note on: Selbstvertretung von Vielen, die nicht selbst sind

Vor einigen Wochen hatten wir Kontakt mit jemandem die_r Viele ist und uns lange beschäftigt hat, weil uns die Person irgendwie leer vorkam. Nicht im Sinne von „hat keine Hobbys“ oder „hat keine Gefühle gezeigt“, sondern eher im Sinne von „hat keine Persönlichkeit“ oder „ist nicht greifbar“. Also ein klassisches Schutz- und Abwehrverhalten von Menschen, die Viele wurden, weil Menschen, auf die sie angewiesen waren, sie misshandelt haben.

Es hat mich beschäftigt, weil es Wut in mir ausgelöst hat. Wut und Aggression.
Und später die Frage, wie man Menschen, die so sein müssen oder wollen (oder auch einfach so sind) in eine mehr oder weniger organisierte Selbstvertretung integrieren könnte.
Als ~“Aktivistin“~ zeigen mir solche Menschen auf, dass sich selbst zu vertreten, sich für die eigenen Belange hörbar zu machen und Forderungen zu formulieren, einfach „high level“ ist. Man muss entweder schon einigermaßen weit in der Therapie sein oder sehr privilegiert im eigenen sozialen Netz, um eben nicht beim kleinsten kritischen Unterton, beim ersten Konflikt, einer Meinungsverschiedenheit oder schlicht „grad keinen Bock haben, wenn alle lostoben wollen“ zu einer waberig ätherischen Masse zu werden, und sich aus der Situation zu verpdissen.

Aber was macht man denn dann als Community, die sich selbst vertreten will?
Das Leben ist bedrohlich. Menschen haben Konflikte. Selbstvertretung bedeutet, sich vor Menschen für das eigene Leben einzusetzen. Es ist eine Triggerbombe 3000. Aber wenn man weiter zulässt, dass ausschließlich Psychologie, Medizin, profitorientierte Medien oder praktisch entmenschlicht organisierte Stellvertreter_innen-Organisationen über Viele sprechen und sie so definieren, wird das auch immer so bleiben.
Und wenn immer nur die aktiv sind, immer nur die gehört werden, die das schon können, dann werden diese Leute zu Stellvertreter_innen, für jene, die es noch nicht können. Man würde also im Kleinen wiederholen, was im Großen schon problematisch war.

Ich habe gemerkt, dass ich anfange, mich zu fragen, ob manche Menschen das aber auch gar nicht anders wollen.
Dass sie uns sagen: „Yeah Selbstvertretung!“, weil sie wissen, dass wir keinerlei Vorteile darin erkennen, sich von Autoritäten beschreiben und behandeln zu lassen, statt selber zu schreiben und zu handeln. Und weil sie wissen, dass wir sie in ihrer Haltung kritisch herausfordern würden. Allein schon durch die Frage: „Wie sieht du dich selbst?“ oder schlimmer noch: „Wer bist du und was möchtest du für dich erreichen?“

Heute Morgen dachte ich, dass das vielleicht einfach nicht zu lösen ist. Man hat die gleichen Spannungsfelder auch in politischen Gruppen. Und Widersprüchlichkeit ist ja auch, was Viele ausmacht. Es ist eben genau die Problematik, nicht an sich selber heranzukommen. Genau dieses Ausgeliefertsein vor den eigenen Schutzmechanismen, die von anderen Menschen dissoziieren, auch wenn man sich die Verbindung sehr wünscht. Vielleicht können die Vielen nur von ihrer Existenz vertreten werden und sonst nichts.
Das ist machbar, wenn man sie als Menschen an.erkennt, erfordert jedoch, unsere Gesellschaft entsprechend zu bilden und ihre kulturellen wie sozialen Praxen dahin gehend zu beeinflussen. Und wie sieht es an der Stelle aus? Man lässt Menschen im Mittelmeer ertrinken, Polizisten junge Menschen töten, man plant den Tod von Menschen am gleichen Reißbrett wie die Profite von Konzernen.

Ist das vertretbar?


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9 thoughts on “note on: Selbstvertretung von Vielen, die nicht selbst sind

  1. Sehe es nicht so pessimistisch. Je mehr wir uns selber verstehen, je mehr wir uns ermächtigen in dieser Gesellschaft, unserer Platz als Viele, als Überlebende einzunehmen, umso besser können wir auch die anderen , die noch nicht so weit sind, sein können, mitziehen, Vorbilder sein für Mitbetroffene. Aber da gibt es nicht einen Weg, sondern viele. Das ist besser, als es den Bindungsgesunden , der Gesellschaft alleine zu überlassen uns zu verstehen oder in die Ecke zu schieben. Kenne als Viele, die Psychologin wurde, um als Viele zu überleben und um Ihr Vielsein und Ihr Anderssein zu verstehen, beide Seiten, Es ist auch an uns, diese beiden Seiten zusammen zu bringen und unseren Platz in dieser Gesellschaft mitzugestalten

    1. Dem stimme ich insofern zu als, dass es viele Wege gibt.
      Was mich beschäftigt ist die Thematik „Vorbild sein und andere mitziehen“. Wir wollen niemanden mitziehen müssen. Wir wollen auch kein Vorbild sein, sondern Hannah.
      Was wir aber merken: Wir werden als Vorbild benutzt und als eines geframed, wenn man uns Verantwortung antragen will und das wird nicht problematisiert, ja sogar zum Kompliment oder einer Leistung verklärt.

