und richtig und wichtig geschätzt wird, weil es der Masse der Menschen als gut und richtig und wichtig vorgelebt wird.
Unabhängig davon, wie wir dieses Wertesystem bewerten liegt es an uns, uns dem hinzugeben oder eben auch nicht. Es hat etwas damit zu tun sich dafür zu öffnen und es in sich hineinzunehmen. Es hat etwas mit Anpassung zu tun- aber nicht mit tatsächlicher Freiheit.

Eine unserer ersten Diagnosen war „Anpassungsstörung“.
Kein Wunder- erlebten wir doch gerade einen Weltenchrash der an Parallelen kaum noch zu überbieten war.

Gab es vorher die „helle“ und die „dunkle“ Welt (beides gruselig, weil nie in Gänze erfass- einschätz- und erinnerbar), gab es dann plötzlich „drinnen“ und „draußen“ sowohl räumlich als auch direkt bei uns. Plötzlich waren wir minderwertiger Patient drinnen (der für sich behalten soll, was in ihm ist- aber trotzdem immer wieder gezwungen (ja wirklich- gezwungen!) wird, etwas von sich und seinen Gedanken, Normen und Werten zu erzählen) und draußen waren die, die wertvoll und frei waren (die Ärzte, Therapeuten, Pfleger, Besucher… die man alle nicht zwingen konnte, etwas von sich preiszugeben).

Diese Zeit war für uns ein schlimmer Fallstrick- ja- eigentlich sogar ein ganzes Fallstricknetz, so dass es uns nie wundert, weshalb viele der Betroffenen, die wir so kennengelernt haben im Lauf der Zeit keinen Ausstieg in dem Sinne schaffen, als dass sie in Freiheiten kommen, wenn sie immer wieder in psychiatrische Stationen müssen, die geschlossen sind. (Und dort oft von Helfern behandelt werden, die um ihren Kopf ein herrlich stabiles Holzhaus gebaut haben, auf das dort niemals etwas heraus oder herein kommt.)

Wenn man aus einem abgeschlossenen Sozialkonstrukt heraustritt und alle Handlungen und Tätigkeiten die in ihr als wertvoll und zwingend normal (im Sinne einer Norm) angesehen werden, steht man erst mal völlig allein da- es sei denn man hat sich andere Dinge bewahrt- und sei es die Fähigkeit seine Werte in einem Teil seines Selbst neu bilden zu können.

Ich habe oft den Eindruck, dass der Faktor der Anpassung an „die Gesellschaft“ (hier nicht näher definiert) der Anreiz für den Ausstieg sein soll oder auch die Anpassung den Ausdruck der eigenen Normen und Werte gegenüber anderen Menschen zu finden.
Als sei Freiheit etwas, das man nur erlangen kann, wenn man sich gut an „die Gesellschaft“ und „die Welt, wie sie außerhalb der Pseudoreligion nun mal ist“ angepasst hat und sie für sich nutzt.

Doch gerade jetzt denke ich, dass es nicht darum geht. Und auch nicht gehen sollte.
Der Wunsch nach Anpassung ist da- natürlich. Wir Menschen sind Individualisten mit Gruppenabhängigkeit- unsere Evolution war so nett uns dies als teilweise genetisch verankertes Markerchen mitzugeben. Doch das ist das, was uns frei macht: die Fähigkeit ganz wir selbst- ganz individuell zu sein.

Wir haben uns früher nie eingesperrt gefühlt- weder in der „hellen“ noch der „dunklen“ Welt. Es war einfach unsere Welt. Der große Katastrophenknall der Erkenntnis kam erst, als wir an einem der pseudoreligiösen Feiertage in unserer ersten eigenen Wohnung saßen und merkten, dass die Art der Wertschätzung des früheren Sozialkonstruktes uns auf eine Art verletzte, die dazu führte, dass uns jemand von außerhalb dessen vermittelte, was genau aus ihrer Sicht dort mit uns passierte.
Wir mochten diesen Menschen und fühlten uns ihm verpflichtet- das Gleiche galt aber auch für jene hinter bzw. in diesem uns verletzenden Sozialkonstrukt. Wir haben uns hin- und herziehen lassen, bis wir den Knall endlich rauslassen konnten und wir uns für eine radikale Zu-Nichts-Niemand-Nirgendwo-in-Gänze-Verpflichtung entschieden.

Für konsequente Nirgendwoanpassung sobald wir uns selbst dabei verloren.
Schwupp war der Druck raus, bekamen wir eine Ahnung von freiem Durchatmen und den Möglichkeiten der Denkrichtungen, zu der unser Gehirn als Ganzes in der Lage ist.
Und doch ist bei aller äußeren Freiheit noch das Gefängnis im Innen da.

Da gibt es nachwievor Innens die diesen Selbstbefreiungsrundumschlag nicht miterlebt haben. Die nachwievor in Teilen der früheren „hellen“, der „dunklen“ und auch der „drinnen“ Welt kleben. Sie sind das, was damals alle an uns ziehenden Seiten jeweils noch immer in der Hand halten.

Diese Innens haben keinen Standpunkt- sie können nicht „aussteigen“, weil sie nicht stehen.
Sie haben keine Basis und Trittbretter herbei zu schaffen, liegt an uns. Doch wo sollen wir sie hernehmen, wenn wir doch immer wieder feststellen, dass eine Anpassung- nicht eine Freiheitspraxis von uns erwartet wird?Eine Freiheitspraxis die auch unabhängig von unseren HelferInnen und all dem, das doch nur dafür da ist, uns zu helfen, passieren darf, ohne als unpassend oder sogar minderwertig zu gelten.

Es ist für uns sehr traurige Freiheitspraxis eben nicht eingemeindet zu sein und die Feiertage allein zu 212289_web_R_K_B_by_Ruth Rudolph_pixelio.deverbringen. Sehr anstrengende Freiheitspraxis dem Sog des Suiziddrang-zwangs zu widerstehen und so in Kauf zu nehmen in ein einem bestimmten Konstrukt eben dann als schlecht und und minderwertig zu gelten. Es ist traurige Freiheitspraxis zu wissen, dass die Menschen die uns umgeben (außer denen die das jetzt lesen und uns kennen) keine Wertschätzung dem gegenüber zeigen. Es ist beängstigend zu spüren, dass wir auch keine klinischen Hilfen mehr in Anspruch nehmen können, weil die Strukturen unnachgiebig und starr (und damit für uns kaum bis gar nicht nutzbar) sind- wir also nicht einmal mehr so frei in der Annahme von Hilfe sein können, wie wir uns da doch ursprünglich erkämpft haben.

Es ist außerordentlich schmerzhaft so frei zu sein, dass man fast haltlos ist.
Freiheit bedeutet auch Dinge nicht anzuerkennen und rebellisch und störrisch zu wirken. Anzuecken und zu hinterfragen. Unangepasst an „die Gesellschaft“ und doch Teil von ihr zu sein. Strukturen zu erfassen, ganz für sich abzuschätzen und zu versuchen sich an sich anzupassen- nicht sich selbst ihr anzupassen.

Ich komme mir vor als wandere ich durch die Wüste und sammle trockenes Holz. Trittbretter für jene Innens die keinen eigenen Standpunkt haben. Immer weiter und weiter- einfach weil wir als Einsmensch kein Sklave mehr sein wollen. Schritt für Schritt auf einer Reise, die aber nicht in einem heiligen Land enden wird.
Sondern in der persönlichen Freiheit.

