das “bio und vegan ist nur für Reiche–Argument”

Erst dachte ich daran, eine Art Nachklapp auf das #armeLeuteEssen-Ding zu schreiben. Denn meine Ansichten haben sich etwas verändert und diese aufzuschreiben ist nun einmal, was ich hier tue. Mein Hier und Jetzt aufzunehmen und zu prüfen.
Doch dieses Hier und Jetzt ist im Moment ziemlich nah an vielen Dingen, die meine eigene politische und soziale Blase betrifft oder ausmacht.
Oh ja ein Minenfeld mit Nesseln, die um Fettnäpfchen wachsen.
Gleichmal reingehen.

Was hat mich angestoßen?
Mein eigener Anblick im Schaufenster eines Geschäftes vor dem ich mit NakNak* eine Pause machte, während wir auf der Radtour waren.
Da stand ich. Weiß wie Milchbrötchen, an mein teures Tourenrad gelehnt. Streichelte meinen Hund, der ein Premium-Barf-Trockenfutter verdaute. Kaute einen Bio-Rohkostriegel und trank einen Tee aus biologischem Anbau. All das in Funktionskleidung, die soviel gekostet hat, wie eine Jahresgarderobe von Kik.
Wenn man mich so ansah, hätte locker alles da sein können, was ich mir für mich selbst wünsche.
Weiß, abliert, finanziell gut gestellt sein. Privilegiert sein. So sein, dass ich so vieles besser mache, dass alles besser wird.

Ich lese es, wenn in meiner Blase in abgrenzender Art, manchmal auch hämisch und herablassend über “die (Bio-)Besseresser” gesprochen wird. Ich nehme es wohl war, wie inzwischen fast schambesetzt es ist, wenn man untereinander “zugeben muss”, dass man bestimmte Dinge nur noch in einer bestimmten Qualität konsumiert oder zu konsumieren gedenkt.

Ich selbst sehe mich in eine schräge Position rutschen, wie ich da so stehe.
Mein “total viel bio essen” hat mit dem vegan essen zu tun. Und damit, dass es für mein quirky Herz, meine Asthmalunge, mein verwirrtes Immunsystem und mein traumatisiertes autistisch funktionierendes Gehirn, einfach ziemlich geil ist, nicht jeden Tag mit Zeug belastet zu werden, das schlicht nicht nötig ist.

Es geht mir im Moment so gut wie noch nie zuvor in diesem Körper. Er ist gut zu benutzen und tut nichts, dass ich mir nicht erklären kann. Im letzten Jahr ist er mir nicht mein bester Freund geworden, aber er ist mir näher und verständlicher geworden. Er macht mir keine Angst mehr. Und das ist besser. Bio-besser, wenn man so will.

Ja, kapitalistische Kackscheiße hat mir das nahe gebracht. Ja, vegan ist hip. Ja, vegan und bio wird als Label für “super gut und super geil” aka “super viel besser als alle anderen” verwendet. Es ist kein Zufall, dass vegane Snacks als “Superfoods” bezeichnet werden.
Das bedeutet aber nicht, dass ich jetzt ein kapitalistisches Bündel grüner Überheblichkeit bin. Oder überhaupt alle Menschen, die diese Produkte kaufen oder ihre Lebensweise ins Vegane verändern.
Oder – und ja von mir aus haut mich dafür: Das bedeutet nicht, dass nicht vielleicht doch etwas dran ist, dass es besser ist, mehr Produkte zu sich zu nehmen, die den Planeten und menschliche Körper unnötig belasten. Dass es vielleicht gar nicht mal so scheiße ist, unter anderem mit dem eigenen Konsum einen Beitrag zu Veränderungen hinzu geben zu wollen. (Und ja – hier steht absichtlich nicht “einen Beitrag leisten zu wollen”.)

Eine allgemeine Fehlannahme ist die, dass es bei Veganismus oder bei der (von mir gefühlt) viel größeren und breiteren Bio-Bewegung, ausschließlich um Konsum geht. Die Annahme an sich ist nachvollziehbar, denn man kann sich als Veganer_in oder Bioökohippie verkleiden, indem man im Bioladen einkauft, statt bei Aldi. Steht man nämlich bei Aldi, wird man für arm oder wenigstens kostenbewusst gehalten – auch dann, wenn man ausschließlich vegane oder Bio_Lebensmittel dort einkauft.

