das ableistische „eigentlich“

Der neue gesetzliche Betreuer ist jung und Erziehungswissenschaftler.
Und er triggert in uns mit allem, was er sagt und fragt und tut und macht.

Es gehört zum Themenkreis Helfergewalt_folgen.
Und es gehört zum Themenkreis “der unbenannte Scheißejackpot von polytraumatisierten Menschen”.

Denn jetzt haben wir ihn erstmal an der Backe und knietief in unseren Angelegenheiten. Eine Person, die noch nicht weiß, was genau an dem Menschenbild, das sie mit ihrer Aus_Bildung verinnerlicht hat, problematisch ist. Eine Person, die uns unheimlich viel Kraft in der Kommunikation und der Selbstbeherrschung kostet. Eine Person, die wir mit dem, was in uns vorgeht überfordern würden.

Es sind keine offensichtlichen Fehler, die ihm passieren. Man sieht es nicht sofort.
Aber ich merke es. Und ich merke es so, dass ich nicht dran vorbei kann, wenn er zum Beispiel Nachrichten an uns so formuliert, als würde er Dinge entscheiden – oder mit entscheiden, die unser Leben betreffen. Wenn er Vorschläge macht, die diese eine Art im Voraus komplett durchdachte und geplante Rundum-Du-musst-eigentlich-gar-nichts-mehr-selbst-entscheiden/sagen/machen – Konstruktion erkennen lassen.

Ich hasse diese Konstruktion. Und ich hasse sie wirklich, weil sie der Klassiker aus dem Ohnmachtsrepertoire der Helfergewalt ist.
Auf keine andere Herangehensweise ist es schwieriger zu sagen, dass man sich herabgesetzt und entmachtet fühlt und/oder aus anderen Gründen eine andere Herangehensweise umsetzen will.

Um es ein bisschen einfacher zu erklären:
Es gibt einen Unterschied zwischen “es einer Person leicht machen” und “einer Person alles abnehmen, damit sie es leicht hat”.

Wenn mir eine helfende Person Kontexte erklärt, Vorgehen transparent macht, vielleicht noch meine Anliegen in Antragsdeutsch übersetzt und passend in Behördenstrukturen eingibt, dann macht sie es mir leichter, Entscheidungen zu treffen, Anliegen durchzusetzen, mich selbst zu vertreten und die Verantwortung für mich zu übernehmen.

Wenn mir eine helfende Person gar nichts erklärt, sondern einfach alles rausfindet, mir ein Ergebnis präsentiert und sagt, dass wir (SIC! (Rotlichtblinkanlage mit Sirenengheul!!!) uns für XY entscheiden sollten, dann hat sie mir alles genommen und mich in eine soziale Falle gequetscht aus der ich nur mit viel Kraft allein wieder herauskomme.

Denn meistens ist es bei “Abnehmer_innen” so, dass sie selbst glauben, alles richtig gemacht zu haben, weil ja schon alles fertig präsentiert da ist und ja nur noch zugegriffen werden muss, um das Beste oder Richtige zu tun. An dieses Gefühl alles richtig gemacht zu haben, ist dann bei vielen (und ja (sorry) gerade so jungschen) Anfängern auch noch der Punkte/Ergebnis/Erfolgskick aus der langen Schul- und Universitätszeit geknüpft.
Sie erwarten ein Erfolgserlebnis und erwarten folgend von mir mindestens Dankbarkeit und maximal klitzekleine Individualisierungen oder Kritiken.

Sie erwarten nicht zu hören, dass sie einen Teil der Absprachen mit mir gebrochen haben und sie mich damit massiv verunsichern, triggern und die gesamte Zusammenarbeit am liebsten sofort abbrechen lassen wollen.

Das Schlimme ist, dass “Abnehmer_innen” viel Zuspruch in ihrer Überzeugung erfahren.
Es ist für viele Menschen unverständlich, dass wir es uns “einfach nicht leicht machen” und uns nicht einfach völlig sorglos, vertrauensvoll und entspannt in solche scheinbar “gemachten Nester” fallen lassen.
Ist doch schön, wenn schon alles geklärt ist und wenigstens eine Person Bescheid weiß.
100% alles wissen kann man ja eh nie.
Und man hats doch woanders auch schon schwer genug.

