kein Trost

Wir waren im Kino und haben uns “Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind” angesehen.
Im Folgenden spoilere ich etwas aus dem Film, deshalb gibt es ein tl,dr am Ende des Artikels.

Ich fand den Film unfassbar traurig. Er ist traurig wie die X-Men-Filme traurig sind. Wie jeder Film, in dem Andersartigkeit zu Not und schmerzhaftem Miteinander führt, traurig ist.

“Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind”, spielt in der “Harry Potter-Welt”.
Eine Welt, die gespalten ist, in magische und nicht magische Wesen. In Könnende und Nichtkönnende. Eine Welt, in der die Einen die Anderen fürchten und verachten, mit etwas Glück jedoch bewundern und einander nacheifern.
Eine Welt, in der beide Seiten sich selbst nicht im Anderen erkennen können, obwohl ihre kulturellen Praktiken die gleichen Wurzeln haben.

Die Faszination solcher Filme liegt für mich in der Möglichkeit mir meine eigene Welt, mein Hier und Heute von außen anzuschauen. Ich kann die Konflikte, in denen ich mich selbst befinde, in einer übersetzten Variante als unbeteiligte_r und irrelevante_r Zuschauer_in betrachten und mir eventuell in Frage kommende Handlungsoptionen ansehen.
Oder, wie heute, einen Tränenstrom runterschlucken und denken: “Scheiße.”.
Denn anders sein ist scheiße.

Anders unter anderen zu sein, macht niemanden gleich.
Es macht nur alle anders und verbietet ein Leiden unter der eigenen Andersartigkeit.

Es gibt in dem Film eine Figur, die als Squib (eine nichtmagische Person, die eine magische Familie hat) eingeführt wurde und von einer hasserfüllten Adoptivmutter misshandelt wird. Im Verlauf taucht eine Vertrauensperson für diese Figur auf, die sie jedoch auch nur ausnutzt.
Der Angelpunkt ist die Verwandlung dieser gequälten Figur zu einem alles vernichtendem dunklen Wesen – das am Ende scheinbar getötet wird.

Über diese Wesen wird im Film gesagt, dass sie nicht alt werden.
Es gab keinen Fall von einem, das älter als 10 wurde.
Die Figur, die dieses Wesen ist, ist älter und alles, was dazu kommt, ist die Erwähnung “großer Kraft”.

In den letzten Ausklängen des Filmes ist ein Fitzel des schwarzen Wesens zu sehen.
Es hat wieder überlebt.
Weil es ja so stark ist vielleicht.

Mich hat das “abgeholt”.
Weil ich so müde bin und so überhaupt gar keine Kraft für irgendwelche Opferleistungen mehr habe. Ich kann nicht mehr verhandeln, ich kann nicht mehr ausreden lassen, ich kann meine Gedanken nicht mehr zusammenschieben, damit sie in die Schubladen anderer Menschen passen. Ich bin überarbeitet und 24/7 überfordere ich mich damit meine Überforderungen in Arbeiten zu zerhacken, die ich bewältigen kann, nur um festzustellen, dass es zu viele werden.
In meinem Kopf spulen sich mit jedem Fehler, mit jeder Erkenntnis etwas nicht zu schaffen, vor irgendetwas zu scheitern, mit etwas nicht rechtzeitig, nicht genug, nicht passend fertig zu werden, genau solche Misshandlungsszenarien wie in diesem Film ab.

Strafen, Not, Einsamkeit, dieses eingeklemmte Gefühl im Oberkörper, das man kriegt, wenn man sich selbst aus all dem rausschreien, rausstrampeln, freikämpfen will, aber nicht kann, weil vor lauter Arbeit gegen die Arbeit, gegen Überforderung und für all das, was man sich wünscht und will, schlicht keine Kraft mehr hat.

Es ist keine Hilfe zu wissen, dass es alte Dinge sind.
Dass es vorbei ist und mir niemals wieder jemand so weh tun kann.
Es hilft nicht, weil Erkenntnis nicht das Gegenteil von Schmerz und Not ist.

Was mich an solchen Filmen mit Zauberei und Superkräften tröstet, ist die Unwillkürlichkeit aller Protagonist_innen zu Beginn ihres Umgangs mit ihren Fähigkeiten. Die meisten haben Angst vor sich selbst, versuchen sich zu positionieren, vergleichen sich anderen und je nach Verlauf der Geschichte, finden sie Wege sich mit anderen Anderen zu befreunden und zu sich zu finden, oder sich in den Kampf um etwas zu begeben, das ihnen wichtig ist.

Ich bin viele und anders.
Wenn ich sterbe (= so stark dissoziiere, dass ich mich nicht mehr als “ich” wahrnehme) kommt etwas aus mir heraus, dass ich weder beeinflussen, noch spüren, noch mehr als erahnen kann. Wenn ich eins kenne, dann ist es das Gefühl jeden Moment zu einem schwarzen Loch zu werden, das alles und alle um sich herum verletzt, kränkt, falsch behandelt – ganz und gar anders ist, als ich.
Das ist mein “normal” und zwar schon immer. Mein ganzes Leben lang.