Was ich bisher aber von Veganismus verstanden habe, deckt nicht nur das ab, was auf eine_n zukommt. Was man sich kauft. Was man erreicht. Was man mehr leistet oder gibt. Sehr deutlich habe ich das während meiner Radtour gemerkt. Wir hatten kaum Müll während der Tour. Brauchten nur zwei Mal Medikamente. Verbrauchten sehr wenig Ressourcen um uns und unsere Wäsche zu pflegen. Die krassen Ausreißer waren die Reifenmäntel- und schläuche für die Anhängerreifen. Die einige Jahre halten werden.

Vielleicht ist diese Erfahrung weniger eine vegane, als eine ökonomische. Es ist sehr teuer arm zu sein und keine großen Investitionen machen zu können, die in der Folge lange Zeit keine weiteren nötig macht. Andererseits kann ich eine Investition in 500gr Linsen, 1kg Tomaten, Salz und Pfeffer für bis zu 3 Tage Mittagessen nicht gerade als etwas sehen, das mich in meiner Armut sehr bedrängt. Zumindest nicht in dem Status, den ich gerade habe.
In meinem Status, kann ich bis zu 5€ für Lebensmittel am Tag ausgeben. Was viel für mich ist und nur jetzt gerade geht, nachdem es viele Jahre nicht so ging.

Was ich aber als etwas sehen kann, das mich in Armut grundsätzlich bedrängt, ist der Umstand für Essen überhaupt Geld haben zu müssen.
Wenn man nicht isst, stirbt man. Wer kein Geld hat, muss also hungern. Oder mit Würde bezahlen. Und die hat in so einem Moment nicht mehr Wert als Brötchen vom Vortag und Aufschnitt kurz vorm Ablauf des MHD.

Das ist mir nachwievor ein noch viel zu wenig kritisierter Umstand in der “Mäh diese Biobesseresser halten sich wohl für was Besseres, wenn sie nicht zu Aldi gehen und Hack für 99Cent kaufen”-Debatte um Armut im Kontext von Ernährung in jedweder Form.
Klar, ist es wichtig diese Unterschiede zu thematisieren und aufzuzeigen.
Es ist aber auch wichtig, sich mal zu fragen, was das für ein perfider Zwang ist, für die Erfüllung aller Grundbedürfnisse, die Menschen haben, um zu (über)leben, etwas bezahlen zu müssen. Und zwar alle.
Und zwar nicht “jede_r so wie sie_r kann”, sondern so, wie es jene bestimmen, die Werte einordnen und festlegen. Anhand von was weiß ich was für Maßstäben.

Biologisch nachhaltig und vegan zu essen, befreit nicht von der Auseinandersetzung mit dieser Frage. Aber die Auseinandersetzung passiert, zumindest für mich im Moment, anders. Für mich ist es ein empowerndes Moment, vollbepackt mit veganen Bio_Lebensmitteln aus dem Aldi zu gehen. Weil ich eben keine_r dieser hippen YouTubeveganer_innen oder “inspirierenden” Veganoinstagrammer_innen bin, sondern ich. Arm, behindert, weiß und auf dem Weg einen Beruf zu lernen. Bewusst, dass mein Konsum die Welt nicht verändert, dass mein Konsum aber doch Teil dessen ist, was meine Welt trägt und mit.bewegt.

Versuche ich mir etwas anzueignen? Ein Label zu reclaimen und neu zu besetzen? Nein.
Veganes (und vegetarisches) Leben war schon da, bevor es hip und teuer wurde.
Sich damit auseinanderzusetzen, wie viel Schmerz und Zerstörung, Machtausübung und unnötige Einverleibung das eigene Leben beinhaltet, ist eine in östlichen Kulturen uralte Nummer. So würde ich sagen, geht es mehr um Wiederentdeckung und aufrichtige Auseinandersetzung. Auch – und das scheint einfach mein Thema im Leben zu sein – mit den Gewalten, die ich sowohl selbst ausübe, als auch kritiklos und/oder manchmal sogar unkritisch in meinem Leben dulde.

