unsichtbare Abhängigkeit

„Kann ich mal über Abhängigkeiten schreiben?“
– „Wieso? Schnallt doch eh keiner- oder willst du wieder den Erklärbär zur Basis machen, die die Menschen in dem Haus darauf nicht mehr klar haben?“
„Erklärbärin! Und ja.. wenn es keiner sagt, ist sie noch weniger da…“
– „Ach du TraumtänzerIN… mach ruhig… wenn du das brauchst… dann will ich aber mal was zu unsichtbarer Selbstverletzung schreiben.“
„Wir verbinden es einfach…“

Wir haben ein soziales Netz, dass uns viel bedeutet.
Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft, mit ganz unterschiedlichen Päckchen und Wegen damit umzugehen. Manche sind auch Viele, manche nicht. Manche haben Gewalt erlebt, manche nicht. Manche waren mal arm, manche nicht. Doch eines haben sie alle gemeinsam: Sicherheit durch Kontakt zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit. Chancen ihren Neigung für Geld oder ohne nachzukommen. Manche verdienen mit dem Ausleben ihrer Neigung Geld, manche toben sich nach oder neben der Arbeit aus, manche haben keine besonderen Neigungen und hüpfen vom einem Erfüllungsgefühl zum Nächsten.

Wir beobachten sie alle gern dabei, gehen gern nebenher und feuern an, die eine oder andere Hürde zu nehmen. Stärken sie, wenn wir es können und stehen vollkommen hinter ihnen- egal, welches Ziel sie sich gesteckt haben. Wir sind die Ersten, die ihre Hilfe bei allem, was dafür nötig ist, anbieten. Wir stehen immer da. Auch wenn wir eigentlich keine Beine haben um zu stehen, sondern nur vom Willen zu helfen gehalten werden.

Unser Lohn ist das Wissen etwas erschaffen zu haben. Nicht allein, nie allein. Bloß nicht allein.
Nicht wegen der Verantwortung oder dem Stückchen Zucker Anerkennung, das für die HelferInnen und UnterstützerInnen abfällt, sondern wegen dem, was wir vor uns selbst erklären, begreifen, empfinden müssten.

Es ist eine selbst gewählte Abhängigkeit. Frei entschieden und ohne jede Erwartung einer Dankbarkeit dafür.
Alles, was dafür gebraucht wird, ist bedingungslose Akzeptanz. Akzeptieren ausgenutzt zu werden, an die Grenzen des eigenen Wissens zu stoßen. Akzeptieren, wie das Gegenüber mit einem umgeht- im Guten wie im Schlechten, alle Regeln und Anweisungen befolgen. Für sich allein hinterfragen, doch nie nach außen hin.
Eine weiße Wand der puren Grundakzeptanz bilden und sich vom anderen zum Gemälde machen lassen.

Es hat immer einen egoistischen Antrieb so zu handeln. Wir sind ein (Gesamt-) Ego, also handeln wir egoistisch.
Immer geht es bei den Dingen, an denen wir arbeiten, um andere. Um eine grundsätzliche Änderung, um es anderen Menschen besser gehen zu lassen und damit irgendwann auch uns selbst.

Doch wehe wir selbst beginnen so ein Projekt.
Dann stellt sich heraus, dass von all den Menschen, die man um Mithilfe bittet, exakt einer von sechs übrig bleibt. Sie alle sehen es. Sie alle wissen es. Sie alle sagen, dass es gut ist.
„Ich wünsche dir viel Erfolg, du hättest ihn verdient.“
Übersetzt in die Praxis ist es Folgendes: „Hier hast du 10 Cent in deine Betteldose, kauf dir was Schönes. Viel Erfolg dabei.- Aber sag mal, wo du doch grad nichts zu tun hast und immer so gern hilfst…“ oder noch schlimmer: „Hier meine 10 Cent- wir hören uns…“.

Es ist Wertschätzung und Abwertung in einem und keiner bemerkt es.
Versteht nicht, wie es ist aus dem Nichts etwas zu machen. Und damit meine ich das absolute Nichts außerhalb von sich selbst.
Sie alle haben eine Profession im Rücken, haben alle mehr oder weniger Mittel und Wege etwas zu erschaffen, haben Lebens- und Schaffenserfahrung in sich selbst. Sitzen im Ausgangspunkt mindestens immer im Keller, statt, wie wir, im Fundament selbst.

Unser Leben ist unglaublich basal. Es gibt nichts außer uns selbst und dem, was uns inne ist, um etwas zu erschaffen. Wir leben in einer anderen Welt. In einer Welt, die negiert wird, durch die Annahme von etwas, das in ihrer Welt, in ihrem Leben allein, eine Anwendung findet. „Du musst dich nur anstrengen. Guck mal, ich habe das doch auch geschafft.“
Eine Ohrfeige, die unglaublich schmerzt, impliziert sie doch einen Unwillen zur Anstrengung. Faulheit im Grunde genommen.

