Spiegelneuronen und eine lange Warteschleife

Seit dem Podstock lächle ich mehr oder weniger durchgehend Kringel in die Luft und fühl mich irgendwie düselig.
Wenn ich so durch die Straßen gehe, werde ich oft angelächelt.
Denn Spiegelneuronen sind etwas Geniales. Und verliebt sein. Verliebt sein auch.

Als Spiegelneurone werden Hirnzellen bezeichnet, die bereits dann Signale aussenden, wenn man (in diesem Fall ein Mensch oder ein Primat) eine Handlung nur beobachtet.
Obwohl bereits 1992 bei Primaten entdeckt, kann man bis heute noch nicht erheblich mehr als darüber mutmaßen, welchen Einfluss diese Zellen darauf haben, wie menschliches Mitgefühl und die sogenannte “Gefühlsansteckung” gestrickt sind.
Forschungen haben jedoch gezeigt, dass sie in jedem Fall daran beteiligt sind, wenn man einander unwillkürlich nachahmt und manchmal auch “nachfühlt”.

Ich lächle so vor mich hin – eine andere Person, lächelt zurück.
Ein Baby wird gefüttert – die fütternde Person öffnet den Mund – das Baby öffnet den Mund.
In einem Film weint eine Person über etwas – das zuschauende Publikum weint eventuell auch mit.

Einfach so.
Ohne bewusste Intension.

Menschen sind soziale Wesen und mit Nervenzellen ausgestattet zu sein, die spiegelnde Handlungen einleiten und „mit Gefühlen anstecken lassen“, ist in sozialen Gruppen eine super Sache.
Der Fanblock im Fußballstadion wäre ein langweiliger Leutehaufen mit peinlichen Schals, würde sich die Gruppe nicht gegenseitig in Freude und Aufregung bringen können.  Andererseits wäre so ein Fanblock auch eine weniger gefährliche Sache, würde sich selbige Gruppe nicht auch in Ärger und Zerstörungsrausch bringen können. Denn auch so spiegelt es sich.

Gewalt, die in Gruppen passiert bzw. Gewalt die von Gruppen ausgeübt wird, werden von Spiegelneuronen also anzunehmendermaßen mitbestimmt.
Parallel dazu werden auch die Traumafolgen, mit denen die Menschen aus ebenjenen Gewalten hervorgehen, davon mit beeinflusst.

Hier berühren wir den Punkt, der die Gewalt an Menschen durch andere Menschen so besonders macht.
Denn: Wenn eine Person eine andere Person hasserfüllt anstarrt und ihr Schmerzen zufügt – wie schaut sie die Person an?
Hasserfüllt wahrscheinlich eher nicht. Mit großer Wahrscheinlichkeit blickt die_r Täter_in in diesem Moment in ein vor Todesangst verzerrtes Gesicht. Oder in ein weinendes Gesicht. Oder in ein Gesicht, das gar keinen Ausdruck zeigt. Oder in ein vom Kampf um Abwehr bewegtes Gesicht.

Spiegelneurone allein können an dieser Stelle nicht weiterhelfen zu verstehen, wie das überhaupt passieren kann.
Wäre dem so, würde ein Hassgesicht einem anderen Hassgesicht gegenüber sein. Oder ein Angstgesicht einem Angstgesicht. In jedem Fall wäre ein Gleichgewicht hergestellt und die zerstörerische Handlung eventuell unterbrochen oder wenigstens gestört. Ein Mensch, der einem anderen Menschen weh tut, müsste (in den eigenen Leib hineingespiegelt) spüren, dass er etwas Schlimmes tut und damit aufhören.

Warum das so oft nicht passiert, beschäftigt nicht nur die Menschen, die diese Erfahrung (egal auf welcher Seite!) gemacht haben, sondern auch Forscher_innen. Es gibt Theorien, die sagen, dass manche Menschen aufgrund bestimmter neurologischer Strickmuster nicht in der Lage sind, auf den Anblick anderer Menschen spiegelnd zu reagieren und es gibt Theorien, dass das Moment der Gewalt selbst, der Spiegelung den Raum nimmt.
Und es gibt Theorien, die Spiegelphänomene ganz und gar außer Acht lassen.

