Fundstücke #69

“Es ist kein Traumakitsch”, das hatte Mithu Sanyal über “aufgeschrieben” gesagt und ich war erleichtert.
Uff, ja, es ist kein Traumakitsch, es geht nicht einmal um das Trauma. Das Trauma ist in den Buch drin, wie in mir. Jede Zeile, jede Stimme darin, ist aus Trauma gemacht. Nimmt man dieses Buch in die Hand, nimmt man einen Batzen Trauma hoch und merkt es nicht einmal. So ist es im Leben jeden Tag.
Jeden Tag spricht man mit Überlebenden, mit Erlebenden, mit Zeug_innen, mit Täter_innen und merkt es nicht einmal. Traumakitsch würde man merken. Die Heroisierung des Überlebens, den Ausdruck den manche Menschen finden, um ihren Kampf um Normalität, Sicherheit, Alltag be_greifbar zu machen, das ist leider oft Traumakitsch.

Mir gefällt sowas nicht. Es ist mir zu krass, zu überzeichnet, es nimmt dem Alltag des Lebens mit den gemachten Erfahrungen die Banalität und damit das, was es zu einem Teil der Normalität macht, die immer gegeben ist.
Andererseits ist es verständlich. Eindeutig. Eindeutig schlimm. Eindeutig ungerecht. Eindeutig nicht selbst verschuldet. Eindeutig Opfer. Eindeutig Täter_in.
Und: Es ist nicht zu übersehen.
Als etwas, dass nicht hätte passieren sollen. Dürfen.
Als etwas, dass etwas macht. Dass etwas bedeutet.

Es ist nicht wie bei uns. Sowohl hier im Blog als auch in “aufgeschrieben”.
Traumakitsch ist immer etwas, das über etwas entwickelt wird. Die Erzählung, die es braucht um Mythos, Wunder, Bemerkenswert zu entwickeln, zu nähren, zu stützen. Die Hülle, der Schutzbezug, den es braucht, damit andere Menschen in Kontakt damit gehen.

Wir machen das nicht und finden das gut so. Wir muten uns zu. Erkennen die Zumutung an. Wissen, dass es schwer ist. Schwerer als ein Text darüber, wie fertig man man nach Flashbacks, Traumaerinnerungen und Gedanken an die frühere Not ist.

Es ist schwerer in diesem Text hier etwas über mich zu verstehen. Schwerer das Trauma, aus dem ich bin, zu erkennen. Vielleicht ist sie zu fremd. Die Idee, dass es nicht nur so etwas wie “ein Trauma erleben oder erlebt haben” gibt. Vielleicht zu fremd um darin für irgendjemanden sichtbar, erkennbar, fühlbar, verstehbar, begreifbar zu sein.
Aber auf mir liegt nichts drauf. Mich berührt man nicht mit Schutzbarriere.
Wenn man mich versteht, dann ist man ganz bei mir und wenn nicht, dann spüre ich die Entfernung sehr stark.
Wenn man mich sieht, dann ganz. Und wenn jemand sieht, dass ich, dass wir so sind und Dinge so machen, wie wir sie machen, dann fühlt sich das gut an. So als wäre das ganz okay so.

2 thoughts on “Fundstücke #69

  1. Vielleicht hat es mit deiner „aufgeschrieben“er Gegenwärtigkeit zu tun, dass es niemalsnie kitschig rüberkommt, was du schreibst? Weil, wie du sagst, da nichts drauf liegt. Schutzlosigkeit.

    (Ich kann manchmal, wenn ich traumatische Trigger erlebe, nicht genau dann drüber reden, drüber schreiben, kann dann überhaupt nur sein, ohne Möglichkeit/Fähigkeit zum Ausdruck. Die kommt erst danach wieder zu mir. Die Gefahr, dass Ausgedrücktes nachträglich „nacherzählt“ klingt, ist damit gegeben, selbst ohne jegliche Heroisierungsabsichten.

    Wo fängt hier der Traumakitsch an?)

    Bei dir und bei „aufgeschrieben“ ist, wie gesagt, so viel Gegenwärtigkeit, so viel Zumutung, so viel Präsenz, die – so schmerzhaft sie ist – so verdammt wichtig ist. Und, ja, ehrlich, genau das macht Mut. Den Mut der gegenseitigen Sich-Zumutung. Ich bin froh, dass du das alles „aufgeschrieben“ hast. Danke!

    (Wenn Menschen beim Wort Trauma die Augen verdrehen, haben sie wohl zu viel Traumakitsch „konsumiert“, vermute ich mal.)

    1. Interessante Vermutung! Das kann gut sein.
      Wobei ich auch festgestellt habe, dass es scheinbar auch so etwas wie „Kulturcluster“ gibt? Also so eine Art gemeinsame Übereinkunft, welche Stile und Arten okay sind für bestimmte Themen in einer bestimmten sozialen Schicht/Klasse/Gruppe. Bei Thema Trauma merke ich oft, wie speziell sogenannter „sexueller Missbrauch“ oft als traumakitschige Biografie zum Beispiel als in manchen Gruppen total okay und richtig und passend eingeordnet wird, aber zum Beispiel Kriegstraumata nicht. Die dürfen nur von Guido Knopp besprochen werden.
      Und bei wieder anderen Gruppen geht das überhaupt gar nicht klar – da dürfen es nur spezielle Erzählungen und Gedichte sein. Und bei wieder anderen sozialen Clustern sind Traumakitschblogs oder Facebookseiten das Ding, wo das Thema dann so sein darf – wo Bücher wiederum gar nicht vorkommen, dafür aber Filme.

      Menschen… 😉

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