Den Fakt, dass sich Anstrengung erst dann gelohnt hat, wenn man mit ihnen im gleichen Stockwerk sitzt, begreifen sie nicht. Woher auch? Sie saßen nie im Fundament- jede ihrer Anstrengungen hat sie ein Stückchen höher gebracht- es hat sich für sie schon immer gelohnt. Sie kennen es nicht anders.

Es ist die gleiche missachtende Anmaßung, die ich auch bei Menschen erlebe, die sich zum Akademiker oder zum bezahlten Berufstätigen evolutioniert haben. „Ich weiß, wie das ist… / Ich weiß noch, wie das war…“. Egal, wie achtsam sie sind, sie sind zeitgleich verletzend. Es kommt immer ein „Aber“, das alles auf uns allein zurückwirft.

Wir haben noch nie um etwas ganz allein für uns gebeten. Das können wir nicht und es steckt viel dahinter, was wir bearbeiten müssen. So lange das nicht geht, tun wir eben Dinge, die nicht für uns allein sind.
Nun merke ich an dem Schreiben des Buches, wie sich die Komponenten verwickeln und bin der Verzweiflung nah.

Es ist nicht für uns- aber wir schreiben es.
Wir können es nicht ertragen selbst und allein etwas zu erschaffen, was einer Bewertung ausgesetzt sein wird- doch die Mitwirkung anderer ist unsicher oder passiert gar nicht erst, weil wir nicht bitten können uns allein zu helfen.
Es ist ein Schaffensprozess der aussieht, als würde er genährt von Ressourcen und Wegen, dabei entspringt alles uns selbst und dem Wissen, das wir uns angeeignet haben.

Ich poche an die Decke meines Fundaments- den Boden des Kellers, doch niemand hört es. Entweder, weil sie ein zwei Etagen höher wohnen, oder im Keller gerade das Leben tobt.
Es frustriert, macht wütend, unglaublich traurig. Löst Verlassenheitsgefühle und Spiralen des Selbsthasses aus. Unbemerkt. So unbemerkt, dass es egal ist, ob man es tut oder nicht.

Beziehungen verändern sich. Entwicklung kann eben auch trennen, wenn sich neue Einflüsse in einem verbinden. So ist der Lauf der Dinge und in diesem Kontext ist jeder Mensch immer wieder neu gezwungen zur weißen Wand aus Akzeptanz zu werden.
Als schmerzhaft empfinde ich allerdings die Missachtung dessen. Sie ist global für mich, denn ich habe nicht mehr als das zu bieten, was ich zeige. Es betrifft immer alles sofort und konkret mich. Ich habe nichts zu verlieren. Ich besitze nichts, bin niemand außer mir selbst und meinen Fähigkeiten.
Sie missachten nicht mein Tun, denn es ist nicht ohne sie.
Sie missachten mich, weil sie mich nicht bemerken.

154050_web_R_by_lothringer_pixelio.deErst wenn es darum geht, mal nicht mehr zu sein, kommen die Ansprüche ihrer Egos.
Wir haben zum Beispiel unser Testament geschrieben und darin geschrieben, dass es uns egal ist, wo oder von wem wir beerdigt werden. Das schließt auch eine Überstellung der Leiche an die biologischen Angehörigen ein. „Nee, lass das mal. Wir…“.
Ach was.
An so etwas interessiert, aber an dem Leben vorher nicht?! Einen Grabstein beachten, ein Grab pflegen wollen, aber nicht das, was vorher auf der Welt herumspaziert? Es uns im Tod, einem Zustand in dem wir nichts und niemanden mehr fühlen können, so schön machen wollen, wie es geht, aber uns im Leben keinen Platz einräumen?!

„Du musst doch nur etwas sagen! Du musst dich doch nur um unsere Aufmerksamkeit bemühen! Du weißt doch, wie wir sind…“
Klatsch!
Immer wieder.
In Bezug auf das Buchprojekt sogar bereits seit über einem halben Jahr.
Und wir, in unserer Abhängigkeit von ihnen, weil wir allein nichts erschaffen können, geben uns das auch noch, immer wieder. Immer wieder neuer Anlauf. Immer wieder eine neue Ohrfeige, die über Wochen brennt und dessen Schmerz man nirgends lassen kann, weil es egal ist.
Immer erst kommt eine Reaktion, wenn unser Dasein gefährdet ist.
Immer erst dann, wenn ihnen aufgeht, was sie von uns haben können, drehen sie ihre Musik im Keller ab bzw. gehen ein paar Stufen runter.