Sowas denken diese Menschen und dann wenden sie sich ab, weil sie glauben, wir könnten uns dafür entscheiden wie leicht oder schwer die Lösung eines Problems bzw. die Annahme einer “Hilfe” sei.
”Abnehmer_innen” bleiben dann da stehen wie verschmähte Liebhaber oder weggeschickte Ritter. Die armen. Ganz bemitleidenswert. Da haben sie sich so eine Mühe gemacht und dann hat die/der böse kranke Klient_in sie nicht mal gelobt.

Eine beschissene Position ist das für Klient_innen.
Und wir waren schon so oft darin.
Und jedes jedes jedes Mal waren wir es, die dafür bezahlt hat.

Vor Kurzem versuchte ich ein Paper mit dem Titel “Polytrauma = Polyarschkarte, von der Unmöglichkeit Helfertraumatisierungen mit bewährten Hilfen aufzuarbeiten” zu schreiben. Darin versuchte ich solche Dynamiken und ihre Verquickungen und Wechselwirkungen in Psychotherapie und sozialen Betreuungen verschiedener Formen zu formulieren.
Ich finde das Thema wichtig – die Forschungslandschaft übrigens allerdings gar nicht.
So wurde nichts weiter aus meinem Text und am Ende auch wieder nichts aus einem Versuch uns ein Stück weiter daraus heraus zu bewegen.

Was mich nervt. Und auch in einem Aspekt erneut wiedererleben lässt, was ein Element der Helfertraumatisierungen immer wieder war.
Das damit allein bleiben müssen. Das keine sicheren Erkenntnisse haben (keine feste Wahrheit haben können). Das sich nicht wegbewegen können, weil es so viel zu nah dran ist, dass es sich anfühlt, als sei es innen drin.
Über allem das Wissen, dass man von außen betrachtet schon alles hat, was man braucht – für viele sogar mehr als man „eigentlich“ braucht.

Und da ist es wieder. Das ableistische „eigentlich“.
„Eigentlich“ haben wir doch jetzt mal langsam genug gute Erfahrungen gemacht, um jetzt nicht schon wieder völlig im Wind zu zerflattern, weil wir es mit jemandem zu tun haben, der so arbeitet, wie er es gerade tut.
„Eigentlich“ wissen wir doch, was wir alles tun können, um die Situation zu verbessern.
„Eigentlich“ haben wir doch schon genug Therapie gemacht, um besser mit Triggern im Alltagsleben umzugehen.
„Eigentlich“ brauchen wir das in Wirklichkeit doch alles überhaupt nicht.
„Eigentlich“ kommen wir doch auch so gut klar.

Und uneigentlich versuchen wir hier seit Jahren etwas, das überhaupt nicht funktionieren kann.
Uneigentlich befinden wir uns nachwievor in einer Situation, die man übertragen auf die Traumatherapie als zwecklos bzw. wenig erfolgversprechend bezeichnen würde.
Dort sagt man, dass eine Traumatherapie wenig greifen kann, wenn immer wieder Traumatisierungen passieren und Abhängigkeiten bestehen.

Uneigentlich ist unser Helfergewalterleben noch nie wirklich unterbrochen gewesen.
Beziehungsweise die Umstände, die es immer wieder möglich machten in so schwierige Situationen zu kommen.

Wir sind immernoch arm.
Wir sind immernoch behindert.
Wir sind immernoch nicht in der Lage die Verwaltung unseres Lebens zu durchblicken und zu unterhalten, während wir es aus eigener Kraft schützen und ausgestalten.

Das ableistische „Eigentlich“ hält Armut und Behinderung für Entscheidungen. Für überwindbare Eigenschaften wie Faulheit oder Bequemlichkeit.
Und hat Schwierigkeiten damit anzuerkennen, dass man von unblutigen Dingen wie bürokratischem Übergriffen, die gleichen Verletzungen davontragen kann, wie von körperlicher Misshandlung.

Das macht es schwierig zu überlegen, was wir jetzt tun.
Natürlich habe ich den Betreuer zurechtgewiesen und ihm geschrieben, dass „wir“ (also er und ich) gar nichts entscheiden, sondern ich. Und natürlich werde ich das Gespräch mit ihm suchen und ihm erneut sagen, dass er mir weder beibringen muss, wie mein Leben funktioniert noch eben dieses Leben statt meiner managen muss.
Natürlich mache ich das.
Aber natürlich frisst das wieder Zeit und Kraft, die nicht dafür aufgebraucht werden sollte.
Denn eigentlich haben wir schon Absprachen dazu gemacht. Eigentlich weiß er das alles schon.
Eigentlich gibt es keinen Grund, weshalb ich auf ihn zugehen sollte – außer meiner Abhängigkeit, als Klient_in, die mich dazu höflichkeitsverpflichtet, bevor ich das Betreuungsverhältnis beende.

