die Klapsen-Gedankenschleife

Es rauscht und knackt in der Leitung, am anderen Ende gibt es Probleme mit Soft- und Hardware. „Hm, in ihrer Gegend kann ich ihnen keinen Termin vermitteln.“ Der Mitarbeiter der zentralen Terminvergabestelle klingt irritiert. In mir zieht sich etwas zusammen. Ich lasse ihn im Umkreis von 50 Kilometern suchen, dort findet er etwas.
Als ich auflege, brennt meine Haut. Mir ist schlecht, ich bin erschöpft. Ob immer noch oder schon wieder kann ich gar nicht so genau sagen. In der Nacht hatte ich einige Stunden damit verbracht herauszufinden, ob ich wirklich ganz aus Schmerz bestehe oder ein Erinnern mich das glauben lässt. Am Morgen hatte ich eine lange Selbstmotivationsphase gebraucht, um daran zu glauben, dass es gut ist, dass es wichtig ist, dass ich genug dafür bin, mich um einen weiteren Termin zu kümmern.
Jetzt sitze ich am Schreibtisch und fühle meine Kopfhörer wie die Berührung einer Person, die mich da erreichen will, wo es am schlimmsten ist. Sehe meine Arbeit, meine Projekte wie Türme, die weit über mich hinausragen, erinnere mich an meine Zukunftswünsche wie an einen Traum, den ich mir nie hätte erlauben dürfen.

Für eine Weile bin ich aus Stein. Mir laufen Tränen eine nach der anderen auf der gleichen Bahn über die Wange ans Kinn, wo sie sich sammeln, um gemeinsam auf meinen Pulli zu fallen. Ich beobachte das, fühle nichts, denke nur daran, was für ein jämmerlicher Zustand das ist. Was für ein erbärmlicher Wurm ich bin. Was für ein ekelhaftes Klischee.
Weiter hinten gibt es einen Streit darüber, was es bedeutet eine_n Therapeut_in zu brauchen, daneben steht die Erinnerung an die Pflegeperson aus der KJP, die mir vor 16 Jahren sagte, dass ich mich schon mal drauf einstellen könne, immer irgendeine Form von Therapie zu brauchen, weil bei mir einfach alles so richtig kaputt wäre.

Vor einigen Monaten habe ich mich so heil gefühlt, dass ich dachte, in ein zwei Jahren fertig zu sein und vielleicht nur noch das Autismuscoaching als Unterstützung zu brauchen. Wir haben über ein Kind nachgedacht, über Heirat, über eine kleine berufliche Selbstständigkeit. Darüber, das Nachwachshaus-Projekt auszuentwickeln, über einen Alltag, in dem meine psychische Beschaffenheit keinen Krankheitswert mehr hat. Jetzt kommt es mir naiv vor. Vermessen. Dumm.
Gesund, normal, ohne Therapiebedarf sind immer nur die anderen. Unbesprochenen Alltag, unbearbeitete Wahrnehmung, das dürfen immer nur die anderen haben. Mir ist das Leben nur dann zuzumuten, wenn jemand mit Fachwissen auch drin ist.

Ich bin in der Klapsen-Gedankenschleife. Getriggert bis unters Dach. Noch zwei drei Kreisel und ich bin suizidal. Kann keinen Sinn mehr sehen, nicht mehr an den Unterschied zwischen „real“ und „wahr“ glauben.
Ich hänge meine Wäsche auf, mache mein Bett, schalte den Wasserkocher ein und beobachte die Bewegungen darin. „Heute ist es anders als früher.“ denke ich und kann keine Entlastung im Gedanken an einen Suizid finden. Da wäre zu viel vorzubereiten, so viele Leute zu verlassen, ohne, dass sie es merken, was mir nie gelingen wird.
Ich rufe bei der Neurologin an. Die Praxis ist zu, ich rufe bei der Therapeutin an, die drückt mich weg. Ich rufe den Begleitermensch an, die Mailbox. Merke wie es hinter mir nickt und sagt: „Siehst?“

„Ich bin überfordert.“ denke ich. „Ich bin überfordert und das ist schon alles. Das passiert. Das ist auch Leben.“ Ich entscheide mich für ein Frühstück, verschließe die Stelle im Auge, aus der die Tränen kommen. Als ich dabei bin zusammenzubrechen, weil mir meine Handlung in Einzelteile und Bedeutungslosigkeit zerfällt, klingelt das Handy.
Die Therapeutin ist dran.


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5 thoughts on “die Klapsen-Gedankenschleife

  1. Menschen wie Ihr helft anderen einen Weg zu finden. Das Nachwachs-Haus wäre schon sehr ideal, allein schon, dass Du diese Inhalte großzügig zur Verfügung stellst, zeigt, dass Du hier eine Form von Leadership wahrnimmst, und das ist dein Kapital. Es ist so oft, dass ich in diesen Schleifen diesen Blog lese und mich ermutigt fühle. Die Bürokratie ist unzerstörbar bietet jederzeit die Garantie jede Ressource in Luft aufzulösen. Insgeheim habe ich die Utopie wir machen unsere Regeln was Hilfe ist und wirkt selbst. Daher bin ich seit neustem BPE-Mitglied. Behinderung, Bewegung, Befreiung?

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