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“Mach dir nicht so viele Gedanken.”, “Mach dir keinen Stress.”, “Reg dich nicht darüber auf.”.
Das sind die Dinge, die uns Menschen zu dem Problem mit dem Lehrer sagen. Und generell zu vielen, den meisten der Probleme, die wir im Leben sehen. Beruf, Zukunft, Lebensausrichtung, die Ordnung unserer Dinge und Handlungen.

So etwas macht einen Schmerz, der immer wieder neu weh tut einerseits und andererseits kaum richtig “echter Schmerz” im Sinne einer emotionalen Verwundung ist. Es ist eher eine, die!, schmerzliche Erinnerung daran, wo die Grenzen zu anderen Leuten verlaufen. Sie verlaufen für uns genau dort, wo Leute annehmen, wir würden uns Gedanken zu Dingen machen, wie man Kuchen backt oder sich selbst eine Frisur macht: zielgerichtet, eine Absicht verfolgend, vielleicht, weil man etwas anderes gerade weder will noch kann oder mag.

Unser Ausdruck von Stress über Dinge entsteht in der Regel erst dann, wenn wir durch die Kommunikation unserer Gedanken zu Dingen als etwas, das frei wählbar und vermutlich die Folge von Vermeidung anderer Optionen sei, merken, dass wir allein mit dem Problem sind. Sicher nicht, weil die Menschen sich dafür entscheiden uns damit allein zu lassen. In der Regel wollen sie ja alle das Beste für uns. Sie sind uns zugewandt und sehen, dass es uns nicht gut geht. Aber sie verstehen uns nicht. Und, sie sehen die Dissonanz zwischen dem, was sie an uns herantragen und dem, was sie sich für uns wünschen nicht. Auch damit sind wir meistens allein.

Wir sind nicht gut in der Lösung von zwischenmenschlichen Problemen. Wir wissen das. Wir merken das. Wir leben schon einige Jahre mit dieser Unfähigkeit und trotz vieler Hilfsmittel und Krücken, die für die andere Partei in der Regel ermöglicht, gute Lösungen zu finden, bleiben wir oft mit dem Wissen zurück, dass wir ein Problem lösen, bei dem wir nichts weiter als ein Kanarienvogel in der Kohlenmine waren.

Wir geraten nie „einfach nur so“ in Schwierigkeiten. Wir zeigen sie auf und werden deshalb als die Problemursache verortet. Schlicht deshalb, weil wir unsere Gedanken nicht „machen“, sondern sie durch all die Fragezeichen und Unstimmigkeiten in der Zwischenmenschlichkeit und der Unmöglichkeit, die Zukunft vorherzusehen, zwangsläufig entstehen.

In ultra autoriären Kontexten hatten wir nie Probleme damit. Darin hatten wir unsere Gedanken und die Spaltung zwischen innen und außen. Wir haben nicht gesagt, was wir denken, haben nie geäußert, was wir uns fragen. Wir haben gehört und gefolgt und am Ende war das Ende. Es gab keine Zukunft, es gab ein Ziel, das ein weiteres Ende sein würde, über das weder nachzudenken, nachzufragen oder sich zu sorgen erlaubt nötig möglich war.

In Momenten wie dem, in dem unsere Therapeutin aus der Sache mit dem Lehrer zum Beispiel etwas macht, das in uns begründet ist; unser Klassenlehrer, dem wir von der Sache erzählten, weil er sagte, wir sollten bei Problemen immer sofort zu ihm kommen und davon erzählen, uns sagt, wir sollen uns weder aufregen noch sorgen; der Begleitermensch schon wieder nicht erreichbar ist, obwohl er uns zugesichert hatte, dass wir in der Schulzeit nicht allein mit solchen Situationen sein müssten,

da ist der Wunsch nach so einem ultra autoritären Kontext wieder da
und ich kann’s verstehen
ja, sogar nachfühlen.

Nicht, weil die Aussicht auf die globale Unterwerfung und Lossagung solcher Problemlagen so toll ist, sondern, weil es weder die real entstehenden zwischenmenschlichen Probleme, noch den Schmerz der Alleinigkeit damit, noch das Spüren der weiterreichenden Konsequenzen dieses Schmerzes gibt.