 

Vielleicht sollte man es für alle so nennen: „Einstieg und Anpassung an Freiheit“.
Irgendwie macht mir meine Wortsynästhesie dieses Wortpaar passender für das was erreicht werden will, als die Wortgruppe „Ausstieg und Loslösung aus destruktiven Zusammenhängen“.

An Erstem sind kleine Rippel zum Festhalten dran.

 

P.S. Auch hier gibt es wieder ein offenes Ende- wir wirbeln immer noch herum und taumeln gerade eher ein bisschen hin und her und ergießen uns hier eher als wirklich fest und klar zu schreiben, worauf wir hinaus wollen. Gehört dazu denken wir- also kriegts einen Platz.

Das Tagebuch. Sein Sinn und das, was sonst noch damit zu tun hat

Das Tagebuch ist wieder da.

Vor ein paar Wochen- oder Monaten?- war es verschwunden. Zerrissen, verboten, Hoheitsgebiet der BÄÄÄMs.
Es gab wieder Listen und Zettel. Aber natürlich nicht vom Block oder in einem Heft, denn Besitz ist so eine Sache im Denken der BÄÄÄMs.
Bonbonpapier, Verpackungsmaterial, die eigene Haut, ein Zeitungsfetzen, die Rückseite eines Kassenbons… alles wurde zum versteckten Plätzchen. Kontakt- und Suchanzeige nach innen. Mahnmal und sichtbare Drohung. Erinnerung an das zu füllende Alltagsgeschehen.

Wenn wir eines führen ist mehr Überblick möglich.
Symptome die sich häufen oder abnehmen; das Gewicht, eine Dokumentation der Verletzungen und der Versuch sie zu versorgen. Die Finanzen, Ämtergänge, Jobangebote und Arbeit die bereits gemacht wird. Wann wer was gegessen hat, wann der Körper wie lange geschlafen hat (oder es ein „schlafen“ war). Wann NakNak* Auslauf hatte und wie viel. Wo und evtl. mit wem und wenn ja, was dort besprochen wurde. Welche Menschen mich in Zukunft vielleicht anrufen und warum. Welche Einstellungen wann, warum und wie am Blog vorgenommen wurden. Welche Kleidung/ Bücher/ Gewerke wann an wen und über welches Portal verkauft, gekauft oder getauscht wurde.
Wer was denkt. Was wer fühlt. Was wer warum gemacht oder gedacht oder gesagt hat. Die Therapie mit allem was sie aufwirbelt oder niedertritt.
Unser ganzes (Er)Leben steckt in diesen meist billigen Chinakladden von denen im Monat etwa 2-3 vollgeschrieben werden. Sie sind vergänglich und nur begrenzt wichtig.

Unser Tagebuch ist wie ein Liveticker im Sportkanal: Einmal benutzt, vielleicht zweimal oder dreimal, dann ist das, was darin erwähnt wird, schon wieder nicht mehr aktuell.
Es eignet sich nicht zur Analyse eines Gesamtzustandes, weil es mehr Konstruktion einer Gesamtheit ist, als die Dokumentation des Erlebens einer Gesamtheit.

Als de Diagnose gestellt wurde, hatte uns die Therapeutin damals gesagt, wir sollen doch mal versuchen eines zu führen. Ich meine, es war nach einer Stunde in der ich wieder einmal nicht mehr sagen konnte als „alles scheiße“; zwischen den verschiedenen Gedanken und Impulsen nicht trennen konnte und direkt konfrontiert war mit dem Verlust von 3 Wochen Zeit.264967_web_R_by_BirgitH_pixelio.de Ich dachte damals, sie meinte eine Art Tagebuch in dem es Einträge gibt á lá „Heute habe mir ein Eis gekauft. Es war lecker. Mir gehts gut, morgen fahre ich in den Zoo.“. Und ich unterstelle der Therapeutin von damals einfach mal, dass sie etwas in der Art auch im Kopf hatte.
Ich scheiterte natürlich mit Pauken und Trompeten an der Aufgabe und irgendwann gab es auch eine gewisse Resignation. Gut, dann eben kein Tagebuch das schön alles zusammenfasst. Und irgendwann, irgendwo zwischen der Entwicklung von Hospitalismus als Nebenschauplatz und dem infernalischem Chaos, das auf die Entlassung und die Umsiedlung hier in diese Stadt folgten, endeten auch die Bemühungen Erlebnisse, Gedanken, Gefühle und Wünsche festzuhalten. Und sei es nur auf der unbedruckten Ecke einer Buchseite.
Das Außen war durcheinander und desinteressiert, später sogar offen demütigend und gespalten. Wir wurden missachtet und trugen alles ins Innen hinein.
Erst viel später dann, erklärte uns die Kliniktherapeutin hier, wie ein Tagebuch richtig aussehen könnte. Was wir für Möglichkeiten testen und für uns erkunden könnten.
Es war nur eine Stunde und das Thema war als solches gar nicht explizit auf dem Tisch, aber die Nebensätze: „Nehmen sie einfach was kommt und tun Sie es da rein“ und „geschrieben oder gemalt oder geklebt… “ fielen und sie blieben bei mir.
So brauchten wir nur noch die 2 jährige Schleife, bis wir uns den Besitz von Kladdenbüchern erlauben konnten und konnten dann aber loslegen.

Und doch. Trotz dem das Schreiben eines Tagesbuches etwas ist, dass uns sehr hilft und zeitweise gut tut, ist es bis heute Nichts, das wir für uns tun. Es geht dabei nicht um ein seelisches Gleichgewicht oder einer Art Ordnung des Lebens. Es geht bis heute darum, besonders gut so tun zu können, als gäbe es keine Amnesien und als gäbe es eine Ordnung, die man analysieren und für sich nutzen könnte. Es ist ein Kontrollversuch durch striktes Protokoll.
Es ist für uns manchmal nur nützlich, weil es für unsere Therapeuten nützlich ist.

Manche Menschen führen ein Tagebuch, um Abstand zu ihren Erlebnissen zu bekommen. Ihre Probleme und Konflikte objektiver betrachten zu können.
Dadurch, dass wir einander und die Dinge, die wir jeweils tun bereits als objektiv und voneinander unabhängig erleben, sind wir- auch wenn wir es so aufgezeichnet vor uns liegen haben, nicht in der Lage die Einträge als etwas zu betrachten, das einen Verlauf oder eine Entwicklung noch objektiver darstellt. Dies ist vielleicht sogar Stoff für geistige Hochglanzdiskussionen: Wieviel objektiver kann Objektivität in Bezug auf eigentlich ganz subjektive Erlebensweisen sein? Ist der Anspruch einer Objektivität nicht erst dann gerechtfertigt, wenn ich die Dinge grundlegend als subjektiv betrachte?

Jedenfalls ist es jetzt wieder da. Nicht für uns oder weil wir es so dringend wollten. (Wollen dürfen.. oy vey was für ein Thema gerade im Moment!) Sondern, weil unsere jetzige Therapeutin endlich von ihrer Autorität Gebrauch gemacht hat. Ziemlich peinlich, nicht wahr?
Da sitzt man da und redet so vor sich hin, lässt sie teilhaben am stetig tiefer kreiselndem Weltendreh im Innen und hofft und wartet doch irgendwie, dass sie in diesem beängstigend strengen Tonfall sagt, dass man das und das (Guttuende, Hilfreiche) gefälligst nicht aufzugeben bzw. von sich wegzuschmeißen habe. Das man gefälligst zum Arzt gehen solle, dass man gefälligst die getroffenen Absprachen einzuhalten habe. Einfach nur, weil es bis heute mehr gilt, wenn jemand Außen (der per se einfach, weil er nicht man selbst ist, eine nicht zu hinterfragende/ bekämpfende Autorität stellt) etwas bestimmt, als wenn wir selbst etwas für uns bestimmen.