Dieser Film war, glaube ich, der dritte oder vierte, in dem ich eine Figur sehe, die anders ist und misshandelt wird – und ihre_n Misshandler_in tötet.

Neben all dem „Kraft zum Überleben-Blabla“, das Hollywood braucht, um Opferschaftserfahrungen zu verwursten, ohne die betroffene Person aufgrund dessen als schwach und minderwertig darzustellen, ist es das, was Filmemacher_innen dann einfällt.
Und mich weit mehr ängstigt als es irgendein Horrorfilm schaffen kann.
Genugtuung durch Rache mit Todesfolge.

Ich identifiziere mich mit solchen Figuren, weil mich ihr Anblick in meiner eigenen Existenz in dieser Welt versichert.
Wenn es in Filmen solche Figuren mit so anderen Eigenschaften gibt, dann gibt es mich auch.
Menschen erfinden nichts, was es nicht in irgendeiner Form bereits gibt.

Es ist schlimm anerkennen und akzeptieren zu müssen, dass auch ich das Potenzial habe Menschen zu töten. Menschen, die mich verletzt haben, zu töten.
Zu töten, wenn ich die Kontrolle über mich verliere und das schwarze Loch an meine Stelle tritt.

Das Drama des Wesens in dem Film ist, die Andersartigkeit unter anderen und eine Einsamkeit, die sehr viel weiter greift als bis zu dem Punkt, an dem es weder durch die magische, noch durch die menschliche Gemeinschaft eine Daseinsberechtigung erfahren kann, weil ist, was es ist.
Die absolute Einsamkeit, die globale Tragödie entspinnt sich erst dort, wo es überlebt hat. Schon wieder.

Es macht mir selbst klar, was mich an meiner eigenen Überforderung und Überarbeitung so in Not bringt.
Ich weiß, dass ich das überleben kann. Ich weiß, dass ich die Gewalt in meinem Kopf, in meinem Erinnern und Wiedererleben genauso überleben kann, wie das Selbst aus vielen Ichs, sie früher überlebt hat.

tl, dr:
Es ist kein Trost zu wissen, was man alles überleben kann, weil man es schon einmal überlebt hat.  Es ist so oft nichts mehr, als ein weiterer Schmerz, den man zusammen mit all dem, was ist und war und wird, jeden Tag aufs Neue überleben muss.

8 thoughts on “kein Trost

  1. Schlaflied für Hannah

    Nun schlaf
    Sanft sei dein Traum
    Zephirine deine Rose
    Stachellose
    Blatt um Blatt
    Nur Duft, nie Kampf
    Nur sanfte Lüfte
    Ozean aus sanften Wellen
    Grün und Licht und Schaum
    Sanft sei dein Traum
    Schlaf

    Lächeln dein Erwachen
    Rosmarin und Thymian
    Thymian

  2. „Es ist schlimm anerkennen und akzeptieren zu müssen, dass auch ich das Potenzial habe Menschen zu töten. Menschen, die mich verletzt haben, zu töten.
    Zu töten, wenn ich die Kontrolle über mich verliere und das schwarze Loch an meine Stelle tritt.“

    Da bist Du nicht die Einzige.Diese Seite hat jeder…Über mich hatte diese Seite an mir aber nur Macht,weil ich sie nicht annehmen konnte und verdrängt habe.Und wenn jemand behauptet,dass er das überhaupt nicht kennt und sich zB auch in Deinen Texten nicht in irgendeiner Art wiedererkennt,dann wäre ich da sehr skeptisch…Ich denke,dass man sich oft nur so anders als andere vorkommt,weil sich so viele selbst belügen…Jeder Mensch bzw jedes Lebewesen hat verletzte Anteile und auch „böse“ Anteile,die aber nur richtig viel Macht über uns haben,wenn wir sie nicht sehen wollen.Und die,die so tun,als wären sie ja so „tolle Gutmenschen“,die überhaupt keine Probleme haben,sind nicht ehrlich.

    Was den Film angeht:ich kenne diesen Film zwar jetzt nicht,aber es hört sich so an,als wären Rache und Hass da eine Option gewesen,die alles besser gemacht hat…Das sehe ich aber nicht so.Deswegen finde ich solche Filme auch blöd,die sowas aussagen (wenn das in dem Film so sein sollte).
    Kennst Du „Eiskönigin“ und „Maleficent“ von Disney?Ich finde,dass das da viel besser dargestellt wird.In den Filmen geht es ja auch um verletzte Charaktere,die sich aber ihren Erlebnissen und dunklen Seiten stellen und das alles verarbeiten.Der „Babadook“ ist da übrigens auch gut.Mir haben die 3 Filme auf jeden Fall sehr geholfen.Nachdem ich sie gesehen habe,habe ich mich auch richtig verstanden gefühlt.
    Besser als irgendwelche Rache-Filme oder Filme,in denen die Charaktere einfach als „böse“ abgestempelt werden,ohne zu hinterfragen,was mit ihnen los ist…

    1. „Da bist Du nicht die Einzige.Diese Seite hat jeder…“ – was genau möchtest du, was so ein Satz mit mir macht?
      Und was genau glabst du eigentlich, was ich über „tolle Gutmenschen“, wie du sie so in Anführungszeichen setzt, denke?