Und wir? Spalten in den Tiefen und lassen fröhliche Musik nach oben dringen, um sie glücklich zu machen. Einfach, weil wir nichts anderes da haben. Was sie hören sind sachte Töne des Verstehens und des Akzeptierens. Nicht den Text den wir aus vollem Hals nach oben zu brüllen versuchen.

Es ist so sinnlos. So eine unlösbare Abhängigkeit.
Und niemand nimmt sie wahr, weil ihm diese so fremd ist und immer wieder falsch in sich assoziiert wird.

Alles was an der Stelle bleibt, ist der kleine Pseudotriumph nicht auch noch im Tod so abhängig zu sein,
Dann, wenn man ihn nicht einmal mehr fühlen kann.

Willkommen in der Basis.
In meinem Schmerz. In meiner Welt der Unsichtbarkeit.
Der Rundgang endet hier.

das Deutungseigentlich

Als ich noch wenig Kontakt nach innen hatte und mich mehr oder weniger von bewusster Insel zu bewusster Insel hangelte, konnte ich auf die Frage, wie es mir ginge, meist nur antworten: „Hm.“. Meine Therapeutin fragte dann so etwas wie: „Was ist denn los?“ und meine Standartreaktion war: „Alles scheiße“. Und das wars. Mehr nicht. Mehr war ja auch nicht.
Meistens fragte die Therapeutin dann: „Was ist denn eigentlich los?“
Was denn eigentlich?! Wohin hätte mich ein „Eigentlich“ gebracht?

420088_web_R_B_by_Dieter Schütz_pixelio.deEigentlich ist doch alles toll?
Eigentlich stelle ich mich doch nur an?
Eigentlich liegt die Lösung von allem in mir selbst?
Eigentlich nehme ich nur falsch wahr?
Eigentlich will ich doch etwas ganz anderes sagen?

Das pseudotherapeutische „Eigentlich“, hat für mich immer nur einen Zweck: „Du verdeckst den Kern deiner Aussage, um deine Umwelt für deine Probleme verantwortlich zu machen.“. Immer läuft es darauf hinaus, dass ich nicht auf etwas reagiere, sondern verschieben will.
„Ich bin wütend auf Sie, weil sie mir immer ein Eigentlich unterstellen!“
-„Eigentlich sind Sie doch gar nicht wütend auf mich, sondern auf Ihre Eltern“ oder noch schlimmer: „Eigentlich sind Sie nur wütend auf sich selbst.“.

Das Schlimme an diesem „Eigentlich“, das so vielen Psychotherapeuten und Psychiatern hilft ihre Klienten so richtig auf den Rücken und ihr eigenes Sein und Handeln allein zurückzuschmeißen, ist, dass es eine Strategie ist, bei der sowohl die Lebensumstände des Klienten, wie auch FragestellerIn selbst unsichtbar bleiben. Unangreifbar. Nicht hinterfragbar. „Professionell abstinent“.
„Ich habe damit nichts zu tun- es geht nur um Sie- ich werde dies und das und jenes nicht diskutieren, weil es nicht um mich geht. Ich unterstelle Ihnen nichts- ich sage Ihnen nur, was Ihnen eigentlich ihre Probleme verursacht.“.
Manche garnieren das sogar noch mit einer Art Zwang zur Dankbarkeit aus sozialem Druck heraus: „Ja, üben Sie ruhig die Wut, die Sie sich Ihren Eltern gegenüber nicht eingestehen können, an mir- ich bin gern Ihre Projektionsfläche. Mich kann nichts treffen, denn ich weiß ja, dass es Ihnen nicht um mich geht.“.

Vielleicht merkt der Leser schon, dass es in so einer Art Gespräch keinen Weg gibt, dem Gegenüber zu vermitteln, was man ihm vermitteln möchte oder die Annahme dessen, was wortwörtlich gesagt wurde zu erwirken. Immer bleibt man am ausgestreckten Arm hängen und das, was man tut bleibt wirkungslos.

Zurück bleiben Zweifel, Ohnmachts- und Auslieferungsgefühle. Die Selbstwirksamkeit vergammelt in der Ecke des Zimmers und die einzige Erkenntnis, die sich im Kopf ausbreitet ist die, dass man selbst schuld an etwas ist, oder unfähig zu etwas, oder sogar selbst ein schlechter/ kranker/ feiger/ dummer/ unfähiger Mensch ist.
In der Psychiatrie gilt es dann als „Krankheitseinsicht“ oder „Selbstreflektion“- nicht etwa als Unterwerfungsgeste oder Reflektion dessen, was in dem Gespräch auf einen eingewirkt hat.