Das Tagebuch fällt in die Kategorie „mitarbeiten“.
In der Therapie und im sozialen Miteinander allgemein, ist es hinderlich amnestisch zu sein.Und es ist unsagbar peinlich dies zuzugeben.
Außerdem ist es ein Zeitfresser.
Eine Therapiestunde hat 50 min, die Krankenkasse bewilligt im Schnitt 120 davon.
Würden wir in jeder Stunde damit befasst sein, die Amnesie des Alltags (nur des Alltags und der aktuellen Lebensrealität) auszugleichen, wäre das Ergebnis vermutlich die Erkenntnis: „Wow ich bin multipel und meine ganzen Parallelleben sehen so und so und so aus.“ Badabing badabumm- für diese Erkenntnis bin ich aber gar nicht da.
Ich will ja lernen, wie ich das Ganze als zu mir gehörig erlebe und erinnere (es überhaupt erinnern zu wollen ist, denke ich, logisch), in der Hoffnung, dass dies dann irgendwann dazu führt, dass der ganze somatische Kladderadatsch aufhören kann, mich kaputt zu machen.
Also ist das Führen eines Tagebuches eigentlich der Teil Therapiearbeit den wir unbegleitet (und teilweise auch ungeschützt) machen (müssen).

Mein neues Tagebuch ist jetzt 8 Tage alt und ich bin entsetzt.
Hatte ich neulich in einem Chat noch gewitzelt, dass „wir das mit dem multipel sein, irgendwie grad viel zu gut machen“, sehe ich nun, wie weit wir wieder auseinander driften können, wenn es nötig erscheint. Was für eine Suizidalität, Verzweiflung, Todesangst, aber auch tiefe Hoffnung, Kampfgeist und Menschenliebe in meinem Innen vor sich hin brütet und sich gegenseitig einen Schützengrabenkrieg liefert. Wie viele Tote es bereits gegeben hat und was für neue Soldaten der Entwicklung inbegriffen sind.
Und das, obwohl draußen die Sonne scheint, uns niemand von außen Gewalt antut, viele neue tolle Chancen und uns guttuende Kontakte da sind… wir doch verdammt nochmal einfach nur zugreifen müssten.
Irgendwie tut mir das weh.*
Und ganz eigentlich merke ich an mir, dass ich, einfach nur um diesen Schmerz nicht zu fühlen, das Tagebuch gern schon wieder weggeschmissen haben will.

P.S. Das Blog könnte man wohl auch als Tagebuch begreifen, doch da es- bei aller Nähe und anscheinender Kohärenz- in der Regel von Einzelnen mit lediglich dem Innen, das gut schreiben kann, zusammen geführt wird, ist es mehr Prisma, als global umfassendes Ausführen. Man bekommt hier lediglich Eindrücke, Ideen und Gedanken von Einzelnen von uns zu lesen. Man kann sich wohl seine Gedanken machen, wie unser Leben wohl so aussieht, doch es würde nicht gelingen. Es ist eben doch nur die Reflektion eines einzelnen kleinen Spiegels

P.P.S. Eigentlich… das fällt mir gerade noch so ein, sollte ich vielleicht doch mal ein Tagebuch von heute aufbewahren.
Vielleicht schaffen wir es ja doch uns irgendwie zu integrieren und später ein Tagebuch zu führen, das nicht aus lauter Snippets besteht.
Es wäre vielleicht interessant beide vergleichend zu betrachten.

P.P.P.S. (ja heute lange ich hier richtig zu) *Edit: Den Bezug zu mir selbst habe ich beim Lesen überwiegend „kopfisch“, da ich weiß, dass mein Körper das geschrieben hat.  Erlebten Schmerz fühle ich im Moment, eher als „Hauch der mir zu nahe kommt“

was dann kommt

Vielleicht hat schon mal jemand Geschichten von sogenannten “Wolfskindern” oder auch gehört- mindestens aber von Mogli aus dem Dschungelbuch.

Eigentlich sollte dieser Artikel hier eine der beliebten Disneyinterpretationen werden. Aber ich bemerkte schon beim Lesen der Inhaltsangabe, dass dies eine Geschichte ist, bei der es mir nicht gelingen würde, die rosarote Happy-Lifestyle-Zuckerscheiße mit dem Disneyemblem drauf runterzukratzen.

Zu nah ist die Isolation. Zu genau kennt mein Innen die Art von absolut existenzieller Überlebenskraft, welche hinter der Annahme von Tierischkeit oder, in etwas anderer Form, Verhaltensweisen des Hospitalismus stehen.
Zu genau, kennen wir die Gefangenschaft bzw. Umgebung die “wilde Kinder” produziert.
Deshalb verweise ich hier lediglich auf die Geschichte des Dschungelbuches und versuche mich anzunähern und das Eine oder Andere auszuformulieren.

Den ersten Teil des Geschehens der Befreiung bzw.den ersten Eintrittsakt hat Frau Kampusch in ihrem Buch “3096 Tage” schon gut angerissen. Man befreit sich- kommt endlich endlich raus- kommt endlich im Dorf an und was kommt dann?
“Hände hoch! Wer sind sie? Was wollen sie?”

Als würde man mit seiner Befreiung diese Worte in die Haut- die Seele- die Großhirnrinde gestickt bekommen, verlassen einen diese drei Punkte nicht mehr. Auch Jahre später nicht.
Wer bin ich?
Was will ich?
Ich muss zeigen, dass ich keine Bedrohung bin. Meine Waffenlosigkeit beweisen.

Von nun an gilt alles was ich gelernt und mir angeeignet habe, um zu überleben als falsch, deplatziert, unpassend, zu viel, unsozial. Und wenn ich das Pech habe durch die Tür einer Psychiatrie gehen zu müssen, weil es für Menschen wie mich schlicht keine staatlich geförderte Alternative gibt, auch noch als krank!
Die inneren Ergebnisse jahrelanger Misshandlung, Isolation und gesellschaftskonträrer Sozialisierung fallen nicht immer sofort als solche auf, weil kaum jemand einen so weiten Fokus hat, der auch beinhaltet, dass jemand Dinge für Wunder hält, die er selbst als selbstverständlich empfindet.

Als wir das erste Mal Freiheit erlebten, wurden wir eingesperrt. In eine Psychiatrie.
Zum ersten Mal in unserem Leben, erlebten wir eine einzige Welt- eure Welt- die Welt “der Anderen”. Eine Einzel-Welt, weil hermetisch verschlossen. (Eigentlich so ein Gleichnis)

Und statt Erleichterung und Glückseligkeit, war da Angst. Todesangst und permanente Verwirrung.
Niemand hat das gesehen. Und niemand sieht sowas bis heute an uns.
Vieles, was für andere selbstverständlich ist, ist für uns nachwievor mindestens verwunderlich oder ganz eigentlich verboten und nicht zustehend.