Eigentlich sollte er selbst, da er schon in diesem Bereich arbeitet, seinen Ableismus reflektiert haben. Eigentlich sollte ihm, da er schon in diesem Bereich arbeitet, klar sein, dass er mit seinem Handeln in einem Macht (und damit Gewalt) verhältnis zu uns steht. Eigentlich, wo er schon so lange für diesen Beruf zur Schule und zur Uni gehen musste, müsste er Gelegenheit gehabt haben, zu verstehen, was es bedeutet mit traumatisierten Menschen zu tun zu haben.

Und in Wahrheit?
In Wahrheit verstehen die wenigsten, was Ableismus ist und wann er wirkt.
In Wahrheit werden Helfer_innen nicht darauf vorbereitet, dass das Machtverhältnis, in dem sie sich zu ihren Klient_innen befinden, mehr bedeutet als sehr achtsam und verantwortungsvoll mit ihrer Aufgabe umzugehen.

In Wahrheit sind es wieder Menschen wie ich, die Kraft und Zeit in die Aufklärung und quasi Weiterbildung der Menschen stecken, um die eigene Haut zu retten.

In Wahrheit ist es wieder unser Selbsterhaltungsprogramm, das jemand anderem nutzt.

20 thoughts on “das ableistische „eigentlich“

  1. Hallo Hannah. Wenn du das Gefühl hast, du erlebst durch Helfer immer nur Gewalt und deren Macht, dann frage doch deine Freunde ob sie deine Betreuer werden können. Vielleicht passiert dann aber auch wieder das Gleiche weil sie auch etwas tun was dir nicht gut bekommt. Kann nicht ein Anteil von dir dein Betreuer sein? Manche Ansprüche können andere Menschend aus verschiedenen Gründen nicht erfüllen, aber vielleicht schafft ein Teil von dir es ja. Ich bin sehr froh über meine gesetzliche Betreuerin. Sie ist da, wenn ich ein Anliegen habe und ansonsten lässt sie mich in Ruhe. Anzuerkennen, dass man eine Betreuung braucht, das schafft eine Abhängigkeit. Könnten wir alles alleine, bräuchten wir keine Hilfe. Du schreibst bisher nur negativ über gesetzliche Betreuung. Hast du auch schon irgendeine positive Erfahrung gemacht oder Hilfe bekommen? Denn sonst wäre es wohl besser, keine Betreuung mehr in Anspruch zu nehmen. Du bist ja in der glücklichen Lage, selbst entscheiden zu können, ob du eine willst oder nicht. Freundliche Grüße, Miriam

    1. Hallo Miriam;
      wir haben schon positiv über die gesetzliche Betreuung geschrieben.
      Nur gab es einen Wechsel vor Kurzem und jetzt ist da jemand anderes.
      Meine Freunde sollen nicht meine Betreuer sein.
      Was du mit „ein Anteil von mir könnte mein Betreuer sein“ meinst verstehe ich nicht.
      Meine Betreuung bezieht sich nicht auf soziale oder sonstige Bedürfnisse. Sie hat nur die Aufgabe der finanziellen Sorge. Also den Hartz 4 und Behinderungsverwaltungs-Bereich.
      Und da liegt das Missverstehen. Viele Menschen denken, dass wir vor allem Zuwendung oder die Art Hilfe brauchen, die bedeutet, dass andere Menschen alles für uns bestimmen oder machen.
      Wir brauchen aber die Art Hilfe, die uns ermöglicht Dinge zu bestimmen und zu entscheiden.
      Unser Problem ist, dass das oft nicht gehört oder beachtet wird.
      Da ist es auch egal ob wir das selbst entscheiden dürfen oder nicht, Hilfe in Anspruch zu nehmen.

      Wenn uns gesagt wird: „Ja, diese Art der Hilfe die Sie brauchen, kann ich ihnen geben“, aber das gar nicht gemacht wird, dann ist es am Ende einfach immer eine gebrochene Absprache und damit nichts, was uns hilft.
      Viele Grüße!

