Autismus und Trauma(therapie)

Unsere Form der Orientierung passiert am Handeln anderer Menschen.
Die Traumakomponente dabei ist die Furcht vor dem Fehler, da der Fehler als Ursache von Gewalt und damit Schmerz, (Lebens)Gefahr und Mangel erlernt wurde.
Die Autismuskomponente ist, dass zu Handeln für uns aktiv und bewusst eingeübtes Copy & Paste ist. Immer noch. Während die meisten Menschen diese Strategie anwenden, wenn sie neue Dinge lernen und einüben, wenden wir das bei praktisch allen Tätigkeiten an. Dabei geht es – besonders heute, wo keine akute Gewalt mehr droht – nicht um den Versuch ein „richtiges“ oder „perfektes“ Ergebnis zu erreichen, sondern darum, es richtig zu machen. Denn auch mit der Art, wie man handelt kommuniziert man mit anderen Menschen. Aus unserer Sicht kommuniziert man darüber besonders Zugehörigkeit und Anerkennung, manchmal sogar Wertschätzung, für den Umstand der Zugehörigkeit oder auch der Notwendigkeit von Zugehörigkeit in diesem Kontext.

Die fragmentierte Selbst- und Umweltwahrnehmung mit der wir leben, stellt bei diesem Unterfangen oftmals die eigentliche Behinderung dar. Wir brauchen länger als andere Menschen, um komplette Handlungsstränge zu erfassen, zu prozessieren, mit unseren Fähig- und Fertigkeiten abzugleichen und sie 1 zu 1 zu kopieren. Sich selbst nicht kontinuierlich spüren, erfassen und reflektieren zu können, bedeutet zusätzliche Zeit- und Raumaufwendung. Noch mehr, wenn es um Aktivitäten geht, die kritischer Prüfung bedürfen, weil sie MIssbrauchspotenziale enthalten oder zu direkten und indirekten Schäden an uns oder anderen führen.

Anpassung ist ein Vorteil in evolutionären Prozessen. Anpassung geht über „Unauffälligkeit“ weit hinaus.
Anpassung kann auch bedeuten so auffällig zu sein, wie andere eine_n haben wollen oder (für ihr Gewaltkonzept) brauchen. Anpassung kann auch bedeuten, immer weiter leben, überleben zu wollen und Sterben zu verhindern, weil sonst niemand anderes in der direkten Umgebung sterben will, sterben erlaubt oder Suizid duldet.
Es ist nicht zu unterschätzen, an wie vielen Punkten Zugehörigkeit und dazu nötige Anpassungsleistungen zutiefst menschliche Instinkte überblenden. Vor allem dann nicht, wenn man es mit Opfern von (organisierter) Gruppengewalt zu tun hat.

Auch hier müssen wir uns mit zwei Seiten befassen.
Auf der Traumaseite steht ein abhängiges Kind, das instinktiv (aber vielleicht doch auch sehr sehr früh bewusst) weiß, dass es Bezugspersonen braucht, um zu üb.er_leben und sich an die Gruppengewalt (die Familiengewalt)-Kontexte anpasst, um das eigene Leben zu schützen und auf der Autismusseite steht ein Kind, das diese Anpassung nicht schafft, weil es nicht alle sozialen Hinweise, nicht jede Ebene der Kommunikation und Interaktion so erfasst, dass die Anpassung zufriedenstellend (im Sinne von umfassend, „nahtlos“) passiert.

Man darf nicht vergessen, dass Anpassung an soziale Kontexte, zwischenmenschliche Interaktionsmuster und -praktiken die Zugehörigkeit kommuniziert. Und auch, ob man diese Zugehörigkeit stärken, wertschätzen oder herausfordern will. Zugehörigkeit trägt in nicht unerheblichem Maße zur Identitätsentwicklung bei. Wer zur Familie gehört, ist Familie. Wer zur Gruppe gehört, ist Gruppe.