Es ist ein Werkzeug zur Machtausübung.
Gerade in der Psychiatrie, in der es ein Machtgefälle sondergleichen gibt, begegnete mir diese Gesprächsführung oft. Ambulante TherapeutInnen, die so agieren, kenne ich auch und auch einige Menschen ohne diese Profession, die dem einmal ausgeliefert waren und es als Muster zum Kontrollerhalt für sich angenommen haben.

Eigentlich sehr schlau sich das anzunehmen, denn nichts garantiert so wenig Verletzung durch soziale Interaktion, wie das gnadenlose von sich weisen der Worte allein. Die Suche nach der Deutung- dem „Eigentlich“- ist vielseitig und auf alles anwendbar. Gerade in Konfliktsituationen, ist das suchbare „Eigentlich“ ein Garant für Entfernung von sich selbst und die Beschränkung des Gegenübers.

Solche Menschen wirken immer sehr stark und unverletzbar- sind es in der Kommunikation meistens auch und müssen es in der Regel auch aus irgendeinem Grund sein, um sich zu schützen.

Die Frage, wie man darauf reagiert, kann ich mir selbst nicht ganz beantworten.
In der Psychiatrie hat man keine andere Wahl als zu spalten. Man behält (hoffentlich) das ein, was man meint und agiert aber nach außen so, wie es verlangt wird. Nach der Entlassung sucht man sich jemanden, der ohne diese Art Gewalt mit einem interagiert.
Ambulante TherapeutInnen, die so agieren gibt man am Besten gleich den Therapieplatz zurück. Egal, wie schwer die Suche nach jemand anderem wird, sie wird sich immer mehr lohnen als das, was einem dort angetan wird.
Bei Menschen außerhalb dieses Kontextes fehlt die Komponente des „Ich will etwas von dir“. Man könnte also auch einfach gehen.
Doch was ist, wenn man merkt, dass es sich um jemanden handelt, den man gern hat? Oder es jemand ist, bei dem man die Strategie durchschaut und weiß, dass man in manchen Situationen etwas in ihm bedroht?
Was ist, wenn derjenige das offene Lernfenster vor seiner Nase ignoriert und nicht begreift, dass ihm gerade eine Chance begegnet zu erfahren, dass ihm vom Gegenüber nichts geschieht, was diesen Schutz nötig macht?
Wenn nicht einmal durchdringt, dass man verstanden hat und akzeptiert?
Steter Tropfen? Holzhammer? Oder Schulterzucken und sich selbst immer wieder ein „Eigentlich“ vorsagen, wenn es wieder losgeht?

Ich weiß es nicht und ich selbst mache es vom Grad meiner Erschöpfung abhängig, ob ich gehe oder bleibe. Immer wieder etwas aushalten zu müssen, ist nicht die Art Kontakt, die ich mir wünsche und die mich heil lässt. Obwohl ich mich glücklich schätze, diese Dynamik nach vielen Jahren in Psychiatrie und zerstörerischer Beziehung zu TherapeutInnen erkannt zu haben.
Ich möchte nicht diejenige sein, die, und sei es nur vor sich selbst und aus Schutzgründen, zum Mittel der Gegengewalt- zum „Deutungseigentlich“- greift.
Für mich ist es bereits ein Grenzübertritt zu erwarten, dass das Gegenüber etwas Anderes, als seine Worte sagen will. Davon auszugehen, dass hinter dem, was er mir zeigt, noch viel mehr stecken muss, nur weil ich das so deute.

Wer bin ich, dass ich mich zur Deutungshoheit über seine Aussagen stellen darf? Er spricht doch zu mir und sagt, was er sagen kann. Vielleicht ist es auch nicht mehr, als das, was er eben sagt. Und sei es drum, dass es nur zwei Worte sind, wie ich sie früher oft benutzte: „Alles scheiße.“.
Es war für mich eben alles scheiße. Alles um mich herum war scheiße. Es war scheiße, eingesperrt zu sein. Scheiße, keine Privatsphäre zu haben. Scheiße, „krank“ zu sein. Scheiße, sich nicht gut zu fühlen. Scheiße, keine Perspektive zu haben. Scheiße, ich zu sein. Alles eben. Alles war eben scheiße.
Um zu der Feststellung zu kommen, musste nichts passieren. Um es so zu empfinden, brauchte es keine tiefere Ursache, als das, was da war. Und der Grund, weshalb ich es sagte, war der, dass mein Gegenüber mich gefragt hatte.

Ich kann überlegen, ob sich ein Aushalten lohnt. Ob ich meine Erschöpfung von solchen Situationen besser kompensieren kann. Ein „Eigentlich“ hilft mir bei der Sortierung, der Verarbeitung dessen, was mir diese Erschöpfung verursacht hat, ganz klar. Aber ich will keine Kontakte, bei denen es ausschließlich das „Eigentlich“ für mich selbst ist, das mir hilft mit jemandem zurecht zu kommen bzw. jemandes Verhalten einzusortieren.
So habe ich oft genug in anderen Kontexten aushalten müssen.