Spiegelneurone und ihre Aktionen können aber erklären, wo der Hass herkommt, der plötzlich in der Person auftaucht, die mit ihm konfrontiert wurde. Tage, Stunden, Monate, Jahre – Jahrzehnte später.
Übersetzt zu uns: wo Innens herkommen, die Hass – auch nach außen – tragen. Scheinbar einfach so.

Wir haben bis heute mal mehr mal weniger mit Innens zu tun, die nichts anderes tragen, als zu hassen, zu zerstören, Schmerz zuzufügen.
Was ich von so einem Innen merke, ist manchmal nichts weiter, als so ein weißer Affekt, der sich die Bahn zu brechen versucht, obwohl er weder Ziel noch mehr Logik hat, als “gegen” oder “NEIN” – selbst dann, wenn kein “echter Anlass” da ist, sich für oder gegen etwas entscheiden zu müssen.

Als wir noch jünger waren, gingen wir durch eine Zeit, in der das gnadenlose “NEIN” schon rausbrach, wenn uns jemand nur angefasst oder auf andere Art invasiv mit uns umgegangen ist. Dazu gehört bis heute uns zu beobachten, länger anzuschauen, zu kommentieren, was wir tun, uns keinen eigenen Raum zu geben bzw. zu lassen.
Heute, wo wir mehr davon erinnern, wie unser ganz üblicher Kinderalltag ausgesehen hat, ist das NEIN kein losgelöster Affekt mehr, der einfach so als Reaktion auf einen Trigger (wie soziale Invasion) auftauchen kann.
Es ist ein reingespiegelter Teil dessen, was uns angetan wurde.

Ich hab gesagt: Nein – Batsch –Schmerz – Schwarz – Weiß – Stunden später: Es ist nie irgendwas passiert

Wie schon beschrieben, bezeichnet der Begriff der Dissoziation das Getrennte, das Unverbundene. Situationen wie diese, waren für uns zum Einen so krass, dass sie nicht zu einer runden, gesamten Erfahrungen verarbeitet wurden, zum Anderen, waren sie aber auch so üblich, dass wir nur sehr selten in den Entspannungsmodus kamen, der die Verarbeitung ermöglicht.
Das heißt: der ganze Kleinscheiß – der Anblick der Person – das Batschgeräusch zwischen Täter_innenhand und eigener Haut, zwischen Kopf und Wand – die Gedanken, Gefühle, Analysen und Berechnungen, die angestellt wurden, um zu verstehen, was da gerade mit uns passiert und warum und wie man sich daraus retten könnte – dieser Schmerz, der wie ein Baumstamm einmal das ganze Ich und Sein durchschießt – und der ganze klebrig unfassbare Dusel, mit dem man direkt danach durch komplett entgegensetzte Situationen ging, diese ganzen kleinen Teile der Gesamterfahrung, blieben wo sie waren.

Eben auch der Anblick der Person und das Moment der Spiegelung.

Unsere Theorie ist, dass für Spiegelphänomene in sozialen Gewaltmomenten keine Kapazität ist. Der Vorgang an sich aber relevant bei der Verarbeitung der Erfahrung. Genauso wie das Erinnern bestimmter Gedanken und Nach_Empfinden bestimmter Gefühle in der Situation, relevant für die Verarbeitung ist.

