Jobcenter like its 2015 (and back into Hierjetztheute)

“Seit wann sind Sie denn im Leistungsbezug?”
“Seit es Hartz 4 heißt, also 2005.”
”Ouh. Das ist lange.”

Ja. Das ist lange.
Und, jetzt, wo ich mit unserem neuen Sachbearbeiter beim Jobcenter rede, kommt das alles wieder bei mir an. Auf die Umzugserschöpfung, die Anpassungsanstrengungserschöpfung, die 3 Wochen ohne gesetzliche Betreuerin und die 2 Wochen ohne Therapie-Erschöpfung, die Überforderungsgefühle, dieses Telefonat überhaupt so unvorbereitet und allein führen zu müssen, obendrauf.
Ich könnte heulen, stattdessen depersonalisiere ich. Höre jemand anderem zu, wie er für mich redet, bin zu entfernt, um irgendetwas beizutragen.

Als das Gespräch zu Ende ist, rufe ich bei der Neurologin an. Aus irgendeinem Grund denke ich, dass sie ans Telefon geht und ich an ihr abprallen kann, um in mir selbst zu landen. Quatschidee, sie ist in 15 Jahren, die wir ihr_e Patient_in sind, genau 1 Mal am Telefon gewesen, wenn wir da angerufen haben und wer weiß, wieso das so war. Etwas von mir und etwas von jemand anderem, vereinbaren einen Termin mit der Sprechstundenhilfe. Im Oktober.

Ich erlebe einen Flashback ins Jahr 2015. Wo sich so viel für uns verändert hat, aber das Jobcenter am Arsch zu haben und die Notwendigkeit von regelmäßigen Terminen bei ihr, so viel alltäglicher, normaler waren, als jetzt.
Der Tee in meiner Hand, die beiden Hundenasen, die mich anstupsen und zu weichen Flanken werden, die gestreichelt werden wollen, erden mich.
Aus der fremden Hasswut auf die Umstände, wird mein emotionales Sumpfgebiet mit Steinen aus Selbsthass, die als einzige Halt unter den Füßen bieten.

Ich bin es nicht mehr gewohnt. Diese Jobcenterscheiße. Dieses Gepule in meinem Leben, meiner Privatsphäre. Diese ständige Frage darum, ob und wenn ja in welchem Umfang, ich berechtigt bin zu leben.
Ich habe keine Haut mehr für diese spezielle Form der strukturellen Demütigung, das bürokratische Muskelspiel, das mich klein machen soll.

In den letzten 3 Jahren ist mir eine Haut gewachsen, um auch unter Zeitdruck kreativ zu bleiben, um inmitten von Leuten, die helfen wollen, diejenige zu bleiben, die sich effektiv auch helfen kann. Ich habe Schulausbildungshaut, Zuhausearbeitenhaut, Schriftsteller_innenhaut, ein bisschen Buchbinder_innenhaut, Hobbyfotograf_innenhaut. Haut, die mich als Subjekt umschließt, schützt und stärkt.
Für den Umgang mit mir als Objekt ist da nachwievor nur meine Traumahaut und davon habe ich in den letzten Jahren viel zu viel abgebaut, um das jetzt hier ohne Schmerz, – Leid – , zu empfinden.

Daneben zeichnet sich schon jetzt ab, dass es wird wie immer.
Wir sind widersprüchlich, falsch behindert, können nicht so, wie es der Arbeitsmarkt will.
Medizinische Gutachten folgen auf psychologische Gutachten, es gibt einen weiteren Zettel auf dem steht, was auf den Zetteln von 2005 bis 2015 schon steht: 70% schwerbehindert, Merkmal B, dissoziative Krampfanfälle, DIS, Ängste und Depressionen gemischt,( ASS wird dann neu da stehen), nicht arbeitsfähig.
Obwohl wir arbeiten. Obwohl wir wirklich hart arbeiten und tun und machen.

Ich selbst muss diesen Widerspruch nie aushalten. Ich lebe ihn und ich denke manchmal, dass die DIS dabei sehr hilft. Ich merke meine Arbeitsunfähigkeiten nicht, wie ich meine Arbeitsfähigkeit merke. Ich arbeite meine Sachen ab, bin zu Hause, mache meinen Kram, bereite mich vor auf Arbeiten, die außerhalb von zu Hause sind – kann mich in unseren Kosmos hineinspalten und stückeln, solange niemand konstante Verfügbarkeit von mir erwartet.
Das zu erklären ist so schwierig.

