Fundstücke #29

Am Ende des Dienstags lag mir die Gesamtsituation in kleinen Scherbenhäufchen zu Füßen.

Hier der Umstand in einer allgemeinen Dauerüberforderung, da der Komplex “behindert sein – behindert werden”, dort Erinnerungsstürme, die, in bunte Gläser gefüllt, meine Idee von dem Kinderleben, das wir ich die eine große Kleine von uns, vermutlich gehabt haben könnte, ergänzen und da all das, wohinein wir uns bewegen wollen.

Am Montagabend verkeilte sich das Hinterrad von Pitti im Rahmen, als wir einen Berg hinab rollten. Die Pedale klacken in jeder Drehung.
Seit Wochen und Monaten schraube ich an diesem Fahrrad herum und tausche wilde Pfandflaschen gegen Ersatzteile. Ich war, nein, bin so frustriert, dass es kein Ende nimmt. Am Dienstag bin ich also erneut in die Werkstatt und befestigte das Hinterrad. Das Klacken in den Pedalen, käme sicher von den Gängen, sagt der Typ in der Werkstatt.
Bis Mittwoch hatte ich drei Bücher und ein Wiki über Fahrradreparaturen gelesen und war mir sicher, dass es das Tretlager ist. Bin mir sicher, dass es das ist.
Ein Teil, das hochbeansprucht und bei einem so gebrauchten Rad wie Pitti ganz normal nach einem halben – dreiviertel Jahr hin ist. So ging ich dann heute in die Werkstatt.
Und dann scheitert die Nummer daran, dass der Typ nicht glaubt, dass es das ist.

Und ich? Wurde das Mädel für das er mich zu halten scheint und sah zu, dass ich das Hinterrad (das sich auf dem Weg zur Werkstatt erneut im Rahmen verkeilt hatte) erneut und diesmal mit aller Macht festschraube, um wieder zu verschwinden.

Ich bin meine Inkonsistenz so leid. Meine nicht kontinuierlich abrufbare Kraft, die sich in Dinge verpulvert, die nichts mit den Dingen zu tun hat, die ich machen will oder soll oder muss, sondern mit den Menschen darum herum, diesem scheiß Krach, den ganzen Bedeutungen und Symboliken, die sie alle überall und immer machen, diesen Erklärungen, die immer und überall nötig sind, all dem – ich bin es so leid.
Ich will weg_laufen. Will nicht mehr da sein.
Nicht jetzt. Nicht mehr. Nicht so. Weil darum. Und nicht, weil X und Y und Z. Einfach so. Nicht, weil ich alles schlimm finde. Nicht, weil mich alle nerven. Nicht, weil ich so furchtbar leide, weil ich so eine verkrachte Existenz bin. Es ist einfach nur viel. Viel zu viel. Auf einmal, auf zweimal, auf dreimal viel zu viel von allem.

Nicht von dir. Nicht von dir und nein auch nicht von dir. Ihr seid alle toll und ich bin froh, wenn ich euch merke. Wenn ihr da seid, wo ich euch vermute, wenn ihr bleibt, weil ihr nicht gehen wollt.

Ich will nur nicht bleiben, wo ich bin.
Ich brauche eine Veränderung. Eine radikale Veränderung. Radikaler als eine Glatze oder eine umgestellte Wohnung. Krasser als ein Beziehungsende und konstruktiver als eine depressive Episode. Die Radtour soll sie machen. Ganz begrenzt im Außen und ganz offen nach innen.
Natürlich fahren wir trotz dem Pitti jetzt diesen Schaden hat. Ich habe eine professionelle Werkstatt angerufen und hoffe einfach, dass Amanda und Willi, die beiden an Killefitschäden verstorbenen Schrotträder verrechenbar sind mit der Rechnung. Wenn es wirklich das Tretlager ist, kriegen wir das hin.

Es ist nur der Plan, der kaputt geht und das Stück Welt_Raum_Zeit, das damit für mich zu einem unheimlich kräftezehrendem Loch wird, weil es unsere Pläne sind, die uns sagen, was wann wie wo mit wem und weshalb eigentlich. Es geht um Sinnerfüllung. Darum, nicht den Kopf, die Kontrolle, den Willen zum Leben zu verlieren. Etwas zu haben, was, wenn es schon nicht Kraft und Kontrolle ergibt, so doch wenigstens Sinn.

Es ergibt so wenig von dem Sinn, was mir begegnet. So viele Dinge, die ich mich frage, kann ich mir beantworten ~ lassen, doch die Antwort findet keine Richtigkeit im Lauf der Dinge. Alles ist wie es ist, aber nicht immer so, wie man sich das vorstellt, in der Praxis anders als in der Theorie und überhaupt, muss man ja auch nicht alles immer so nehmen, wie es irgendwo steht.
“Ja, was denn nun?”, denke ich und drehe und wende mich, meine Sicht, meine Ideen und merke, wie diese Drehung zum Kreisen wird bis ich den Anschluss verliere und erstarre.

Wie Dienstagnachmittag, als wir mit dem Begleitermenschen und der gesetzlichen Betreuung über Hilfen und ihre Anträge sprachen.
Ich bin erstarrt und zu etwas verdampft, das 15 ist und Tränen, Fuchteln und falsche Entscheidungen auf ihrem Weg nach Außen abfängt. Erneut. Obwohl und trotz dem, wir das kennen. Es ist nicht neu. Es ist kein neuer Schmerz. Es ist einfach der Schmerz, die Angst, die Verwirrung, die Not, die man nicht haben darf, weil man ja gerade schon mit Menschen ist, die sich um Hilfen kümmern.
Diese vielen Extras und Sonderlösungen, die special für Behinderte, Kranke, Bedürftige da sind, um “allen anderen” das Gefühl zu geben, es, dieses Elend, das sie mit dieser Lebensrealität verbinden, ohne sie je erfahren zu haben, sei kontrollierbar.

Was ich sehe ist, wie lange wir schon erwachsen spielen, weil wir in jedem solcher Gespräche das Gefühl haben, einen Luxus zu ergaunern – irgendetwas special super sondergutes zu brauchen, das nur nach sorgfältigster Abwägung gewährt wird – obwohl wir es brauchen, weil wir es brauchen.
Nicht weil X, nicht weil Y, nicht weil Z, sondern, weil wir wirklich und echt ein behinderter Mensch sind, der braucht, ohne zu wollen. Der soll ohne zu müssen, weil es nicht darum geht, was mit ihm ist oder wird, sondern darum, dass jede_r soll aber nicht alle müssen müssen.

Was ich sehe, ist für mich völlig verwirrend und doch ein festgezurrter Bestandteil unserer letzten 15 Lebensjahre.
Einerseits sieht man unsere Probleme und Behinderungen – andererseits sollen wir klar kommen. Will uns niemand reinreden. Sollen wir entscheiden, was wir überhaupt nicht tragen können. Müssen wir aushalten, was andere überhaupt anzufassen sich verweigern würden.
Niemand will uns klein machen, aber wie groß wir sind, ist nie geklärt worden.

Ich hab Angst vor der Frage danach. Angst vor der Antwort.
Ich will sie nicht hören. Ich will sie nicht denken.

Ich will Sinn. Ich will einen Sinn, für den ich bleiben kann.