Gehirne mögen Verarbeitung.
Je mehr zusammenhängende Informationsnetze ein Gehirn zur Verfügung hat, desto weniger Energie geht dafür drauf, von A nach zu B zu greifen, aber C in die Finger zu kriegen und deshalb nur AC fabrizieren zu können, obwohl AB adäquat wäre.
Das ist, was am Ende eine PTBS und dissoziative Störungen letztlich zu “Störungen” macht. Dass das Gehirn eventuell nur sehr wenige wirklich konsistent zusammenhängende Informationscluster aus gemachten Erfahrungen und Reizwahrnehmungen hat stricken können und in der Folge zu “Fehlgriffen” neigt.
Dies kann eine Fehlinterpretation von Situationen bedeuten, kann aber auch “falsche” Emotionen oder Gedanken zu bestimmten Situationen bedeuten.

Wobei zu diskutieren sein dürfte, wie “falsch” Emotionen überhaupt sein können und, ob ich mit den Begriffen “Fehlgriff” oder auch “Fehlinterpretation” eine irreführende Sprachführung nutze.
Denn.
Dissoziation bzw. dissoziative Traumafolgestörungen sind nicht chaotisch.
Können sie gar nicht sein, denn Reizwahrnehmung ist nicht chaotisch.

Menschenkörper funktionieren über alle Sinne. Das sind entgegen der üblichen Annahme nicht nur Hören, Schmecken, Riechen, Tasten, Sehen, sondern auch der Gleichgewichtsinn, das Schmerz – und Temperaturempfinden und die sogenannte “Tiefensensibilität” (für die Lage, die Kraft, die Bewegung des eigenen Körpers).

Es wichtig über diese Sinne Bescheid zu wissen. Auch für die eigene Beschäftigung mit dem, was als Fetzen eigenen traumatischen Kleinscheißes mal eben so in den Alltag fliegen kann, scheinbar ohne Sinn zu ergeben.
Als unsere Auseinandersetzung mit der Dissoziation und ihrer Mechanik begann, lernten wir noch, (grob gesagt) dass wir so viel Angst hatten und so in unserem Urvertrauen erschüttert waren, dass in uns alles durcheinander gekommen ist.
Später dann lernten wir, dass unser Gehirn durcheinander gekommen sei, weil das Erlebte einfach alles zu viel war.

Wir lernten also, dass unser Körper vorrangig Empfänger der traumatisierenden Erfahrung war und darin nicht sehr gut, denn jetzt ist eben alles durcheinander und in kleinen unverarbeiteten Fetzen in unserem Hippodings und macht die DIS.
Hm.

Für mich verband sich das damals alles sehr zu einer Art mir “objektiv wissenschaftlich” zu sagen, dass mein Körper eben Opfer wurde und also ausgeliefert und also zu nichts weiter in der Lage, als dysfunktional zu werden, weil Trauma das eben macht.
Was nicht ganz falsch ist – aber eben auch nicht ganz richtig.

Dazu noch eine Schleife.

In einer traumatisierenden Situation werden alle sensorischen Kanäle mehr oder weniger gleichzeitig überreizt. Selbst dann, wenn gar keine äußeren Reize da sind [denn: Körper finden Reize geil, weil sie so wissen, dass sie sind. Wenn sie keine kriegen, “machen sie sich welche”. Das können zum Beispiel Halluzinationen, Juckreiz oder auch (Wahn)Ideen sein. Diesen Input über einen längeren Zeitraum “machen zu müssen”, ohne sich selbst dafür zu desensibilisieren, führt zu ganzen ähnlichen “Übersteuerungen”/”Überreizungen”, wie es in Situationen mit enormer Reizüberflutung von außen der Fall ist.]

Man kann es sich vorstellen wie damals, als Telefongespräche noch von einem Fräulein bei der Vermittlung von Hand von A nach B zugestellt werden mussten.
Gibt es 20 Anrufwünsche auf einen Anschluss, muss man 19 Anrufer_innen sagen: “Hier ist besetzt – versuchen sie es später nochmal.”. Das muss 19 mal passieren und 19 Mal auch gemacht werden. Was aber, wenn die 20 Leute alle bei der Polizei, der Feuerwehr oder dem Krankenhaus anrufen wollen, weil es genau jetzt in diesem Moment ohne wenn und aber brennt, blutet oder Rettung in Not braucht?
Praktisch wären mehrere Anschlüsse – aber sowohl damals als auch heute in menschlichen Gehirnen, gibt es leider nur den einen.