      Ich mag Filme, in denen Personen einfach nur böse sind.
      Ich mag auch Filme, in denen Personen böse sind, weil sie Gründe dafür haben.

      Ich habe diesen Artikel weder geschrieben, weil ich unbedingt wissen muss, nicht allein zu sein in meinem Empfinden, noch weil ich mit mir ringe, Hass und Rache als Umgangsoption zu akzeptieren.

  3. Ich möchte und erwarte gar nichts von Dir.Ich habe Dich auch nicht angegriffen…
    Ich habe nur meine Meinung geschrieben und habe das mit der Rache etc gar nicht auf Dich bezogen.Außerdem kann ich das,was Du als Kommentar geschrieben hast,gar nicht wissen.Ich kann keine Gedanken lesen…
    Ich wollte damit einfach nur ausdrücken,dass die Probleme,die Menschen so haben,gar nicht immer so extrem unterschiedlich sind,wie wir denken.Das,was wir uns wünschen und wollen,ist auch nicht unbedingt immer bei jedem so anders.Mir hat das geholfen.Aber wenn es Dir besser damit geht,bei anderen immer nur die Unterschiede zu sehen,dann mach das.Ist Dein Leben,nicht meins.

  4. Ich finde, es ist manchmal schwer, Deine Texte zu lesen, ohne etwas von sich selbst hinein zu lesen – eben weil Du sehr komplex schreibst. Beim Versuch, zu entziffern, was Du ausdrücken willst, rutscht man, wenn es zu schwierig wird, oft unwillkürlich aus Deinem Gedankenfaden heraus, hinein in eigene Assoziationen. Mir geht es jedenfalls oft so und es kostet Anstrengung, dann wieder zurückzufinden, Anstrengung, die man ja auch überhaupt erst dann aufbringen kann, wenn man sich dieser Schwierigkeit bewusst ist. Ich glaube, hierdurch könnten missliche Interpretationen Deines Gesagten vielleicht mitbegründet sein.

    Ich hab es so verstanden – korrigier mich, wenn ich irre – dass Du diesen Blog schreibst, um für Dich etwas sagbar zu machen. Nicht um Ratschläge, Interpretationen, Trost, Empfehlungen oder Umdeutungen von Lesern zu bekommen, die dann doch auch wieder auf eine Art übergriffig sind, weil sie überlesen, was Du eigentlich sagen wolltest.

    Ist manchmal ein echt ärgerlicher Urinstinkt, dieses „Sich-angesprochen-fühlen“, find ich^^.

  5. Mich hat der Film in der U-Bahn-Szene „abgeholt“, als ich an der Wand klebte.

    Und mich holen auch Kommentare ab die sagen:
    „Da bist Du nicht die Einzige und das hat Jeder“.

  6. @Verena.
    Dein Kommentar hat bei uns ziemlich viel ausgelöst.
    Einerseits sind wir auch dabei zu schauen, was ist denn wirklich so anders und was fühlt sich nur anders an weil wir nicht wissen wie es eigentlich bei anderen ist oder an welcher Stelle haben die Täter vielleicht bewusst ein Gefühl erzeugt, dass wir so anders sind, dass wir eigentlich gar nicht wert sind hier zu leben.
    Auf der anderen Seite, SIND wir anders (ich spreche hier nur für uns und nicht für die Verfasserin des Blogs). Als multiple Persönlichkeit/ Mensch mit dissoziativer Identitätstruktur/ Viele-Mensch (oder wie auch immer man es nennen mag), der komplexe, schwere, organisierte Gewalt überlebt hat, IST man anders als die meisten Menschen. Weil die meisten Menschen dies nicht überleben mussten. Weil man in einer völlig anderen Welt aufgewachsen ist. Weil man… ich könnte diese Liste ewig fortsetzen. Dementsprechend stellt sich bei uns manchmal ein gewisses „Heimatgefühl“ ein, wenn wir mit anderen Multiplen zusammen sind- was nicht bedeutet dass hier alles gleich ist oder wir alles 1zu1 übertragen könnten- schließlich ist auch jedes multile System für sich noch mal individuell. Wir erleben es als Befreiung, uns erlauben zu können und anzunehmen, dass wir wirklich anders sind als die meisten, statt permanent zu versuchen uns einzureden „dass ja alle Menschen eigentlich soundso und wir deshalb gar nicht so anders sind“.
    Anteile zu haben, bedeutet NICHT multipel zu sein. Das ist ein himmelweiter Unterschied und wir erleben es als Bagatellisierung wenn jemand sagt, „es hat doch jeder so seine Anteile“. Facetten/ Rollen/ Anteile sind keine eigenständigen Innenpersonen.
    @ H.C. Rosenblatt: bitte verzeiht dass wir nicht direkt auf euren Beitrag eingehen, sondern nur auf den Kommentar hier. Wir lesen regelmäßig auf eurem Blog und es tut uns gut. Mit dem Kommentieren halten wir uns sonst lieber zurück.

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