Das bedeutet nicht, dass ich andere Menschen, die das nicht auch tun, verachte oder von ihnen erwarte das auch zu tun.
Aber natürlich habe ich manchmal schon den Wunsch und mache mir Gedanken darüber, ob es etwas gibt, das diese Auseinandersetzung in anderen Menschen anstößt.
Ginge es mir darum etwas, was ich über Sexismus, Rassismus oder Kapitalismus verstanden habe, zu teilen, dann würde ich das einfach so raushauen. Ich würde meine Twittertimeline wieder mit Netzmemes, Alltagsbeispielen oder lakonisch-zynischen Sprüchen, die diese Dynamiken verdeutlichen, fluten, wie ich das zu Zeiten von Aufschrei, Schauhin oder Arme Leute Essen getan habe.

Mit einer Auseinandersetzung um veganes Leben und Sein tue ich das nicht.
Ich traue mich nicht so richtig. Habe Angst vor Situationen, in denen Menschen, deren Tweets (Gedanken) ich sehr mag, mich für überheblich halten oder mit karnistischer Argumentation davon überzeugen wollen, wie wichtig es ist (Tiere) zu töten und davon zu profitieren (dass andere Menschen davon leben, für ihren Genuss und ihre Gewohnheiten zu morden und/oder auszubeuten).
Vielleicht traue ich mich auch nicht, weil es keine gleichermaßen großen Hashtags dazu gibt? Fühle ich mich nur dann sicher in meiner Position?

Ich finde das tragisch. Inmitten von Menschen, die sich gegen Gewalt, Ausbeutung und Unterdrückung aussprechen, habe ich Sorge, durch diese Form der Auseinandersetzung als überheblich, abgehoben oder selbst gewaltvoll handelnd wahrgenommen zu werden. Nicht mehr dazuzugehören. Raus zu sein, weil ich etwas kritisiere und ablehne, was viele tun, weil sie es tun wollen oder, aus welchen Gründen auch immer, vielleicht sogar müssen.

Ich finde es tragisch, dass ich von Arbeiter_innen höre, die ein exorbitant hohes Risiko für Arbeitsunfälle und PTBS haben, weil sie Tiere töten und ihre Leichen verarbeiten, um einen mickrigen Lohn zu bekommen. Tragisch, dass so viele Leute Fleisch gerne essen, aber weder diese Arbeiter_innen noch deren Job wirklich wertschätzen. Noch sich sagen: Ich konsumiere lieber etwas, das weniger krasse Auswirkungen auf die Menschen hat, die es produzieren.

Das ist keine windelweiche Friedenshippie-Sache, jenseits der Machbarkeit. Das ist auch antikapitalistischer Diskurs. Das ist auch – vor allem in den USA – antirassistischer Diskurs. Und auch: antiableistischer und antisexistischer Diskurs.

Ich bin gerade sehr glücklich über das, was ich nun auch über die  karnistischen Strukturen hinter meinem ganz persönlichen Konsum erfahre, denn ich gewinne eine Sektion in meiner intersektionalen Auseinandersetzung dazu. Mich empowert das. Mir gibt es Konsistenz. Ich gewinne Einblicke und erweitere meine Perspektive.
Das geht über so vieles hinaus, was derzeit allgemein mit Veganismus in Verbindung gebracht wird. Häufig sogar von Leuten, die schon sehr lange vegan oder vegetarisch oder biologisch nachhaltig leben bzw. konsumieren. (Und natürlich auch, was ich selbst so lange dachte.)