      Es gibt viele Viele, die ihre eigene Stimme weder fühlen noch glauben geschweige den benutzen können – und auch viele, die das gar nicht wollen. Sollen sie zum Widerspruch werden, weil sie schweigen? Zum Negativbild? Das gilt es für mich zu verhindern.
      Nur wie? Akzeptieren, tolerieren verteidigen? Oder integrieren (und wenn ja, wie?)

      Der „Pessimismus“, den du_ihr das seht, ist für mich eher Realismus. Ich frage, ob man sich überhaupt einen Platz in dieser Gesellschaft gestalten sollte, nur weil diese einen für uns bereithält, oder nicht erst einmal die Gesellschaft (und damit die Plätze ihr) verändern.

  2. Gerade Euer letzter Gedanke scheint mir prädestiniert für ein Scheitern, weil die Gesellschaft verändern zu umfassend ist. Den hart erkämpften Platz einnehmen und von hier aus Wege zu eröffnen für die, die ihr Viele sein jetzt noch nicht erkennen oder lieber Schweigen weil sie gelernt haben ,das das sicherer ist. Aber die Bindungssehnsucht bleibt, dennoch ein Teil von Ihnen und damit auch die Sehnsucht einen Platz in dieser Gesellschaft zu finden. Ihnen Brücken zu bauen, scheint mir realistischer zu sein.

    1. Aber wohin baut man ihnen da eine Brücke?
      Verstehe schon, Gesellschaft verändern hu großes Ding lieber nicht anfassen blabla Ich finds unfassbar, sich davon zurückzuziehen als wäre es irrelevant. Leute werden Viele weil die Gesellschaft wie sie ist, Gewalt zulässt. Wie vielen Leuten willst du denn wie lange Brücken wohin bauen?

      1. Brücken will ich den anderen Mitbetroffenen bauen, und zwar als Vorbild in dem Sinne, indem ich einfach den mir hart erkämpften Platz in dieser Gesellschaft einnehme ohne mir deshalb schuldig vorzukommen. „Die “ Gesellschaft an sich gibt es ja gar nicht. Wir sind ein Teil, ob wir wollen oder nicht und jeder von uns hat es verdient in dieser Gesellschaft auch als schwer traumatisierter Mensch geachtet und respektiert zu werden. Das ist meine Vorbildfunktion, dass ich mir das nehme was mir zusteht und mir dafür nicht auch noch schlecht vorkomme. Das ist für mich das Gegenteil von mich zurückziehen und Ignoranz der Gewalt in der Gesellschaft. Denn wenn ich meine Stimme als , von Mitmenschen , schwer verletzter Mensch erhebe und meinen Platz einnehme, konfrontiere ich die ignorante Gesellschaft mit meinem und mache auf das Schicksal anderer aufmerksam.

        1. Ich baue nur diese eine meine Brücke und wer will darf sich die zum Vorbild nehmen. Darf aber gerne auch Holz oder Steine verwenden oder ein Seil. Brücken bauen im Sinne von einen Weg zurück ins Leben nach schwerem Trauma eröffnen, finden, einnehmen. Nicht im Dreck liegen bleiben und die anderen trampeln weiter über mich wie über einen Pflasterstein , sondern aufstehen und zeigen-da ist ja ein Mensch, dass es alle sehen, dass ich mich als Fussabtreter nicht mehr eigne… Einen Weg zurück in Bindung zurück zu den Menschen, die wir alle brauchen…Nicht alle haben sich schuldig gemacht, an mir oder anderen, viele sind nur einfach ignorant ,um sich selbst und ihr Weltbild zu schützen

  3. Die Frage, die sich mir stellt, ist auch: Wo beginnt denn Selbstvertretung?
    Am „Anfang“ kann es doch schon ein Akt der „Selbstvertretung“ sein, wenn man mit Freunden überlegt, was man unternimmt und dann seine eigenen Wünsche erkennen, äußern, für diese einstehen kann, beispielsweise. Ich denke aber, darum geht es hier ja wohl nicht. Was ich damit sagen will ist nur, dass Selbstvertretung im wörtlichen Sinne von „sich selbst vertreten“ mit vielen kleinen Schritten verbunden ist. Das braucht halt Zeit.
    Ich verstehe aber das Dilemma, denn bei der Frage, ob man solche Menschen akzeptieren, tolerieren, verteidigen oder integrieren soll, wäre meine erste Intuition: Man sollte sie fragen, ob sie überhaupt integriert werden möchten. Aber das geht natürlich schlecht, denn wer keine Stimme hat, kann auch darauf keine Antwort geben.
    Darf ich fragen, in welchem Kontext ihr als Vorbild benutzt werdet? (Nicht, weil ich anzweifeln will, dass das tatsächlich so geschieht , sondern weil ich mir grad nicht vorstellen kann, wie das aussieht, wo das stattfindet.)

    1. Wir haben bei uns gemerkt: Selbstvertretung beginnt da, wo man sich für sich entscheidet, weil man sich für das eigene Leben entscheidet.
      Das meinte ich mit der Vertretung durch Existenz. Vielleicht ist das der kleinste Schritt. Und dafür braucht es meiner Meinung nach neben Zeit auch Raum für Bewusstsein über die Notwendigkeit dieser Entscheidung.

      Die Ansprache als Vorbild passiert hier in Kommentaren, die wir nicht freischalten oder in direkten Kontakten. Nicht oft (und meistens reflektiert) aber genug, um Druck bei uns entstehen zu lassen.

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