Wir schreiben hier unsere wirklichen Gedanken zu Disneyfilmen auf! Das hier sind keine gewollten Perspektivschwünge. Wir haben diese Filme nie zuvor gesehen- sind nicht mit dieser Art Verwischung und dem Dauerentertainment- diesem eigentlich gesellschaftlich akzeptiertem Abtöten des Geistes- aufgewachsen und empfinden sie nicht als normal bzw. sortieren das Sehen eines Filmes nicht als reine Unterhaltung ein.
Die Fragen, die hier stehen, stellen wir uns wirklich.
Die Dinge über die wir uns wundern, wundern uns ganz wirklich!

Und die Einsamkeit die wir hier beschreiben und in Worte zu bringen versuchen ist auch wirklich da. Nicht immer, weil wir wirklich real und physisch allein sind- aber immer weil wir oft wie auf kleinen Eisschollen durch menschliche Interaktions- , fremde Werte-, Vorstellungs-  Moralsümpfe treiben. An einer anderen- vielleicht basaleren Stelle verhaftet, als unsere Mitmenschen.
Wir haben keine Ahnung davon, wie man was am Besten sagt oder tut oder wie man was wann und wo am Besten macht oder auch nicht macht, wenn es plötzlich  nicht mehr ums schiere Überleben geht. Die Welt in der wir das noch ganz genau wussten und für die wir gewappnet sind, liegt hinter uns. Sie hat uns verletzt, verkrüppelt und auf eine Weise wachsen lassen, die uns niemals passend erscheinen lassen wird.

Mogli wird vermutlich auch vor einem Spind stehen und denken: “Was für Sachen?! Bett?! Essen am Tisch?! Keine Nacktheit vor Fremden?! Privatsphäre??? HÄÄÄÄ?!”
Doch Mogli ist ein Kind. Er hat wie viele andere “wilde Kinder” je nach Ausmaß der Schädigungen und Defizite, die Chance ganz offen nachsozialisiert zu werden. Da wird es jemanden geben, der versucht ihm das alles beizubringen.

Und bei uns?
Die Menschen, die professionell andere Menschen nachsozialisieren fragen: “Was wollen Sie (erreichen)?” und die Menschen, die mir so im Alltag begegnen fragen: “Wer bist du?”, bevor sie überhaupt nur irgendwas mit mir zu tun haben wollen. Sie erwarten ein Selbstkonzept und ein Gespür für soziale Identität, dass sich bei uns aber gerade erst entwickelt bzw. wahrgenommen und sortiert wird.
Kindern, unschuldigen Kindern, wird diese Schutzlosigkeit, diese Art des Ausgeliefertseins eher anerkannt als Erwachsenen. Kindern wird zugestanden, dass sie Dinge noch lernen müssen, dass sie ihre Position und ihren Weg erst finden müssen.

Verständnis für Schutzreaktionen, Ängste und die Art Unwissenheit- mindestens aber Unsicherheit, können wohl aber  insgesamt nur wenige Kinder und auch Erwachsene mit diesem Hintergrund erwarten.
Niemand, der es nicht selbst erlebt hat, kann sich vorstellen, wie sich die innere Welt füllt und entwickelt, wenn man einzig sich selbst hat. Man fängt an Stellvertreter zu benutzen um das, was aus sich selbst heraus kommt, zu etwas zu machen was in sich hinein kommt. Einfach nur, um dieses Bedürfnis nach Ansprache zu befriedigen. So geschieht es, dass das Schottersteinchen, das man vor sich hat, einen Namen bekommt, eine Meinung, ein Gesicht. Es zum Zeugen und Tröster, aber auch Herausforderer oder Verhöhner wird.

Wenn ein Mogli bei Wölfen groß wird, hat er diesen (sozialen) Input natürlich. Doch ist es einer der nicht seiner Natur, seinen Fähigkeiten und seinem Potenzial entspricht. Ein Mensch ist ein Mensch. Ein Wolf ist ein Wolf. Es kann eine Kommunikation geben, einen Austausch und eine Verbindung, die das Überleben als Gruppe sichert, doch auf keiner der beiden Seiten, werden jeweils alle verfügbaren Kanäle benutzt und trainiert. Es geschieht eine Anpassung, aber nie eine komplette Verwandlung, wie es die frühen Darstellungen von “wilden Kindern” gerne weismachen wollen.

Was passiert mit Menschen(kindern), die lange Zeit nur sich oder einen (auf der biologischen Ebene) unzureichenden Kontakt hatten?

Dinge zu lernen und zu beherrschen ist ein Schutz. Je breiter das Interaktionsspektrum und die Möglichkeit diese auszuprobieren und anzuwenden, desto mehr Schutzmöglichkeiten gibt es. Hatte man nicht die Gelegenheit so zu trainieren bleiben ein- zwei Strategien alles was es gibt.

Kampf, Flucht, Starre.
Zerstörerische Ausbrüche
Vermeidungstänze in Form von Verhaltensstörungen, Süchten und anderen “Stellvertretern”
Unterwerfung, Anpassung, Dissoziation

Um zu lernen wie man in der neuen Welt besteht, muss man Platz für seine Verwunderung haben. Auf Verständnis für seinen Schutz stoßen. Auf jemanden treffen, der geduldig und vielleicht aus vielen verschiedenen Perspektiven heraus erklärt, wie die Welt funktioniert und gleichzeitig genug Halt gibt, um nicht unter der wachsenden Erkenntnis zerdrückt zu werden. Vielleicht braucht man eine Art Nach(ge)wachshaus.

Manchmal habe ich den Eindruck, dass das etwas ist, das nicht gesehen wird. Vielleicht weil sich nicht jeder in dem Maß wundert und erschreckt wie wir. Vielleicht, weil für die meisten Menschen Sonnenlicht und Bewegungsfreiheit immer völlig selbstverständlich waren. Wenn etwas selbstverständlich ist, dann wird es wohl nicht mehr so oft hinterfragt.

Vielleicht ist es auch einfach auf eine Art basal, die nur dann wahrgenommen wird, wenn man selbst über lange Zeit hinweg auf der zutiefst eigenen Basis seiner Existenz zu stehen gezwungen war.

Vielleicht ist es diese Nähe zu sich selbst, die später trennt und vielleicht niemals zu überbrücken ist. Auch wenn man längst kein “wildes Kind” mehr ist, ein Bett benutzt, Kleidung auf der Haut aushält und menschsozialer Konventionen entsprechen kann.

Vielleicht ist es das, was meine Augen hat weinen lassen, als der Film zu Ende war.
Das Wissen, dass Disney verzuckert hat, was der bitterste, tiefste Bruch im Innern eines Menschen sein kann. Das Wissen, dass die ganzen Menschen, die “wilde Kinder” dokumentiert und beforscht haben, sich genau darüber nicht klar zu sein schienen.
Die Befürchtung, dass die Menschen die uns heute umgeben genau das auch nicht im Bewusstsein haben.

Die Angst im Innern vielleicht für immer diese Art “wildes Kind” zu bleiben.

von der Psychiatrie und der unbezahlbaren Hilfe

Ein Artikel über die Psychiatrie.
Als Aperitif gibts ein Horrorfoto.
Thema: Legalisierung von Zwangsbehandlung im Hauptgang.
Definitions-Allmacht von (überarbeiteten, im Verhältnis zur Arbeitszeit unterbezahlten, eher einseitig fortgebildeten) Ärzten zum nur hauchzarten (kaum erwähnenswerten) Dessert.

In meinem Kopf rattert sie Uhr tornadoardoartig rückwärts.
2001- 14 Jahre alt.
Gerettet aus einem Gefängnis- entkommen aus einer versteckt gespaltenen Welt
Erneut eingesperrt in ein Gefängnis und in eine ganz offen gespaltene Welt.

