da ist was

Ich stand in der Praxis meiner Gynäkologin und sagte ihr: “Es kann auch sein, dass meine Beschwerden für mich größer sind, als es das, was ich letztlich habe, in der Regel so verursacht.”. Sie lächelte mich an und sagte: “Ja, aber Sie haben ja was. Das ist ja alles so entzündet, dass ich mich frage, wie sie damit überhaupt zurecht kommen.”.

Schwierige Ansage. Obwohl- Psychosomatik geht immer mit schwierigen Ansagen einher. Zumindest wenn ich mit MedizinerInnen* zu tun habe. Das Eine ist: “Es kann gar keine Psychosomatik sein, weil sie ja da was haben.” , das Nächste ist: “Es ist so schlimm, dass ich mich frag, wie sie zurecht kommen” und das Dritte ist: “Ja, aber…”.

Ich war mit meinen Unterleibsschmerzen in der Praxis, weil ich mir selbst nicht mehr helfen konnte.
Wenn es einen Ort gibt, den ich auf mehr als der Ebene “Medizin = Körper = uääää” verabscheue, dann die gynäkologische Praxis, meiner netten freundlichen Ärztin*. Nirgendwo sonst befeuern sich meine erarbeitete Sexpositivität, mein eingebrannter Selbst- und Körperhass, mein Genderdurcheinander und meine Angst zu sterben so heftig, wie da. Wenn ich dort hingehe, dann erwähne ich meine Psyche nach Möglichkeit nicht, weil es eben auch keinen anderen Ort gibt, an dem sexuelle Misshandlung, Verstümmelung und ihre Folgen so zweischneidig präsent ist.
Wenn Menschen einen Ort suchen, an dem Vergewaltigungskultur pulsiert, dann finden wir ihn auf jeden Fall in der Gynäkologie.

Niemand sagt: „sexuelle Misshandlungen gibt es nicht“ – doch wenn jemand sagt: “Ich habe diese und jene Folgen von sexueller Misshandlung (zum Beispiel ein Schmerzempfinden zwischen Level 1 Zillion und 0 in einem Zeitraum von Minuten)”, dann kollidiert dies nachwievor mit dem “Medikus- Ja, aber…”

Meine persönliche Diagnose ist: Ich habe Anfang Mai eine der krassesten (Bindungs-) Retraumatisierungen der letzten zwei Jahre erlebt; meine engste Gemögte ist weggezogen; eine Fastgemögte wollte nach einem Konflikt keinen Kontakt mehr mit uns; ich hab mich aus der Selbsthilfeforenszene rausgezogen, nachdem ich vor einem dauerschwehlenden Konflikt nur noch ohnmächtig war und mein Innenleben und ich stecken in für uns großen Projekten mit unüberschaubaren Auswirkungen auf unser Leben. _Selbstverständlich_ streckt mein Immunsystem die Waffen und kann trotzdem nicht überall sein. Ich bin einfach nur noch müde, bewege mich kaum und meine Hauptmahlzeiten sind, wenn mans runterbricht, Fett und Zucker. Ich fange morgens um 9/ 10 Uhr an zu arbeiten ™ und höre irgendwann um Mitternacht damit auf.
Wenn ich eine Infektion wäre, ich würde mir auch einen Partyhut aufsetzen und mir den schwächsten immer irgendwie schwierigen Punkt in diesem Körper aussuchen.

Ich habe jetzt Antimykotika und Bakterienkiller geschluckt, Kortisonsalbe und Ringelblumenöl verwendet- der Schmerz ist aber noch da. Jetzt bin ich an dem Behandlungspunkt, an dem ich mir wünschen würde, unser Gesundheitssystem hätte so etwas wie eine etablierte Doppelbehandlungskiste. Gerade wegen Wartezeiten und Wochenenden.
Weil ich nun auf Laborergebnisse warten musste, um zu wissen, was die Symptome auslöst, fing ich an, mir die Sorgen, die ich sonst schön bei der Ärztin gelassen habe, anzuschauen. Ich dachte an Bakterien, die ich mir vor Jahren in Misshandlungskontexten eingefangen haben könnte und die in der Folge mit 5 partybehüteten Köpfen in meinem Uterus herumhüpfen. Ich dachte an Krebs und Zysten, an AIDS, weil ich keine anderen Krankheiten kenne, die “Immunsystemschwäche” bedeuten. Ich dachte an all die Geschlechtskrankheiten, die ich eventuell gehabt haben könnte und erinnere mich nicht, ob ich wirklich immer alles ordentlich behandelt habe. Und wo ich gerade schon an meinen Unterleib dachte, dachte ich an alles, was dort jemals passiert ist (und/oder passiert sein könnte) und mochte mich am Ende unter 30 Decken einrollen und darauf warten, dass einfach alles sofort zu Ende ist.
Genau für solche Zeiträume, hätte ich gerne eine Mischung aus meiner Therapeutin und meiner Gynäkologin. Jemand, der sich mit meiner Geschichte und meinem Körpermist auskennt; mich aus den 30 Decken rauspult und mir die Angst abbauen hilft.

