Das Gehirn ist keine Entschuldigung

Die Menschen, die mich (auch als uns) kennen, wissen, dass ich mich sehr für die Bewältigungs- und allgemeinen Verarbeitungsmethoden des menschlichen Gehirns interessiere.

Es gibt inzwischen viele (populär)wissenschaftliche Veröffentlichungen zum Thema und obwohl diese Herangehensweise vergleichsweise neu und ganz extrem reichhaltig an Möglichkeiten ist Erklärungen zu finden und Schlüsse zu ziehen erlebe ich es immer mehr so, als würde dieser Wissensschatz der sich hier vor uns Menschen zeigt als Blanko-Entschuldigung missbraucht werden.

Gewalt erlaubt keine Entschuldigung.

Opfersein erlaubt keine Entschuldigung.

Keine unserer Möglichkeiten zwingt Menschen dazu

a) Gewalt auszuüben

b) Gewalt zu negieren oder zu bagatellisieren

c) weiter zutragen

Ich frage mich, wenn die Folgen von Gewalt in der Öffenltichkeit, teils sogar vom Staat gefördert (z. B. durch direkte Gesetze, die Täter schützen und Opfer in Beweispflicht zwingen oder schlicht durch Schweigen und Nichtstun) immer wieder umerklärt werden, immer wieder neu entschuldigt werden, wie soll sich jemals etwas ändern?

Und wo kommt es her dieser Drang das Tun der Anderen immer wieder zu erklären mit etwas was scheinbar ausserhalb der Verantwortung und dem direkten Einfluss desjenigen liegt?

Warum wird auf die simple Frage: Warum hast du mir Gewalt angetan?  immer wieder ausgewichen?

Wieso müssen wir uns alles was uns Menschen in irgendeiner Form verletzt, einschränkt, bis zum Tod zeichnet so weit von weg abstrahieren, dass der Ursprung nicht mehr zu sehen ist? So sehr, dass einem jede Antwort wie nichtiges BLABLA erscheint.

Sind wir so feige geworden?

Es doch noch nicht lange her, da die Köpfe der Feinde weithin sichtbar an den Stadtmauern aufgespießt wurden. So eine Botschaft ist grausam, wie der Mord selbst. Sie ist unmissverständlich- sowohl was den Grund angeht (“die sind in unsere Stadt gekommen und waren nicht willkommen”) als auch die Strafe (“wir haben sie umgebracht und ihre Gesichter verkünden, dass ihre Freunde nicht willkommen sind”).

Wieso hat sich aber ausgerechnet die Perversität der Hexenverfolgung (oder wie sie nenne “die erste öffentliche Folter aus Frauenhass, genannt “Inquitision”) diese Option des Folterns und Quälens und des auferlegten Schweigens darüber, erhalten?

Die Antwort auf solche Fragen gibt uns unser Gehirn nicht.

Solche Antworten müssen wir (Opfer)  in uns selbst finden. Und das meistens noch wie jemand der auf Schatzsuche ist und dies geheim halten muss.

Es gibt Verbündete- ja: Die Therapeutin die einen begleiten und die wie ein gelehrter Professor gelten kann bis zum (in dieser Methaper) Tode (ausserhalb dieser Methaper: bis die Krankenkasse nicht mehr zahlt und auch nicht mehr zahlen muss weil der Gesetzgeber dieser miese gemeine Sack, dass so bestimmt hat).

Diese Suche tut ziemlich weh. Manchmal stößt man auf einen kleinen “Subwissens”-Schatz ( zum Beispiel Frauenverachtung und seine Geschichte) aber sehr viel häufiger stößt man doch wieder auf einen Sumpf. Einen Sumpf aus pseudowissenschaftlicher Erklärungswut und dem Märchenerzähler, der Geschichten erzählt  vom Gehirn welches Böses tut und dabei Spaß hat und welches aber auch nur so ist, weil es früher Opfer war.

Es macht mich unglaublich wütend.
Was soll dieser Hohn über die Opfer?! (Wieder: schön abstrahiert, damit ihn niemand als solchen erkennt, sondern voller Lob jenem Märchenerzähler zujubelt und noch mehr Geld für weitere Forschungen dieser Art zuschustert.)

Wo bleibt der Widerspruch?