Ich bleibe bei dem Beispiel.
Nehmen wir an, die 20 Menschen, die beim Krankenhaus anrufen, sind alle am gleichen Unfall beteiligt. Alle sind so aufgeregt, dass sie sagen: “Ok – damit wir alle drankommen, teilen wir uns auf. Jede_r sagt die eine Sache, die wichtig ist für die Leute im Krankenhaus.”.
Der Witz: um zu wissen, dass die Kacke am Dampfen ist, braucht das Krankenhaus keine 20 Anrufe von allen 20 Beteiligten, sondern einen. Dem Rest wird nicht zugehört – sie werden nicht gebraucht, denn die Lebensrettung ist schon eingeleitet.

Übertragen auf die Reizlage in traumatischen Situationen, könnte man sich vorstellen, dass bei komplex traumatisierten Menschen mit dissoziativen Traumafolgen, die 20(0.000 … Anrufer_innen) bis heute in der Warteschleife hängen und das Fräulein in der Vermittlung, sich ab und zu durch einen anderen Anruf an eben diese Anrufer_innen erinnert und spontan mal jemanden durchstellt. (Was auch erklärt, weshalb keine_r dieser Anrufer_innen der Polizei zur Verfügung steht, bzw. das, was sie zu sagen haben – just sayin)

Was hat das jetzt mit den Spiegeldingern zu tun?
Nun. Kann sein, dass ein_e Anrufer_in mal eine Resonanz mitzuteilen hat. Ein Nachempfinden oder “emotionales Spiegeln”, das jetzt keinen Bezug mehr hat – aber damals durchaus hatte. Wichtig hierbei: Ja, es hat jetzt keinen Bezug – das bedeutet aber nicht, dass es unwichtig ist, oder keinen Sinn mehr hat.

Mir war das damals wegen des bloßen Empfänger/Opfermodells nicht so klar.
Ich hatte früher sehr viel häufiger noch als heute, plötzlich Momente, in denen ich von jetzt auf gleich richtig schrille Notgefühle hatte. Entsprechend meines Wissens dachte ich damals noch, dass es sich dabei nur um emotionalen Nachhall handelt. “Ich war mal in Not und bin nicht drauf klargekommen, weil…”. Erst später – “einige verspätet durchgestellte Anrufer-innen später” – wusste ich, dass ich die Notgefühle von einer anderen Person in mir spürte. Einer Person, deren Misshandlung ich beobachtet hatte.

Meine Zeug_innenschaft dieses Moments war für mich genauso überreizend, wie es die Opferschaft dieses Ereignisses für mich gewesen wäre. Auch aus dieser Situation konnte ich nicht weg. Konnte ich mich nicht retten, konnte überhaupt nichts beeinflussen – alle Reizkanäle waren dicht.
Das Überleben war die Aufteilung, die Anrufer_innen mussten 13 Jahre warten.

Die Entdeckung meiner Fähigkeit die Gefühle anderer Menschen (mit/nach)fühlen zu können, war für mich enorm.
Da war ich etwa 21, 22 Jahre alt und erstmals in der Situation zu verstehen, dass in anderen Menschen Dinge passieren. Gefühle, Gedanken, Welten, die meiner ganz unterschieden sind.

Nicht, weil ich das nicht wusste. Ich wusste, wie jemand guckt, der traurig ist und was man dann macht und sagt und sich kümmert.
Begriffen habe ich die Eigendynamik, das Einzelne jedes Menschen in seinem Inneren, aber erst durch diesen sehr schrillen Moment aus einem Früher, das mich zur Zeugin hatte. Ich war nicht beteiligt an der Not der Person. Ich hatte sie nur beobachtet, wie ich immer die Dinge um mich herum beobachtet hatte, die alle irgendwie mal mehr mal weniger Sinn für mich ergaben. Mal mehr, mal weniger vorhersehbar für mich waren. Mal mehr, mal weniger dynamisch lebend – so wie ich mir selbst vorkam – erschienen.