Es sind schwere Überlegungen und der einzige Grund für diese Überlegungen sind egoistische Motive zur Mehrsamkeit. Ich bin lieber mehrsam, als einsam.
Doch den Preis dafür muss ich mir festlegen.

der Traum mit dem Doppeldecker aus Pappe

Manchmal habe ich Träume in denen ich meiner Familie wiederbegegne.
Sie sind alle keinen Tag älter geworden. Agieren noch ganz genau so, wie in den letzten Tagen, bevor unsere gemeinsame Welt, wie eine Sandburg in der Brandung der Küste, bröckelte.

Diesmal war es heiß und jede Bewegung fiel mir schwer. Ich stand neben dem graublauen Familienauto, das wir damals hatten, und sah meine Mutter mit meinen Geschwistern drinnen gemütlich aneinandergedrückt Süßigkeiten essen. Aus welchem Grund auch immer, hörten sie Musik aus einem kleinen Kofferradio, das sie zwischen die Vordersitze geklemmt hatten.

Ich fragte, ob ich mitmachen dürfe. Ob ich auch Süßigkeiten haben dürfte, mit hinein kommen könnte. Sie mussten doch nur ein Stück rücken und dann wären wir ein schönes Knäul. Aber eines der Geschwister fing an zu nörgeln und meine Mutter sagte diesen für sie so typischen Satz in so einem Moment: „Och, komm,du bist doch nun schon groß. Muss das denn jetzt sein? Du siehst doch…“.

In meinen Träumen bin ich natürlich schon erwachsen innerlich. Es ist ja nur ein Traum.
Ich bin dann geistig nur 10 Jahre jünger als meine Mutter und sagte also zu ihr, dass ich es sehe und genau deshalb dabei sein will. Dass ich sehe, wie schön sie es gerade haben und, wie nah sie meine Geschwister bei sich hat. Ich sage zu ihr, dass mein Wunsch berechtigt ist, auch wenn ich nun groß bin. Sie ist doch auch groß und genießt dieses Beisammensein sehr.
Statt ihrer antwortet aber mein nächst jüngeres Geschwist in zornigem Quengeln, wie mein Vater. Ich würde immer alles kaputt machen und plötzlich verdreht sich die Traumrealitätsgegenwart mit der Echten. Es beginnt mir Vorwürfe wegen meines Weglaufens zu machen. Wegen meines Wahnsinns, den meine Mutter, seiner Meinung nach, hat kaputt gehen lassen.

So konfrontiert beginne ich es aus dem Auto herauszuziehen. Es am Kragen des Shirts zu packen und mit ganzer Macht gegen das Fahrgestell zu drücken. Ich brülle es an und quetsche all meine Kraft gegen seinen präpubertierenden Leib. „Es war schon alles kaputt! Sie war schon kaputt, ich war kaputt- du bist kaputt. So kaputt, dass du dir nie eine eigene Meinung gebildet hast, sondern dich weiter hast unterwerfen lassen. Du willst mich hassen? Willst du das ernsthaft?! Wie kannst du nur?! Sind dir diese finanziellen und pseudoaufrichtigen Handlungen dein Leben wert?! Deine Zukunft?! Rede verdammt! Rede mit mir! Sag mir was DU denkst- nicht was SIE denken. Spuck es aus!“.

Das Geschwist schiebt mich mit einer Hand von sich und stützt sich gegen das Auto. Es schaut mich nur an und lässt scheibenweise Phrasen aus seinem Mund herausfließen, die mich treffen wie Schwerthiebe.
Ich fange an zu weinen und meine Mutter kommt halb aus dem Auto heraus.

Sie schiebt sich in diese Situation wie eine Bärenfalle. Ich mache einen Schritt auf sie zu. Denke, sie würde mir beistehen, doch es ist der gleiche Ablauf wie immer. Sie schnappt zu und beißt mir dabei ein Stück Seele ab. „Du bist nur der erste Versuch gewesen. Der erste Pfannkuchen missrät immer. Jetzt geh und hilf deinem Vater in der Scheune.“, sie wendet den Blick zu dem Geschwist neben mir, während sie dem jüngsten, das mich mit großen Kinderaugen unergründlich anstarrt, das verschwitzte Haar streichelt. „Komm G., komm rein. Sie geht jetzt. Es ist alles wieder gut.“.

