Pinocchio und mein Unverständnis

Ja, ich habs mit Disney… dies gleich mal vorweg.
Ich möchte aber mal sagen, dass das eigentlich nicht soviel mit dem Label oder der Marke an sich zu tun hat, sondern mit dem Image und der Rolle, die ich in bzw. hinter diesem Namen sehe.
Ich möchte nur mal draufzeigen und offen hinterfragen

Ich versuche die (für mich neue und fremde) Welt  zu verstehen, in der ich nun lebe- also stelle ich Fragen. So auch bei der Geschichte des kleinen Holzkopfes- oder wie wir ihn vermutlich alle kennen: des “Pinocchios”.

Eigentlich begann die Frage mit folgender Begegnung.
Wir haben einen männlichen Kontakt der uns erzählte, dass seine Tochter klar wann immer sie will und es braucht, bei ihm im Bett schlafen darf und deren Freundinnen auch. Klar- oh wei oh weh- sowas darf er natürlich niemandem sagen- wie das schon klingt: “Ich habe meine Tochter mit in meinem Bett gehabt, (deshalb hatte ich so wenig Schlaf und sehe aus wie ein Zombie aber danke der Nachfrage- ich hoffe auch, der Wachstumsschub ist bald durch und das Kind braucht mich nicht mehr so oft auf diese Weise…)”
Mir fiel dabei auf, dass es alleinerziehende Väter oder auch einfach die Väter nach einer Scheidung allgemein echt schwer haben ( auch in ihrer Position- nicht nur allein als Mann “an sich”). Ständig beäugt “ob da nicht doch was im Busche ist”, immer wieder in ihren Kompetenzen hinterfragt und kritisiert. Furchtbar! Als ob Mütter von Natur aus, ihre Tochter nie in ihrem Bett  vergewaltigen könnten oder in der Erziehung absolut und immer das super Händchen haben!

Naja und dann ging es weiter in meinem Kopf und ich dachte: Wieso hatte eigentlich niemals jemand den Wunsch von “Meister” Gepetto hinterfragt, einen echten Jungen zu haben? (Und by the way- wieso finden es alle so normal, dass ein “Meister” (da isser wieder) Eder einen männlichen kleinen Kobold und Petterson eine sprechende männliche Katze bei sich wohnen hat?)
Was ist das für ein Typ der sich ne Puppe bastelt, sie “Holzkopf” nennt und sie gern lebendig hätte?

Puppen sind das älteste dem Menschen nachempfundene Objekt mit dem sich selbige befassen. Erst als Kultobjekt und dann als Spielzeug. Auch eine seltsame Wandlung, nicht wahr? Ist es nicht schon ein Anzeichen sich selbst erst in Stellvertretung (als Art oder Wesen der Natur) zu vergöttern und dann zum Spielzeug zu degradieren?
Seit wann sind Puppen- stumpfe, tumbe, dumme, stumme, als Projektionsfläche für alles und Jeden geeignete Gegenstände- reine Kinderspielzeuge?
Meine Antwort bis jetzt lautet: Seit es nötig, möglich, allgemein anerkannt und gewollt ist Kinder stumpf, tumb, dumm, stumm und als Projektionsfläche für alles und Jeden zu miss- ge- brauchen!

Ein Meister Gepetto fühlte sich einsam (mehr wollen wir ihm mal nicht unterstellen!) und schnitzte sich ein Ebenbild, um einen Ansprechpartner zu haben. Er wünschte sich eine Antwort und zack, kam eine Fee herein, machte den ungehobelten Holzkopf zu einem Wesen das immerhin in der Lage ist zu denken, sich ein Urteil zu bilden und sogar zu sprechen!
Doch die Verantwortung zur vollständigen Erfüllung des Wunsches seines Erschaffers wird dem Kind aufgedrückt.
Damit es ein echter Junge wird, muss es lernen Recht von Unrecht, gut von böse zu unterscheiden, immer schön brav sein und zur Schule gehen. Es darf nicht faul sein, es soll immer gehorchen… Es soll möglichst stumpf zur Schule gehen, dumme und tumbe Arbeiten verrichten, stumm allen Wünschen der Erwachsenen gehorchen und dabei immer ganz genau so sein, wie es der Erwachsene der vor ihm steht gerade in diesem Moment erwartet.

Wer schon einmal in die Familienstrukturen geguckt hat, in denen (sexuelle) Misshandlung geschieht, der kann sich spätestens jetzt beantworten welche Ansprüche genau diese Art von Gewalt begünstigen.

Pinocchio ist wunderbar renitent und frech zu Beginn und weil er seinen “Meister” so liebt und ihm gerne jeden Wunsch erfüllen möchte, tut er alles was ihm mit seinen begrenzten Mitteln und Fähigkeiten möglich ist. Im Disneyfilm schauen wir der weniger krassen Variante der Unterwerfung eines Kindes zu, als noch in dem Buch beschrieben wird.
Wir sehen wie leicht es ist Kindern einzureden was Erwachsenen gefällt. Was Erwachsene sich wünschen. Was man alles muss und was man alles nicht darf um Erwachsenen zu gefallen. Und wir sehen auch was Erwachsene alles dürfen. Das Ende des Films zeigt einen echten Jungen. So wie Erwachsene ihn wollen.
Toll ganz toll.

Nun darf mir gern entgegenhalten werden, dass der Disneyfilm von 1940 und die Bücher von 18hundertschießmichtot sind. Angeschaut werden sie aber noch heute!
Und noch heute ist es so, dass Kinder nicht (oder mindestens nicht genug) danach gefragt werden, was sie gern möchten! Was sie für sich brauchen. Was sie für sich schön und angenehm finden und was nicht. Und wenn doch richtet sich kaum jemand wirklich danach!
Und wenn die Eltern sich dann doch (auch) danach richten, dann sollen sie das bloss nicht zu oft machen, weil sie damit die Kinder ver-ge- wöhnen, ver- er- ziehen, sich angeblich nicht genug Respekt verschaffen, die Kinder ihnen irgendwann auf der Nase herum tanzen… Ihre Kinder angeblich keine normalen, ehrlichen, aufrechten, klugen Erwachsenen werden.

Wie kommt es, dass sich viele viele Menschen den Film angesehen haben und nachwievor der Meinung sind, Kinder würden sich aus den Wünschen und Hoffnungen der Erwachsenen nichts machen?

Und für mich, als inzwischen erwachsenes Opfer von sexueller Misshandlung, bekommt diese Frage noch eine weitere Schleife, nämlich:
Wie kann es sein, dass tausende Menschen sehen wie ein Pinocchio sich aufopfert um seinem Meister zu entsprechen- ich aber gefragt werde, wieso ich gegenüber meiner Mutter oder meinem Vater nie gesagt habe: “Nein- ich will keinen Sex mit dir haben!” ?