Es geht mir beim veganen Leben nicht darum, mich gut zu fühlen, weil ich nicht mehr verantwortlich bin für den Tod von Tieren. Das bin ich nämlich doch noch.
Es geht mir nicht darum mich gut zu fühlen, weil ich selbst “die Wahrheit” verstanden habe, aber alle anderen nicht. “Die Wahrheit” gibt es für mich nämlich nicht.
Es geht mir nicht darum, dass es billiger ist, sich pflanzenbasiert zu versorgen. Das ist es nämlich nicht.
Es geht mir nicht darum, dass es gesünder ist und ein veganer Arsch mehr sexy ist, als ein anderer. Gesundheit ist ein Machtbegriff und der Wert von Sexiness schlicht sexistische Kackscheiße.

Es geht einfach mal gar nicht um uns.
Um mich oder Menschen im Allgemeinen.
Es geht darum, wie wir uns verhalten. Was wir wertschätzen und was nicht. Was wir zerstören und was wir erschaffen.

Für mich ist das eine echte Erweiterung meines Fokus.
Einer, der ganz und gar woanders ist als da, wie gut oder schlecht eine Person ist, weil sie tut, was sie tut. Es geht darum, wie sich auswirkt, was eine Person tut. Weil es sich auf andere Personen auswirkt. Und darüber auf alles, was uns umgibt.

Es ist das Eine, wenn man sich in einer Gesellschaft verortet, deren Dynamiken man analysieren und verändern kann. Es ist das Andere zu begreifen, dass man sich 24/7 den eigenen Lebensraum unwiderbringlich zerstört bzw. zerstören hilft.
Es bringt mich auf andere Fragen, mit denen ich auf die Gesellschaft schaue. Es bringt mich an andere Antworten, die ich analysieren und reflektieren kann.

Mit großer Wahrscheinlichkeit wird mein Konsum weder den Klimawandel stoppen, noch diverse unsägliche Athletenveganer_innen davon abhalten zu behaupten, vegane Ernährung könne Krebs heilen und führe zu körperlichen Höchstleistungen.
Aber ich persönlich kann mich körperlich gut bzw. besser als vorher fühlen. Kann merken, dass es sich durchaus leben lässt, ohne die Leben anderer dafür zu fordern. Kann meine ethischen Werte in meinen Alltag integrieren, ohne Angst vor Verlust oder Verzicht zu haben. Weil das für mich persönlich funktioniert. Hier und Jetzt und hoffentlich auch in der Zukunft.

Es ist nichts böses oder schlechtes daran, dass ich das anderen Menschen auch wünsche. Das bedeutet nicht, dass ich glaube, es ginge ihnen jetzt schlecht oder sie bräuchten meine Hilfe zu erkennen, was “eigentlich wirklich” abgeht. Es bedeutet, dass ich mir wünsche, mich mit ihnen zusammen gut zu fühlen. Das ist ein Wunsch nach Verbundenheit. Nach Miteinander. Nach Einklang, wenn man so will.
Was in den Ohren mancher Leute wieder einmal furchtbar hippiemäßig und weichgespült klingt. Und deshalb natürlich abgewertet werden muss. Weil: Weichheit, Schönheit, Zartheit – pfui bä. Wer überleben will, muss knallhart sein.

Ach ach … wie sehr ich mir wünsche, dass das endlich aufhört.
Es ist nicht schlimm, den Massenmord an (ihr Leben lang eingepferchten) Tieren grauenhaft zu finden. Es ist nicht schlimm selbst fast körperliche Schmerzen zu fühlen, wenn man sieht, wie sich eine Kettensäge durch uralte Regenwälder frisst. Es ist kein Zeichen von Schwäche oder seltsamer Kopfgeburt, wenn man auf die Information von leergefischten Meeren, schmelzenden Gletschern, “Klimaflüchtlingen” und extreme Wetterereignisse mit Todesängsten und Ohnmachtsgefühlen reagiert.

Es ist schlimm, wenn man so tut, als sei das alles nichts, wogegen man etwas tun kann. Als sei Leid und Zerstörung in diesem Ausmaß ein Naturgesetz oder g’ttgewollt. Und nicht das Ergebnis von Verantwortungsübernahmevermeidung und anderen menschlichen Verhaltensweisen, die durchaus wandelbar sein können.
Immer in individuellen Maßen und natürlich auch immer davon abhängig, was eine Gesellschaft ihre Anteile auch real ermöglicht zu tun – ganz klar – aber doch: Veränderungen sind möglich.