Wer Tiere kennt

… kommt besser mit Menschen zurecht.
Zumindest wenn er es schafft, dem Menschen eine bestimmte Art „Tiersein“ zuzugestehen.
Das ist mein Schluss aus einer sehr epischen Diskussion in der letzten Nacht bzw. heute morgen.
Es begann mit der Frage: „Was habt ihr heute gemacht?“
Alle erzählen so ein bisschen und eine Person- nennen wir sie mal Misantroph- erzählte sie hätte sich damit befasst der Gesellschaft ihre Masken abzureißen und ihre Werte- alle menschlichen Werte zu zerpflücken.
Ja.
Diese Phase hatten wir auch mal – in Form von M.´s und A.´s „Anarchie vs. Sozialimus vs. Kommunismus vs. Punk vs. allgemeines Assi-tum im großen Kampf gegen die Gesellschaft die anscheinend gar nichts sieht/hört/sagt“ -Bestrebungen/Wirren im großen Rahmen der Selbstdefinition (und vielleicht auch Selbstberuhigung? Vielleicht Trost?)
Naja- man hätte das jetzt auch Pubertät nennen können- aber das allein war es nicht. Und M. und A. waren zum dem Zeitpunkt zwar in einem pubertierenden Körper doch sowohl geistig und sozial zu dem Zeitpunkt schon über den Punkt schierer Hormonumstellungs-begründeter Gedanken hinweg.
Jedenfalls entspann sich eine schöne Diskussion über den Wert menschlicher Werte, über den Wert von Psychologie und Naturwissenschaften bei der Definition selbiger.
Misantroph ist der Meinung, das kein Mensch ohne Grund Achtung und Respekt verdient hat.
Das traf mich tief. Im Inneren begann es fast sofort zu brodeln.
Die eine Seite: Jajajajaaa! Stimmt!,
die Nächste: Nein- Schnauze da drüben!,
die andere Seite: Wir hatten uns doch geeinigt keine Schimpfworte…,
eine andere Seite: Wieso ist der so gemein?,
eine andere Seite: Oh man, der muss das doch erstmal fertig denken- vermutlich hat er sine Kontrukt grad erst aufgebaut,
wieder eine andere Seite: Vielleicht wurde er mal verletzt und ist deshalb so abwehrend-
und vieles mehr. Immer schön garniert mit Bildern, weiterführenden Erinnerungsfetzen. Das Übliche eben.
Ich hatte den Eindruck ich müsste nun wieder in den einstudierten „Doch ich bin es wirklich auch ohne Beweis wert geachtet zu werden“- Sermon verfallen zu müssen. Doch mit einem Mal spürte ich dass ich es gar nicht mehr brauchte. Der Grund?
NakNak*
und das Wissen darum wie Menschen funkionieren. Im „mechanischen“ Sinn. Im neurologischen Sinn.
Wir wissen inzwischen wie Menschen lernen, wie sich Menschheit entwickelt hat. Und wo der Ursprung liegt.Und warum Menschen tun was sie tun.
Durch dieses Wissen haben Wertungen eine andere Bedeutung bekommen.
NakNak* ist völlig egal wie wir über sie denken. Ob wir ihre Rasse, ihre Art, ihre Tierheit kategorisieren, schätzen, werten. Sie lebt einzig um ihre Grundbedürfnisse zu stillen und ihre Gene weiterzugeben.
„Schrecklich öd! Das kann doch nicht alles sein! Tiere können ja Dinge empfinden- dann kann das doch nichts alles sein! Und überhaupt wir Menschen sind doch viel weiter entwickelt!“
– Na und? Das hindert uns Menschen aber nicht daran von der ersten Lebensstunde einzig und allein unsere Grundbedürfnisse stillen zu wollen. Und zu sterben, wenn sie nicht erfüllt werden. Wir leben um zu lernen wie wir sie effektiv, schnell und langfristig stillen können und dann unsere Gene weiterzugeben.
Der Rest ist eine Art evolutionäres Sahnehäubchen. Wir haben unsere Werte und Ansprüche nur entwickeln können, weil es uns so gut geht und wir unser Wissen nachhaltig weitergeben können.
Wir schliessen Mörder und Schänder aus unserer Gesellschaft aus, weil sie eine Gefahr für den Fortbestand ( wie wir ihn kennen) der Gruppe bedeuten. Dieses Verhalten (dieser Lerninhalt) hat sich über tausende von Jahren bewährt- aber nicht weil das Morden so eine schändliche Sache ist- sondern weil es eine Existenz beendet.
Alles Leben auf diesem Planeten will leben!
Wir Menschen sind die Einzigen, die das in einem großen Bramborium aufschreiben und bewerten müssen. Obwohl das als Tatsache allein völliger Blödsinn ist.
Natürlich habe ich in diesem Modell jetzt nicht alle Faktoren aufgeschlüsselt. Ich fürchte hier stoße ich wieder auf etwas wozu mehr „Buchbildung“ nötig ist.
Aber im Grunde kann ich so vieles erklären.
Es hilft uns weil uns kaltes Wissen schon immer mehr geholfen hat, als das undurchsichtige Gefühls- einbezogene Erklärungsmodell von Sozialwissenschaft oder Psychologie.
Wenn ich in den Medien lese, dass Täter XY das Opfer AB auf diese und jene Art getötet hat, trifft es mich natürlich. Die Frage nach dem Warum ist wahnsinnig groß.
Aber eigentlich ist sie unnötig. Jede Antwort mit Schnörkel und großer Gefühlsbegründung darauf verletzt.
Und mindert den Wert der Empfindungen jener, die diese Antwort erhalten.
Wenn die Antwort allerdings lautet: Täter XY hat getötet weil er es KONNTE, so ist es für mich sachlich, logisch und klar. Es bewertet weder die Tat, noch den Täter, noch das Opfer.
Der Täter kommt ja auch nur deshalb ins Gefängnis, weil eine Gruppe von Menschen das KANN ohne von anderen daran gehindert zu werden.
Naja. Leider gab es in der Diskussion keinen Schluss, weil sich Misantroph dann in die Ecke gedrängt fühlte. Wie gesagt, es war halt noch nicht zu Ende gedacht. Nur weil man meint eine großartige Idee zu haben in dem man schlicht alles und jeden verachtet der seine Werte noch nicht unter Beweis gestellt hat, heißt es nicht, dass es nicht doch jemanden gibt der einem sagt, dass man sich damit auf dünnes Eis begibt und einen auffordert selbige zu definieren.
Ich bin wirklich froh, das wir NakNak* in unser Leben gelassen haben. Ihr bedingungslose Anwesenheit und ihre besondere Art uns zu achten sind Biologie, Evolution und Liebe in einem.
Wenn wir Menschen es nur schafften so miteinander umzugehen…