Heute ordne ich sowohl den Zeitpunkt dieser Entdeckung, als auch den Umstand, dass ich diese Entdeckung überhaupt machen musste, dem Autismus zu.
Und eben nicht einer emotionalen Flachheit, die traumatisch bedingt ist.
Emotionales unbeteiligt sein, ist für viele traumatisierte Menschen ein Thema. Manche fühlen sich selbst dumpf und leer, manche nehmen die Interaktion mit anderen Menschen als dumpf und leer wahr. So, als wären da keine Gefühle oder Gedanken oder als wäre das, was da ist, unsinniger Quatsch oder eigentlich doch total egal.

Ich habe dieses Empfinden vor allem in depressiven Episoden. Oder, wenn wir uns nicht mit genügend Abstand traumatischem Material zugewendet haben und ich mit verstärkter Dissoziation darauf reagiere.
Mein Denken von anderen Menschen, als “anderes Ich mit ganz eigenen Dimensionen in sich (so wie ich (wir)), war einfach nicht da. Es fehlte, wie einem die Information fehlen kann, wie die Hauptstadt von Indonesien heißt oder was genau der Bundespräsident von Deutschland so arbeitet.
Es hat mir nicht gefehlt. Aber viel von meinem Verständnis von mir und meinen Fähigkeiten verändert, als ich es dann wusste.

Ich erfuhr von den Spiegelneuronen und davon, dass es für andere Menschen überhaupt kein Thema ist zu fühlen (und eben nicht wie bei uns – zu wissen oder zu schätzen –) was in anderen Menschen vor sich geht.
In den letzten Jahren ist darüber auch noch eine weitere Ebene für mich klarer geworden, die mich, die uns, bisher nie belastet hat: das zwischenmenschliche Trauma

Der Aspekt einer Traumatisierung durch andere Menschen, der daran hängt, wie ein Mensch, den man liebt oder der eine emotional wichtige soziale Rolle hat, so viel Schmerz, Leid, Not auslösen kann.
Bis heute haben wir keine Erinnerung daran, mal gedacht zu haben, dass uns die Liebe oder soziale Rolle einer Person vor Leid durch sie schützen könnte. Oder daran, dass es ein besonderer Vertrauensbruch war, wenn wichtige Personen schreckliche Dinge taten. Oder, dass es einen Unterschied für uns gemacht hat, wenn Person A etwas Schreckliches mit uns gemacht hat oder Person B.
Das hat es nicht. Hat es nie und macht es auch heute im Erinnern nicht.

Wir haben die ganzen Ichs um uns herum, nie als solche erkannt und verstanden.
Und heute denke ich, dass das sehr wichtig ist für unser Verständnis um das, was passiert ist und was es heute für uns bedeutet.
Es ist wichtig, weil es uns aus Ideen herauslöst, unser Leben könnte so schrecklich gewesen sein, dass uns jeden Tag etwas Schreckliches passiert ist und wir niemals so etwas wie Liebe oder Zuwendung erfahren haben. Weshalb wir nie Urvertrauen aufgebaut haben oder jemals eine Bindung zu jemandem hatten.

Wir hatten sicher auch liebevolle Menschen in unserem Leben. Aber wir haben geliebt, was sie uns sagten und uns gezeigt haben – und nicht sie selbst, denn sie selbst konnten wir nicht “sehen” oder “erspüren”.

Es erklärt uns, warum uns bis heute, die ganze Welt als etwas in uns verankert haben, das uns zu jeder Zeit und aus jedwedem Grund tiefgreifend verletzen und zerstören kann. Wenn man sich selbst als Dynamik – alles andere um sich herum aber als mehr der weniger  starre, fremde, ferne, unverständliche und unvorhersehbare Mechaniken erlebt, kann das schon mal vorkommen.
Und ist in der Folge sehr logisch.