Es geht ja nicht nur um dieses eine Problem. Sondern auch um die, die da noch kommen werden. Es geht auch darum, immer Kraft für sowas bereit haben zu müssen und niemals vergessen zu dürfen, dass das ein Kraftvorrat ist, der dazu da ist, immer einsetzbar zu sein – egal, wie anstrengend der ganze Rest ist.

Es geht auch um das Gefühl der Isolation. Es gibt Menschen, die mit unserer Selbstbezogenheit wenig mehr als Pathologisierung und Negativbewertung anfangen können. Die meisten brauchen entweder lange oder schaffen es nie zu verstehen, dass wir uns nicht wie sie oder die meisten Leute, über andere Menschen oder die Interaktion mit ihnen spüren. Wir also keinen Wert für uns darin sehen, mit ihnen zu tun zu haben, sondern darin, was konkret wir mit ihnen zu tun haben. Um das etwas näher zu erklären, ein Beispiel.

Eine Person mit der wir befreundet sind, fragt uns, ob wir mit ihr Zeit verbringen. Sagen wir, wir machen eine kleine Radtour. Wir werden uns gut fühlen, weil wir radfahren und sie auch. Weil wir beide das Gleiche tun und einander erzählen können, wie es für uns war. Uns macht daran glücklich, dass wir Rad gefahren sind und, dass wir beide die gleiche Erfahrung gemacht haben und, dass wir einander davon erzählen können. Auch wenn die andere Person es vielleicht nicht so toll fand, so steht für uns nicht das im Vordergrund, sondern die Schönheit der Kongruenz, über die wir uns verbinden können. Wir sind dann nicht glücklich, weil eben genau diese Person da war. Oder weil wir besondere Momente miteinander erlebt haben. Die Gleichheit der Handlung (die planbar, machbar, schaffbar war) erfüllt uns mit Zufriedenheit.

Übertragen auf soziale Problemlagen, wie dem mit dem Lehrer, ist für uns irrelevant, wie er sich fühlt, wenn wir uns schlecht fühlen. Für uns ist seine emotionale oder soziale Bewertung der Situation auch egal. Wir brauchen für uns auch nicht zu wissen, wie es ihm geht, denn uns geht es um das Ergebnis seiner Handlung bzw. einen faktisch existenten Umstand.
Beschäftigen werden wir uns in den nächsten Tagen aber vor allem damit, ihm das klar zu machen, ohne, dass er sich tödlich beleidigt oder missachtet fühlt. Und erst dann können wir vielleicht eventuell zu dem kommen, was für uns eigentlich relevant ist. Ein Problem, das wir nur durch achtsame und sachbezogene, also sehr konkrete, Kommunikation lösen und in der Zukunft verhindern können. Obwohl Schulalltag um uns herum ist, obwohl es für ihn irrelevant ist, obwohl es unbezahlte Mehrarbeit für ihn ist und obwohl es eine Veränderung in seiner Kommunikation bedeutet, von der erst einmal nur wir etwas haben (aber später könnte sich herausstellen, dass alle etwas davon haben – auch er).

Was in der Reihenfolge einfach kräftezehrend für uns ist und auch wieder ganz eigene Unfairheiten mit sich bringt. Denn ihm wird niemand sagen, er solle sich nicht aufregen, sich Gedanken machen, keinen Stress damit haben.
Ihn wird man eher noch bedauern, jemanden wie mich unterrichten zu müssen, obwohl man als Lehrer_in doch so gar nicht darauf vorbereitet wird. Ihm würde man eher noch das Fehlen von eigenen Gedanken dazu entschuldigen, denn, wie hätte er denn je darauf kommen sollen. Niemand würde ihm sagen, er solle sich keinen Stress damit machen, weil man weiß: Er hat eh schon genug unverhinderbaren Stress, weil Lehrer_in zu sein, einfach als stressreicher Job mit enorm vielen Aufgaben gedacht und akzeptiert wird. Und sollte er sich doch Gedanken und Stress machen, dann wird ihm das als Merkmal guten Lehrerseins angetan – nicht als unnötige Selbstsabotage oder Merkmal einer Pathologie der Psyche, wie bei uns.

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