Monotrauma bei Menschen mit DIS

Ob es nun am Trauma um Edna liegt oder eine blöde Konstellation von Zufällen ist: unsere Kraft neigt sich dem Ende zu.
Heute morgen wurde NakNak* von der ausgewachsenen Boxerhündin der Nachbarin angegriffen. Nun sind wir fertig.
Vor ein paar Tagen war NakNak* bei dem Pferd, dass Edna getötet hat. Wir waren ausser uns.
Heute spürte ich zum ersten Mal ganz genau, wie Dissoziation bei uns funktioniert.
Das Ereignis passiert die anderen Innens sind von mir abgetrennt- was sich irgendwie, wie ein schnelles Garagentor anfühlte
und meine Gefühle sind weg
Ich frage mich, ob es doch stimmt, was mir vor langer Zeit geschrieben wurde. Ich habe keine eigenen Gefühle. Meine Emotionen werden von jemandem innen „freigegeben“ oder eben auch nicht. Ist es das, was mich jetzt gerade nichts hat fühlen lassen, als NakNak* schreihend am Boden lag?
Ich spüre, dass der Körper heftig reagiert. Dies ist schon der zweite Tag an dem ich nicht zur alten Dame kann, weil ich mit Übelkeit und Durchfall zu kämpfen habe.
Die Essstörung freut sich natürlich und nimmt wieder mehr Platz ein.
Was für mich enttäuschend ist: es gibt keine Informationen zum Thema des Monotrauma bei Menschen mit DIS.
Führt mich der Weg der Erkenntnis wieder nur durch das Innenleben? Ist das wieder etwas, das bei jedem anders ist?
Ich habe den Kontakt zu D. eingeschränkt. Ich bin auf dem Weg mich von ihm abzukapseln.
Er weiß nicht, was er machen kann. Ich weiß es auch nicht. Ich werde ihm gegenüber immer gleichgültiger und gereizt. Kommt es von mir oder von innen?
Ich bin mir überhaupt nicht mehr sicher, was ich bin.
War ich von Anfang an nur eine neutrale „Scheinperson“? Nein- dazu kann ich zuviel denken.
Draussen ist meine Nachbarin mit den beiden Hunden im Garten.
Wir wollten heute das Erbsenbeet umhacken. Es wäre schön gewesen, wenn NakNak* dabei auch hätte draussen sein können.

