Miteinander säen

Erinnerungskonfetti im Hintergrund meiner Alltagsgedanken, Päckchen und Warensendungen im Flur unseres Hauses, ein rechtes Attentat in Hanau. In dieser Woche kam ich mir vor wie ein losgelöstes Blatt auf wogender See. Irgendwie dabei und doch nur bewegt – nicht in Bewegung.

In meiner Twittertimeline gibt es seit Tagen kein anderes Thema, als die Notwendigkeit, etwas gegen rechten Terror zu tun, Beispiele versagenden Journalismus und stupider Meinungsquirle. Ab und an ein süßes Tier, dazwischen Worte von Menschen, die die nächsten Opfer sein könnten und damit 24/7 umgehen.
Wir haben überlegt, zu einer Demo zu gehen. Aber stemm das mal. Eine Stunde zur nächsten Stadt, in der eine Demo ist. Du weißt nicht, wie die Stimmung ist, kommen viele Leute, was wenn die Kraft plötzlich vorbei ist, dann ist es immer noch eine Stunde wieder nach Hause. Wir gingen nicht.
Später lag ich mit Heimweh im Bett, fragte mich, wie die Stimmung im Bullergheddo wohl ist. Würden wir da noch wohnen, wären wir auf jeden Fall bei der Demo gewesen. 15 Minuten mit dem Rad, Ortskenntnis, lauter safe spaces für den Fall, dass plötzlich nichts mehr geht. Und jetzt ist es vorbei, das privilegierte Demonstrieren gegen Dinge, die andere treffen und mich betroffen machen. Draußen fahren Laster vorbei, die kleine Sperlingsgang zwitschert in der Hecke, irgendwo tönt eine Heckenschere.

Noch später merkte ich, dass es vielleicht auch nur ein Vermeidungshandeln ist, zu einer Demo zu stürmen. Denn nun saß ich hier mit den Päckchen im Flur und dem Regen vor der Tür, meinen To do-Listen und den permanent einrieselnden Kindheitserinnerungen und musste wahrhaft fühlen, was das rechte Morden und seine Folgen mit mir machen. Mir. Einer weißen Person, die keinerlei enge Kontakte zu Leuten hat, die täglich mit rassistischer Gewalt in irgendeiner Form zu tun haben. Einer weißen Person, die ihr Privileg so ungreifbar eingewebt erfährt, dass es in den meisten Lebensbereichen unteilbar erscheint.
Ohnmächtig fühlt sich das an. Und lächerlich. Erzähl mal Leuten von deiner Ohnmacht über die Gewalt, die ihnen Lebensgefahr bedeutet, einfach, weil es Leute gibt, die entscheiden, es sei problematisch, dass sie gibt. Es hilft ihnen nicht, wenn sie nicht auf uns zählen können. Wenn wir einander eben nicht ‘wir’ sind.

In den Päckchen und Paketen sind Anzuchterde und ein Frühbeet.
Die ganze Woche trage ich die Formulierung “Hass säen” mit mir herum. Erinnere plötzlich einen Keramiktopf mit Gesicht, dem Kresse als Haare wuchsen. Wie dieser Topf vielleicht in D., vielleicht auch in L. auf der Fensterbank stand und der Mutter gehörte, die damals vielleicht mittellange dunkle oder kurze rote Haare hatte.
Kann man Liebe säen? Welchen Boden, welche Grundlage braucht Miteinander?
Die Kresse hatten wir Kinder mit der Mutter zusammen in dem Topf gesät. Es tat nicht weh, machte keinen Krampf im Bauch. War das Liebe? Sicher jedenfalls Miteinander. Immerhin, für einen Moment.

Zu Demos zu gehen, kann gerade nicht mehr mein Beitrag sein. Da ist aber die Verlagsarbeit, in der wir auch die Stimmen von rassistisch bedrohten Menschen weithin hörbar machen. Da ist achtsames Zuhören, solidarisches Handeln in Trauer- und Traumaarbeit. Lernen, Zuhören, Platz machen. Selbst der safest mögliche space werden. Anderen Weißen sagen, dass es Attentäter gibt, die Tobias heißen; dass Rassismus tötet; dass auch sie rassistisch denken und handeln und das ein Problem ist.
Ist das genug? Sicher nicht.
Es braucht mehr, um es gänzlich zu beenden. Es braucht aber genau das, um einen Anfang zu machen. Vielleicht.

Hoffentlich.


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