  2. Du bist doch Viele. Meine Therapeutin sagt immer, dass dann verschiede Anteile bestimmte Sachen übernehmen können. Also ein gesetzlicher-Betreuer-Anteil sozusagen. Und wenn man den nicht hat, dann kann man so einen erschaffen, sagt sie.Aber ich glaube ihr das nicht so ganz…

    1. Das ist auch ein bisschen quatschig erklärt von der Therapeutin.
      Ist es okay für dich, wenn ich deinen Kommentar mal nehme und ganz ausführlich in einem Blogartikel beantworte?
      Ich glaube, dass viele Menschen das so glauben, und es gut wäre, wenn wir das mal so ganz ausführlich erklären.

  3. Hallo liebe Hannah,
    ich musste erst mal die Definition Ableismus nachlesen….und verstehe jetzt was Du meinst. Die Hilfe zur Selbsthilfe (egal wie und wo wir behindert sind – und sind wir nicht alle behindert?:)) und da liegt für mich die Crux. Alle Menschen brauchen irgendwann in ihrem Leben Hilfe. Ich fühle mich trotz meiner DIS Diagnose eigentlich nicht behindert (sehr täglich viele „im Geiste Behinderte“ und Du tust gottseidank jede Menge um solche Behinderung zu einem weiteren Radius zu verhelfen) sondern ich WERDE behindert durch eine Gesellschaft, die zwar vorgibt „zu helfen“ aber diese Bedingungen der Hilfe oft zu mehr Schwierigkeiten führen…
    Z.Bsp. in meinem Fall könnte ich ergänzen: „eigentlich“ bin ich besser dran, keine Hilfe zu erwarten von einer Genehmigung durch eine Therapie beim Fond, wenn ich darauf 1,5 Jahre warten muss wenn es mir eh schon schlecht geht. „Eigentlich“ brauche ich keine Hilfe vom Weissen Ring für die Überbrückung der Langwierigkeit des Fonds, wenn die mir dann bloß 2 Monate bezahlen, wenn ich dann noch 7 Monate warten muss bis der Fond genehmigt und ich die angefangene Therapie abbrechen muss. „Eigentlich“ brauche ich die Kraft für die bürokratischen Gegebenheiten mit den Ämtern, sog. Helferstellen eigentlich nicht, weil ich die Kraft zum Überleben brauche……
    Diese Aufzählung könnte endlos verlängert werden zum Thema Hilfen. Was mich empört ist, dass man uns vorgaukelt, dass es solche Hilfen gibt, die wie sich dann herausstellt nur noch kräftezehrender sind und in der Struktur Verhinderung von Hilfe bedeuten (wie Du schon schreibst, Hilfe zu Eigenständigkeit, Eigenentscheidung, wirkliche Wahl…)

    1. Hallo Melina – wenn du kannst schau mal auf unsere Facebookseite – da hab ich gestern einen Link zu einer Broschüre der ILS geteilt in der sie sehr gut erklären, was Ableismus ist.
      Zum Rest antworten wir später mal noch ausführlich
      viele Grüße!

  4. Hallo Hannah,

    ich kenne diese Form der Hilfe aus dem beruflichen Umfeld. Ich möchte es mit einem Beispiel beschreiben:

    Ein Mensch sieht eine ältere Frau an einer Ampel stehen. Er sieht das sie gehbehindert ist. Er rennt zu ihr hin und zerrt sie mehr oder weniger über die Ampel, indem er ihr Tasche nimmt, sich unterhakt und sie rüber schiebt. Als sie drüben sind, sagt die Frau zu ihm, dass sie nicht über die Ampel wollte und wegen seiner ungefragten Hilfe jetzt den Bus auf der anderen Seite der Straße verpasst hat.

    Ein Helfer sollte nie den Klienten über die Straße tragen, ohne zu fragen, ob er es will. Ein Helfer sollte nie davon ausgehen, was er weiß, was für den Klienten am besten ist.

    Selbst ein Mensch mit einer geistigen Behinderung soll und darf die Wahl haben im Rahmen seiner Möglichkeiten. Wenn ein Mensch mit geistiger Behinderung rauchen möchte, dann sollte der Helfer ihm das nicht verbieten, nur weil er passionierter Nichtraucher ist. Klar ist es gesünder nicht zu rauchen. Aber so lange keine gefährliche Erkrankung vorliegt, die das Rauchen verbietet, sollte der Mensch mit geistiger Behinderung das Recht haben wählen zu dürfen.

    Und genau das ist die Aufgabe von Helfern. Den Klienten begleiten und ihm da zu helfen, wo es notwendig ist. Alles andere ist Gewalt. Einen Menschen in ein Schema zu pressen, wovon man denkt, dass wäre gut, ist keine Hilfe, sondern Gewalt. Und by the way verboten. Die Selbstbestimmung steht an erster Stelle im Betreuungsrecht. Und nur da, wo der Betreute nicht selbst entscheiden kann, darf der Betreuer für ihn entscheiden. Aber er darf ihn nicht über die Straße tragen.