Vor allem, weil ja selbst die Erklärung in einen Rahmen passen muss, wo sie überhaupt nicht reinpassen kann.
Ich muss einerseits sagen: “Hey, ich kann nicht in die 10km entfernte Jobcenter-Filiale kommen, weil ich noch keine Assistenz habe.” und andererseits: “Hey ich bin im Oktober für eine Woche allein in Wien, um aus meinem Buch zu lesen und mir Dinge anzugucken.”

Muss sagen, dass ich es nicht schaffen kann, jeden Tag 3, 4 oder 8 Stunden zu arbeiten, während ich jede Woche eine Podcastepisode produziere, was mindestens 3 Mal 8 Stunden in der Woche sind. Während ich an Buchprojekten arbeite, Buchbindeunterricht habe, meine Kunst mache und meine Ehrenämter bespiele.

Ich lüge nicht, wenn ich sage, dass ich etwas nicht schaffe oder kann.
Es ist auch nicht so, dass mir nicht selbst auffällt, wie viel wir eben doch schaffen.

Es ist eben einfach so widersprüchlich, nicht linear, anders.
So bin ich, so ist mein Leben, so ist mein Funktionieren. Es gibt nun mal einfach Menschen, die so sind.
Das bin nicht nur ich, weil wir autistische viele mit Spezialinteressen, die produktiv nutzbar sind, sind.
Wir können nichts für einen Arbeitsmarkt, an dem teilzunehmen alle quasi zwangsverpflichtet sind, obwohl ebenjener Arbeitsmarkt auf Talente und Kräfte, wie unsere scheißt, sobald sie nicht unbegrenzt zur Verfügung gestellt werden können.
Wir können nichts für Arbeitsbedingungen und –umstände, die Menschen, wie uns mehr und tiefgreifender schaden, als anderen.
Das macht das Jobcenter und sein Handeln immer wieder zu einer Strafinstanz für uns. Wir können nichts dafür, müssen versagen, rausfallen, “alles falsch machen” und werden dafür mit Drohungen, Leistungskürzungen und anderem bestraft.

Daneben sind wir heute privilegiert. Im Vergleich zu 2015 geht es uns heute sehr sehr gut. Wir sind sehr sicher, sind sehr geschützt, unterstützt, geliebt, gemocht, gehalten und wenn nötig, würde man uns sogar tragen.
Das macht die Erfahrung jetzt etwas anders. Wir wissen mehr über unseren Autismus, wissen mehr über unsere dissoziative Mechanik, uns als Subjekt. Das macht viel aus, hilft mir jetzt, mich hier aufs Schreiben konzentrieren zu können. Ganz sicher zu spüren, dass es okay und wichtig ist, mit diesen Gedanken und Gefühlen nicht allein zu bleiben, wenigstens virtuell nicht.

Ich kann mich dem Ärger, der Wut annähern, sie teilen. Die spontane Spaltung wieder schließen.
Ich kann mich jetzt aber vor allem mit zwei lieben, warmen Hunden ins Bett legen, Tee trinken, ausruhen und nichts Schlimmes wird passieren, denn am Ende hängt eben doch nicht mehr wirklich unser Leben am Jobcenter, wie noch 2015.

18 thoughts on “Jobcenter like its 2015 (and back into Hierjetztheute)

  1. Danke. Danke, für die Gedanken und Worte „Widersprüche leben“… „Es ist eben einfach so widersprüchlich“, hört und fühlt sich auch für uns und unser Leben sehr stimmig an.

  2. erstmal: danke. Ich möchte diesen Text anderen zeigen um ihnen über mich zu erzählen. dafür danke.

    Und irgendwie möchte ich gerade einen eingängigen Hashtag für genau diese Botschaften:
    Ja, ich kann 4 Tage 5 Stunden arbeiten. Nein ich kann nicht einmal erst nachmittags arbeiten kommen.
    Ja, ich kann einmal in der Woche waschen, einkaufen, Menschen treffen. Nein, ich kann nicht mein Geschirr spülen.

  3. Ich glaube von mir ausgehend, der ganz Zauber hängt daran, was man kann aber nicht muss. Befindlichkeitsorientiert. Ein Hobby, das viel Zeit mag, ist etwas anders, als es auf Zwang jeden Tag tun zu müssen, egal wie die innere Lage gerade ist.
    Uns sind diese Widersprüchlichkeiten sehr bekannt.