Weil es keine Alternative gibt.
Weil mir dort geholfen werden kann, wie sonst nirgends.
Weil ich dort verstanden werde.
Weil es mir dort besser geht.

Niemals war auch nur ein Mensch so ehrlich zu uns zu sagen, dass sie schlicht hilflos waren. Weil es keine andere Möglichkeit des Schutzes gibt. Dass wir diese Internierung aushalten mussten, weil die Menschen uns nicht aushalten konnten oder wollten. Weil sie unsere Geschichte nicht aushalten konnten oder wollten. Weil sie die Folgen davon nicht aushalten konnten oder wollten.

Sie haben es sich leicht gemacht und mich abgeschoben- weggesperrt- verwahrt- ausforschen- verbiegen bis zum Brechen lassen.

Sie haben nicht gesehen, dass sie ab dem Zeitpunkt unserer Aufnahme dort, nun unsere Eltern ersetzten. Und wie deutlich sie das taten… Himmel ja WIE verdammt noch mal deutlich sie genau das Gleiche getan haben, wie unsere Familie. Nur haben sie es nicht “Pseudoreligion” genannt, sondern “Hilfe”.

Es war ein Tausch nichts weiter. Hellgraue gegen Arztseifenweiße Folter

Was sie gesehen haben war eine 14 Jährige, die sich immer wieder selbst verletzte. Eine 15 Jährige die den vierten, fünften, sechsten, siebten, achten…. fünfzehnten Suizidversuch gerade eben so mal noch überlebt hat. Eine 16 Jährige, die plötzlich aus heiterem Himmel anfängt zu schreien, niemanden zu erkennen scheint und auf Mitarbeiter losgeht. Eine 17 Jährige, die so abgeklärt über psychische Krankheiten spricht, als wäre sie selbst die Ärztin.

Was wir waren war eine lichtentwöhnte 14 Jährige, die den Boden küsste über den sie laufen durfte- komplett verwirrt über das was mit ihr passierte- ausgeliefert unmündig und hilflos.
Eine 15 Jährige, die sich von ihrem ambulanten Therapeuten hat missbrauchen lassen, weil sie unter anderem befürchten musste, wieder eingesperrt zu werden. Wieder ausgeliefert, unmündig und hilflos. (Und zu dem Zeitpunkt schon völlig allein auf sich gestellt).
Eine 16 Jährige, die anfängt sich an die erlittene Gewalt zu erinnern und gerade mal so das Glück hat, in einer psychosomatischen Klinik zu sein- statt in einer Psychiatrie, wo es alles noch viel schlimmer hätte sein können.
Eine 17 Jährige, die in 3 Jahren durch 7 Kliniken und 5 Jugendverwahrungseinrichtungen hindurch geflippert wurde und deren einziger Hoffnungsfunke auf Heilung und Leben ohne Gewalt, eine dreizeilige Email in ihrer Hosentasche ist; geschrieben von einem Menschen, mit dem sie vielleicht 2 Stunden Zeit verbracht hat und nicht einmal wirklich kennt.

Wir waren die ganze Zeit allein und hatten keine Menschenseele, die sich darum geschert hat, was mit uns dort passiert. Die, die Entwürdigung der Massenabfertigung und den Raub der Selbstbestimmung für uns beklagt hat. Da war niemand, dem wir unsere Gewalterfahrungen mit Pflegern hätten sagen können, ausser den Patientenvertretern zu denen wir aber keinen Kontakt aufnehmen konnten, ohne die Hilfe des Personals. Zusammen mit einer Diagnose die gleichbedeutend mit Unzurechnungsfähigkeit und  Realitätsverlust ist, hatten wir schlicht keine Chance.

Es war wie in der Hölle, die gerade vorher verlassen hatten.

Was wir durchgemacht haben ist unglaublich. Es ist unglaublich schlimm, unglaublich viel, unglaublich viel Nichthilfe. Und was wir in Bezug darauf heute wahrnehmen, ist unglaublich viel Ungläubigkeit.
Nein, uns wurde nicht das Gehirn unter Strom gesetzt. Nein, unser Frontallappen wurde nicht therapeutisch wertvoll verletzt. Unser Gehirn wurde uns ausgedörrt in den vielen hundert Stunden zwischen den “Behandlungen”, in denen man völlig auf sich geworfen ist- äußerlich strengstens reglementiert, während der Same des Wahnsinns unter dem tumben Starren auf Klinikflure, Klinikessen, Kliniktüren, Klinikroutine, Klinikklinikkliniklinikatmosphäre überhaupt erst zu wachsen in der Lage ist.

Wir wissen (zum Glück) nicht, wie es für Erwachsene ist, so in Not und ohne ausreichendes soziales Netz zu sein, dass man sich in eine Klinik begeben muss, um Schutz vor sich selbst (oder anderen Menschen) zu erfahren. Und freiwillig werden wir das auch nicht erfahren.

Die Psychiatrie war für uns das Trauma nach dem Trauma.
Die ersten 2 Therapiejahre nach der letzten Entlassung brauchten wir dafür auf, überhaupt auch nur wieder irgendeinen Helfer (nicht nur Menschen überhaupt)  näher als eine Diagnostik an uns heranzulassen. Ein öffentliches Feindbild wie zum Kindesmisshandler gibt es für Helfer nicht. Eine Hetzpropaganda, wie aktuell gegen die Institution Kirche, gibt es nicht für die Institution Psychiatrie. Vor der breiten Öffentlichkeit steht man vor solchen Erlebnissen ganz genauso verlassen und ohnmächtig, wie vor der gezielten sexuellen Ausbeutung von kleinen Kindern mitten in Deutschland. Jeder kriegt einen Schauer der den Rücken herunter rieselt, jeder hat seine Gedanken dazu. Doch wenn es darum geht eine Hand zu reichen, wird sich weggedreht und unsichtbar gemacht. Und in beiden Fällen muss man sich mehr oder weniger krassen Eigenschuld- (im Sinne einer Eigenverantwortungs-) zuweisungen aussetzen.

Vor ein paar Wochen noch, bekam unsere Therapeutin die volle Breitseite dessen ab, was hier los geht, wenn uns jemand mit der Einweisung bedroht. Und für uns beginnt die Bedrohung schon mit der überhaupt-igen Nennung der Psychiatrie als Option für Hilfe.

Keiner- absolut kein Mensch auf dieser Welt würde das, was real in einer Psychiatrie vor sich geht, als hilfreich bezeichnen, wenn man das Ganze schlicht losgelöst vom Status der „Retter der Gemütskranken“ heraushebt:
Eine Woche hat 168 Stunden
minus jeweils 8 Stunden Schlaf, ergibt das 112 Stunden Wachsein.
Davon werden ca. 8 Stunden therapeutisch gestaltet (je nach Klinik- ich nehme einfach mal den Standard aus meinen Zeiten in der Ballerburg).
Das ergibt unterm Strich: 104 Stunden geistig- seelische Nulllinie, die man mit Kettenrauchen, Gedankenkarussell, Patientengesprächen, Illustrierte lesen, nicht-an-seine-Probleme-denken-aber-doch-dazu-zwingen-weil-man-ja-dafür-da-ist und mit dem intensivem Beobachten aller emotionalen und sozialen Vorgänge auf der Station wiederzubeleben versucht.
Würde man diesen Behandlungsstandard auf ein akutes Herzversagen oder auch eine chronische Lungenentzündung übertragen hieße das unter Umständen: “Wie jetzt hier- sie kriegen so wenig Luft- sie kriegen doch schon 8 Stunden am Tag die Maschine an den Hals!”; “Ich hab schon 8 Sekunden mit der Lebensrettung verbracht- was will der denn noch?!”

