das Tanzen, der Stein und das Stehenbleiben

P1010016 Ich merkte nicht, oder vielleicht habe ich es vergessen?, dass ich tanzte.

Reflexhaft, wie sich all meine Ängste einfach so an- und ausschalten, auf den Kraterrand stieg und mit geschlossenen Augen einem Sog folgte, der mich fortträgt.

Mit ihren Worten warf die Therapeutin einen Stein an die Stirn, wo er ein Loch schlug und die Botschaft hineintropfen ließ:
”Sie wissen, dass Sie schwer missbraucht wurden…”

Ich griff mir über meine Augen. Statt einem Ausruf des Schmerzes griff mein Tanzreflex. Quoll ein “Nein!” heraus und schwamm an mir vorbei in den Raum hinein.

Wir sprachen über die Möglichkeit von Hirntumoren und Facetten des Wahnsinns. Dankbar ließ ich mich wie einen angestoßenen Kreisel ausdrehen und glitt über das neue Gefühl der Ruhe. Nicht herablassend: “Ach- jetzt das schon wieder.” Nicht ungeduldig: “Wann begreift sie das endlich?” Nicht ärgerlich: “Was soll das denn jetzt?”

Dieses Gefühl einen Raum voll Ruhe zu haben, in dem es und ES und alles und ALLES so okay ist, wie es ist. In dem ich atmen darf. Mit meinem Kreisen “Aua!” sagen kann.

Meine Tänze sind Kult und Beschwörung, Verschwinde- und Wohlbefindenszauber.
Es geht um Leichtigkeit und eine Realität, die nicht schmerzt. Sie hat nichts mit einer Schwäche zu tun, die durch andere verursacht ist, sondern nur durch (körper)eigene Beschaffenheiten. Ich bin das Problem. Mein Kopf, meine Biologie, mein Verhalten, mein Sein.

Ein bewegliches Ziel ist nicht so leicht von Steinen zu treffen.
Ein bewegliches Ziel wird nicht oft getroffen.

Meine Hornhaut ist an den Füßen entwickelt. Ich kann auf jedem Pflaster tanzen.
Mein Schutzpanzer ist auf dem Rücken. Selbst wenn mich jemand aufs Kreuz legt, passiert mir nichts.

“Dir passiert nichts”, hatte sie in ihrer festen Art gesagt.
Als ich abends auf dem Bett lag, an die Decke starrte und dem Gefühl auf dem ich aus dem Raum geschwebt war, nachspürte, dachte ich, dass ich eine Idee davon bekomme, was sie damit gemeint hatte.

Ich stieß den Stein nicht wieder weg.
Das passiert nicht, wenn man stehen bleibt und Mut sammelt, um ihn sich anzugucken.