Zugehörigkeit kann man gut vorzeigen. Vor allem mit einem umfassenden Repertoire von verbalen Skripten und Handlungsabfolgen in einem sozialen Kontext, dessen Kommunikation von Unschärfe und Ungenauigkeit geprägt ist. Häufig reichen nachgemachte Gesten ohne jede eigene, innere, emotionale Verbindung, damit sie ihre Funktion bei anderen Menschen (unbewusst) erfüllen. In der Regel reicht eine bestimmte Begrifflichkeit zu verwenden, um etwas zu beschreiben und dem Gegenüber damit zu sagen: „gleicher Kontext“, „gleiches Thema“, „Ich weiß, was du meinst“, „Ich weiß, wo du (inhaltlich) bist.“

Die Einsamkeit, die wir oft empfinden, speist sich aus genau diesem Umstand.
Wir fühlen uns nicht zugehörig. Wir fühlen uns wenn überhaupt verbunden. Und diese Verbundenheit produzieren wir über Kognition.
Die Person hat mich geboren – sie ist meine Mutter. Diese Person hat meine Mutter schwanger gemacht – das ist mein Vater. Diese Personen dürfen Dinge über mich bestimmen, die ganz konkret und direkt meine Er_Lebensqualität auf einem Spektrum von angenehm, gut, nährend bis unangenehm, schlecht, mangelnd beeinflussen und das ist (in wechselndem Rahmen) ausschließlich über folgende Gesten, Worte, Wortabfolgen, Mimiken steuerbar.

Als Kind und Jugendliche mussten wir mehr leisten als heute, weil wir mehr Autoritäten unterworfen waren. Die ganze Welt bestand für uns aus Menschen, die wir in ihrem Bezug zu uns erfassen und ertragen mussten. Heute als erwachsene Person dürfen wir Unverbundenheit mit Fremdheit synonym verwenden und unsere Energien in den Ausbau unserer Kontakte und Bindungen fließen lassen.

Das erscheint uns an manchen Stellen, wie ein Entwicklungsschritt, den andere Menschen in der Zeit zwischen 10 und 20 Jahren machen. „Hier bin ich, ich bin so, ich gehöre zu dem und dem und das das und das nicht.“.
Wir sind in einigen (psychischen) Entwicklungsschritten erheblich verzögert. Schon der Umstand erst mit 21 zu erfassen und zu begreifen, dass jeder Mensch einen eigenen inneren Kosmos hat, der bei allen anders ist und es entsprechend gar nicht unser Ziel sein muss, unseren zu verändern, um weniger einsam und fremd mit ihnen zu sein, deutet darauf hin.
Die Trauma-Erklärung dafür ist: „Abgrenzung – ihr habt gelernt, dass ihr nichts eigenes haben dürft und deshalb habt ihr nie eine Grenze zugelassen (durftet keine Grenzen entwickeln) zwischen euch und denen, die euch überlegen waren (also allen/der ganzen Welt)“
Unsere Erklärung damals: „Da ist ein Unterschied, der uns trennt, was uns gefährdet und wo wir, egal was wir mit welchem Drive versuchen, nicht drüber kommen, sondern nur überdecken können. Wir gehören nicht dazu, aber alle Kognition sagt, dass wir es tun. Hier passiert ein unaushaltbarer Widerspruch, den wir weder kommunizieren noch auflösen können.“ blieb unverstanden, weil sie immer wieder von „autistisch“ zu „neurotypisch“ zu „traumatisiert“ übersetzt wurde.
Bibel-religiöse Menschen können verstehen, was für fatale Probleme dadurch entstehen, wenn etwas zu oft in zu weit auseinanderliegende Sprachen übersetzt wurde.

Unsere Geschichte enthält lange Abschnitte psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung. Es hat nicht geholfen die eigene Alexithymie niemals ausdrücken zu dürfen bzw. nicht als solche anerkannt zu wissen, weil die allgemeine Übersetzung ausschließlich „Bedrohung für andere“ (krasser Fall von Psychopathie/ verletzt ohne Mit_Gefühle/ wurde auf Gefühlskälte programmiert (traumatisiert)) oder „absolute Zerstörung des Eigenen“ (armes traumatisiertes Huschi ist völlig zerstört/dissoziiert von den eigenen Gefühlen/darf (durfte) nicht mal was empfinden) für ihre Auswirkungen bereithält.

