Essen, das komisch guckt

das komisch gucktIn den letzten Monaten waren wir häufig unterwegs und ich twitterte öfter mal von “Essen, das komisch guckt”. Darauf kamen die Fragen danach, was das denn bedeutet. Wie guckt denn Essen (für mich)? Ist es, weil es tierische Produkte enthält? Weil es wie ein Gesicht angeordnet ist?

Ich habe das noch nicht so ausformuliert bisher, deshalb ist das hier ein erster Versuch:

Also, Essen, das komisch guckt ist:

1) Essen, das kein Lebensmittel mehr ist

2) Lebensmittel/Essen, das nicht aussieht, als wäre es mit Händen oder wie ein Getränk aufnehmbar

3) Lebensmittel/Essen, die ich nicht aussprechen kann

4) Lebensmittel/Essen, die nicht geschrieben werden, wie sie heißen

5) sehr kunstvoll arrangiertes Essen/Lebensmittel

6) Lebensmittel/Essen, die erst ein Pulver sind

7) Lebensmittel/Essen, die ich nicht kenne

Also: irgendwie alles, außer Leitungswasser, Milch und Lebensmittel, die man roh essen kann.
(Und selbst das kann man mir komisch gucken machen, wenn man es mir als “raw food” oder als “vom Fuße des Himalaya in eine Flasche abgefüllt” vorsetzt)
Eingefangen habe ich mir diese Bezeichnung zusammen mit meiner Essstörung, die ich hier im Blog eher als Umgang mit bestimmten Leiden beschreibe, denn als die Störung, die sie für meinen Alltag oft (auch) bedeutet.
Während mein hungern, erbrechen, fressen – mit Absicht viel oder weniger werden – , immer in einem Kontext passiert, der nachvollziehbar ist, ist die Sicht auf Lebensmittel und Speisen bei uns eigentlich immer die gleiche und vielleicht ist sie die eigentliche Essstörung, für die wir einen Umgang lernen und üben müssen.

Ich habe mir in meine Wünsche für 2015 geschrieben, dass wir öfter Essen kochen, das uns gut tut, damit wir das auch endlich mal wenigstens versuchen.
Bisher klappt es ganz gut, würde aber nicht funktionieren, wenn wir nicht unsere Gemögte hätten, die uns übers Telefon ermutigt, wenn es mal wieder ganz furchtbar komisch guckt.

Das verursacht der Blick eben auch mit. Wenn es zu komisch guckend ist, kann ich es nicht essen. Da ist eine Sperre und aus Versehen habe ich dann auch mal eine ganze Weile keinen Magen oder einen mit Rückschleuderkatapult drin. Wenn andere Menschen noch da sind, gehts hingegen.
Mit anderen Menschen zusammen ist die Nahrungsaufnahme häufig mehr Normenperformance als alles andere. Während ich es mit anderen Menschen schaffe einen Bissen nach dem anderen zu nehmen, mich zu unterhalten und dabei nicht wie das Biest im Disneyfilm auszusehen, bleibt mir davon zu Hause und allein kaum etwas davon, fühlt sich aber echter im Sinne von „mehr wie ich wirklich bin“ an.
Ich verwende von meinem ganzen schönen Geschirr exakt immer die gleiche Schale (bis sie anfängt komisch zu gucken – dann nehme ich eine andere) und koche in aller Regel monatelang das Gleiche auf die immer gleiche Art, zu immer der gleichen Zeit. Sonst guckt es komisch und ich brauche einen Jemand zum bei mir sein, während ich esse.

Mein Jahreswunsch ist eine Herausforderung, weil er für mich auch bedeutet mich abwechslungsreicher zu ernähren und das bedeutet: Veränderungen im Handlungsablauf der Zubereitung und Flexibilisierung der Beschaffungsprozesse. Unsere Art Lebensmittel zu beschaffen, hat immer mehr von einem Geheimauftrag und läuft immer wieder in Abhängigkeit vom Außen erfolgreich oder eher nicht erfolgreich ab.

Ich frage mich gerade, wie das wohl auf andere Menschen wirkt, wenn ich das einfach so daher schreibe.
Als Teil meiner Lebensrealität und eben einfach so Fakt.
Vielleicht klingt das sehr anstrengend und so, als würde mir Essen keinen Spaß machen oder nur Stress bedeuten. Aber das tut es wirklich nicht.

Es ist halt nur nicht so ein Automatismus, den ich mir jederzeit gestalten kann, wie ich es will oder ein Trend oder eine politische Überzeugung oder eine sonstwie gelagerte Ansicht es verlangt oder ermöglicht.
Vielleicht wird meine Art Nahrung zu mir zu nehmen auch nie „normal“ oder so unproblematisch, wie es das für andere Menschen ist.

Essen hat etwas mit am Leben sein zu tun.
Ist halt dann doch nicht immer so einfach zu machen, wie es aussieht.