Ich stehe fassungslos vor dem Auto. Dem Eingang ihrer Höhle. Irgendwo pocht es in mir und mir wird sehr klar, dass sie sich hier hin verkrochen hat, gerade weil der Vater in seiner Scheune herumwerkt. „Du lieferst mich gerade aus und das ist dir egal, richtig? An mir kann ja nichts mehr missraten. Ich bin schon der missratene Versuch, stimmts?“, ich werde wütend und aus allen meinen Poren schießen meine Panzerstacheln heraus. Ich schreie sie schrill an, beschimpfe sie übel, verwende dabei eine Phrase, die ich neulich bei Twitter las: „Fick dich ins Knie, bis es bricht“. Ich trete gegen das Auto, schlage auf das Dach, doch sie reagieren nicht mehr auf mich. Nur die Augen des jüngsten Geschwists verfolgen mein Tun, ohne Verbindung aufzunehmen.

In meinem Traum nehme ich meinen Rucksack auf und gehe zurück in meine Schule, die eher nach Hogwarts aussieht und versuche einen riesenhaften Doppeldeckerflieger aus Pappe zu bauen.
Während ich das tue, wird mir klar, dass ich träume und ich bemühe mich mit aller Macht, die Szene mit meiner Familie im Kopf zu behalten. Sie nicht zu vergessen, damit ich sie aufschreiben kann.
Sie ist so real und nah. So genau das, was ich so oft tun will und niemals konnte und auch nie können werde.

Ich will dem einen Geschwist den Dreck aus dem Kopf schaufeln und ihm den Wert seines eigenen Selbsts klar machen. Will dem anderen Geschwist freundlich entgegen treten und ihn aus dem Schoß meiner Mutter locken. Ihm die Welt zeigen, in der man artikulieren darf, was man mit seinen Augen aufnimmt. Ich will ihm die Sprache geben, die es dort nicht benutzen kann.
Ich will meiner Mutter sagen, wie sehr sie mich ausgenutzt hat, um sich zu sichern. Wie sehr sie das sogar vor sich selbst verleugnet hat. Wie sehr ich gelitten habe.

Ich habe dabei keine Racheintension, es geht mir nicht darum ihre Scham zu fühlen. Es geht mir um ihr Bewusstsein. Ein Verständnis für mich. Um die Würdigung meines Seins. Ihr zu vermitteln, dass ich wirklich ihr erster und vielleicht tatsächlich missratener Pfannkuchen bin, aber doch ihrer und trotz allem einer, den es gibt. Den man nicht immer wieder wegwerfen und von sich stoßen muss. Den man nicht ignorieren und für alles, was ihnen zuwider ist, opfern darf.

Ich werde ihnen das nie sagen können. Ich werde nur hoffen können, dass dem Radio in diesem Auto irgendwann die Batterien ausgehen, es ihnen ungemütlich wird, sie Hunger oder Durst bekommen. Vielleicht mal aufs Klo müssen und von sich aus, aus dem Auto heraus kommen.254837_web_R_by_Andreas Müller_pixelio.de

Ich werde mit meinem Doppeldeckerflieger über ihnen kreisen, weit weg, in einer anderen Sphäre und Worte an die Himmel der Welt malen. Denkend, dass sie irgendwann vielleicht mal den Blick heben und von einer Pappflugzeugfliegerin erfahren, die etwas geschrieben hat, das auch von einer die sie kennen, kommen könnte.

der Rosenblätterhulk marschiert wieder

Willkommen zum neusten Durchbruch des Rosenblätterhulks, welcher von „Wie kann man nur so blind sein?!“ skandierenden Rosenblättern durch den Blogartikel begleitet wird.

Heute wurde der neuste Arzneimittelreport der BARMER GEK veröffentlicht.
Uh- ja es gibt einen Anstieg von 41% bei der Verordnung von Antipsychotika bei Kindern und Jugendlichen! Huch jeder zweite Senior zwischen 80 und 94 Jahren ist von Polypharmazie betroffen!
Oh mein G’TT !!! Wer hätte das denn ahnen können!!! Oh nein!!!

Wir brauchen ganz doll dringend eine elektronische Vernetzung der Ärzte!!!! Ganz doll schnell verdammt, sonst…. DA DA DA DAAAAAAA könnte jemand auf die Idee kommen, die Ärzte, Pfleger- oder… oh my fucking G’dness DIE PATIENTEN SELBST zu unterstützen und sich den Faktoren für steigende Arzneimitteltherapieverordnungen selbst widmen!

Wir könnten die Mediziner noch mehr ausbeuten, indem wir sie noch effizienter (heißt schneller schneller schneller) zu arbeiten zwingen. Wir könnten von „technischem Versagen“ sprechen und nicht von einem medizinischen Kunstfehler, wenn aufgrund der Wechsel- und Nebenwirkungen von Medikamenten ein Mensch verstirbt. Ach und nebenbei könnten wir auch noch viel besser den Patienten mangelnde Mitarbeit und/ oder riskantes Verhalten beweisen, wenn es ihnen nach einer bestimmten Zeit mit ihrer Erkrankung nicht besser geht! So sparen wir viel mehr Geld im Bereich der Heilbehandlungen!