Die Anpassung an die Lebensumstände der Psychiatrie und der Behandlungskontexte der Psychotherapie decken wir noch heute an unerwarteten Stellen auf.
Zuletzt am Begriff der Reorientierung.
Da wir schon so lange in Therapie sind, schon so viele Fremdwörter benutzen, um bestimmte Themen zu umreißen und Gespräche schneller an ihren Punkt zu bringen, wird schnell vergessen, dass wir in der Regel skripten, wenn wir Lautsprache verwenden. Das bedeutet, dass wir (Fremd)Wörter verwenden und das auch inhaltlich angemessen, sie aber mitnichten auch immer mit uns in Verbindung bringen können, wo die Verbindung auch wirklich ist.

Am Beispiel der Reorientierung ist das meiner Ansicht nach besonders fatal, macht doch die Re_Orientierung einen erheblichen Teil dessen aus, was nötig ist, um erfahrene Traumatisierungen zu verarbeiten und zu integrieren.
Erst nach bald 18 Jahren Traumatherapie zu verstehen, dass Re_Orientierung nicht nur meint, dass alle von uns wissen, welches Datum wir haben und, dass wir der Familie*° nicht mehr ausgeliefert sind – als Information! – ist eine solche unerwartete Stelle.
Eine mit erheblichen Auswirkungen und Krisenpotenzial.

3 thoughts on “Autismus und Trauma(therapie)

  1. Es interessiert mich, mehr darüber zu lesen, was „Re_Orientierung“ für Euch bedeutet und was sie in und mit Euch macht. Vielleicht mögt Ihr darüber ja noch mehr schreiben?

    1. Ja, genau diese Frage haben wir uns auch gestellt! Neben einem verblüfften „Was kann denn noch anderes damit gemeint sein als das eben Beschriebene?“ Wir denken jetzt jedenfalls auch darüber nach, was Reorientierung für uns bedeutet. Ich glaube, wir haben das auch noch nie so ganz verstanden, aber immer so getan, als hätten wir das. Wie geht das denn WIRKLICH, ganz in die Realität³ zurück zu finden? Mir wird gerade klar, dass wir das Problem oft so lösen, dass wir alltagsnahe Innenpersonen wieder ganz an die Front befördern, und die anderen, die nicht im Hier und Jetzt orientiert sind, weiter nach hinten drängen. Aber geht es eigentlich darum, die, die in einer anderen Zeit und einer anderen Situation hängen, in die jetzige Realität³ zu bringen? Aber das kann ich ja nicht mal eben so lösen. In der Lieratur, oder so wie es von Therapeut*innen verwendet wird, haben wir Reorientierung aber immer als etwas verstanden, was sozusagen Soforthilfe ist. Das können wir aber nur durch Wechsel und verdrängen lösen, für eine umfassendere Reorientierung bräuchte es Traumaverarbeitung, aber das ist dann ja eher überhaupt eine Einordnung in einen (ungefähren) historischen Ablauf, und ein Verständnis von „ich“ im Zusammenhang mit anderen Innenpersonen, und ein Abgrenzen zu Hier und Heute und jetziges Gegenüber. Ich kapiere gerade, dass Reorientierung vielleicht ein Konzept ist, dass bei einer DIS im Gegensatz zu primärer (und sekundärer ?) Dissoziation nicht einfach so funktioniert.
      Sorry, hoffe, dass war jetzt nicht zu viel hier in die Kommentare geschrieben!

  2. Mh ja… Unverbundenheit ist schlimm (darüber regen wir uns ja auch des öfteren mal auf). Wir kennen das, dass Verbundenheit rein kognitiv abläuft, wobei wir das auf DIS&Co schieben, also autistisch sind wir wohl nicht.

    Der letzte Teil, das mit der Re_Orientierung… Volle Zustimmung! Wir sind so lange mit dieser Art zugeschüttet worden, solch informationsbasierte Re_Orientierung und anderen, nicht hilfreichen „Skills“ – es hat auch hier eine Weile gedauert bis wir überhaupt begriffen haben, dass wir denken und sagen dürfen, dass das nicht so funktioniert, wie andere sich das vorstellen.
    So ganz konnten wir für uns aber bisher nicht in Worte fassen, was genau diese Erkenntnis bedeutet. Ich denke manchmal, dass es daran liegt, dass zwischen Wissen und wirklich fühlen der Unterschied liegt, aber ich glaube auch, dass es das nicht ganz beschreibt.
    Möchte mich daher PaulaRabe anschließen.

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