Ich weiß, dass ich Schmerzen vor Angst vor dem Schmerz haben kann. Dafür lebe ich einfach auch schon lange genug mit Angst vor der Angst und der Panik, die immer dann kommt, wenn die Angst mal nicht zuverlässig kommt.

Bei Psychosomatik geht es nicht darum, ob “da etwas ist” oder nicht. Es geht (zumindest mir) nicht darum, getröstet und geflauscht zu werden, weil ich etwas “habe”.
Meine Somatik sind Schmerzen. Immer und immer wieder sind es Schmerzen, die weder in Muskeln noch Knochen, noch Sehnen noch Organen sitzen, sondern genau in dem Stoff, den es angeblich nicht gibt. Aristoteles nannte es “Äther”. Im Buddhismus ist es als “Akasha” bekannt. Ich weiß heute, dass ich damit eigentlich schon genau benenne, was mir weh tut, wenn ich psychosomatischen Schmerz benenne: mein Bewusstsein für (oder/und Erinnern an?) einen Schmerz, der mich an die Grenze meines Bewusstseins brachte und mehr als einmal drüber schubste.

Es wird gerne gedacht, man könnte Psychosomatik mit dem Placebo-Effekt behandeln, weil man vergisst, dass der Placebo- Effekt lediglich den Beweis für die Macht des Bewusstseins über körperliche Empfindungen darstellt. Bei der Manifestation von psychischen Konflikten und Wunden, an der Physis von Menschen, handelt es sich nicht um “nichts”, das bewiesen werden sollte. Es ist selbst ein Beweis dafür, dass dort etwas ist.
Ich muss nicht anfangen zu denken: “Es ist jetzt alles okay.” Ich muss das fühlen können und genau das tue ich nicht.

Dass ich jetzt auch noch “wirklich was hab” ist mir dabei irgendwie so ein richtig schöner Knüppel vor den Füßen. Einerseits fühle ich ganz genau, dass mein Immunsystem damit total gut auch ohne die Ärztin und ihre Behandlung klarkommen könnte – andererseits merke ich, dass ein Großteil meiner Abwehrkraft in Richtung “Seelenschutz” geht.
So große Konflikte, wie den im Mai, habe ich sonst immer mit meiner Wut kompensiert- ich hab mich stark gefühlt- aktiv. Nach dem großen Autsch, kam immer ein Anlauf, in den ich mich reingewütet hab und die Explosion hatte in aller Regel eine Klärungslawine in Gang gesetzt. Tja.
Und dieses Jahr hab ich Therapiefortschritte gemacht. Hab genickt als meine Therapeutin sagte, meine Wut würde nichts bringen. Hab geschwiegen auf jedes “Geh weg” und habe einfach gar nichts mehr an den Stellen berührt. Nichts ist passiert. Nichts ist geklärt.

Es ist nichts gut geworden. Dann brauche ich auch nicht anfangen mich noch obendrauf zu belügen und mir zu sagen, ich müsse nur wollen, dass es mir besser geht, dann ginge es mir auch besser. Es ist einfach nichts okay. Ich hatte schon was, bevor meine Ärztin oder meine Therapeutin oder meine Gemögten und Bekannten mir angesehen haben, dass ich was hab.

Jetzt ist es alles gleichzeitig und wo ich anfangen soll, weiß ich selber nicht.
Ich weiß inzwischen: medizinisch bin ich gesund zu kriegen- das Gewebe muss nur aufgebaut werden.

 

Und der Rest…?
Ich halte mich an meinen Projekten fest und hoffe, dass die Schwindel- und Schwächegefühle nachlassen.
Nachher gehe ich mit dem Hund raus. Zähle nochmal nach, wie viele Tage die Therapeutin Urlaub hat.
Ich (fr)esse. Ich arbeite ™. Ich bin.

Ich hätte auch was, wenn die ganze Welt mir sagte, da wäre nichts.

 

Es ist einfach gar nichts okay.
Nichts ist mehr okay, wenns weh tut.