Und bedeutet dann eben auch, dass wir über unseren traumatischen Kleinscheiß in der Warteschlange anders denken müssen.
Wir brauchen sie nicht mehr suchen – die Enttäuschung über eine Person, wegen eines Vertrauensbruchs, ein Misstrauen gegenüber einer Person, das vielleicht mal irgendwo war, der Wunsch einer Person zu gefallen oder der Gedanke, etwas zu tun, damit eine Person glaubt, dass … Diesen ganzen sozialen Heckmeck, den wir heute nicht machen, weil wir ihn nicht können, werden wir mit großer Wahrscheinlichkeit auch früher nicht durchgemacht haben. Er wird also kein Teil unserer Traumatisierung sein.

Wohl aber werden Enttäuschung, Misstrauen, Wünsche oder Gedanken da gewesen sein. Nur eben nicht mit dieser Art von Personenbezug.
Wir beziehen uns anders und haben das schon immer gemacht.
Das zu wissen ergibt Sinn. Und einen enormen Anschub in unseren Erinnerungsprozessen.

Für uns hatte sich schon viel geklärt, nachdem wir verstanden hatten, das manche unserer heute störenden Reaktionen mit traumatischen Erfahrungen zu tun haben. Beziehungsweise damit, dass wir bestimmte Dinge in Anpassung an die ständige Gefahr weiterer traumatischer Erfahrungen gelernt haben.
Mit dieser Schablone braucht man dann nur noch rückwärts gehen und kann sich an das Moment vortasten, zu dem bis heute Anrufer_innen durchgestellt werden.

Uns hat dieses Vorgehen geholfen bestimmte Sachinformationen erinnern. Das ist, in etwa, in dieser und jener Abfolge passiert und wir waren überreizt.
Es hat aber nicht geholfen zu verstehen, warum. Wovon waren wir überreizt? Was genau hat dieses Moment zu einem traumatischen Moment für uns gemacht?

Das ist, worin uns die bestehende Forschung und Literatur kein Stück weitergebracht hat. Ja sogar von unserem Weg weggeleitet hat.
Denn Menschen, die andere Menschen nicht als etwas wie sich selbst wahrnehmen – also Menschen, die nichts von sich in anderen Menschen finden (und ergo suchen) – werden an keiner Stelle mitgedacht.

So erleben wir heute nachwievor ähnliche Überforderungsgefühle wie früher, wenn ich über die Personen nachdenke, die mich verletzt haben.
Ich spüre den heißen, weißen Affekt – spüre den Hass – spüre das NEIN, das mir den Kopf gegen eine Wand wirft – und kann nichts damit anfangen. Außer mir die Information zu geben: Ablehnung. Oder: Nicht unter Kontrolle. Oder: Nein.
Es sagt mir nichts über die Person. Bringt mich ihr nicht näher. Macht nicht, dass ich mich in sie hineinversetzen kann und darüber mehr über meine Situation verstehe.

Ich habe Löcher in meinem Blick auf Situationen und kann diese nicht mehr in jedem Fall mit dissoziativen Brüchen oder normalem Erinnerungsverlust erklären. Schlimmer noch finde ich ganz ähnliche Löcher heute in meinem Blick auf mein ganz alltägliches Leben unter und mit anderen Menschen in ganz alltäglichen Situationen. Und zwar nicht, weil wir viele sind und irgendwie nicht so gut funktionieren. Oder, weil wir es immernoch nicht schaffen, gut zusammenzuarbeiten.
Sondern, weil etwas nicht so da ist, wie das bei so vielen anderen Menschen da ist.

Das macht auch Einsamkeit noch einmal zu einer Sache mit einem anderen Dreh.
Doch dazu im nächsten Text.

*Text als PDF zur freien Weitergabe


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