    1. Ja ich glaube auch, dass das einen Anteil hat. Aber wir haben schon Praktika im Radio und in Redaktionen gemacht und könnten das auch nicht regelmäßig, obwohl es ein Traum wäre. Es ist einfach die Verfügbarkeit, die Umgebung, der permanente Kompensationsakt, was am Ende die Krsft zu sehr limitiert.

      1. Bei uns ist es auch immer schwierig, sobald es einen Hauch von Fremdbestimmung hat. Auch wenn das „Gefühl von Müssen“ nur sehr klein ist, so scheint es im Innern und für das System von großer Wirkung… Möglichst frei und selbstbestimmt geht bei uns jedenfalls mehr als mit „Pflicht-Struktur“ von außen gesetzt

        1. Das finde ich spannend – wir sind produktiver, wenn wir müssen (aber dann eben auch dissoziierter :/ )
          Merkst du diesen „Freiheitswunsch“ an irgendwas bestimmtem?

      2. Das ist genau das, was ich meinte…. egal wie gerne man etwas macht die konkrete Verpflichtung das immer machen zu müssen immer parat stehen, immer. Das ,,muss,, fehlt beim Hobby und macht es daher wohl möglicher….

  4. Wenn wir MÜSSEN, sind wir auch ganz produktiv. Stimmt. Vielleicht habe ich mich falsch ausgedrückt oder ich hatte noch nicht zu Ende gedacht, also nochmal: Wenn wir wirklich MÜSSEN, geht (fast) alles, aber wie ihr schriebt, voll dissoziiert. Als ob eine von uns dann hochfunktional etwas tut, nichts mehr fühlt und kaum etwas wahrnimmt. Hier gab es mal den Spruch: „ICH kann ganz viel, WIR können (zusammen) kaum etwas (leisten).“ Jetzt sind wir mehr und mehr dabei gemeinsam in der Welt zu sein, weniger dissoziiert und daher wahrscheinlich unsere Gedanken im letzten Kommentar, in dem Sinn, dass wir bei „müssen“ schnell und fast immer dissoziieren und deshalb gemeinsam weniger schaffen… Kommt Druck von außen, ist eine vorne, die Anforderungen erfüllen kann… Super und unauffällig. Hm, richtig verständlich wird es nicht oder?
    Und die Frage woran ich den FreiheitsWUNSCH merke, verstehe ich noch nicht ganz, glaub ich. Wunsch… ?!?! Vielleicht daran, dass wir dann weniger dissoziiert sind und mehr Gefühl für den Körper haben. Also wir haben den Wunsch, damit wir weniger dissoziieren, aber das ist wohl nicht die Antwort auf die Frage, weil das nicht beantwortet an was ich den Wunsch merke… Wie meint ihr das „merken“?

      1. Bin irgendwie raus aus diesem Gedankengang. Wollte ich nur kurz mitteilen. Habe jetzt immer wieder Mal deine-eure Frage gelesen und komme grad überhaupt nicht mehr rein ins Thema… Sorry.

  5. vielen dank für diese zeilen die diesen jobcenterirrsinn so gut auf den punkt bringen.

    ich habe ein jahr darum gekämpft mit dem jobcenter eine kleine selbstständigkeit im nebengewerbe haben zu dürfen während die traumatherapie läuft weil alles andere einfach überhaupt nicht funktionieren kann. fremdbestimmtes „müssen“ führt hier zu…. durchaus imposanten reaktionen aus dem innen.

    und ich will mich nicht anpassen, sehe es nicht ein nach allem was hier erlebt wurde auch nur noch eine therapiestunde darauf zu verschwenden wie ich mich einem system anpassen das für jemanden wie mich einfach gar nicht funktonieren kann und nur frust produziert weil ein scheitern vorprogramiert ist.

    aber das anderen zu erklären… schwierig… das in der einen woche ne 40std woche und öffis nutzen geht – aber die kleinste veränderung im innen reicht um die wohnung am liebsten ne woche nicht verlassen zu wollen.

    1. So eine kleine Selbstständigkeit wollen wir auch aufbauen. Wenigstens um Podcast, Blog und Schreiberei nicht immer und immer von Spenden und Existenzminimum zu finanzieren. Hoffe, dass das nicht auch ein Jahr dauert :/

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