Jeden Tag. Kleine Dinge.
Oder jeden zweiten Tag mittelkleine Dinge.

Der hippe vegane Trend greift viele dieser möglichen Dinge auf und hat, meiner Ansicht nach, bereits vielen guten Ideen und Umsetzungsmodellen einen Nährboden gegeben, der vorher so noch nicht da war.
Das beginnt mit der Auseinandersetzung wie die Nutzung von Plastik wegfallen kann und endet, nach einer Schleife um Ideen zur Entfernung von Plastik aus dem Meer, beim Konzept vom Leben ganz ohne Müll.
Es geht weiter mit Initiativen zur Verbreitung von biologischer Landwirtschaft und kritischer Auseinandersetzung mit der “green Economie”.

Und natürlich ist auch der Tierschutz neu im Diskurs. Inzwischen ist der Begriff des “speciesist savior complex(also einer Person, die Tiere rettet, weil sie sich dann als “guter Mensch”fühlt und ergo ein Tier fürs eigene gute Gefühl benutzt und folglich auch immer ein Tier in Not braucht, um es selbst gut zu haben) immer wieder auch mal Thema und wird sogar zusammen mit Rassismus gedacht[CN: graphic].
Ich erlebe endlich auch die Zeiten, in denen PETA offen kritisiert und abgelehnt werden kann, ohne die eigene “V-Card” oder ethischen Werte verteidigen zu müssen.

Im Moment ist es sehr leicht für mich, mich vegan und biologisch nachhaltig(er als vorher) zu ernähren.
Ich wünsche mir eine ähnliche Leichtigkeit bei der offenen Auseinandersetzung mit veganem Denken und politischem Fordern.
Denn – obwohl ich heute nicht mehr sagen würde, bio und vegan sei nur für reiche (privilegierte) Leute, so sind es doch, trotz der großen Zugänglichkeit, die in veganem Leben liegt, privilegierte Stimmen, die überwiegend zu hören und zu sehen sind. Und entsprechend dieses Bild von Veganismus bzw. biologisch nachhaltigem Konsum produzieren.

So versuche ich in Zukunft weniger zurückhaltend mit meinen Gedanken an der Stelle zu sein. Versuche weiter meine Positionen und Werte nicht in Abgrenzung zu privilegierteren Menschen zu verdeutlichen, sondern in dem, was ich tue.
Zum Beispiel diesen Text nicht nur zu denken und zu schreiben, sondern auch ihn zu veröffentlichen.
Obwohl ich weiß, dass mir gleich wieder irgendjemand ganz dringend sagen muss, dass Bratwurst halt supergeil schmeckt und billiger ist als Tofuwürstchen.

Spock der eine Augenbrauche hochzieht und geht

11 thoughts on “das “bio und vegan ist nur für Reiche–Argument”

  1. Ganz schön lang um inhaltlich vollständig zu kommentieren, vielleicht besser nicht alles zusammen zu würfeln und sich zu konzentrieren. Gesellschaftskritik, Ernährung, Moral, sportlich Fit halten, persönliches Konsumverhalten, das ist alles getrennt schon viel. Dieser Eintopf ist inhaltlich auch zu bemängeln. z.B. Vegan oder nicht, ist eben keine Garantie dafür, dass es den in der Erzeugung beschäftigten Menschen besser geht oder nicht. Auch in der Pflanzenproduktion gibt es prekäre Verhältnisse. Für ein paar € arbeiten z.B. Migranten 12 Stunden in der Gemüse und Obsternte in Italien als Tagelöhner. Auch für die Pflanzenproduktion sterben Wälder, gibt es Monokulturen. Also unabhängig von der Ernährung müssen keine Tiere gequält werden oder Menschen unter unwürdigen Bedingungen arbeiten, das hat einfach keinen zwingenden Zusammenhang. Bio und Vegan schafft nicht automatisch die Ausbeutung der Natur und des Menschen ab.