Nur in den Pflegeheimen, da müssen wir uns etwas überlegen. Ist ja immer medizinisch begründet, wenn Menschen mit Demenz mit Benzodiazepinen und Neuroleptika abgefüllt werden. Die sind ja dement und nicht etwa zusätzlich noch posttraumatisch belastet und in Unterkünften, die gerade mal eben so eine Grundversorgung schaffen. Da so mit einer examinierten Pflegekraft, einer Aushilfe und einer studentischen Hilfskraft auf der 25 Bettenstation…

Boa Leute echt mal. Das kann doch nicht wahr sein!

Da wird erst mal gleich zu Beginn, am Anfang von allem, einem Wirtschaftsunternehmen die Aufgabe der medizinischen und krankheitstherapeutischen Grundversorgung von Menschen zugetragen. Fail Nummer eins. Gesundheit dürfte nichts kosten! Genauso wenig, wie sauberes Trinkwasser (Hint: Nestlé) und ein Dach über dem Kopf (Hint: Wohnungsknappheit durch Bevorzugung bei der Baugenehmigung von Luxushäusern).

Und dann gibt man ihnen auch noch so viel Raum, dass sie sich aufgrund dieser Monopolposition als Allwissende über sämtliche Faktoren, die eine Medikation oder Heilbehandlung nötig macht, stellen kann.

Verdammt nochmal- es liegt nicht an zunehmenden Krankheiten oder der Zunahme von Diagnosestellungen, die zu steigender Arzneimittelverordnung führen (immerhin wurde dies im Artikel auch erwähnt). Es liegt an beschissener Versorgung und ausreichender- konstant und gründlich durchgeführter- Hilfe!

Wie soll sie denn auch passieren, wenn immer knapper kalkuliert wird, um die Gier an der Konzernspitze zu befriedigen?! Sowohl bei den Geldgebern, als auch an den Konzernspitzen der Geldnehmer!

Nehmen wir mal an, ein Arzt bräuchte für seine kleine Praxis nicht um die 150 Patienten um seine Praxis so zu führen, dass er sich ausreichend weiterbilden und selbst ernähren kann. (Ich weiß nicht wie viele Patienten ein Arzt tatsächlich braucht- es ist fiktives Modell, dass ich hier darlege)
Sagen wir, er bräuchte nur noch die Hälfte. Er hätte doppelt so viel Zeit, sich der Anamnese zu widmen, hätte doppelt soviel Zeit sich die Akte des Patienten durchzulesen  Hätte doppelt soviel Zeit sich die Rote Liste vorzunehmen und eine Arzneimitteltherapie so risikoarm wie möglich zusammenzustellen.
Er hätte sogar die Möglichkeit seine Patienten ohne Medikamente zu versorgen, sondern bei der Änderung ihrer Lebensumstände hilfreich zu sein. Er hätte die Zeit sich mit den anderen BehandlerInnen über seinen Patienten auszutauschen und abzustimmen.

Meiner Meinung nach, würde ein elektronisches Datennetz zum Patienten dazu führen, dass der Arzt selbst im Grunde genommen nur noch dazu da wäre, die Symptome seiner Patienten in einen Computer einzugeben. Und selbst das, könnten die Patienten im Wartezimmer in vielen Fällen bereits allein tun, in dem man ihnen einen Ankreuzdatensatz vorlegt.
Der Arzt würde zum Rezepteschreiber degradiert- noch einmal mehr, als er es heute oft genug bereits ist.

Beispiel?
Meine Neurologin und mein Hausarzt zum Beispiel.
Ich ging zu meinem Hausarzt, saß 5 Minuten da und sagte ihm, dass ich in der Psychiatrie auf das typische Traumatriple ABN (Antidepressiva, Benzodiazepine und Neuroleptika)  eingestellt wurde und laut Klinik eine Folgebehandlung nötig sei. Er hatte nicht die Zeit eine weitere Anamnese zu erstellen, außerdem fällt die psychiatrische Behandlung von Patienten in den Fachbereich der Neurologen/ Psychiater. Er fragte nach dem Namen der Mittel und schrieb sie auf. Dann fragte er nach sonstigen Erkrankungen. Ich gab an allergisch auf Penicillin zu reagieren, am Reizdarmsyndrom zu leiden und leichten Heuschnupfen zu haben, sowie zu somatoformen Dissoziationssymptomen zu neigen.
So- für ihn war alles klar. Ich bin psychisch krank- nicht sein Fachgebiet- Überweisung und fertig.