Menschsein


„Jeder individuelle Mensch trägt der Anlage und Bestimmung nach einen reinen idealischen Menschen in sich, mit dessen unveränderlicher Einheit in allen seinen Abwechslungen übereinzustimmen, die große Aufgabe seines Daseins ist“ (Schiller)

„In der natürlichen Ordnung sind alle Menschen gleich; ihre gemeinsame Berufung ist: Mensch zu sein. Wer dafür gut erzogen ist, kann jeden Beruf, der damit in Beziehung steht, nicht schlecht versehen. Ob mein Schüler Soldat, Priester oder Anwalt wird, ist mir einerlei. Vor der Berufswahl der Eltern bestimmt ihn die Natur zum Menschen. Leben ist ein Beruf, den ich ihn lehren will. Ich gebe zu, dass er, wenn er aus meinen Händen kommt, weder Anwalt noch Soldat noch Priester sein wird, sondern in erster Linie Mensch. Alles, was ein Mensch zu sein hat, wird er genau so sein wie jeder andere auch; und wenn das Schicksal ihn zwingt, seinen Platz zu wechseln, er wird immer an seinem Platz sein.“
(Aus: Jean-Jacques Rousseau: Émile oder Über die Erziehung, ‚Reclams Universal – Bibliothek‘)

Zum Menschsein gehört so viel.
Ich habe mich in der letzten Zeit oft damit befasst. Und musste feststellen, dass wir kein vernünftiges Selbstverständnis von uns als Mensch haben.
Wir sehen uns als „Anwesend“.
Tatsächlich sehen sich die meisten von uns eher adjektivisch, vielleicht noch partizipiell.
Einfach „da“ mit diversen Eigenschaften. Doch als Mensch in all seinen Facetten nicht.
Zu dem Thema kamen wir als wir uns einer Gruppe im System anzunähern versuchten.
Es ist eine Gruppe von traumatragenden Innenpersonen, die, wenn sie den Körper übernehmen (müssen bzw. früher mussten) in hundisches Verhalten verfallen. Wir bedienen uns der These, dass dies ihr Weg war, sich den Lebensumständen und den Anforderungen von Aussen anzupassen um unser Überleben zu sichern.
Im Innern „sehen“ wir sie als Tiere. Ob sie sich selbst so wahrnehmen wissen wir nicht.
Es ist doch die Frage, ob sie es können.
Kann ein Mensch sein Selbstverständnis verlieren?
Ist die Überzeugung Mensch zu sein ein Teil dessen, dass uns mit dem Aufwachsen mitgegeben wird? Oder sollte man von Wissen sprechen?
Wenn wir die Worte Menschenwürde, Menschenrechte, Menschlichkeit lesen, beziehen wir sie nicht auf uns. Wir haben keine Würde, keine Rechte und was Menschlichkeit ist, können wir für uns nur schwer definieren.
Betrachten wir die Körperbiologie so spricht man von der Gattung „Mensch“, Homo sapiens, mit den Primaten verwandt.
Da wir in diesem Körper- der uns, obwohl wir in ihm sind, so fremd vorkommt wie eine Kostümierung, durch das Leben trägt- stecken, erfüllen wir anscheinend schon alle Kriterien Mensch zu sein.
Doch betrachtet am Selbstverständnis sind wir lediglich existent. Genauso wie alles was uns umgibt.
Ich schrieb schon, dass wir versuchen U. das Leben nahe zubringen.
Unser Leben- das was wir als schlicht „hinnehmend“ annehmen und lediglich „anwesend“, „da“ zu meistern versuchen.
Die Frage stellt sich, ob es ein richtiges Selbstbild braucht, um das Leben als Mensch zu leben.
Wie dieses Selbstbild sein sollte bzw. in unserem Fall sein kann.
Wir haben viele verschiedene Arten zu leben überlebt.
Eingesperrt wie ein Tier unter Tieren.
In einem Haus mit allem Komfort doch mit Seelenmördern im Nebenzimmer.
In Psychiatrien, in denen Autonomie und eigenes Denken unterdrückt wurden.
Umgeben von wechselnden Ideologien und Machtdemonstrationen.
Und nun das hier.
Selbstständig, verantwortlich für Haustiere, mit Kontakten zu Menschen, die uns zur Seite stehen, uns nicht verletzen möchten und denen wir so gut wir können die Hand reichen.
Letztlich habe ich viel geschrieben, obwohl ich lediglich einen Punkt formulieren wollte:
Sind wir ein Mensch, obwohl wir uns nicht als einer verstehen?
Wenn es nach unserem Selbstverständnis geht, so sind wir nur existent.
Im Grunde die letzten pulsierenden Fasern einer Seele, die zerrissen und in alle Winde geworfen wurden.
Wieviel Mensch können wir noch sein?