    1. Das stimmt. Ich würde an dem Strang, veganes Leben und Essen als Weg sehen, der mit der Ausbeutung von Tieren aufhört um Modelle zu stärken, die auf solidarischer Wirtschaft basieren.
      Im Moment ist mein Wissenstand der, das Pflanzenmonokulturen überwiegend für Tierfutter, „Bio“-Treibstoff und Lebensmittelzusätze (also im Gesamtanteil weniger für Lebensmittelpflanzen, die man direkt essen kann) entstehen.
      Das müsste man vielleicht mal durchdenken, ob – wenn die Flächen für Tierfutter an Tiere, die getötet werden (um dann nochmal alle auch wirklich auf Tellern zu landen) frei würden, das Problem vielleicht kleiner oder anders gelagert sei.

      Tut mir leid, dass dir mein Text zu dicht erscheint. Er ist nicht als wissenschaftlicher Diskursbeitrag oder Missionsrede gedacht, sondern nur meine Gedanken. Da kann sich jede_r nehmen, was passt und was nicht, eben nicht. 🙂

      1. Ach und ich hab noch eine Ergänzung zu Ausbeutung von Arbeitern, denen Arbeit in Fabriken für vegane Nahrung auch nicht nutzt.
        Klar, ist es utopisch, im Kapitalismus zu glauben irgendwas könnte ohne Ausbeutung funktionieren.
        In meiner Vorstellung von „wie es anders wäre“ gibt es keinen Kapitalismus mehr. Das würde ich in späteren Texten vielleicht deutlich rausstreichen, als in diesem.

  2. Ich habe ein Dreivierteljahr in einem Biosupermarkt als Minijob-Aushilfe vornehmlich an der Kasse gesessen (wenn nichts zu tun war, musste man „vorziehen“, also die leeren Stellen in den Regalen füllen, indem man die Ware von hinten vorzog; oder man musste „auffüllen“: ins Lager marschieren, Einkaufswagen vollladen und im Markt gucken, ob was vom Lagersortiment fehlte). Kurz vor Feierabend musste man dort alles tun.
    Und natürlich jederzeit für Kundenfragen bereitstehen, selbst, wenn die an der Kasse deponierte Hotelrezeptionsklingel erklang: Dann sollte man sich spalten können und alles tun. Für anfangs 7,80, später dann (wg. Mindestlohn) 8,50.
    Die Ausbeutungsstrukturen in diesen Bio-Läden/Supermärkten sind also genau die gleichen wie in normalen Geschäften. (Habe während meines Studiums als Verkäuferin in einem Kaufhaus gejobt.)
    Was ich aber weitaus schlimmer fand, das waren die Kundinnen und Kunden in jenem Supermarkt (heterogenes Viertel, sozial ein „aufstrebender Problemkiez“): Sie waren das Anstrengendste, das ich je erlebt habe. Und ich habe einiges erlebt in den weit über 10 Jahren, die ich als Wissenschaftlerin an der Uni in Lehre und Forschung tätig war.
    Eine derartige Arroganz und eine so dummdreiste Anspruchshaltung den Angestellten gegenüber habe ich so gehäuft weder zuvor noch hinterher je beobachtet, geschweige denn erlebt.
    Da wurde ich als „Kassiererin“ sogar noch dafür angeschissen, dass die Kasse es wagte, Bons auszudrucken (das war noch vor dem Zeitalter der Frage, ob man den Bon haben wolle): Diese hochgiftigen Attentatsutensilien, mit denen ich nicht nur sämtliche Ware kontaminierte, indem ich nach Aushändigung selbiger Mordwaffe neue Konsumartikel mit den gleichen Händen über den Scanner zog, sondern auch noch die Kunden persönlich und planvoll um die Ecke brachte in Gestalt eines langen, qualvollen Vergiftungssterbens.
    – Das klingt jetzt eher heiter. Aber jenes Dreivierteljahr dort in diesem Biosupermarkt war für mich eine Menschenhölle, wie ich sie selten erlebt habe.
    (Jene Geschichte vom Bon und den Kunden, die darin Tötungsmaschinen sehen, ist nur eine der Spitzen des vielgipfligen Eisbergs, auf den ich damals leider steigen musste.)
    Beste Grüße
    vom witwesken Eisbären

    1. Mir ist nicht so klar, was du sagen möchtest. Kapitalistische Strukturen (wie ein Bioladen) sind auch ausbeuterisch – siehe meine letzte Antwort hier
      Arrogante Kunden dort = alle wirklich arrogant (auch jene, die gar nicht dort einkaufen)?