Man führt ein Leben wie Schrödingers Katze:  eingesperrt in einer Box und ob man noch lebt oder nicht ist Definitionssache. Und die Macht über diese Definition, könnte mit dem Gesetz nun auch noch in jedem Fall- egal wie diese ausfällt (ob zutreffend oder nicht) rein bei den Ärzten bleiben. Komplett unhinterfragt oder in der Lage die Box zwecks Überprüfung zu öffnen.

Es ist ein Witz. Es ist infam. Es ist eine gesellschaftliche Schande, dass wir solche großen, relativ sicher finanzierten Kästen wie die Psychiatrie, überhaupt noch haben und sogar brauchen.
Es ist die medizinisch-kapitalistisch-sozialdarwinistische Vermeidungsblase, die uns davor bewahrt den Wahnsinn, Kontrollverluste und schiere menschliche Natur zu nah uns heranzulassen. Realitätsverlust als “kann mal vorkommend” zu betrachten. Menschliches Elend von uns fern zuhalten. Uns nicht zu belasten. Uns nichts ans Bein zu binden. Um uns vor gesellschaftlicher Verantwortung zu drücken.
Uns selbst nicht zu fragen, wie wir verhindern können, dass es anderen Menschen schlecht geht.

Uns daran zu hindern jedem unserer Freunde zu sagen, dass sie auch mitten in der Nacht bei uns klingeln dürfen, um von uns vor sich geschützt zu werden-von mir aus auch eingeschlossen zu werden und die nötigen Mittel aufgedrängt zu bekommen und die Hand durch die Neben- und Nachwirkungen zu halten.

Wir sind dankbar dafür, dass wir uns in der Hinsicht auf unsere Gemögten verlassen können. Niemand von ihnen würde uns abweisen, stünden wir mit diesem Anliegen vor ihrer Tür.

Als wir (noch vor 6 Jahren) nicht in der Lage waren zu essen wie Menschen, gab uns unser mit uns verbündeter Mensch den Rahmen der nötig war- ohne uns zu verachten. Als wir nicht wussten, ob und wenn ja wer, von uns Kontakt zu Tätern aufnehmen könnte/versuchen würde, sich das Leben zu nehmen/versuchen würde, ihn zu verletzen… Als wir so depressiv waren, dass sogar das Heben der Augenlider eine einzige Qual war… Als schon ein unsichtbares Geräusch Innenkinder hochspülte die noch mitten im Traumaerleben sind… Als wir so richtig tief in der psychischen Scheiße standen- alle Weichen auf Psychiatrie standen, brauchte es doch nur jemanden, der schlicht da war und den Schlüssel zur Wohnung versteckte. Taschentücher, Kotzeimer, Schlaftabletten, ein starkes Rückgrat und ein liebevoll fürsorgliches Herz hat.

Leider ist das etwas, das die Krankenkasse nicht leisten kann und der Staat, oder diejenigen die es leisten könnten, nicht leisten wollen.

Denn die wahre Hilfe kommt von Menschen, deren freies starkes Dasein einfach unbezahlbar ist.

Interessantes und Nützliches zum Thema
– die schlaue Patientenverfügung gibt hier zum Download
– Steinmädchen schreibt auf ihrem Blog über “Psychiatrisch- Patriarchale Kontrolle” und unterstreicht die Notwendigkeit von geschlechtsspezifischen Therapiemöglichkeiten
– viele Bücher, Sachwissen und Zugang zu Alternativen bietet der Antipsychiatrieverlag von Peter Lehmann
– die internationale Arbeitsgemeinschaft “Soteria” stellt sich und seine Ziele hier vor
– das Berliner “Weglaufhaus” sollte jedem sofort in den Kopf kommen, wenn es um Alternativen zur Psychiatrie geht- es braucht so viele NachahmerInnen, sowie offene UnterstützerInnen wie nur möglich
– zum Thema Psychopharmaka und Psychiatrie mein Artikel „auf wundersame Weise“
– als weitere hilfreiche Anlaufstelle bietet sich auch der sog. „Trialog“ (Patient, Klinik, Mittler) der Stadt an- Kontakt hierzu bekommt man über den sozialpsychiatrischen Dienst der Stadt in der man wohnt
– zu: „einem erweiterten Verständnis psychischer Störungen, neuem Wissen über genesungsfördernde Faktoren in der Psychiatrie, der Entwicklung neuer Methoden und umfassender Inhalte in der Fachkräfteausbildung und innovativen Angeboten psychiatrischer Dienste“ informaiert und aktiviert „Ex-In„. Ein vielversprechendes und umfangreiches Pilotprojekt. Weitere Informationen zur Genesungsbegleitung durch „Ex-In“ gibt es auch auf dieser Website.
– grundsätzlich muss das Motto derzeit leider noch immer sein: „Niemals allein Kontakt mit der Institution „Psychiatrie“ haben- hab immer jemanden mit im Boot, der dich im Zweifel da raus streitet und für dich eintritt“

 

Vielleicht an alle die aus Angst vor Täterkontakten regelmäßig in de Psychiatrie gehen (müssen):
Immer wenn ihr raus seid- greift zum Weberschiffchen und vernetzt euch. Es ist schwer und gruselig- vielleicht sogar noch verboten. Aber wenn ihr etwas anderes erreichen wollt, als das was ihr jetzt gerade durchmachen müsst, dann müsst ihr auch etwas anderes tun als jetzt.

So gemein es klingt, hatte Einstein schon Recht als er sagte:
“Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun, aber immer ein anderes Ergebnis zu erwarten.”

Immer wenn ihr eine Fingerspitze aus der Scheiße herausstrecken könnt- versucht nach echten Helfern zu greifen. Es lohnt sich, denn es geht um euer Leben und eure persönliche Freiheit.
Ihr dürft das.

Haben wir richtig gewünscht

Eigentlich ist es gar nicht so anders.
Eigentlich ist es nur anders anders.

Ich denke, gerade im Bezug auf die multiple Persönlichkeit(sstörung), wie DIS früher hieß, kann man die Macht der Sprache sehr schön fest machen. Man kann sehen, was für einen Einfluss Worte auf unsere Vorstellungen und daraus hervorgehende Einstellungen und auch Umgangsformen haben.

Ich lese immer wieder in Büchern von Betroffenen, auf Homepages oder auch in Blogs, wie sie sich abmühen Worte zu finden, die ihr Gefühl beschreibt und möglichst nah an etwas kommt, was beim Gegenüber ein möglichst nachvollziehbares Bild entstehen lässt.
Da wird dann davon gesprochen, multipel zu sein, sei wie in einer WG. Oder wie in einem großen Haus, wo man sich nicht so recht kennt. Oder man sei ein Team, dessen Mitglieder ganz unterschiedlich seien. Man sei eben eine Gruppe unterschiedlicher Menschen in einem Menschen.

Fakt ist, dass das nicht genau so ist.
Es ist ein subjektives Empfinden, dass meine Innens zu “Menschen mit Persönlichkeit” werden lässt. Ich finde es sehr witzig, dass ausgerechnet ein Disneyfilm, mir ein gutes Werkzeug in die Hand gibt, um es etwas Grundlegendes beim Multipelsein zu erklären.