    Es tut mir immer sehr leid, wenn ich lese oder höre, dass Menschen dieser Form der Gewalt ausgesetzt werden und dann, wenn sie sich wehren, als schwierig, undankbar, etc. bezeichnet werden.

    Wenn ein Mensch sagt oder zeigt, er will z.B. keinen Kontakt zu einer bestimmten Person, warum muss sich das Helfernetz (z.B. Betreuer im Betreuten Wohnen oder einem Wohnheim) dann auf den Standpunkt stellen, dass der Hilfebedarf in diesem Bereich besonders hoch ist, weil man muss ja den Betreuten zu seinem Glück zwingen. Glück ist relativ.

    Viel Kraft Dir diesen Kampf durchzustehen.

    S.

  5. Danke Hannah, jetzt ist alles klar – sehr guter Artikel….
    Im Grunde ist Ableismus auch gewesen, als mir ständig passiert ist, als meine Tochter (Vater ist farbig) noch klein war, dass man mich z.Bsp. fragte ob ich sie adoptiert hätte und als ich verneinte, dass man dann schnell sowas sagte wie: „…ja es gibt überall solche und solche…“ oder „ach, ich hatte mal so eine braune Puppe…“ – und auf meinen genervten Blick dann „…aber ich mochte die sehr gerne, sie war meine Lieblingspuppe…“. Was mich damals verletzte war, dass man meine Tochter nicht einfach wie jedes andere Kind sah und behandelte. Ich weiß, die waren nicht böse, aber halt unbewusst. Das ist mir eingefallen zu diesem Thema und ich denke der Ableismus braucht auch eine Erweiterung…bezüglich aller Ausgrenzungsphänomene.

  6. Ich finde schrecklich, dass Menschen schon wieder ausgegrenzt werden mit einem Wort. Warum wurde wieder ein Wort erfunden, welches einer Broschüre zur Erklärung bedarf?
    Warum ist es ein Wort mit Teilen einer Fremdsprache?
    Warum ist der zweite Teil vom Wort willkürlich daran geheftet?
    Warum ist es ein Wort, was nicht jeder versteht?
    Ein Wort, welches sich wieder nur Menschen erschließt, die Möglichkeiten und Fähigkeiten haben, die Bedeutung zu erfragen, zu googeln oder Broschüren zu lesen.
    Warum nutzen Menschen ein ausgedachtes Fachwort um zu beschreiben, was Menschen passiert, die keinen Zugang zu Fachwörtern haben?
    Ich finde es ist ein Ausdruck von Gewalt, Macht, Überheblichkeit und Abgrenzung über Menschen mit Behinderung zu sprechen indem man Worte nutzt, die sie nicht verstehen können!

    1. Jedes Wort ist ausgedacht Miriam. Jedes Wort ist willkürlich.
      Fachwörter sind dichte Wörter. Manchmal können sie helfen komplexe Sachverhalte (zum Beispiel Ausgrenzungsdynamiken aufgrund bestimmter Merkmale) zu benennen, ohne immer alles mit sagen zu müssen.
      Das ist einfach ein Kniff den man manchen kann in der Kommunikation.
      Du hast natürlich recht – das grenzt auch aus und es ist schwierig solche Begriffe zu verwenden, wenn sie nicht jeder kennt.
      Andererseits ist es auch nicht immer für alle Menschen leistbar alles immer so linear und konkret auszudrücken. Gerade wenn es um Dynamiken geht, wo eine abstraktere (dichtere) Sprache helfen kann, den Text zu verkürzen und den Inhalt so spezifisch aufzufassen, wie man ihn meint.

      Dein Einwand übrigens ist ein Grund weshalb wir uns gesagt haben, dass wir hier nicht für andere Menschen schreiben, sondern anderen Menschen (die das lesen und verstehen können und wollen) einfach nur mitlesen lassen, was wir schreiben.
      Wir denken zum Teil sehr spezifisch und schätzen Fremd- und Fachwörter daher sehr. Aber das ist nur für uns hilfreich und wir wissen das.
      Wir schaffen es meistens nicht unsere Gedanken immer so zu vereinfachen oder leichter verständlich zu machen, wie es Menschen brauchen für die es schwierig ist Fremdwörter, Metaphern und viele andere Eigenheiten der deutschen Sprache zu verstehen.