  3. Obwohl ich inzwischen nur noch die Aufmerksamkeitsspanne eines Goldfisches habe, hat mich dein Artikel echt gepackt und ich fand es sehr gelungen, wie du ganz viele verschiede Aspekte langsam auf den Punkt gebracht hast.
    Ich denke auch, dass einen die „Entweder habe ich die 100Prozent-Lösung oder ich lass es“-Haltung nicht weiter bringt.
    Ich glaube auch, wenn jeder für sich, einfach nur die goldene Mitte anpeilen würde, es gar schon einen riesigen Schritt nach vorne geben würde. Das startet beim Freundlichsein zu der VerkäuferIN, häufiger zu Fuß gehen, bei Zeiten auf Fleisch verzichten, auf das eigene Hungergefühl hören und sich einfach mal unvoreingenommen mit Themen auseinandersetzen. Dann kann man sie bei Bedarf auch ablehnen.
    Noch eine Anmerkung: Ich fände den Aspekt der Bildung entscheidend in diesem Themenkonplex. Wenn ich durch meinen Minijob gerade meine Existenz sichern kann, kann ich mich nicht mehr mit Tierwohl, Menschenrechten etc. auseinandersetzen (Ausnahmen bestätigen die Regel). Also sind offene Bildungssysteme und flexible Lebensläufe entscheidend, um gemainsam als geselslchaft zu wachsen.
    Also wie gesagt: Danke für deinen Beitrag!

  4. Hallöchen, brauche Zeit,um mich wieder irgendwo einzulesen, aber mag deine Gedanken sehr! Ich bitte derzeit auch meinen Freund, mehr drauf zu achten:“Cola? Nein,Danke!“ Er trinkt das ungesunde Zuckerzeug,ich nie. Obst und Gemüse, kaum Wurst,kaum Fleisch, ich denke, egal,ob bei Aldi (das ist mir da Schnuppe, ob mich da einer arm nennen könnte, ich gebe nix auf andere Leute Ideen , die so schräg sein können, das man nur lachen muß!) oder im Bioladen. Habe noch nie im Bioladen eingekauft, bemerke aber auch keine negativen Folgen für meinen Körper, nur,,weil ich es nicht mache,. Jeder tue eben so, wie er mag! Ob gesund oder nicht, wird man schon merken, irgendwann!

  5. @ Rosenblätter:
    Ihr müsst mich nicht verstehen. Es ist meiner Erfahrung nach meistens so, dass sich die Menschen nicht verstehen oder bestenfalls nur zu einem geringen Teil.
    Ich denke aber dennoch, dass mein Hauptsagen bei Euch angekommen ist.
    Ich kaufe kaum noch in Biosupermärkten, weil mich die dortigen Kundinnen und Kunden zum größten Teil ekeln. Das ist mir in einem Discouter nur selten passiert.
    Beste Grüße vom witwesken Eisbären

    1. ich habe diese Personalausbeute interessanter Weise auch so als „Aushilfe“ in einem Biosupermarkt erlebt- und sehr viele dieser Bio-Kundinnen und Kunden bringen mich heute noch auf die Palme, weshalb ich -wenn überhaupt- nur mit Scheuklappen dort einkaufen kann. Diese „Öko-Elite“, die bereit ist, 6 Euro für eine Bio- aber trotzdem eingeflogene „außerhalb der Saison“-Ananas zu zahlen, die Kassiererin aber wie sozialen Abschaum behandelt, die begegnet einem in einem „politisch unkorrekten Discounter“ glücklicherweise eher nicht… *Kommentar off topic, trotzdem gern geschrieben 😉 *

  6. Danke! Dieser Beitrag ist zwar mehr als reichhaltig, aber einfach nur geil und treffend😊👌🌞

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