Der Film heißt “Verwünscht” und zeigt, wie es einer Disneyfilm-fast-Prinzessin, einem Disneyprinzen [der Erste mit Namen im Disneyuniversum übrigens haha], einem Disneybackenhörnchen, einer bösen Stiefmutterhexe und ihrem devoten Lakaien ergeht, die in der Realität von New York landen und dort auf einen Vater mit seiner Tochter und dessen Fast-Verlobte treffen.

Von der eindimensionalen Welt in die 3D Welt. Von einer Welt in der man seine Gefühle singend und in absurden Tanzeinlagen mitteilt, Tiere sprechen können, und ein Wunsch- eine Aufgabe- ein Posten- ein Gefühl-  eine Sehnsucht- eine Angst oder auch reine Machtgier, alles zu sein scheinen, worum sich die Existenz der Figuren dreht.
Niemand fragt, warum die Stiefmutterhexe Angst um ihren Platz auf dem Thron hat, niemand denkt drüber nach, was das für ein Mädchen ist, dessen Freunde die Tiere des Waldes sind und vergeht in der Hoffnung auf der wahren Liebe Kuss. Es stellt niemand das kriecherische Dienen des Lakaien in Frage. Und wieso sich der Prinz ewig kämpfend- aber von Liebe singend gebärdet- hm darüber wundert sich im Disneyland nie jemand.
Dort ist es eben so. Dort passt es eben. Würde sich dort auch nur einer dieser Punkte verändern, würde sich dort alles verändern- und das nicht zum Besten aller.

Es ist bei meinen Innens genauso. In unserem früheren Leben bestand ihre Existenz in ausschließlich der Ausführung einer Funktion, dem Aushalten eines Gefühls(gemischs), dem Umgang mit einer einzigen (Körper)Empfindlichkeit (in jeweils einer bestimmten Situation) oder auch einer einzigen Art zu denken, zu bewerten, und wahrzunehmen.
Wäre dem nicht so gewesen, hätte sich alles verändert. Wir als Gesamtperson (wir als Disneyfilm) wären gestorben (ein Kassenflop geworden), wenn sie nicht so gewesen wären.

Und genau wie die Fast-Prinzessin im Film, hatten wir das Glück die andere Welt kennenzulernen.
Genauso erschreckt, verängstigt, verwundert, verwirrt und verletzt, weil wir uns direkt auch erstmal an einen Menschen wendeten der uns in seinem Sein vertrauter als andere erschien, klopften wir, ebenso wie dieses Mädchen, das durch die Stadt geschubst, vom Regen durchtränkt und von einem Bettler bestohlen, an ein Bild der Realität, die wir schon kannten. Voller verzweifelter Energie- aber doch unerschütterlich davon überzeugt, dass es dort der einzig richtige Platz ist. Und dort alles schöner sei.

Auch wir wurden gefunden, aufgefangen und so gerettet. Und auch wir werden an die Hand genommen und belehrt wie das Leben in dieser Welt so ist.
Nun ist es aber so, dass Eindimensionalität alles andere als kompatibel ist in einer 3D-Welt.
Es gibt eine Szene, die ziemlich gut unsere Frontfrau darstellt. Die Prinzessin ist wütend- aber wütend sind in Disneyland ausschliesslich die Bösen oder die Bockigen. Nie aber die Prinzessinnen- die sind vielleicht mal beleidigt oder schmollen.
Unsere Frontfrau ist nicht einmal das jemals von sich aus gewesen. Sie war immer einfach nur existent und so wenig “Sein” wie nur irgend möglich.
Die Prinzessin ballt die Fäuste, läuft auf und ab, redet lauter, deutlicher- stockt zwischendrin, weil ihr nicht sofort heraus will, was sie sagen will. Ihr Gesicht ist dunkler und der Mann sagt:
“Du bist wütend” und sie sagt: “Ja…. Ja! Hurra! Ich bin wütend”.

So ähnlich ergeht es uns (und aber am Meisten schon der Frontfrau), wenn wir einander berühren innerlich. Wenn wir ein Stückchen näher an uns heran kommen.
Oft ist nicht klar, was es für Gefühle, Gedanken, Intensionen sind, die innen arbeiten und herausquellen. Dann brauchen wir andere Menschen wie Mensch XY, unsere Gemögten und unsere Seelenfrau um eine Einordnung zu schaffen. Erstmal nur das. Denn wie diese Fast- Prinzessin, können wir die gesamte Wahrnehmung nicht direkt ganz aufnehmen. Die Dissoziation verhindert dies, um eine Überflutung und damit einen Zerfall zu verhindern.
Aber allein der Name auf diesem Aktenordner der Wahrnehmung innerer Prozesse, hilft bereits etwas grundsätzlich zu ordnen und als etwas von sich selbst und normal und als ganz basal in Ordnung zu empfinden. Schon dies bewirkt eine Veränderung. Schon das nimmt unglaublich viel Angst und damit weiteren Dissoziationsanlass.

Wie dieses Mädchen im Film lernen wir unterschiedliche Dimensionen kennen- und finden sie in Form der Innens in uns als Gesamtperson wieder. Wir lernen eine andere Art der Umgangsformen kennen, so wie die Prinzessin lernt, dass es nicht so läuft: Prinzessin wird gerettet, singt im Duett mit dem Prinzen und heiratet dann. Sondern dass es heißt: Sich kennenlernen, schauen was man an sich mag, was man am anderen mag, was man gern miteinander tut. Dass man Dates macht und sich verliebt. Dass ein einziger Kuss vom Prinzen noch lange nicht der wahren Liebe Kuss sein muss.

Unsere Frontfrau muss das auch so lernen. Wir müssen ihr Nichtssein mit uns verknüpfen, um überhaupt ein Gesamtbewusstsein darüber zu erlangen, was uns als Persönlichkeit im Ganzen gefällt und was nicht, was uns körperlich angenehm ist und was nicht und was uns, welche Gefühle verursacht und wie man mit ihnen gut umgeht.

Am Ende des Filmes ist es so, dass die böse Stiefmutterhexenfrau stirbt (obwohl wir wirklich gern gewusst hätten, warum sie ihren Thron nicht teilen wollte- aber am Ende hätte sie eh nicht mehr draufgepasst, weil sie sich in einen KingKong-Drachen verwandelt hat), die anderen Figuren bewerten sich neu und führen ein neues Leben, dass sie sehr erfüllt und glücklich macht.

Der Lakai öffnet sich für seine Wut und seine Verletzung durch die böse Stiefmutterhexe; das Backenhörnchen (das den ganzen Film über darunter leidet, nicht sprechen zu können, schreibt in der Disneywelt ein Buch darüber, die Fast- Prinzessin lebt mit dem Vater und seiner Tochter zusammen und macht, was sie gut kann: Nähen.
Hochinteressant fand ich, dass der Prinz in die Disneywelt zurückging- im Schlepptau die Fast-Verlobte des Vaters, die so glücklich mit einfach genau dieser einzigen Funktion- nämlich der der klischeehaft geliebten Königin, ist. Der es offenbar egal ist, dass Teile von ihr fehlen- oder vielleicht nicht gewünscht sind oder schlicht nicht vorkommen können.

Das finde ich deshalb so interessant, weil ich nicht mehr nachvollziehen kann, was so schön- so einfach-so erfüllen daran sein soll, nur noch eine Aufgabe zu erfüllen- ohne alles das, was es noch so gibt.