      Vielleicht kannst du das ja verstehen und akzeptieren.

    1. Du liest meine Sachen, aus Gründen, die ich nicht kenne. Das ist in Ordnung für mich, sonst würde ich sie verstecken.
      Aber ich bitte niemanden darum hier zu lesen. Du kannst dich entscheiden, wieviel du von dem, was du von meinen Texten nicht verstehst, eigenständig nachliest oder nachfragst.

      Dass ich manche Menschen mit meiner Sprache ausgrenze, stimmt natürlich. Damit hast du Recht und ich bin mir dessen bewusst.
      Ich bin mir allerdings auch meiner, unserer Grenzen und Kapazitäten bewusst. Ich kann, wir können es nicht leisten so inklusiv zu schreiben wie wir das bei manchen Themen vielleicht wollen.
      Bei manchen Themen hingegen wollen wir das auch gar nicht. Da geht es um uns. Unser Leben. Unser Sein. Und um niemanden sonst.

      Ich finde es überhaupt nicht in Ordnung, wenn Menschen ausgegrenzt sind und das als Rausschmiss empfinden.
      Ich finde es aber ebensowenig in Ordnung, wenn Menschen, die nicht gezwungen sind, sich mit Dingen von mir auseinanderzusetzen, so tun, als sei ich in der Pflicht, ihnen diese Auseinandersetzung zu erleichtern oder mit dem Preis einer Überanstrengung von mir zu ermöglichen.

      Alles Gute.

  7. Also ich möchte michfür die Veröffentlichung dieses Textes bedanken. Ich habe sehr viel Helfergewalt erlebt durchs Jugendamt, im Berufsbildungswerk und später auch durch meine gesetzliche Betreuerin. Ich möchte dir danken, weil ich mich in sovielen Situationen so hilflos fühlte, obwohl von außen betrachtet auf den ersten Blick nichts schlimmes passiert ist und es unmöglich ist etwas zu verarbeiten, wenn man nichtmal identifizieren kann wo der Schuh eigentlich drückt. Durchdeine Beschreibung kann ich das endlich.
    Die Gewalt die einem in solchen Kontexten angetan wird ist häufig so subtil, dass es für mich noch schlimmer macht. Gegen einen offenen böswilligen Angriff kann man sich besser zu Wehr setzen. Denn „eigentlich“ will der andere nur helfen und „eigentlich“ muss man dafür dankbar sein.
    Mir viel es schwer diese Gewalt zu identifizieren, weil ich so viel offensichtlich schlimmeres erlebt habe.
    Ich mochte meine gesetzliche Betreuerin sehr. Sie war nett, viel emphatischer als die meisten Menschen mit denen ich zu tun hatte und ehrlich bemüht. Und dann sah sie immer überarbeitet aus, weil sie viel zu viele Menschen betreute. Ich wollte sienicht kritisieren wegen der, wie ich damals dachte, ungeschickten Ausdrucksweisen und Formfehlern. Gleichzeitig hatte ich Angst, dass sie nicht mehr so bemüht ist, wenn ich sie mit meiner Kritik kränke.
    Und ich war mir der traurigen Wahrheit bewusst, dass ich mit ihr wahrscheinlich noch das meiste Glück hatte. Sie war das geringere Übel. Ein einschätzbares Risiko.
    Jetzt hab ich keine Betreuerin mehr, ich sorgte nach einem Vorfall dafür, dass die gesetzlichen Betreuung aufgehoben wird. Ich komm alleine zurecht, aber die Auseinandersetzung mit dem Sozialamt kostet soviel Kraft, dass ich mir wünsche ich wäre nicht dazu gezwungen gewesen wäre. Ich würde meine Ressourcen gerne woanders reinstecken. Ich hätte auch den Betreuer wechseln können. Aber das war mir ein zu unkalkulierbares Risiko.
    Wenn ich mehr Ruhe habe, will ich ihr diesen Text schicken und eigenen Ergänzungen, damit sie versteht was schief ging und vllt anfängt zu reflektieren.

    1. Hallo Lisa
      ich freue mich sehr, dass der Text dir so gut hilft!
      Vilöeicht kannst du auch Kontakt zu einer Beratungsstelle für behinderte Menschen aufnehmen?
      Bei uns wird da auch Hilfe angeboten eine gesetzliche Betreuung zu beantragen und zu klären, was gebraucht wird.
      Alles Gute und viel Kraft für diesen Prozess!

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