Meine Neurologin, nahm meine Klinikzettel entgegen und verschrieb mir durchgehend ein Mittel, das mir als Nebenwirkung Krampfanfälle verursachte. Ich ging damit in eine Klinik, die auf epileptoforme Erkrankungen spezialisiert ist. Diese gab mir einen Zettel für die Psychiaterin mit auf dem stand, ich hätte keine Epilepsie, sondern dissoziative Krampfanfälle.

Meine Psychiaterin schrieb mir dies auf einen Zettel für die Psychotherapeutin.
Ich fand heraus, das meine Krampfanfälle aber keinen seelischen Effekt hatten (wie es typisch für dissoziative Krampfanfälle ist). Also ging ich zu meinem Hausarzt und sagte ihm, dass ich mir unsicher in Bezug auf meine Medikation sei und dringend einen Rat brauchte, wo ich zu Informationen dazu komme. Ich sagte ihm, dass ich an eine Wechselwirkung mit den verschiedenen Psychopillen glaube.
Mein Hausarzt hatte 5 Minuten für mich. Zu wenig die rote Liste zu studieren und festzustellen, dass daran tatsächlich etwas dran sein könnte. Meine Neurologin hatte 10 Minuten für mich. Zu wenig, um dies zu tun, denn etwa 8 Minuten brauchte ich, ihr alle Zusammenhänge zu erklären und zu formulieren, was meine Gedanken dazu waren. Meine Behandlungszeit ging für die Zusammenfassung meiner Behandlung durch 3 verschiedene BehandlerInnen drauf!
Meine Psychotherapeutin hatte 50 Minuten für mich, in denen sie mich anhörte und das Gespräch beenden musste mit: „Sprechen Sie mit ihrem Arzt darüber.“.

Natürlich hätte ich davon profitiert, wenn es eine zentral abrufbare Akte für mich gegeben hätte. Aber ich hätte genauso davon profitiert, wenn sich meine BehandlerInnen ausführlich und vernünftig mit meinem Fall hätten auseinandersetzen können. Nämlich mit Zeit, die sie auch vernünftig bezahlt bekommen hätten.

Und ganz ganz klar, kann ich heute sagen, dass ich keines der Medikamente überhaupt je wirklich gebraucht hätte, hätte es bereits in der psychiatrischen Klinik Zeit und Ressourcen gegeben, die mir den Umgang meiner Traumafolgestörung ohne Medikamente vermittelten.

Ich persönlich hätte überhaupt nie in die Klinik gemusst, wenn es in den Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen Zeit und Ressourcen gegeben hätte, meine Hölle von Kindheit zu verarbeiten.

Ich hätte überhaupt nie in eine Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung gemusst, wenn mir nie Gewalt und Ausbeutung passiert wäre!

Mir wäre nie Gewalt und Ausbeutung geschehen, wenn es keine Profiteure und Geld als Garant für Sicherheit und Machtbefriedigung gäbe.

Und so schließt sich der Kreis.108423_web_R_by_Claudia Hautumm_pixelio.de
Er wird sich nichts verändern mit elektronischer Patienten- oder Behandlungsüberwachung. Er wird nur besser organisiert, verschleiert und verschärft die wahren Probleme, die hinter Massenmedikationen stecken.

Es ist wieder ein Versuch sich vor der wirklichen Aufgabe als Unternehmen mit Gesundheitsdienstleistungen kostengünstig zu verkriechen.
Ein Ding, das den Rosenblätterhulk marschieren lässt.

Wir werden in der nächsten Zeit immer mehr Ergebnisse dieser Studie in den Massenmedien lesen und wir werden wieder erleben, dass in diesen Artikeln nicht von Zeitnot der MedizinerInnen gesprochen wird. Dass nicht davon gesprochen wird, dass Angehörige gezwungen sind, ihre dementen Familienmitglieder in Heime bringen zu müssen, weil sie selbst arbeiten und zu Recht um ihre Existenz und Kraft fürchten müssen, wenn sie sie zu Hause pflegen müssten. Wir werden nicht davon lesen, dass Eltern so eine Angst um die Zukunft ihrer Kinder haben, dass sie ihrem „Zappelphillip“ Medikamente geben, um ihm Chancen zu erhöhen in der Gesellschaft zurecht zu kommen. Wir werden nicht davon lesen, dass nur 10% der Menschen, die eine psychiatrische Diagnose haben, überhaupt eine Chance auf eine richtige Behandlung haben. Wir werden wieder nichts davon lesen, dass es ein Klima der Angst um Leib und Leben ist, von dem unsere „Gesundheitskassen“ profitieren.

Wir werden nur lesen, dass das bestehende Elend besser organisiert werden muss.
Machen wir nicht Fehler, dies zu glauben!