Tja… so kann ein Therapieerfolg auch aussehen:  Dass man plötzlich… beim Schreiben des 150sten Artikels seines Blogs merkt, dass man doch bereits sehr viel deutlicher „3D“ ist, als man es sich vorher je klar gemacht hat…

Edit auf Nachfrage:
Heißt im Klartext: multiple Persönlichkeiten sind keine Menschen mit vielen Persönlichkeiten in sich, sondern Menschen die Teile ihrer Identität bzw. die verschiedenen Seins-Zustände von sich als so fremd und getrennt von sich selbst wahrnehmen (und von aussen ebenfalls so wahrgenohmmen werden), als seien es andere Persönlichkeiten.
Jedes meines Innens ist in der Lage aktiv zu handeln- aber extrem eindimensional und „flach“- erst in Verbindung mit anderen Innens bekommt es eine Tiefe (und Höhe und Breite… eine Dimension, wie man sie gemeinhin mit Persönlichkeit assoziiert).

hidden track- hidden message- hidden thoughts

Phu!
Ich habs geschafft! Ich hab mir diesen viel besprochenen Song der Herren Naidoo und Savas angehört.

Ich sags schonmal vorweg: zu Gewalt fühle ich mich nicht aufgerufen!
Eigentlich hab ich nur den Eindruck mit dem Song vor eine Art von hilflos um sich schlagender Wut, Ohnmacht, Hilflosigkeit und… ja  unendlicher Trauer gestellt zu werden.
Was im weiteren Schritt auf mich auch ein Stück wie Gewalt wirkt.
Sagt es doch: “Hier! Guck! Aushalten! Zieh dir das rein! Wie schlimm das is und wie schlimm ich das find! Mir egal was du denkst. Mir egal, ob ich deine Grenzen damit niederwalz`-  ich will, dass du das jetzt checkst! BadaBÄÄÄM!”

Dass ich persönlich nen Klatsch weg habe, was diesen Punkt der Betroffenheit Aussenstehender über sexuelle Misshandlung, Ausbeutung und den Themenkreis der (pädo)kriminellen Machenschaften, die sich hinter dem Begriff des (satanisch/ okkulten/ sexualmagisch/ oder auch allgemein “kult-mäßig” aufgezogenen) rituellen Missbrauchs versteckt,  angeht, weiß ich und die meisten meiner Leser hier, werden das für sich auch schon gemerkt haben.
Ich kann mit solchen Gefühlen einfach wirklich nicht umgehen und suche entsprechend immer den sachlichen Weg der Auseinandersetzung mit dem Thema.
Gut, das ist mein Weg. Andere Betroffene (von (sexueller) Misshandlung), so wie Herr Naidoo, finden ihr Ventil offensichtlich in viel karikativer Tätigkeit, ihrer Musik und vielleicht eben auch in dieser Art Gegengewalt.

Ich bin ein Freund davon, wenn sich Personen des öffentlichen Lebens einsetzen und sich als Sprachrohr für viele Menschen anbieten. Das ist wirklich eine großartige Sache! Gerade beim Thema der sexuellen Misshandlung bzw der sexualisierten Gewalt spielen Scham und die große schlimme Sprachlosigkeit eine entscheidende Rolle.
Wie schön, wenn jemand seine Stimme und seine Kommunikationsfähigkeit für andere hergibt! Was für ein riesen Ding! Was für eine Hoffnung so etwas produzieren kann!

Wenn man sich offen hinstellt und spricht!

Eine Frage die sich mir stellt bei diesem “hidden Track”: Wieso wurde er versteckt? Es ging doch darum auf etwas aufmerksam zu machen- warum also eine dunkle Ecke auf der CD?
Wieso so ein Gleichnis?
Es (das große unbenannte ES) passiert in einer Nische- mitten drin- doch unentdeckt, wenn nicht durch Zufall oder Hören-sagen jemand davon erfährt.
Es sollte doch etwas verändert werden- Aufmerksamkeit auf etwas gelenkt werden! Wenn dem so ist, dann erwarte ich so einen Song mitten in der Playlist!

Es ging darum auf rituellen Missbrauch aufmerksam zu machen. Aha. Das Wort taucht gar nicht auf in dem Song. Warum nicht? Steht eine Definition im Booklet? Neben den Anlaufstellen für die Opfer die durch Song angetriggert werden und in die Dekompensation rutschen?

Das Thema des rituellen Missbrauchs ist wirklich ein Schweres und Komplexes!
Es ist zu groß für einen Song!
Und mir stellt sich ernsthaft die Frage, ob wir es hier mit einer Affektabfuhr (die sicherlich irgendwo gerechtfertigt und wichtig für die Küntler sein wird!)  zu tun haben oder, ob es um die ernsthafte Auseinandersetzung mit Gewalt, die täglich passiert und die nachwievor nur allzugern in den Bereich der (Opfer-)Fantasie geschubst wird, geht.

Die Art wie der Text von Perspektive zu Perspektive hopst, erinnert mich an unsere ersten Versuche erlebte Gewaltsituationen aufzuschreiben: Mal von aussen und direktiv an jemanden (aussen) gerichtet, mal von aussen und frei von Emotion, mal von oben drauf, mal ganz heraus und geistig weiter spinnend und mal auch mitten im Schmerz/ der Wut/ der Verachtung welche weder Ende noch Anfang im Aussen hat.
Für mich ist das normal- so setzt sich nicht nur mein Erinnern an erlebte Gewalt zusammen, sondern auch mein Alltagsempfinden- das ist nun einmal DIS. Entsprechend kann ich mir dieses Gestückel und Gespringe recht gut einordnen. Doch wenn ich mir ansehe wie Aussenstehende auf sowas- schon aus meinem ganz normalen Alltagskampf heraus, reagieren, nämlich: mit kompletten Unverständnis, Ratlosigkeit und Ungläubigkeit…ja.. hm was wundert mich dann eigentlich noch der Wirbel um den Song?

Es war ein mutiger Versuch!
Es ist eine große Sache, auch wenn die Massenmedien “das Ganze” schon wieder unter den von der Gesellschaft (mit)hochgehaltenen Teppich kehren wollen.
Mir zeigt es: das Thema/ die Sache/ “das große böse ES” erreicht manche Menschen und diese Menschen haben Gefühle dazu. Und diese Gefühle haben sie tranportiert.
Sie meinten es gut und wollten, dass viele andere Menschen Anteil nehmen- entweder an dem worüber sie “singen” oder an dem was der Inhalt mit den Künstlern macht.

Einzig die Art ist es, die mir aufstößt und mich fragen lässt, ob es nicht unterm Strich sogar sie sein wird, die uns Betroffenen dieser Form von Gewalt, nicht vielleicht doch sogar eher schadet.

Auf der Internetseite von Xavier Naidoo ist eine kleine “Stellungnahme” zu dem Song zu lesen. Wie so oft in dem Zusammenhang mit rituellem Missbrauch, mit einem Hinweis auf den Film “Höllenleben”. Auch diesen Film halte ich für ein Transportmittel von Wut und Trauer- nicht für ein aufklärendes, verständnisförderndes “Werk”. Jetzt wird sich der Film wieder zig mal angeguckt, ohne die Frau, um die es darin geht, daneben, um direkt Fragen und Eindrücke loszuwerden. Erklärt zu bekommen. Das Bild zu vervollständigen. Schon wieder!
Schade!

Schade um die Chance!
Schade darum, dass die Scherben wieder jene zusammenkehren, die eigentlich nicht die Kapazitäten dafür haben, neben ihrem Elend durch Betroffenheit auch noch um Glaubwürdigkeit und Verständnis zu kämpfen!